Читать книгу Nach Island - Guðmundur Andri Thorsson - Страница 11

Dienstag, 6. Juni

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„… Niemand ließ ihm etwas Gutes zukommen …

Ich wachte um fünf Uhr auf und konnte nicht wieder einschlafen. Der Morgen war grau, eine Wolkenbrühe bedeckte den Himmel, so weit das Auge reichte. Gegen neun Uhr segelten wir an den Orkneyinseln vorbei, unter anderem an Fair Hill, von der die Njálssaga berichtet, daß sich dort Kári aufgehalten hat. Als der Wind stärker wurde, spürte ich den Atlantik unter meinen Füßen, seine Macht und unbändige Kraft. Ich legte mich auf den Aufbau am Heck und schaute in die beständig rollende See. Cameron kam zu mir und verspottete mich wegen meiner Seekrankheit, aber ich beteuerte und schwor, daß es mir gutgehe; ich müsse nur ein wenig nachdenken. Hólm kam ab und zu vorbei, munter und gut gelaunt. Dann setzte er sich zu mir und erzählte mir seine Kindheitserinnerungen.

Sobald er Kraft genug und Verstand besaß, mußte er schwer für sein Brot arbeiten. Sommer für Sommer stand er jeden Morgen um fünf auf und trieb die Schafe auf die Weide, lief endlos weit hinter ihnen her, barfuß, hilflos, mutterlos. Und an den Abenden trieb er sie wieder nach Hause, manchmal bis spät in die Nacht hinein. Niemand ließ ihm etwas Gutes zukommen. Aber wenn er im Morgengrauen allein auf der Hochweide stand, verspürte er manchmal eine geheimnisvolle, sonderbare Freude in der Seele, denn dann glänzten die Strahlen der Sonne im Morgentau, die Sträucher dufteten, die Vögel zwitscherten.

Und es waren Augenblicke voll von Glück, wenn die Lämmer an ihren Müttern saugen durften. Er schaute ergriffen zu, wie sie aus dem Pferch drängten und die Mutterschafe blökend, jedes nach dem seinen, suchten …

Oft hatte er das Rauschen des Wasserfalls gehört, aber er war zehn Jahre alt geworden, ehe er zum erstenmal zu ihm ging. Es war Nacht, und er war auf dem Heimweg von der Weide. Das Wetter war außergewöhnlich schön, und als er das dumpfe Dröhnen durch die Stille der Nacht hörte, beschloß er, sich der Fontäne, die er vom Fall emporsteigen sah, zu nähern.

Angetrieben von der Kraft seiner ersten selbständigen Entscheidung ging er näher heran, immer näher und näher, bis er in den mächtigen Wasserfall blickte. Ein kleiner Junge mitten in der Nacht vor den Gewalten der Erde. Und dieses Dröhnen hat ihn von da an nie mehr verlassen.

Oft meinte er, keinen Ausweg zu sehen, dann zog er sich zurück, wurde schweigsam und bedrückt, ertrug keine Menschen um sich. Er dachte oft, daß entweder etwas Großes aus ihm werden müsse oder ein Nichts, und wenn es ihm nicht gelinge, seinen Drang nach Bildung zu stillen, werde er als Landstreicher enden. Er sah sich als wunderlicher Vagabund, der schmutzig und abschreckend durchs Land zog, Strandgut an der Klippe des Lebens. Niemand sprach ihm Mut zu, niemand beachtete ihn, bis auf den Pfarrer, der ihn ohne eine Erklärung in sein Haus nahm und einen Mann aus ihm machte.

Wir sind gleichalt.

Cameron und ich haben kaum miteinander gesprochen. Ich wollte mich, als er Blake erwähnte, nicht über Poesie unterhalten, und als er, um mich aufzumuntern, von der wunderschönen Miss Kitty Cooper zu sprechen begann, sagte ich barsch, er solle gehen. Morgen werden wir zu den Färöer kommen.

Nach Island

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