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Autor

Prof. Dr. Guido Knopp, Jahrgang 1948, arbeitete nach dem Studium als Redakteur der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ und als Auslandschef der „Welt am Sonntag“. Von 1984 bis 2013 war er Leiter der ZDF-Redaktion Zeitgeschichte. Seitdem moderiert er die Sendung History Live auf Phoenix. Als Autor publizierte er zahlreiche Sachbuch-Bestseller. Zu seinen Auszeichnungen zählen der Jakob-Kaiser-Preis, der Europäische Fernsehpreis, der Telestar, der Goldene Löwe, der Bayerische und der Deutsche Fernsehpreis, das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse und der Internationale Emmy.

Vorwort

Dies ist die Geschichte von zwölf Tagen, die in der Historie Deutschlands einzigartig sind. Der letzte Akt in der Geschichte eines Reiches, das tausend Jahre dauern sollte und nach zwölf in einer Orgie von Gewalt und Feuer unterging. Schauplatz ist Berlin, die Hauptstadt dieses Reiches, Hitlers Residenz. Alles, was den Krieg ausmachte, ballte sich in diesen Tagen in Berlin. Während Hitler in den Katakomben seines Bunkers unter der Reichskanzlei mit Geisterdivisionen operierte und sich erst im letzten Augenblick das Leben nahm, tobte auf den Straßen, in den Kellern der zerstörten Stadt die letzte Schlacht. Halbwüchsige wurden sinnlos geopfert, Frauen reihenweise vergewaltigt. Gläubige Parteigenossen, die den Sieg der Truppen Stalins als den Untergang der Welt begreifen wollten, nahmen sich zu Tausenden das Leben. Jahrelang versteckt gehaltene Juden hofften auf Befreiung. Alte Kommunisten fahndeten nach ihren gut versteckten oder gar vergrabenen Parteibüchern – Zeitenwende in einer zerstörten Stadt.

»Europa hat niemals eine solche Katastrophe seiner Zivilisation erlebt, und niemand kann sagen, wann es beginnen wird, sich von ihren Auswirkungen wieder zu erholen«, schrieb die britische Zeitung Manchester Guardian am 2. Mai 1945, dem Tag, als Berlin kapitulierte. Das Ende der Kämpfe – für die meisten Deutschen in der Hauptstadt wie anderswo war es ein Fall ins Bodenlose. Sich bedingungslos ergeben, auf Gnade oder Ungnade: Viele Völker hatten das seit der Antike über sich ergehen lassen müssen. Dennoch war der mitteleuropäische Zusammenbruch des Jahres 1945 etwas Einzigartiges, gewaltiger und schlimmer als der letzte Akt des Dreißigjährigen Krieges, der das Land verwüstete und die Nation in Stücke riss. Nicht von ungefähr erinnerten Augenzeugen die Trümmerfelder Berlins an das zerstörte Karthago, das die siegreichen Römer dem Erdboden gleichgemacht hatten.

Das vorliegende Buch beruht auf Recherchen für ein Filmprojekt, das die Schlacht um Berlin und das Ende Hitlers darstellt. Noch sind die Menschen, die diese Ereignisse erlebt haben, unter uns und können erzählen, »wie es war«. Und noch haben wir die Chance, ihnen zuzuhören, wenn sie von den Grenzerfahrungen ihres Lebens berichten: Deutsche und Russen, Soldaten und Zivilisten, Frauen, Männer und Kinder, die ein für uns heute kaum noch vorstellbares Inferno durchlebt haben. Nicht wenige von ihnen berichten zum ersten Mal über ihre eigene, ganz persönliche Geschichte von der letzten großen Schlacht des Zweiten Weltkriegs in Europa – einer Schlacht, die nie hätte stattfinden dürfen, wenn es nach den Regeln der Vernunft gegangen wäre.

Mitte April 1945 konnte eigentlich kein Zweifel mehr daran bestehen, dass der Krieg binnen weniger Wochen mit einer deutschen Niederlage enden würde. Im Westen hatten Briten und Amerikaner den Rhein überquert und die Elbe erreicht. Im Osten stand die Rote Armee an der Oder, nur noch 60 Kilometer von Berlin entfernt. Dennoch hielt sich zäh der Glaube an die »Wunderwaffen«, träumten selbst jene, die es besser hätten wissen müssen, von einem Bruch der gegnerischen Koalition, der Hitlers Reich noch in letzter Sekunde retten würde. Der Kriegsherr selbst trieb seine Soldaten unerbittlich in den aussichtslos gewordenen Kampf. »Hier gibt es kein Ausweichen und Operieren, hier gilt es zu stehen, zu halten oder zu sterben«, lautete nur einer von zahllosen Durchhaltebefehlen, die die letzten Monate des Krieges begleiteten.

Von den Menschen, die ihm zugejubelt hatten, war der Kriegsherr längst schon isoliert. Dass die Städte des Reichs in Trümmern lagen, kümmerte ihn wenig. Gewiss sei es bedauerlich, was etwa in Berlin geschehe, äußerte er gegenüber seinem vormaligen Generalbaumeister Albert Speer, doch das erspare auch die ohnehin anstehende Arbeit, Tausende von Häusern selbst abzureißen, um die Welthauptstadt »Germania« aufzubauen! Wie weit diese Zuversicht gespielt, wie weit sie echt war, haben selbst engste Mitarbeiter des Diktators nicht recht zu durchschauen gewusst.

Aus dem »Führerbunker«, acht Meter unter der Erde, kommandierte Hitler Armeen, die oft nur mehr in seiner Fantasie bestanden. Aus dieser »Grabkammer des modernen Pharao«, wie es ein Zeitzeuge nannte, schickte er noch einmal Hunderttausende in einen sinnlos gewordenen Kampf, ohne dass die Generäle in seiner Umgebung gegen diesen Wahnsinn revoltiert hätten. Die Geschichte von Hitlers Ende ist auch die Geschichte von versagter Verantwortung, von einem verabsolutierten Gehorsamsbegriff, der das Korrektiv des persönlichen Gewissens und der christlichen Moral bewusst unterdrückte und damit in vielen Fällen Schuld begründete.

Die Aussicht auf ein großes Nachleben in der Geschichte war die einzige Quelle, aus der der Diktator angesichts der auf ihn niederprasselnden Katastrophen noch eine gewisse Befriedigung schöpfte. Bedenkenlos setzte er das Leben und die Existenzgrundlage von Millionen aufs Spiel, um seinen Untergang in einer beispiellosen Weise in Szene zu setzen. Es war dieser »gänzliche Mangel an überpersönlichem Verantwortungsbewusstsein«, wie der Historiker Joachim Fest zu Recht feststellte, der Hitler von jedem Vorgänger unterschied. Ungerührt nahm er das Leid und die Zerstörung um sich herum zur Kenntnis: »Einmal muss man doch den ganzen Zinnober zurücklassen«, beschied er seiner Umgebung in den letzten Tagen – als gäbe es kein Morgen, wenn er selbst es nicht erlebte.

Hitlers Vernichtungswut richtete sich nun gegen das eigene Volk. Es war das Werkzeug seines zerstörerischen Wahns und hatte doch zuletzt aus seiner Sicht versagt. Hitler sah in der Geschichte, gemäß dem Sozialdarwinismus des 19. Jahrhunderts, einen steten Kampf der Völker um Macht und Raum, bei dem der Unterlegene zu weichen hatte. Für den Diktator hatte das deutsche Volk mit der Niederlage sein Lebensrecht verspielt. Sollte es doch mit ihm, Hitler, untergehen! Ein schlechtes Gewissen plagte ihn auch in seinen letzten Tagen nicht. Die Niederlage des Reichs führte er auf die Schwäche und den Verrat der »anderen« zurück. Der Holocaust galt ihm nicht als entsetzliches Jahrhundertverbrechen, sondern als Monument, das seinen Tod überdauern würde.

Im Kontrast zur Menschenverachtung, zur gleichgültigen Zerstörung der Lebensgrundlage von Millionen, steht Hitlers Anteilnahme am Schicksal seiner persönlichen Umgebung. Der private Hitler war kein Monster. Er, der ungerührt noch immer Hunderttausende Soldaten in den Tod marschieren ließ, sorgte sich im Bunker um seine Sekretärinnen und die Geliebte Eva Braun, die er gern per Flugzeug in das sichere Bayern ausgeflogen hätte. Erschüttert stand er vor dem Kadaver seiner Schäferhündin Blondi, die er vergiften ließ, weil er, wie er sagte, die Vorstellung nicht ertragen konnte, dass sie in die Hände der Russen falle. Obgleich sein Gesicht und Körper von Krankheit und Erschöpfung gekennzeichnet waren, entfaltete Hitler noch immer eine erstaunliche Suggestionskraft. Bis zuletzt war er der Dreh- und Angelpunkt des Dritten Reiches.

Am Ende entzog sich Hitler der Verantwortung durch Selbstmord. Seinen Nachfolgern blieb es überlassen, schnell und bedingungslos zu kapitulieren. Ab dem 8. Mai um 23.01 Uhr mitteleuropäischer Zeit sollten die Waffen schweigen. Nach sechs Jahren war der Krieg in Europa zu Ende. Diejenigen, die in der Trümmerwüste Berlins überlebten, fanden zunächst keine Zeit für Tränen. Nichts als überleben wollten sie, während in den darauf folgenden Monaten Hunderttausende den Hungertod starben. Später verdrängte der notwendige Wiederaufbau den Gedanken an die unmittelbare Vergangenheit. Ihre traumatischen Erlebnisse in der »letzten Schlacht« des Zweiten Weltkriegs haben Zeitzeugen wie Ilse Anger dennoch nie vergessen. »Je älter ich werde, desto mehr träume ich von dieser Zeit«, sagt sie heute. Und: Vielleicht fange die richtige Verarbeitung erst jetzt wirklich an.

Die letzte Schlacht

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