Читать книгу SNOW BONE - Guido Grandt - Страница 10
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ОглавлениеEinen langen Moment sah Tobey in ihre glänzenden, dunklen Augen, in denen jetzt unverhülltes Verlangen stand. Mehr noch: Das tiefe Bedürfnis, es mit ihm zu dieser Mitternachtsstunde im Bett des Hotelzimmers zu treiben, bis sprichwörtlich ihr Blut kochte.
Mit einem zärtlichen Kuss verschloss er ihr den Mund. Veronicas zarter Duft nach Seife und frisch gewaschener Haut turnte ihn noch mehr an.
»Mädchen wie dich sollte der Teufel holen, weißt du das?« Tobeys Stimme war heiser vor Erregung.
Statt einer Antwort griff die Studentin nach seinem nackten Geschlecht, was ihm ein kehliges Stöhnen entlockte. Sie brauchte ihn nicht lange zu massieren, bis er hart wurde. Anschließend presste sie ihre tätowierten Brüste fest gegen seinen Oberkörper, während Hitzewellen durch ihren Leib strömten.
Sanft schob Tobey seine Freundin auf das weißgestärkte Bettlaken zurück, als wollte er nicht ihr allein die Initiative überlassen. Er senkte den Kopf, leckte ihre harten gepiercten Nippel, umkreiste mit seiner Zunge ihren Nabel und glitt schließlich in der leichten Wölbung ihres Bauchs weiter nach unten.
Veronica packte seinen Kopf und krallte sich in sein dunkelblondes, widerborstiges Haar. Als Tobey sie an den Innenseiten der Schenkel berührte, zog sie unwillkürlich die Beine an. Ihre gespreizten Oberschenkel waren ebenfalls tätowiert. Ihr Atem ging jetzt stoßweise, was den schlaksigen Mann noch mehr erregte.
Das rhythmische, wollüstige Keuchen der Liebenden war das einzige Geräusch in dem Zimmer. Der Kopf der jungen Frau wippte vor und zurück. Ihr Gesicht war schweißnass und gerötet, als sie die Muskeln anspannte und ihr Becken Tobeys Lippen und Zunge entgegenhob. Gleichzeitig schloss sie die Beine um seinen knochigen Rücken und zog ihn noch näher an sich heran. Seine Barthaare verursachten ihr eine Gänsehaut.
Schließlich konnte sie nicht mehr länger an sich halten. Wie ein gewaltiger Tsunami rollte der Orgasmus heran und löste ein konvulsivisches Zucken aus, so intensiv, dass sich ihr Unterleib vom Laken hochbog. Sekundenlang hallte ihr Lustschrei durch das Zwielicht, bis das genauso intensive, körperliche Nachbeben in einem gedämpften Seufzer endete.
»Was du mit deiner Zunge anstellst, ist einfach fantastisch«, brachte Veronica mühsam hervor. Ihr Busen hob und senkte sich heftig unter ihren schweren Atemzügen, doch dann setzte sie sich auf, kniete sich vor Tobey hin und küsste ihn lange und innig. Irgendwann wanderten ihre warmen, weichen Lippen knabbernd und saugend über seinen hageren Oberkörper, umschlossen seine mächtige Erektion und züngelten so gekonnt, dass er beinahe auf der Stelle kam. Doch bevor es so weit war, stieg sie auf ihn und empfing seine stählerne Männlichkeit, die sanft in ihr Innerstes eindrang.
Tobey umfasste ihre auf und ab wippenden Brüste, während sie den Anblick seines glühenden Gesichts genoss und das Tempo des wilden Rodeorittes immer mehr steigerte. Dabei presste sie sich noch fester auf ihren Freund, um jeden Zentimeter seines harten Geschlechts in sich aufzunehmen.
»Gott im Himmel, besorg es mir richtig«, stöhnte Veronica lasziv an seinem Ohr.
»Du sollst den Namen des Herrn nicht vergeblich führen«, konnte Tobey sich nicht verkneifen zu sagen, der gerade sein Bestes gab.
»Halt die Klappe, du Mistkerl. Ich komme gleich wieder …« Nach Luft japsend, schloss Veronica die Augen und genoss das Heranrollen des nächsten Höhepunkts, der so sicher war, wie das Amen in der Kirche.
Nun konnte auch Tobey nicht mehr anders. Gemeinsam erreichten sie den Gipfel der Lust und entluden sich ineinander, wie aufgestaute Flüsse, die über die Felsen einer Schlucht hinabstürzten.
Es schien eine halbe Ewigkeit zu dauern, bis sich ihr Puls wieder einigermaßen beruhigte, sich ihr Atem normalisierte und der Schweiß trocknete. Zärtlich streichelte Tobey die Schulter seiner Freundin, die sich erschöpft und ausgelaugt neben ihm rekelte.
»Wow, war das eine Nummer …«
Weiter kam der ewige Student nicht, denn jäh und grell wie ein Blitzlicht zuckte plötzlich etwas durch sein Bewusstsein und blendete ihn für Sekundenbruchteile, als hätte er mitten in die Sonne geblickt. Instinktiv schloss er die Augen, aber es nützte nichts. Die unsägliche Lichtflut schien direkt hinter seinen Pupillen zu erstrahlen wie Radioaktivität aus einem Atommeiler. Blendendweiß und sengend heiß, begleitet von einem unwirklichen, nervenzerfetzenden Crescendo, das nicht von dieser Welt zu stammen schien. Die schaurigen Klänge, scheußlich und kreischend, schwollen nun in immer schrilleren Tönen an und zerrissen ihm beinahe die Trommelfelle.
Tobey schrie gellend auf, während ihn das teuflische Heulen weiter malträtierte. Seine Hoden zogen sich augenblicklich zu winzigen mit Nägeln gefüllten Fleischsäcken zusammen.
Veronica war vor Schreck ebenfalls erstarrt. Sie konnte nicht einmal im Ansatz erahnen, was gerade mit ihrem Freund los war.
In Tobeys kalkweißem Gesicht stand der Ausdruck grotesken Entsetzens. Seine Lippen zitterten, als würde er einen epileptischen Anfall erleiden.
Und dann sah er …
… ein riesiges Gebäude mit unzähligen Zimmern, in denen zwei Schatten hintereinander herjagten.
Einer davon war er selbst, der andere, der ihn verfolgte, konnte er nicht erkennen, sondern nur hören.
Das Keuchen und Sabbern … das Kreischen und Heulen.
Und immer wieder die Worte: »Du entkommst mir nicht!«
Direkt hinter ihm waren jetzt schwere Schritte …
DU …
… die immer näher kamen …
ENTKOMMST …
… ihn unerbittlich einholten …
MIR …
… gleich hatte er ihn.
NICHT!
Er spürte, wie das Ding hinter ihm, das urplötzlich so vertraut erschien, mit den Handflächen gegen seinen Rücken stieß.
Hart, wuchtig und kraftvoll.
Er konnte das Gleichgewicht nicht mehr halten und stolperte vorwärts. Direkt auf das hohe Fenster zu, das auf einmal riesengroß vor seinen schreckgeweiteten Augen erschien.
Ein, zwei Sekunden, dann würde sein Schädel die schmutzige Scheibe durchstoßen.
Glas zerbarst, Scherben regneten zu Boden und Blut spritzte.
Die abgebrochenen, spitzen und messerscharfen Splitter, die noch im Holzrahmen des Fensters steckten, durchbohrten seinen Hals, und schlitzten seinen Kehlkopf, die Luft- und die Speiseröhre der Länge nach auf.
Der grelle, pochende Schmerz, der ihn schlagartig erfasste, war alles verzehrend. Von einem Moment zum anderen schrumpfte die lodernde Korona seines Lebens zusammen, als hätte man aus einem Medizinball die Luft herausgelassen.
Dann war da nur noch der eisige Tod, der ihn tief hinabzerrte in sein grausames, finsteres Reich aus ewiger Pein und Verdammnis …
Tobeys gellender Schrei hallte durch das nächtliche Hotelzimmer und wurde als unheimliches Echo von den Wänden zurückgeworfen, dann rollte er sich wie ein Kleinkind zur Embryonalstellung zusammen. Den Kopf gesenkt, den Körper zusammengekauert, die Knie angezogen und die Arme um das Kissen geklammert.
Veronica hingegen erwachte wie aus einem Albtraum, beugte sich hastig über ihren wimmernden Freund und streichelte seine tränennasse Wange.
»Was ist mit dir …«
Doch der Mann hörte sie nicht, er drehte sich von ihr weg und verbarg das totenbleiche Gesicht noch tiefer in den Kissen. Sein Wimmern schien gar nicht mehr aufzuhören.
***
Vollkommen nackt lag Britt im Bett ihres Einzelzimmers. Der Schein des vollen Mondes, der nur ab und zu durch die Wolkendecke blitzte, hüllte ihre weiblichen Kurven silbern ein. Ansonsten versanken ihre Rundungen, die prallen Brüste und die sanft gebogene Linie ihres Bauches im Zwielicht. Die weizenblonde Haarmähne breitete sich wie ein Strahlenkranz um ihr entrücktes Engelsgesicht aus.
Die erregenden Geräusche des Liebesspiels von Veronica und Tobey, das gedämpft durch die Wand drang, an der ihr Bett stand, turnte Britt ungemein an. Sie selbst hatte schon längere Zeit keinen Sex mehr gehabt, obwohl sie andauernd auf Typen traf, die eigentlich nur das eine wollten. Ohnehin wurde sie meistens auf ihr fabelhaftes Aussehen reduziert, ohne dass man die warmherzige, freundliche, wohlerzogene und intelligente Person dahinter sah.
Vor allem die Studiobosse, die ihr versprachen, sie ganz groß rauszubringen, wenn sie mit ihnen die Besetzungscouch teilte, ekelten sie an. Das war auch einer der Gründe, weshalb sie bislang nur in zweitklassigen Filmen mitgespielt hatte, denn die großen Tiere in Hollywood waren wie die Geier. Sie stürzten sich auf jedes hübsche, junge Fleisch und warfen es nachher mit leeren und belanglosen Phrasen weg, und das im wahrsten Sinne des Wortes.
Das war wohl der Preis der Schönheit. Dabei sehnte sich Britt nach einer starken Schulter, an die sie sich anlehnen konnte … nach einer richtigen Beziehung mit einem ehrlichen und treuen Mann, der sie nicht nur als Masturbationsvorlage sah, und vor dem es keine Geheimnisse gab … mit dem sie im Alltag durch dick und dünn gehen konnte und der nicht nur ihr Erscheinungsbild, sondern auch ihr Herz schätzte. Dass sie einem solchen Traumprinzen noch nicht begegnet war und sie deshalb auch noch keine längere Beziehung geführt hatte, belastete sie ungemein.
Natürlich konnte sie nicht abstreiten, dass sie Sex liebte. Auch als Voyeurin, denn sie beobachtete oder belauschte gern andere dabei. So wie jetzt ihre Freunde im Nebenzimmer. Dabei stellte sie sich weniger vor, wie Tobey seinen Riesenprügel in sie hineinrammte, sondern etwas ganz anderes: Nämlich wie Veronica es ihr mit ihrer Zunge besorgte. Ja, Britt war bi und liebte es, mit anderen Frauen rumzumachen, aber das wusste niemand. Das war ihr kleines intimes Geheimnis, das sie bislang für sich behalten hatte.
Allerdings ertappte sie sich unwillkürlich dabei, dass sie an Caleb Philbin, den attraktiven Hausmeister denken musste. Die eindeutigen Geräusche, die gerade durch die Wand zu ihr drangen, assoziierten vor ihrem geistigen Auge eine wahre Prachtnummer mit ihm. Sie stellte sich deshalb seinen nackten schlanken, drahtigen Körper vor, wie er sie mit den betörend blauen Augen geradezu auf das Kissen nagelte …
Langsam bewegten sich Britts zierliche Finger hinunter zu dem glattrasierten Hügel zwischen ihren Beinen, um ihn zu streicheln. Weit spreizte sie die schlanken Schenkel. Ein gepresstes Stöhnen drang aus ihrem sinnlichen Mund. Gleich darauf drehte sie sich auf den Bauch. Noch immer hatte sie beide Hände auf ihrem Schoß und bewegte nun die Hüften auf und nieder. Die Muskeln ihres apfelrunden, straffen Gesäßes spannten und lockerten sich im immer schneller werdenden Rhythmus.
Beinahe vollführte Britt einen akrobatischen Tanz. Als die Lustschreie aus dem daneben liegenden Zimmer lauter wurden, drehte sie sich wieder auf den Rücken. Ihre Zunge fuhr über ihre vollen Lippen, während sich ihr Unterleib abwechselnd gegen die Hände und das Bett presste, bis Schweiß von ihrer nackten Haut perlte. Das Spiel ihrer Finger wurde immer heftiger, sie sanken jetzt in die verborgenen Falten des weichen Fleisches an der erregendsten Stelle, und rieben ihre Klitoris immer wilder, gefangen in animalischer Lust. Ein kehliges Stöhnen drang aus ihrem halb geöffneten Mund, bis sie sich auf dem Gipfel ihrer Begierde erlöste. Sie kam zur gleichen Zeit wie ihre Freundin im Nebenzimmer, das konnte sie hören.
Atemlos hielt Britt inne. Das Zittern ihrer Schenkel wurde langsam schwächer.
Doch im selben Moment zerriss ein markerschütternder Schrei die von Lust und Sex erfüllte Atmosphäre.
Das war Tobey!
Gleich darauf hörte sie ein Wimmern und besorgte Worte von Veronica.
Britt Eklunds wollüstige Gedanken verflogen abrupt. Zuerst wusste sie nicht, was sie tun sollte. Zu ihren Freunden hinübergehen, um nach dem Rechten zu sehen?
Diesen Gedanken verwarf sie jedoch genauso schnell wieder, wie er aufgekommen war, denn kein Mann wollte von der Freundin seiner Freundin gesehen werden, wenn er weinte.
Nein, das war alles andere als eine gute Idee und könnte ihrem freundschaftlichen Verhältnis für immer einen tiefen Knacks verpassen.
Also blieb Britt einfach im Bett liegen, starrte auf die Schatten, die über die Zimmerdecke huschten, und verspürte auf einmal lähmende Todesangst.
***
Von alldem bekamen Ned Harlan und seine Verlobte Laura Kelly nichts mit, denn zur selben Zeit befanden sie sich weit weg von dem Schrecken in der ersten Etage, in der ihre Zimmer lagen. Die beiden hatten ihre zugewiesene Räumlichkeit nämlich verlassen, schlichen gerade über den breiten, mit kurzflorigem Teppichboden ausgelegten Flur und gelangten so über die Treppe hinunter ins Foyer.
Ned und Laura wollten sich das Hotel noch einmal genauer ansehen, und zwar ohne Führung des missbilligenden Hausmeisters. Schließlich konnte man nie wissen, ob er seinen Gästen nicht noch ein paar Räume vorenthalten hatte. Vor allem aber interessierten sie sich für die Speisekammer, damit sie überprüfen konnten, ob Philbin ihnen hinsichtlich der Nahrungsvorräte nicht vielleicht doch einen Bären aufgebunden hatte.
Die wellenförmig verlaufende Lichtwand in der quadratischen Lobby war nun ausgeschaltet und die Kristall- und Stahl-Kronleuchter an der hohen Decke waren auf ein Minimum gedimmt. Der schwache LED-Schein erhellte die Umgebung gerade so weit, dass sie sich orientieren konnten. Im Kamin glühten die letzten Holzscheite. Als Ned seine Hand auf die Lehne eines der Sofas in der Lounge legte, spürte er die angenehme Wärme des Leders.
Zusammen mit seiner Verlobten durchquerte er nun die Eingangshalle sowie den anschließenden Korridor, von dem Konferenzsaal, Bankettraum, Café und Bistro, Hotelrestaurant, Speisesaal, Cocktailbar und Nachtclub abzweigten.
Ihr erstes Ziel, das sie über eine weitere Treppe gegenüber vom Speisesaal oder mit dem Lift erreichen konnten, war die Hauptküche und damit auch die Vorratslager im Versorgungs- und Personaltrakt im Untergeschoss. Sie entschieden sich für die Treppe, um keinen Lärm zu verursachen. Unten angekommen standen sie in einem weiteren Flur. Geradeaus, das konnten sie aufgrund der an den Wänden angebrachten Richtungsschilder lesen, ging es zu den Personal-, Verwaltungs- und Technikräumen. Natürlich waren alle verwaist, weil niemand außer ihnen hier war. Bis auf den Hausmeister und seine Frau natürlich, deren Quartier ebenfalls hier unten lag. Ned und Laura mussten also extrem leise sein, um sie nicht aufzuwecken.
Als sie sich nach links zur Küche wenden wollten, hielt der beleibte Bankangestellte jäh inne, denn etwas anderes hatte seine Neugier entfacht. Der lange und breite Korridor vor ihnen mündete nämlich in einen mit rot-gelbem Plastikband abgesperrten Bereich.
»Da hinten gibt’s bestimmt etwas Interessantes zu sehen, sonst wäre da keine Absperrung«, flüsterte Ned seiner Verlobten zu. »Lass uns mal nachschauen, bevor wir die Vorratsräume suchen.«
Ohne Lauras Antwort abzuwarten, schlurfte er den nur mit einer Notbeleuchtung erhellten Flur entlang, der hier unten nicht mit edlen Teppichen ausgelegt war, sondern mit einem zweckmäßigen Linoleumboden. Nur widerwillig folgte ihm seine Verlobte vorbei an den verschiedenen Räumen. Gleich danach fing der abgesperrte Bereich an.
Als wären sie Zuschauer eines Verkehrsunfalls, standen Ned und Laura vor dem Plastikband und starrten darüber hinweg. Allerdings war das, was sie sahen, recht unspektakulär. Es handelte sich lediglich um eine dunkle, wacklig aussehende Wendeltreppe, die in die Tiefe, wahrscheinlich in das Kellergewölbe, führte.
Doch je länger Harlan und seine Verlobte auf die Stiege starrten, desto mehr verschwammen das Geländer und die Stufen vor ihren Augen und schienen sich in Wellenformen zu bewegen. Ganz so, als hätten sie auf unheimliche Art und Weise ein Eigenleben entwickelt.
Die Angst kam urplötzlich wie der Schneesturm, dem sie gerade erst entflohen waren, über sie. Unbestimmt und gnadenlos. Eisige Schauer durchrieselten sie. Auf einmal schien die ganze Umgebung von Tod und Fäulnis ausgefüllt zu sein.
Entsetzt wollte sich Laura von der schwindelerregenden Wendeltreppe abwenden, doch da streifte sie etwas Kaltes aus dem Nichts. Laut kreischte sie auf.
Bevor Ned sie deswegen zur Rede stellen konnte, spürte auch er den sonderbaren Windstrom aus der Tiefe. Wie ein Schatten kroch er Stufe für Stufe hinauf und tanzte und flüsterte in der Finsternis. Etwas fürchterlich Böses und Abstoßendes lauerte dort.
Es ist nicht tot, was ewig liegt!
Der tosende Luftstrudel zerrte nun an den beiden Menschen, um sie jenseits des Absperrbands in den bodenlosen, schwarzen Schlund hinabzureißen. Dorthin, wo niemals Tageslicht fiel, um ihnen, wie in der gnadenlosen Umarmung fleischfressender Pflanzen, alles Leben herauszuquetschen,
Jetzt schrie auch Ned Harlan wie am Spieß.
Vor ihm blitzten unheilverkündende Worte in blutroter Schrift auf.
Es ist nicht tot, was ewig liegt!
In diesem Moment legte sich eine Hand auf seine Schultern und riss ihn herum. Vor Angst entleerte sich seine Blase. Warm lief die Flüssigkeit an den Innenseiten der mit Krampfadern übersäten Schenkel hinab.
Vor ihm stand … Caleb Philbin.
Augenblicklich verstummten der Bankangestellte, und auch Laura, die sich ebenfalls umgedreht hatte.
Irritiert starrte Ned den Hausmeister an, als würde er einen Geist sehen. Nur langsam wich das Grauen aus seinem Blick und machte wildem Zorn Platz, der in seinen kleinen Pupillen aufflackerte.
»Verflucht noch mal, Philbin, haben Sie mich vielleicht erschreckt!«
»Haben Sie denn nicht gesehen, dass dieser Bereich abgesperrt ist?«, gab der Hausmeister ungerührt zurück. »Jenseits des Absperrbandes besteht akute Einsturzgefahr. Das ist lebensgefährlich!«
»Ach, was Sie nicht sagen«, entgegnete Harlan, in dessen Herz noch immer die Glut des Grolls brannte. »Warum wird das denn dann nicht besser abgesichert, als mit einem solch beschissenen Plastikband?«
»Weil außer mir und meiner Frau jenseits der Saison niemand hier unten ist, Harlan. Die Umbauarbeiten werden noch vor der Saisoneröffnung stattfinden. Außerdem verirrt sich normalerweise kein Gast ins Untergeschoss, erst recht nicht zu dieser nachtschlafenden Zeit. Was suchen Sie eigentlich hier?«
Der Dicke ging auf die Frage gar nicht erst ein, sondern wetterte stattdessen weiter. Speichel sprühte von seinen Lippen. »Ich habe gerade beinahe eine Herzattacke erlitten, weil Sie sich wie ein Krimineller hinterrücks an uns herangeschlichen haben.«
Laura zitterte noch immer. Ihr Verlobter hielt es jedoch nicht für nötig, sie zu trösten oder sie in den Arm zu nehmen, denn dafür war er mal wieder viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt.
»Sie dürften gar nicht hier sein«, zischte Caleb Philbin leise und gefährlich. »Gehen Sie sofort wieder auf Ihr Zimmer.«
Als der Mann vor ihm erneut aufbegehren wollte, bedachte ihn der Hausmeister mit einem mitleidigen Blick. »Ich glaube, Sie haben ohnehin dringend eine Dusche nötig.«
Erst jetzt wurde Harlan bewusst, dass er sich vor Schreck in die Hose gemacht hatte. Die Nässe, die er an seinen Schenkeln spürte und der Harngeruch, der in seine Nase stieg, waren wie ein verfluchtes Stigma.
Das Stigma eines feigen Hosenpissers!
Seine Wut verrauchte und Scham rötete seine feisten Wangen. Aber da war noch etwas in seinem Innern, das heiß wie Kohle in den Eingeweiden schlummerte.
Hass!
Hass auf Caleb Philbin, der wusste, dass er sich in die Hosen gepisst hatte.
Hass auf Laura, die Zeugin davon geworden war.
Hass auf dieses verfluchte Snow Hill Hotel.
Es ist nicht tot, was ewig liegt!
Und in fremder Zeit wird selbst der Tod besiegt!