Читать книгу SNOW BONE - Guido Grandt - Страница 12
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ОглавлениеDie fünf Freunde begegneten den vier Jägern das erste Mal in der Lounge. Dort saßen sie nun in den ledernen Sitzgarnituren vor dem angezündeten Kamin zusammen, um sich gegenseitig zu beschnuppern, wie Tobey sich ausdrückte.
Eingefädelt hatte das Caleb, der ebenfalls mit dabei war. Er beabsichtigte damit, dass sich die beiden so unterschiedlichen und unter diesen tragischen Umständen zusammengewürfelten Gruppen nicht nur besser kennenlernten, sondern dass sie auf diese Weise auch eventuelle Vorurteile abbauen konnten. Hillary hingegen hatte sich immer noch wütend ins Hausmeisterquartier verzogen.
Mit seinen eins-fünfundneunzig war der athletisch gebaute Jack Shaffer der größte Mann unter den Jägern. Auch sonst stach er wegen seiner dreieckigen Lederklappe über dem linken Auge optisch hervor, da er wie ein gefährlicher Pirat aussah. Das andere Auge schimmerte kohlrabenschwarz. Die spiegelblanke Glatze stand im Kontrast zu seinem buschigen, schwarzen Vollbart. Darüber waren rot geäderte Wangen zu sehen, die daraufhin hinwiesen, dass er dem Alkohol nicht abgeneigt war. Seine Nase war breit, die Lippen fleischig. Der Zweiundfünfzigjährige stammte, genau wie seine Kumpels, aus Carson City, Nevada. Er war verheiratet und von Beruf Holzfäller.
Auch Eric Waters war ein Bär von einem Mann. Eins-neunzig groß, bullig, mit schulterlangem, blondem Haar, in das sich allerdings bereits Geheimratsecken eingeschlichen hatten. Hellen, listigen Augen, einer breiten Nase, einem schön geschnittenen Mund und einem muskulösen Hals. Er war ein Jahr älter als Shaffer, ebenfalls Holzfäller, verheiratet und hatte im Gegensatz zu ihm zwei erwachsene Kinder.
Der kräftige Ray Romero, der nur fünf Zentimeter kleiner als Waters war, besaß brandrotes, lockiges Haar und einen Dreitagebart, der wie das Fell eines Fuchses aussah. Sein rundes Gesicht wurde von engstehenden, grünbraunen Augen beherrscht. Die buschigen Brauen darüber waren zusammengewachsen, was ihm etwas geradezu Werwölfisches verlieh. Die Knollennase, der breite Mund und die Zahnlücke – ihm fehlte der obere Schneidezahn – vervollständigten diesen Eindruck noch. Die winzigen roten Venen auf seinen Wangen deuteten darauf hin, dass auch er einem Drink nicht abgeneigt war. Er war vierundfünfzig und unverheiratet.
Genauso wie Peter York, der Unscheinbarste in der Gruppe, und mit seinen knapp einem Meter siebzig auch der Kleinste und mit fünfzig Jahren der Jüngste von ihnen. Er war unattraktiv und übergewichtig. Sein bereits graues Haar war licht und rahmte ein pausbäckiges, rosiges Gesicht mit rauchgrauen Augen, einer kurzen Schweinenase mit großen Nasenlöchern, einem Mund mit hervorstehender Unterlippe und einem Doppelkinn ein. Wie Romero war er von Beruf Jäger.
Die vier hatten sich auf den Schießständen im Carson City Shooting Park kennengelernt. Seitdem verbrachten sie fast jedes Wochenende zusammen bei Jagdausflügen im Yosemite Park beziehungsweise in der Sierra Nevada.
»Und was jagt ihr?«, fragte Tobey geradeheraus, und sah die Neuankömmlinge dabei der Reihe nach an.
»Alles, was aussieht wie eine zweibeinige Wildkatze und es nicht rechtzeitig auf die Bäume schafft!« Jack Shaffer schlug sich vor Lachen auf seine muskulösen Oberschenkel. Seine drei Kumpels stimmten grölend mit ein. Sonst allerdings niemand.
»Apropos Wildkatze«, meinte Shaffer, mühsam nach Luft schnappend. »Eine, die ich mit meinem mächtigen Gewehr sofort ins Visier nehmen würde, wärst du auf jeden Fall, Darling!« Unverblümt warf er Britt Eklund, die irgendwie verloren zwischen ihren Freunden saß, einen eindeutigen Blick zu. »Du entsprichst nämlich voll und ganz meinem Beuteschema. Gott ist mein Zeuge, Darling!«
Auch Romero schnalzte anerkennend mit der Zunge, während er auf den Busen der Blondine starrte, der sich prall unter dem schlichten, engen Strickkleid abzeichnete.
In Britt stieg sofort blanker Zorn auf. Sie wartete gar nicht erst ab, ob einer ihrer Freunde, die wegen des sexuellen Affronts für einen Moment fassungslos waren, ihr zu Hilfe eilten.
»Mit Kerlen wie euch würde ich mich nicht mal abgeben, wenn ihr die einzigen Schwanzgeburten auf der Welt wärt!« Britts veilchenblaue Augen blitzten herausfordernd.
»Hört euch die Tussi an!« Eric Waters lispelte aufgrund eines angeborenen Sprachfehlers stark, was ihn mit Ray Romero verband, der ein Stotterer war. »Nimmt sich ziemlich viel heraus, würde ich mal behaupten.«
Jetzt ging Caleb dazwischen. »Wir sind hier nicht zusammengekommen, um uns gegenseitig zu beschimpfen, sondern um uns besser kennenzulernen!«
»D-D-D-das sehe i-ich … ge-ge-genauso, Housekeeper«, stotterte Romero, wobei er Laute, Silben oder Wörter rasch hintereinander wiederholte. Jedoch nicht aus Nervosität, sondern aufgrund einer motorischen Fehlfunktion, die allerdings nicht ausreichend geklärt war. Bei ihm war das Stottern schon ab dem vierten Lebensjahr aufgetreten und auch in der Pubertät, wie es oftmals der Fall war, nicht verschwunden. Das hatte er gleich nach der kurzen Vorstellung erklärt, um diesbezügliche lästige Fragen im Keim zu ersticken. Allerdings verwechselte er Philbins Hausmeistertätigkeit mit der des Housekeeping. Damit war eigentlich ein bestimmter Aufgabenbereich eines Hotels gemeint, der für die Reinigung und für die Ausstattung in den Zimmern, Gängen und Treppenhäuser zuständig war. Das aber war alles andere als Philbins komplexe Arbeit.
»Es freut mich, dass wir da einer Meinung sind«, gab Caleb zurück.
Doch Romero schüttelte den Kopf. »S-S-So war das n-n-nicht gemeint, H-H-Housekeeper. Unter k-k-kennenlernen v-v-v-verstehe ich T-T-Tuchfühlung mit ’ner T-T-Tussi.«
Wieder lachten die Jäger auf, als hätten sie soeben einen Witz von Trevor Noah in seiner Daily Show auf Comedy Central gehört.
Es war Tobey, der sich schließlich verbal vor Britt stellte. »Also gut Jungs. Jeder sieht, dass Britt eine heiße Frau ist. Ihr habt euren Senf dazugegeben und gut ist!«
Seine Freundin Veronica räusperte sich.
Ned grinste wie ein Honigkuchenpferd, als wollte er sagen: Das sind meine Worte, Jungs. Schaut euch mal die Supertitten und die langen Beine von Britt genauer an! Ich wedle mir jeden Tag darauf einen von der Palme.
Laura, die sich von der Szene im Bad mittlerweile wieder einigermaßen erholt hatte, wollte aufstehen, überlegte es sich aber im letzten Moment doch noch anders.
»Deine Schnitte ist aber auch nicht von schlechten Eltern, Bohnenstange!«, wandte sich Jack Shaffer nun an Tobey.
Erneut grölten seine Kumpels los.
»Wo sind wir vorhin stehen geblieben?«, fragte Caleb in die Runde, um die Situation zu entschärfen. »Ach ja, beim Pirschen. Was jagt ihr denn noch so außer heiße Miezen?« Er sah die Jäger abwechselnd an.
Der abrupte Themenwechsel verfehlte seine Wirkung nicht.
»Vor allem Maultierhirsche, Fichten- und Fischmarder und Rotluchse«, lispelte Waters ernst.
»… u-u-und mit v-v-viel Glück P-P-Pumas und S-S-S-Schwarzbären«, stotterte Romero.
»Ist es nicht verboten, Großwild abzuschießen?«, spann Caleb den Gesprächsfaden bewusst weiter.
»Zum einen ja, zum anderen nein«, mischte sich Peter York mit glockenheller Stimme ein, die so gar nicht zu seinem rauen Äußeren passte. »Aber wen interessiert das schon? Keine Menschenseele, solange wir nicht erwischt werden.«
Bevor Caleb etwas darauf antworten konnte, rief Laura fast hysterisch: »Aber das ist doch barbarisch. Einfach aus purer Lust Tiere zu töten. Wie können Sie das nur mit Ihrem Gewissen vereinbaren?«
York sah sie verachtend an. »Was bist du denn für 'ne Pussy? Tierschützerin, Gutmensch oder was?«
Sekundenlang herrschte Stille in der Lounge. Nur das Knacken und Knistern der Holzscheite im Kamin war noch zu hören. Erneut erfüllte eine unsichtbare Spannung den Raum, doch dieses Mal ging es nicht um Frauen, sondern um Tiere. Jeder wartete darauf, dass Ned seine Verlobte verteidigte, aber er schwieg beharrlich, und starrte angestrengt zu Boden, als würde er dort etwas suchen.
»Was erlauben Sie sich?«, begehrte nun Laura auf, und versuchte, dem festen Blick ihres Gegenübers standzuhalten. »Ich bin keine Pussy.«
»Wenn d-d-dann ’ne z-z-ziemlich hässliche!« Wieder lachten die Jäger dröhnend auf. Romero konnte sich fast nicht mehr beherrschen, Tränen schossen in seine grünbraunen Augen.
Laura schluchzte. Tobey, Veronica und Britt hielten die Luft an, und Caleb war sich sicher, sich verhört zu haben.
Erst jetzt erwachte Ned zum Leben, hob den Blick unter den Schlupflidern, stand auf und wandte sich York zu. »Was hast du dämlicher Waldmensch gerade zu meiner Verlobten gesagt?«
Niemand im Raum hätte ihm diese Reaktion zugetraut. Nicht seine Freunde und am allerwenigsten Laura, die gar nicht wusste, wie ihr geschah.
Auch Peter York erhob sich nun aus seinem Sessel. Er war genauso groß wie der Bankangestellte und ähnlich beleibt. Er betrachtete den Mann vor sich mit bösartiger Freude und befeuchtete seine Lippen. »Drohst du mir etwa gerade, Fatty?«
Caleb sprang in die Höhe und wollte sich zwischen die Streithähne stellen, wurde aber von den kräftigen Händen des riesigen Jack Shaffer zurückgehalten. »Lass das die beiden untereinander ausmachen«, zischte er an seinem Ohr. Mit einer ruckhaften Bewegung befreite sich der Hausmeister aus dem Griff, hielt sich jedoch tatsächlich zurück.
»Mit solchen Idioten wir dir habe ich jeden Tag in meiner Bank zu tun«, schleuderte Harlan dem Jäger verächtlich entgegen, schluckte aber schwer dabei, als müsse er gerade über seinen eigenen Schatten springen. »Nichts in der Birne aber große Töne spucken.«
Man sah York an, dass er sich beherrschen musste. »Ah, ein Geldzähler bist du also. So einer, der in der Finanzkrise die Leute über den Tisch gezogen hat, was? Und jetzt einen noblen Schlitten fährt, sich ein schickes Häuschen zugelegt hat und mit heißen Nutten vögelt, weil die eigene Alte zu …«
Jetzt war es Romero, der sich einmischte. »L-L-Lass den K-K-K-Kleinen, Peter. D-D-Der pisst sich v-v-vor Angst ja s-s-schon fast in die H-H-Hose!«
Hosenpisser …
Keiner der hier Anwesenden außer Laura und Caleb wussten, was dieses eine Wort für Harlan bedeutete. Das Erlebnis von letzter Nacht an der abgesperrten Wendeltreppe, bei dem er sich vor lauter Angst selbst eingenässt hatte, stand ihm wieder deutlich vor Augen.
Hosenpisser!
Bevor irgendjemand es verhindern konnte, riskierte Ned Harlan einen tollkühnen und unbeholfenen Angriff. Allerdings war er im Kämpfen genauso wenig geübt, wie sein Gegner beim Ausfüllen von Bankunterlagen.
In lässiger Überlegenheit wartete Peter York auf Harlan, und als dieser nahe genug heran war, bohrte er ihm die Faust tief in die Magenpartie, und nahm ihm damit für Sekunden die Luft. Ned klappte auf der Stelle wie ein Taschenmesser zusammen, während sein Gegenüber leichtfüßig und mit dem Oberkörper pendelnd vor ihm herumtänzelte.
Caleb erkannte in ihm einen Boxer, der er selbst auch war. Nun hielt ihn nichts mehr zurück. Er schubste York einfach in den Sessel zurück.
»Seid ihr verrückt geworden?« Er war jetzt außer sich vor Wut.
Alle waren aufgestanden. Die beiden Gruppen, in deren Mitte Caleb stand, sahen sich tief in die Augen. Erst jetzt fiel ihm auf, dass Romero fehlte.
Doch gleich darauf brüllte dieser vom Absatz der Treppe, die zu den Zimmeretagen hinaufführte: »I-I-Ich knall den v-v-erfluchten G-G-G-Geld-hai einfach a-a-ab!«
In den Fäusten hielt er auf einmal eine Kimber 8400 Caprivi Repetierbüchse, Kaliber .375 H&H Magnum, die er aus seinem Zimmer geholt hatte. Der Schaft bestand aus hochwertigem französischen Walnuss-Holz und war glänzend poliert.
Caleb kannte das Gewehr für die Großwildjagd, da ihm vor Jahren ein Hotelgast, ebenfalls ein passionierter Jäger, ein solches gezeigt und erklärt hatte.
Laura schrie schrill auf und auch Britt starrte voller Entsetzen auf die Waffe.
Der schlimmste Albtraum schien wahr zu werden und die Lage zu eskalieren.
Ned stand gebeugt da, die Hände auf die Knie gestützt. Der bleierne Schmerz in seinem Magen ließ nur langsam nach. Dicker Schweiß sammelte sich auf seiner Stirn.
Schritt für Schritt und mit hocherhobenen Händen ging der Hausmeister auf den Jäger zu, der weiterhin wie ein Irrer mit der Büchse herumfuchtelte.
»Wir sollten uns jetzt erst mal alle beruhigen«, sagte Caleb so ruhig wie möglich, obwohl ihm das Blut in den Ohren rauschte und das Herz wild in seiner Brust schlug.
»I-I-Ich puste diesem W-W-W-Wichser den f-f-fetten Schädel w-w-weg!«, schrie Romero weiter. »I-I-Ich schwöre euch, i-i-ich mache d-d-diese verfluchte S-S-S-Schwuchtel a-a-alle!«
Es war letzten Endes sein Kumpel Jack Shaffer, der ihn wieder zur Vernunft brachte. »Lass den Scheiß, Ray!« Die Worte waren laut und hart ausgesprochen worden und duldeten keinen Widerspruch. »Wir wollen hier keinen Ärger machen. Schließlich hat uns der Housekeeper freundlicherweise Einlass gewährt, sonst wären wir dort draußen schon längst zu Eis gefroren, kapiert?«
Nur widerwillig fügte sich Romero und nahm das Gewehr herunter. Doch als Caleb danach greifen wollte, schlug er ihm barsch die Hand weg.
»P-P-Pfoten weg, H-H-Housekeeper, m-m-mein Baby fasst k-k-keiner an!«
Caleb würde es dabei bewenden lassen, denn zunächst einmal war er froh, dass sich die Situation wieder entspannt hatte. Zum Glück hatte Hillary von alldem nichts mitbekommen.
»Ich würde vorschlagen, dass wir uns in einer halben Stunde im Speisesaal zum Lunch treffen.«
»Das hört sich gut an«, lispelte Waters. »Bin mal gespannt, was so alles auf den Tisch kommt. Ich habe nämlich einen Mordshunger!«
Die anderen drei Jäger stimmten in das Gegröle mit ein. Die fünf Freunde und Caleb Philbin schwiegen betreten.
***
Während in der Hotellounge die Emotionen zwischen den Jägern und Wanderern hochkochten, bereitete Hillary in der großen, ansonsten verlassenen Hauptküche den Lunch vor. Viel Auswahl gab es nicht mehr. Deshalb entschied sie sich für die wenigen Fleischvorräte, die noch im Kühlraum lagerten. Zwei ganze Kaninchen, die sie zuerst wusch und dann in die Backformen legte. Anschließend salzte und pfefferte sie das Fleisch, gab Öl, etwas Wasser und Zitronensaft hinzu. Ebenso Kräuter und klein gewürfelte Tomaten.
Hillary stellte die Backformen in den Bratofen und ließ alles bei zweihundert Grad Celsius eine Stunde lang garen. In dieser Zeit schälte und schnitt sie Kartoffeln und briet sie an. Als der Lunch fertig war und sie mit dem Rollwagen, beladen mit Schalen und Schüsseln, in den Speisesaal kam, hatten sich die Jäger bereits an einen Tisch neben den anderen gesetzt.
Noch immer waren die hohen Fenster gänzlich zugeschneit, sodass in dem weitläufigen Raum die Deckenbeleuchtung brannte.
Als Hillary das Essen servierte und so gerecht wie möglich verteilte, stellte Caleb ihnen seine Gemahlin vor. Wie zuvor bei Britt schnalzte Ray Romero anerkennend mit der Zunge. Sein Blick war nun fest auf die attraktive Frau mit dem langen, schwarzen Haar, den schräg stehenden Augen und den elegant geschwungenen Lippen gerichtet. Allerdings sparte er sich dieses Mal einen passenden Kommentar.
»Was, nur zwei verfluchte Karnickel und ein paar Kartoffeln für elf Personen?«, regte sich Waters auf. Als niemand darauf reagierte, wandte er sich an Caleb. »Habt ihr denn keine Vorräte mehr oder was?«
Der Hausmeister erklärte daraufhin den Neuankömmlingen die prekäre Lage, in der sie sich bezüglich des Proviants befanden. Anschließend herrschte tiefes Schweigen an den Tischen. Selbst den hart gesottenen Jägern war klar, was dies bedeutete.
Als Jack Shaffer mit dem rechten, gesunden Auge auf die Servierplatte vor sich starrte, hielt er für einen Moment mit dem Kauen inne, denn die restlichen Kaninchenstücke schienen seltsam zusammengekrümmt. Sie sahen aus, wie ein bizarr entstellter menschlicher Fötus!
***
Caleb Philbin dachte während des ersten gemeinsamen und friedlich verlaufenden Lunchs mit den Jägern und Wanderern, an den Eklat zuvor in der Lounge zurück. Auch dies brachte das ganze Dilemma, in dem sie in dem zugeschneiten Snow Hill Hotel steckten, zum Ausdruck.
Die unfreiwilligen Hotelgäste hatten sich nach dem Essen mit noch immer knurrenden Mägen auf ihre Zimmer zurückgezogen. Hillary räumte jetzt die Küche auf und Caleb kümmerte sich um das Leck einer Wasserleitung in einer der Besuchertoiletten neben der Eingangshalle, das durch den Frost entstanden war, und das er bei einem seiner täglichen Inspektionsgänge zufällig entdeckt hatte.
Als er das Leck abgedichtet hatte, wurde ihm plötzlich schwindlig. Alles verschwamm vor seinen Augen. Krampfhaft hielt er sich am Rand des Waschbeckens fest, doch es wurde schlimmer. Wie ein gewaltiger Schwall, der alle anderen Eindrücke auslöschte, brach es über ihn herein. Die stechend blauen Augen, die ihn aus dem Spiegel anstarrten, waren vor Schreck und Unglauben geweitet. Sein kantiges Gesicht war ganz grau und sein Herz klopfte so fest, dass es schon weh tat.
Dann war da plötzlich eine Stimme in seinem Kopf. Leise und hinterhältig. Sie schien ihm zu gehören und doch waren es nicht seine eigenen Gedanken.
Die Hundertnacht bricht an!
Immer und immer wieder dieselben Worte.
Die Hundertnacht bricht an!
Der Tonfall der inneren Stimme steigerte sich zu einem fast infernalischen Crescendo.
DIE HUNDERTNACHT BRICHT AN!
Und dann, hell wie ein flammender Sonnenaufgang, begleitet von einem Donnerschlag, schlugen gleißende Blitze in Calebs Pupillen ein, die ihn blendeten.
DAS HUNDERTJÄHRIGE JUBILÄUM DES HOTELBRANDES!
Für einen schrecklich langen Moment glaubte er, für ewig blind zu werden, doch dann war das Ganze plötzlich vorbei. Langsam klärte sich sein Blick wieder und der Übergang zwischen Realität und Vision verwirklichte sich. Noch immer starrte ihn sein vor Entsetzen totenbleiches Spiegelbild an.
Die Hundertnacht. Das hundertjährige Jubiläum des Hotelbrandes …
Caleb konnte nur ahnen, was das bedeutete. Schließlich suchte ihn aufgrund seines ausgeprägten sechsten Sinnes nicht das erste Mal eine Vision heim. Aber selten mit einer solchen Intensität. Er nahm sich fest vor, nichts dergleichen bei seiner Frau verlauten zu lassen, denn dafür war es noch zu früh und die weltlichen Probleme zu groß.
Als Caleb vom Spiegel in das Waschbecken blickte, an dessen Rand er sich nach wie vor festhielt, entdeckte er vier Worte, die blutrot auf der weißen Keramik prangten.
DIE HUNDERTNACHT BRICHT AN!