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Was brauche ich denn so?

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Wir hatten Mitte Januar und draußen war es kalt. Für solch eine Auszeit braucht man am besten einen langen Anlauf. Es wurden 15 Monate Vorbereitungszeit. Allein die Arbeitsstelle zu regeln, kann schon einige Kraft kosten, dann die Ausrüstung und das Schlauwerden über so ein Abenteuer.

Ich entschied mich für einen Februartag, um meinen Vorgesetzten über meine Pläne ins Bild zu setzen. Er war sichtlich überrascht und etwas unsicher. Aber er gönnte es mir und sagte mir mehr oder weniger an diesem Tag schon zu, so empfand ich es. Vielleicht war er nicht unsicher, sondern dachte nur das, was später auch viele meiner Kunden dachten: „Warum ziehe ich nicht selbst mal ein Abenteuer in Betracht?“ Immerhin ist es in einem Unternehmen der freien Wirtschaft nicht unbedingt usus, den Mitarbeitern eine Auszeit zu gewähren. 30 % aller Arbeitenden denken über eine Auszeit nach, aber nur 1 % machen dann auch eine, vor allem im öffentlichen Dienst, wo es oft sogar Regeln dafür gibt. Ich rechnete grob mit ca. 20 km pro Tag und kam auf 100 Tage, also vier Monate Auszeit. Na, das waren doch glänzende Aussichten. Ich würde zwar sparsam sein müssen, immerhin erhielt ich für diese Zeit kein Gehalt. Der eigentliche Lohn ist die Freiheit und dieser Gedanke versetzte mich immer mal wieder in Hochstimmung.

Der Wagen war ein wichtiger Punkt. Ich besuchte im Juni Robert Wimmer in Nürnberg. Der hat einen Benpacker – ein Ziehwagen mit zwei Rädern. Darauf sitzt eine wasserdichte Ortlieb-Tasche mit bis zu 30 Kilogramm Gewicht. Wir machten einen Ausflug, liefen gut 22 km entlang des Main-Donau-Kanals bis nach Roth. Momentmal – das Roth? Ja, es ist der magische Ort mit der Roth-Challenge – eine Strapaze mit IronMan-Bedingungen. Die Wiege des Triathlonsports in Deutschland. Wir übernachteten draußen und liefen am nächsten Tag zurück. Robert hat sehr viel Erfahrung für das Leben draußen, macht die unglaublichsten Geschichten, wie z. B. einen Lauf über die Alpen auf den Spuren Hannibals. Gerne 80 km am Tag schafft der 100 km-Deutscher-Meister auf der Bahn. Er erzählte vom Transeuropalauf 2003 von Lissabon nach Moskau. (Er wurde Sieger über 64 Etappen mit 5.036 km). Wow, das war für mich eine völlig neue Welt! Wie kann man so weit laufen? Der Besuch bei Robert hat mich geflashed und bestärkt, genau auf der richtigen Spur zu sein. Puhh, tut das gut: zu wissen, man ist nicht allein mit seinen Ideen.

Ich will mich zwar nicht quälen, aber weit kommen, das schon. Und wenn ich Zeit habe, dann komme ich weit. Robert gab mir auch seine Packliste und unzählige Tipps für mein Abenteuer. Ich brauchte Nahrungsmittel für dünn besiedelte Gebiete. Da habe ich Trek‘n Eat genommen. Das schmeckte besser als manches Restaurant, empfand ich später, als es dann darauf ankam.

Den Wagen, den Benpacker, hab ich bei Ben Größle bestellt, Tüftler und Erfinder und Erbauer des Benpacker in Oppenau im Schwarzwald. Der Wagen ist ein zuverlässiger Begleiter mit schwäbischer – pardon – badischer Präzision. Er wiegt ca. 7 Kilo und so kann man ca. 25 Kilo Nutzlast mitnehmen. Er hat zwei Zugstangen, die mit Schlaufen in einen Hüftgurt eingehängt sind. Daran sind sogar zwei Schnüre für die Scheibenbremsen, denn wenn es mal einen Abhang herunter geht, lässt sich der Schub des Gewichtes dosieren. Die Räder sind aus Carbon und haben Luftbereifung. Je größer das Rad, desto komfortabler fährt man. Falls erforderlich, ist es aber auch gut, die Räder abstecken und in den Sack packen zu können, dann sollten sie klein sein. Ich wollte auf insgesamt 30 kg kommen, eigentlich nur 27 kg, denn ich brauche ja täglich auch drei Liter frisches Wasser. Der Wagen hat eine wasserdichte Tasche oben drauf, die ich innen mit drei Frischhaltekisten unterteilt habe. So rutscht nicht alles zusammen und ich kann z.B. Lebensmittel von Kosmetikartikeln trennen. Durch die beiden Räder habe ich zwar immer eine gewisse Durchfahrtsbreite, kann aber das Gewicht auf der Achse beinahe ausbalanciert verteilen. So liegt nicht unbedingt viel Druck auf der Hüfte. Allerdings brauche ich eine gewisse Gewichtung nach vorn, weil sonst der Wagen sich durch den Laufrhythmus aufschaukelt. Schwere Sachen, die ich oft brauche, kommen nach vorn (Wasser, Snacks), ganz nach hinten, unten kommt das, was ich nach Möglichkeit gar nicht gebrauchen will (Medikamente, Reparaturzeug). Ich habe bei meinen Probeläufen oft umgepackt, bis es sich gut lief. An manchen Tagen beruhigt sich der Wagen, an anderen Tagen nie so ganz. Es gibt Tage, da macht der Wagen was er will. Da übt man eine gewisse Geduld.

Ich brauchte Klamotten und fragte verschiedene mir sympathische Hersteller an, ob sie sich beteiligen würden. Das hätte ich mir sparen können, denn das Gute liegt so nah: Christian Schwab von thonimara stattete mich mit seinen Qualitätsklamotten Made in Germany aus. Ganz herzlichen Dank dafür. Es klingt jetzt blöd, aber ich mache es trotzdem: Die Laufsachen von thonimara aus Sachsen sind sensationell komfortabel, superleicht und geschmeidig und riechen nicht nach den Bakterien, die sich so gern von unserem Schweiß ernähren. Die kann man echt empfehlen. Ich packte zwei kurze Lauftights, zwei ärmellose, zwei kurzärmelige, zwei Langarmshirts, einen Pullover, eine Regenjacke, Shorts-Badehose, lange Freizeithose, Socken und Unterwäsche ein – das meiste von thonimara. Ich könnte mich also zwei mal umziehen, das ist schon fast Luxus.

Ganz großes Thema für mich: Navigation. Die neue Fenix 5 von Garmin war seinerzeit kurz vor dem Markteintritt, die erste Uhr mit Navigation am Handgelenk. Aber sie kam einfach zu spät. Und außerdem zeigte sie zwar die geplante Route, nicht aber eine Karte an. Wie die Navigation auf dieser neuartigen Uhr funktioniert, war auch schwierig heraus zu finden, weil es sie erst ab Frühjahr 2017 geben sollte. Da ging ich lieber auf Nummer sicher und kaufte mir das Garmin GPSmap 64. Dazu kaufte ich die Karte ‚Topo active Europe‘. Das Gerät ist ein ziemlich schwerer Knochen. Es erinnerte mich an mein erstes Handy. Aber es ist geschützt gegen Staub + Sturz und ist wasserdicht. Es hält lange, lässt sich bei jedem Wetter sehr gut ablesen und bedienen usw. Ich hatte es später hinten in meiner Laufhose und so ging es ganz gut. Auf eine Laufuhr verzichtete ich weiterhin bis vor kurzem. Nachdem ich mir nun doch eine SUUNTO Spartan zugelegt habe, kann ich damit auch navigieren, aber es passen nicht genug Routen auf die Uhr, um die gesamte Tour abzudecken. In dem GPS-Gerät sind hochaufllösende Karten mit jedem Weg und jedem Steg in ganz Europa drin. Es erklärt sich leider nicht selbst und ich haderte gelegentlich damit. Aber letztendlich war es super. Ich klickte mir im Computer die geplanten Routen zusammen und übertrug sie dann auf das GPS. Später habe ich mich oft nicht daran gehalten und sah die Routen eher als Empfehlung. Manches, was man am „grünen Tisch“ plant, sieht in der Realität ganz anders aus. Das Vorplanen der Karten ist aber auch eine gute Übung, um mir die Länge der gesamten Tour klar zu machen und mir die Orte immer wieder zu merken. So konnte ich auch überlegen, an welchen Orten sich vielleicht ein Pausentag lohnt und überhaupt wollte ich damit durchzählen, wann ich wo eintreffe. Das war auch für das Russlandvisum wichtig.

Ich ließ mich impfen und vom Arzt durchchecken, kaufte verschiedene Medikamente und Verbandszeug für den Notfall. Dabei waren auch Antibiotika, Aspirin und Ibuprofen. Ich mag keine Pillen, aber so ganz ohne wäre vielleicht auch blöd, wenn’s ernst wird.

Zur Ausrüstung gehören auch ein Gaskocher samt Kartusche, ein leichter Topf, Besteck, Becher und Wasserflaschen. Für die Nächte draußen beschaffte ich ein superleichtes Bergnotzelt, Schlafsack, Isomatte, Kopfkissen und eine Plane zum drunterlegen. Jedes Teil wiegt nur 300 bis 400g – unglaublich, denn meine bisherige Campingausrüstung passte etwa in einen Umzugswagen. Das Zelt war spannend, denn das gab es nur noch in einem Schweizer Bergshop: Ein Ortik Tupek – von einem pleite gegangenen portugiesischen Hersteller. Extrem hohe Wasserdichtigkeit und kein Gestänge. Wie geht das? Zwei Kletterer streifen sich das gemeinsam über und lehnen sich dann drinnen jeder an eine Seite, so entsteht ein gewisser Luftraum dazwischen. Bei mir war das anders geplant und ich war ja auch allein. Im Globetrotterkaufhaus in Hamburg- Barmbek kaufte ich zwei einzelne Hightech-Zeltstangen, die sich stark im Bogen biegen lassen und die funktionieren, um meinen persönlichen Luftraum herzustellen. Ursprünglich wollte ich den Wagen mit ins Zelt nehmen und die Füße unten durch ausstrecken. Dafür habe ich mir zwei Aluminiumspriegel schweißen lassen, mit denen ich den Wagen aufbocken kann. Das hat funktioniert, aber es war keine gute Idee. Den Wagen klaut niemand und die Aludinger waren mir auf der Reise eigentlich nur lästig.

Ich stopfte alles probehalber in den Benpacker. Der Wagen samt Zelt stand einige Zeit im Wohnzimmer und ich probierte verschiedenes aus. Jeden Tag blickte ich auf meine Ausrüstung und mir fielen immer noch Kleinigkeiten ein.

Es war eine spannende Zeit, denn ich las auch weiterhin Blogs und Artikel von anderen. Das gesamte Equipment kostete am Ende immerhin 4.000 €. Viel zu schade eigentlich, um damit nur eine einzige Tour zu machen!

Keiner hatte je diesen Lauf gemacht, Radtouren – ja. Dabei erschien er mir inzwischen als absolut naheliegend. Es gibt Fragen, auf die findet man bis zum Start keine Antwort. Ich fragte polnische Geschäftspartner, die oft an der Ostsee sind: „Kann man auf dem harten Sand am Ufer gut laufen, oder ist er zu weich dafür?“ Das wäre für mich entscheidend, aber ich bekam es vorher nicht heraus. (Wer nicht lange suchen möchte: Ja, man kann, ich habe später immer wieder Fahrradspuren gesehen, der Sand ist sehr schön fest.)

Ich brauche ein Visum für den Oblast Kaliningrad, denn das ist Russland. Ein wunderbarer Aspekt an Europa ist die Freizügigkeit im Reiseverkehr. Das klingt jetzt irgendwie technisch, aber wie toll ist es denn, einfach immer weiter zu laufen, ohne sich ständig ausweisen zu müssen und vor allem verschiedene Visa zu beantragen. Ich bin in Europa zu Hause und überall Einheimischer – zumindest auf dem Papier. Nur wer Europa ausprobiert, hat auch was davon! Das Visum für Russland beantragte ich bei einem Konsulat in Bonn. So weit so gut. Weil ich aber nicht mit einem beim russischen Außenministerium gemeldeten Reisebüro kooperierte, wurde mir auch alles abverlangt: Antrag mit drei Passbildern natürlich, Auslandskrankenversicherung, Gehaltsbescheinigung, Rückkehrwilligkeitserklärung, Hotelbuchungsunterlagen. Ich nehme an, dass Deutschland das ebenfalls von den einreisenden Russen verlangt und nun haben wir also den Salat. Wie heißt es so schön auf der Webseite des russischen Außenministeriums? „Im Prinzip der Gegenseitigkeit verlangen wir von den Deutschen folgende Unterlagen…“ Wie du mir, so ich dir. Ich buchte mir ein Zimmer im ibis Hotel in Kaliningrad und bekam tatsächlich nur für die vier Nächte auch das Visum. Das ist eigentlich zu knapp für den russischen Teil meiner Reise.

Ich hatte die Idee, so weit zu laufen, weil ich wirklich gern laufe. Aber ist es das dann, was ich wirklich wollte, macht es denn Spaß, jeden Tag statt zur Arbeit zu gehen, sein nächstes Ziel in Laufschuhen anzusteuern, hinter sich 30 Kilo als Gepäck?

Das finde ich heraus. Und jetzt geht es los!

Abenteuer Baltikum (Text Edition)

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