Читать книгу Nach Island - Guðmundur Andri Thorsson - Страница 8
Samstag, 3. Juni
Оглавление„… ich bewundere zunehmend seine Fähigkeit,
so über sein bevorzugtes Lieblingsthema
zu sprechen, daß man meint, es wäre
ihm soeben das erstemal in den Sinn
gekommen …“
Cameron ist im Grunde so etwas wie meine zweite Hälfte. Ein treuer Freund ist Goldes wert, heißt es irgendwo. Es bedeutet mir viel, ihn als Reisegefährten zu haben, und so haben wir Gelegenheit, unsere vielerprobte Freundschaft aus der Schulzeit zu erneuern. Ich kann nicht umhin, ihn für seinen Eifer und seine Unermüdlichkeit zu bewundern, wenn er Natur und Menschen mit beispielloser Sorgfalt und Genauigkeit beobachtet. Ich bin überzeugt, er wird sich noch einen Namen als bedeutender Wissenschaftler erwerben. Es gibt keinen Gegenstand, mit dem er sich nicht vertraut gemacht hätte, und zu jedem Thema hat er eine fundierte, feste Meinung. Auch seine Vielseitigkeit ist ohnegleichen. Er hat nicht nur alle wissenschaftlichen Theorien unserer Zeit gründlich studiert, sondern gibt auch einen begabten Schriftsteller und guten Maler ab.
Ich bin sicher, er wird mit allen Schwierigkeiten fertig werden, so reiseerfahren wie er ist …
Edinburgh bietet wahrhaftig einen herrlichen Anblick, und die Berge ringsum sind majestätisch. Die Festung zaubert im Geist sofort Bilder von wackeren Rittern und keuschen Jungfern hervor und müßte einen würdigen Rahmen für ein geschichtliches Epos abgeben. Wir sitzen im Kaffeesalon des Hotels und lassen uns einen vorzüglichen gelben Kuchen mit braunem Schokoladenüberguß munden. Am Tisch nebenan sitzen Deutsche, die einen solchen Lärm veranstalten, daß man unwillkürlich an Tacitus und seine Germania denkt, in der er vom ungeheuren Geschrei der Germanen bei der Vorbereitung auf den Kampf berichtet. Dagegen ist wenig zu machen. Ich selbst bin auf dem Weg in ein Land, dessen Einwohner den Urgermanen in Geisteshaltung und Lebensweise noch viel näher stehen als diese leidigen Schreihälse.
Hólm plaudert in einem fort, während ich über meinen Notizen sitze; kein Wunder bei der Unverdrossenheit, mit der er sich an den Whisky hält. Seine Augen leuchten vor Begeisterung, und seine Stimme schallt, während er Cameron von der Notwendigkeit einer regelmäßigen Schiffsverbindung mit Island überzeugt. Ich muß gestehen, ich bewundere zunehmend seine Fähigkeit, so über sein bevorzugtes Lieblingsthema zu sprechen, daß man meint, es wäre ihm soeben das erstemal in den Sinn gekommen. Dann beginnt er, von Napoleon zu sprechen, den er angeblich geliebt und bewundert hat, bis er sich Kaiser nannte und einen Krieg gegen die Deutschen anfing. Ich achte die Deutschen, sagte er, vielleicht etwas übertrieben laut: verachte die Dänen und liebe die Engländer! Und jetzt hat er begonnen, ein Loblied auf Gladstone zu singen.
Er bringt es irgendwie fertig, über all das auf einmal zu sprechen und es doch auf eine verwunderliche Weise nicht zu vermischen, was der isländischen Rhetorik freilich ein gutes Zeugnis ausstellt, wie übrigens auch die Tatsache, daß Cameron schweigt, die Brauen hochzieht und zuhört, während der Isländer redet und redet. Er ist jetzt dabei, ein Gedicht seines Freundes Jochumsson ins Englische zu übersetzen, aber ich habe den Eindruck, daß die Dichtung doch etwas darunter leidet, es sei denn, Hólm überschätzt die Werke seines Freundes. Cameron hört dem Vortrag nachdenklich zu und sagt dann mit Nachdruck, das wäre wirklich sehr exemplatisch (!).
Ich bin todmüde, aber voller Erwartung. Ich habe Angst. In mir macht sich der Verdacht breit, daß ich blind ins Verderben renne, daß ich auf der Flucht bin.
Cameron und ich unterhielten uns heute über Weinbau, Architektur, Frauenrechte und Gott. Er behauptet, Atheist zu sein, und spricht viel von Darwin und seinen Fossilien. Sollte es möglich sein, mit Steinen einen Beweis gegen die Existenz Gottes zu erbringen? Er bat mich auch, ihm ein neueres Gedicht von mir zu zeigen, mit dem ich zufrieden sei. Ich gab ihm das Gedicht über Prometheus. Er ließ kaum ein gutes Haar daran.
Beide halten sich tüchtig an den Whisky. Cameron hat begonnen, Hólm einschlägige und recht derbe Lieder vorzusingen, und bedrängt ihn jetzt, ebenfalls etwas zum besten zu geben. Hólm stimmt einen äußerst schwermütigen Gesang an. Ich werde sie hier allein zurücklassen, meine beiden Landsleute.
Ich habe mir die Sache gründlich überlegt und bin – in einem Wort – zu dem Schluß gekommen, daß Gott nicht existiert. Dafür gibt es viele und unterschiedliche Gründe … Ein Satz, über den ich nachdenken möchte: Gott starb an dem Tag, als der Mensch die Notwendigkeit verspürte, seine Existenz zu beweisen. Ein Gott, der sich niemals bemerkbar macht, kann nur tot sein.