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5.3.7 Probleme und Grenzen von modernen Verfahren der Jahresabschlussanalyse
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Ein modernes Verfahren der Jahresabschlussanalyse zeigt eine Bestandsgefährdung so frühzeitig an, dass Maßnahmen zur Krisenabwehr noch möglich sind. Das konnte am Bsp. des BBR anhand von vielen Anwendungen nachgewiesen werden (vgl. Rn. 195). Zwar ist die Entwicklung eines Bilanzratingsystems aufwändig, indes kann ein einmal entwickeltes System auf beliebig viele Jahresabschlüsse einer breiten Klasse von Unternehmen angewendet werden. Unternehmen, die kein eigenes Bilanzratingsystem entwickeln möchten bzw. können, können sich über einen externen Anbieter Zugang zu einem solchen Tool verschaffen, beispielsweise im Rahmen eines Lizenzerwerbs, wie dies bei RiskCalc möglich ist. Dem Anwender eines modernen Verfahrens der Jahresabschlussanalyse steht somit ein Top-down-Ansatz zur Verfügung, der finanzielle Risiken (und Chancen) frühzeitig und wirtschaftlich erfasst und anzeigt (vgl. Rn. 106 f.) und eine weitergehende Sensitivitätsanalyse ermöglicht – wie beim Bsp. unter Rn. 199 f. gezeigt werden konnte.
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Die in modernen Verfahren der Jahresabschlussanalyse verwendeten mathematisch-statistischen Verfahren auf Basis einer großen empirischen Datenbasis gewährleisten, dass die Kennzahlen objektiv ausgewählt, gewichtet und zusammengefasst werden. Das Gesamturteil (N-Wert beim BBR bzw. PD beim RiskCalc) ist somit intersubjektiv nachprüfbar. Dem Objektivierungsprinzip wird also entsprochen (vgl. Rn. 103). Stabile Ergebnisse aus einer empirisch-statistischen Analyse von Jahresabschlüssen lassen sich indes nur erwarten, wenn die Rechnungslegungsvorschriften für die Jahresabschlussinformationen, auf welche die für die Analyse gebildeten Kennzahlen basieren, im Zeitablauf nahezu unverändert bleiben. Änderungen der Bilanzierungsvorschriften, wie durch das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG) oder die häufige Neufassung bzw. die Revision der IFRS, können Überarbeitungen der Ratingtools erforderlich machen. Vor allem die Umstellung auf die IFRS-Bilanzierung hat gezeigt, dass sich durch Veränderungen der Rechnungslegungsvorschriften die Notwendigkeit von Änderungen der Kennzahlen ergeben kann.[157] Allerdings hat die Anwendung des bisher auf der Basis der „alten“ HGB-Abschlüsse entwickelten RiskCalc und des BBR selbst auf Jahresabschlüsse nach IFRS zu guten Ergebnissen geführt, wenn die Besonderheiten der IFRS im Vergleich zu der handelsrechtlichen Rechnungslegung berücksichtigt werden.[158]
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Die modernen Verfahren der Bilanzanalyse müssen auf Dauer an die Veränderungen der Bilanzierungsvorschriften angepasst werden. Durch das BilMoG wurden neue Ermessensspielräume und Möglichkeiten der Sachverhaltsgestaltung bei der Aufstellung von Jahresabschlüssen ermöglicht, die vom Bilanzanalytiker schwieriger zu erkennen sind.[159] In noch größerem Maße gilt das für die IFRS. Bilanzpolitik neutralisierende Kennzahlen müssen entsprechend den bilanzpolitischen Möglichkeiten entwickelt bzw. angepasst werden. Kreative Kennzahlen werden also auch künftig eine wichtige Rolle bei der Bilanzanalyse spielen.[160] Sie sollen ermöglichen, eine durch den Jahresabschluss-Ersteller mittels Bilanzpolitik bewusst verzerrte Darstellung der wirtschaftlichen Lage zu neutralisieren.
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Wichtige Datenbasen für die modernen Verfahren der Bilanzanalyse sind neben zahlreichen Jahresabschlüssen von solventen Unternehmen eine statistisch hinreichende Zahl von Jahresabschlüssen von später insolvent gewordenen, also von kranken Unternehmen. Als „krank“ werden Unternehmen bezeichnet, wenn sie innerhalb von vier Jahren in die Insolvenz gehen. Die in einer solchen Datenbasis enthaltenen kranken Unternehmen entsprechen zwar nicht vollständig der in Rn. 18 gewählten Definition von Unternehmen in der Krise, weil in einer solchen Datenbasis nur jene Unternehmen mit Krisen enthalten sind, die in einem Insolvenzverfahren enden. Unternehmen, die die Krise vor Eintritt in ein Insolvenzverfahren erfolgreich bewältigen, werden in dem Jahresabschluss-Datensatz nicht als „krank“ erfasst, sondern als „gesund“.
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In den hier vorgestellten Verfahren der modernen Bilanzanalyse (BBR und RiskCalc) wurde gewährleistet, dass sämtliche Informationsbereiche des Jahresabschlusses durch Kennzahlen abgedeckt werden. Hierdurch werden vor allem die numerischen Informationen des Jahresabschlusses ausgewertet. Die verbalen, nicht oder nur schwierig quantifizierbaren Informationen aus dem Anhang, dem Lagebericht und dem Unternehmensumfeld bleiben dabei zumindest unmittelbar unberücksichtigt. Da diese qualitativen Daten wichtige unmittelbar zukunftsgerichtete Informationen für die Früherkennung einer Krise enthalten können, sollte man solche qualitativen Risiken in die Beurteilung der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens zusätzlich einbeziehen, die erst nach Jahren ihres Wirksamwerdens durch ein Bilanzbonitätsrating erfasst werden (können), sonst läuft man Gefahr, von qualitativen Faktoren unmittelbar hervorgerufene Unternehmenskrisen nicht rechtzeitig zu erkennen. Diese qualitativen Risiken werden als Negativmerkmale bezeichnet.[161]
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Negativmerkmale können nach den Unternehmensbereichen unterschieden werden, in denen sie auftreten. Danach lassen sich Negativmerkmale aus
- | dem globalen Umfeld, |
- | dem Unternehmensumfeld, |
- | dem internen operativen Geschäft und |
- | der internen Organisation |
des Unternehmens unterscheiden.
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Ad 1. Globales Umfeld: Negativmerkmale können im globalen Umfeld des Unternehmens liegen: Die Rahmenbedingungen des Unternehmens, welche sich aus dem gesamtwirtschaftlichen, rechtlich-politischen, wissenschaftlich-technischen oder ökologischen Umfeld ergeben, bergen Risiken. Zu den Risiken aus dem globalen Umfeld sind im Speziellen zu zählen:
- | Währungsrisiken, |
- | wirtschaftliche und politische Labilität der wichtigsten Abnehmer-/Lieferländer oder |
- | wirtschaftliche und politische Labilität des Standortes des zu beurteilenden Unternehmens selbst. |
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Ad 2. Unternehmensumfeld: Qualitative Risiken sind auch im Unternehmensumfeld zu finden; diese Risiken ergeben sich aus der Branchenentwicklung, den Marktbedingungen auf Absatz- und Beschaffungsmärkten sowie aus den Wettbewerbsverhältnissen. Hierunter fallen beispielsweise die Abhängigkeit des Unternehmens von (wenigen oder) nur einem einzigen Lieferanten, Abnehmer(n), Produkt(en), Geldgeber(n) oder Rohstoff(en) sowie neue staatliche Auflagen oder Steueränderungen.
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Ad 3. Operatives Geschäft: Negativmerkmale im unternehmensinternen operativen Geschäft lassen sich anhand der unternehmensinternen Erfolgsfaktoren erfassen. Hierzu gehören Risiken in der Leistungs- und Produktpalette, der Beschaffungs- und Absatzpolitik, der strategischen Ausrichtung des Unternehmens. Bsp. für unternehmensinterne Erfolgsfaktoren sind:
- | Übernahme von Eventualrisiken, |
- | Bürgschaften, |
- | Auslaufen von Patenten, |
- | Auslaufen von Verträgen. |
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Ad 4. Interne Organisation: Ferner können bestimmte Negativmerkmale in der internen Organisation und der Entscheidungsfindung nicht durch den Jahresabschluss bzw. ein Bilanzbonitätsrating erfasst werden. Negativmerkmale in der Unternehmensleitung selbst sind auch hierunter zu fassen. Zu diesen Negativmerkmalen zählen:
- | Mängel im Risikoüberwachungs-/Risikomanagementsystem, |
- | schwierigste Verhältnisse zwischen den Leitenden des Unternehmens oder |
- | Unzuverlässigkeit der Unternehmensleitung. |
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Neben den o.g. Negativmerkmalen werden solche Risiken durch ein Bilanzbonitätsrating nicht erfasst, die durch die Periodenabgrenzung zeitlich nicht im analysierten Jahresabschluss erfasst wurden. Diese Risiken sind ebenfalls gesondert zu beurteilen. Hierzu zählen z.B. Risiken aus laufenden Gerichtsprozessen oder Risiken die sich aus besonderen den Unternehmensbestand gefährdenden Geschäftsvorfällen nach dem Bilanzstichtag ergeben (könnten).
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Erst durch die zusätzliche Beurteilung der (qualitativen) Negativmerkmale und der mittels des Bilanzbonitätsratings ermittelten Bestandsfestigkeit kann das Risiko der künftigen Entwicklung des Unternehmens adäquat bestimmt werden.