Читать книгу Der Emu rennt... - Gundula Peter-Stern - Страница 6
Der erste Tag
ОглавлениеTrotz des schlauchenden Vortages wachten wir früh auf. Die Geräusche und Vogelstimmen waren einfach zu bezaubernd und fremdartig. Zum Frühstück hatte Hugo uns, um uns an die Heimat zu erinnern, frische Brötchen vom deutschen Bäcker geholt. Wir waren mäßig begeistert. Zum einen schmeckten die Brötchen als wäre dem Meister auf der Überfahrt von Europa nach Australien das Backrezept ins Wasser gefallen, zum anderen hielten wir sowieso nicht viel davon ausgerechnet im Ausland der deutschen Küche zu frönen. Davon hatten wir ja nun wirklich das ganze Jahr mehr als genug.
Wir hatten einmal auf einer Reise nach Lanzarote ein älteres Ehepaar getroffen, welches uns die Wartezeit im Flughafen dadurch verkürzte, indem es uns mit dem Inhalt ihres voluminösen Handgepäcks bekannt machte. Wir konnten unter anderem folgende Lebensmittel bestaunen:
– Pumpernickel – „ist gut für die Verdauung, das weiße Pappbrot verklumpt einem ja den
......Magen.“
–Pulverkaffee – „die können da ja keinen ordentlichen Kaffee machen, der schmeckt nur gallebitter und ist ungenießbar.
Mettwürstchen, eine dicke Salami und Leberwurst im Glas, „die haben uns immer zuviel Knoblauch dran, so was wie das kriegen sie da nirgends zu kaufen.
Eingeschweißter Schnittkäse, „wir mögen keinen Schafs- oder Ziegenkäse.“
Die Leute wirkten so mitteilsam und nett, daß ich meine bissigen Gedanken erst einmal für mich behielt. Die kleine Frau strahlte mich: „ich gebe ihnen auch was davon ab, wenn wir uns mal sehen sollten!“ und schloß den „Lebensmittelladen. Sofort fuhr ihr ihr Mann in die Parade: „So reichlich ist das nun aber nicht, wir haben alles genau abgezählt und ausgerechnet.“
„Also, wir haben Handtücher, Bettwäsche, die Unterkunft, die Aussicht und das gute Wetter eingepackt, möchten Sie mal sehen? fragte ich hinterhältig und tat so, als ob ich mein Handgepäck öffne. Übrigens, wir haben uns auf Lanzarote nicht getroffen und daher auch nichts von all der abgezählten Herrlichkeit abbekommen.
Nach dem Frühstück, an dem zu meiner großen Verwunderung auch die dicke Hundedame Deedee, auf dem Schoß der Hausherrin sitzend, teilnahm, ging es zu einem ersten Erkundungsausflug los. Wir fuhren >Richtung Norden nach Ballarat.
Über den Freeway kamen wir zügig voran. Zum ersten Mal sahen wir Gumtrees, die nichts mit Gummi zu tun haben, sondern Eukalyptusbäume sind. Wir kauften bei den Farmern an der Straße frisches Obst und waren über die hohen Preise höchst erstaunt, denn schließlich waren wir ja im Erzeugerland. Hugo machte uns klar, daß die Entfernungen hier so gigantisch sind, und daß Bananen von der Westküste Australiens, in Melbourne verkauft, genauso weit gereist sein wie Orangen von Marokko nach Frankfurt. In diesen Tagen stand der Australdollar 1:2,5. Da überlegt man sich dann doch, ob es hier oder da „ein wenig mehr“ sein dürfte.
In Ballarat besuchten wir eine Goldgräberstadt, die man in ihrem Ursprung erhalten, bzw. nachgebaut hatte. Wir „genossen“ das Leben der Miner bei einem eiskalten Bier im Hotelpub, litten aber auch mit ihnen, beim Anblick der spartanischen Behausungen, die manchmal nur Erdhöhlen gleichkamen...
Obwohl wir uns unter der glühenden Sonne beim Schwenken der Pfannen fast die Arme lahm kreisten, fanden wir kein Gold. In den vergangenen Tagen sollte unmittelbar in der Nähe wieder ein riesiger Goldklumpen gefunden worden sein, und das hatte einen neuen Boom ausgelöst. - Kein Wunder also, daß für uns nichts übrig geblieben war, nicht einmal das kleinste Nugget.
In der New Bakery aßen wir Home Made Steak & Kidney Pie. Die untertellergroßen Pasteten dufteten gar verführerisch und ich hätte es besser wissen müssen; aber ich war zu gierig. Anstatt wie die Anderen mit Messer und Gabel zu essen, biß ich hungrig in die krosse Kruste. Dampfwölkchen stiegen auf und mir schossen die Tränen in die Augen. Ich hatte mir den Gaumen verbrannt. „Vorsicht, Vorsicht“, mahnte Christine freundlich, „die sind manchmal teuflisch heiß.“
Ich trank reichlich Eiswasser, um das Feuer in meinem Mund zu löschen. Nachdem der Schmerz nachgelassen hatte, genoß ich das Essen, denn es war unerwartet gut und schmackhaft, sogar ohne Knorpel und andere undefinierbare Zutaten. An sich stehe ich jeder Art von „Pastetengerichten“ äußerst skeptisch gegenüber, denn was in dieser Hinsicht in England kennengelernt habe, entspricht so gar nicht meinem Geschmack: „Man nehme Alles was weg muß, hacke es fein und backe es ein.“
Mein Kommentar dazu: „Und laß es sein...“ –
Klaus konnte es nicht lassen, einem üblichen „Touristen - Blödsinn“ zu huldigen:
Er ließ sich in der Druckerei einen Steckbrief ausfertigen, der ihn als Räuber und Mörder auswies. Auf seine Ergreifung war eine Belohnung in Höhe von 1000 Dollar ausgesetzt. Dabei fiel mir dann auch auf, daß jeder wie ein echter Schurke aussehen kann, wenn nur das Foto auch mies genug aufgenommen wurde. – Heute ziert das teure Teil aus der Druckerei die Innenseite des Besenschrankes in unserer Küche.
Durch den Gum-Tree-Wald entlang der Straßen, vorbei an Farmen und quer durch winzige Towns mit jeweils nur einem einzigen windschiefen Hotel und der dazu gehörigen Kneipe fuhren wir zu einem der faszinierendsten Plätze, die ich je gesehen hatte: „Hanging Rock“ im Black Forest in Woodend! Wir waren einfach hingerissen! Vor uns lag jenes riesige geheimnisumwitterte Felsengebiet, an dem vor etwa 80 Jahren zwei Schulmädchen während eines Ausfluges auf ungeklärte Weise spurlos verschwunden waren.
Vor einiger Zeit hatten wir den Film „Picknick at Hanging Rock“ im Fernsehen gesehen. Der Regisseur hatte es meisterhaft verstanden, unterstützt durch diese grandiose Landschaft die einfache Handlung zu einem nervenzehrenden Film zu verarbeiten. Der Streifen hatte uns tief beeindruckt. Aber in der Realität war das Gesteinsmassiv noch faszinierender!
Um den Zauber dieses Gegen besser in uns aufnehmen zu können, wollten wir uns von Hugo und Christine trennen, ohne sie dabei jedoch zu kränken. Da traf es sich nur zu gut, daß Christine plötzlich mit einem drückenden, gerade zu höllisch schmerzenden Hühnerauge aufwarten konnte. Beide erklärten uns zudem wortreich, daß sie die Gegen schon so oft gesehen hätten, daß sie ihr keinerlei Reiz mehr abgewinnen könnten. Sie würden es daher liebend gerne vorziehen, hier im Schatten der riesigen Gumtrees auf uns zu warten. „Genießt es also, und nehmt Euch bitte nur genügend Zeit!“ gaben sie uns mit auf den Weg.
Klaus und ich machten uns also ohne unsere Gastgeber daran, eine der höchsten Stellen des bizarren Felsenmeeres zu erklimmen. Fast eine Stunde lang kraxelten wir recht orientierungslos zwischen den grauen Felsen herum. Es war fast wie in einem Irrgarten, aber irgendwann standen wir dann auf einem kleinen Plateau. Der phantastische Ausblick, der sich uns bot, ließ uns atemlos staunen: Wir waren in eine andere Welt gelangt!
In der ungewohnten Stille, die nur selten von dem Geschrei der Papageien unterbrochen wurde, ließen wir das Geheimnis von „Hanging Rock“ auf unsere Seelen wirken.
Wir konnten in unzählige Schluchten und bodenlose Felsspalten sehen. Das Gebiet war um ein Vielfaches größer und noch zerklüfteter, als wir es uns vorgestellt hatten.
Weit, weit unten auf dem leeren Parkplatz sahen wir die beiden „Luchse“. Sie winkten uns zum, wohl, um uns zur Rückkehr zu animieren. Wir taten so, als würden wir das aus dieser Entfernung nicht bemerken, winkten heftig zurück und träumten noch ein wenig weiter in der Stille der brütenden Hitze über „Hanging Rock“.
Dabei beobachteten wir hingerissen graue Echsen in unterschiedlichsten Größen, die sich sowohl in ihrer Form als auch ihrer Farbe dem Gestein angepaßt hatten.
Später dann beim Abstieg verloren wir zwischen den Felsen erneut etwas die Orientierung, denn ein "„richtiger“ Weg nach unten war genauso wenig markiert wie einer nach oben. Im grauen Halbschatten, ohne Übersicht, wie ein Zwerg in einem dichten Maisfeld, überkam mich ein beklemmendes Gefühl. Und zog da hinten nicht gar eine drohende Gewitterfront dunkel heran? Ich hatte auf einmal den Eindruck, daß die Sonne fahler scheinen würde.
„Komm, laß uns hier durchklettern“ schlug ich vor und zeigte auf einen Einschnitt im Fels. Klaus winkte ab: „Willst Du, daß wir uns verlaufen?“ Verärgert und nach dem Motto „Jetzt erst recht!“ machte ich mich allein auf den Weg. Schon nach ein paar Metern konnte ich Klaus nicht mehr sehen. Die absolute Stille, die ich noch oben genossen hatte, ließ mich jetzt mein pochendes Herz hören. Ein kühler Lufthauch ließ mich erschauern. Auf einmal war es mit meinem Mut nicht mehr so weit her und ich wollte gerade anfangen zu rufen, als sich plötzlich eine Hand schwer auf meine Schulter legte. Zu Tode erschrocken fuhr ich herum und sah in das spitzbübisch grinsende Gesicht meines Mannes. „Du hast doch nicht etwa geglaubt, daß ich dich hier alleine in dieser Gegend herumkrebsen lasse! Nachher löst du dich auch noch in Luft auf und wirst zu einer Legende, wie die beiden armen Schulmädchen im Film. Dabei hast du ein ganz schönes Tempo bei deiner Kraxelei vorgelegt. Ich hatte echt Mühe, dir zu folgen, du australische Bergziege!“ lachte Klaus etwas außer Atem.
Ich war froh. Hätte ich den Film nicht gekannt, hätte „Hanging Rock“ sicher auch einen anderen Eindruck auf mich gemacht. Vielleicht nur ein großer Steinhaufen? So aber lebte die geheimnisvolle Geschichte hier in jedem Felsen weiter und webte ein beeindruckendes Netz von Empfindungen und Schwingungen, denen ich mich einfach nicht entziehen konnte.
Nach einigen Umwegen fanden wir dann auch den Weg nach unten, auf dem wir gekommen waren. Später dann am Auto labten wir uns an eiskalten Getränken aus der Kühltasche und waren froh, daß uns die „normale“ Welt wieder hatte.
Am Abend luden wir unsere Gastgeber aus zwei Gründen in das China - Restaurant in Knoxfield ein. Wir wollten uns zum einen für ihre Gastfreundschaft bedanken, und zum anderen war es mal wieder soweit: Es galt, meinen Geburtstag zu feiern. Nach einer ausgiebigen Dusche fuhren wir, sehr zu meiner Überraschung wieder mit unserer Kühltasche ausgerüstet, zu einem üppig in Rot und Gold ausstaffierten Restaurant. Der dicke Teppich, natürlich auch in Rot gehalten, vermittelte einem das Gefühl, auf Moos zu schreiten. An dem riesigen runden Tisch, an den man uns Vier plazierte, hätte man in Italien sicherlich eine zehnköpfige Familie untergebracht.
Der Chef, Mr. Huan, rund wie ein Vollmond – ein sehr freundlicher Vollmond -, und bestimmt auch sein bester Kunde, ließ es sich nicht nehmen, uns heute höchstpersönlich zu verwöhnen. Er empfahl uns die „Meeresfrüchteplatte“. Natürlich stimmten wir sofort zu, den Krabben, Muscheln, Krebse und wirklich grätenfrei filetierte Fische gehörten zu meinen ausdrücklichen Geburtstagswünschen was das Essen anbetraf. Dabei legte ich auf „garantiert grätenfrei“ allergrößten Wert, seit ich mir nämlich bei einem gemütlichen Essen in einer Fischerkneipe auf Lanzarote mit einem Fischknochen meinen hinteren Gaumen durchbohrt hatte. Klaus hatte es mir damals an meinem bestürzten Gesicht sofort angesehen, daß etwas falsch gelaufen sein mußte. Ich hielt mir eine Serviette vor den Mund, und gemeinsam waren wir auf die „Damen“ gehastet. „ ´´Äte im ´Als“ preßte ich mühsam hervor. Unterwegs hatte Klaus mir überflüssiger Weise noch mit freundlichen Bemerkungen wie „ Mein Gott, was machst Du nur für einen Blödsinn! Kannst Du nicht einmal Fisch essen, ohne Dich dabei in Gefahr zu bringen?“ Mut gemacht. Ich blieb natürlich eine Anwort schuldig, denn erst mußte ich meinen Mund entleeren. Dann konnte Klaus den Verursacher meiner Pein mit energischem Ruck ans Licht befördern: Die Gräte war mindestens 5 cm lang, dabei so spitz und dick wie eine solide Stopfnadel!
Ich machte meinen angestauten Gefühlen unmißverständlich Luft und schwor mir damals, nie wieder, niemals wieder - und schon gar nicht in Gesellschaft, Fisch zu essen, zumal ich die restliche Ferienzeit auf Lanzarote vorwiegend von flüssiger Nahrung leben mußte.
Aber das war nun lange her, und ich hatte meinen Mut wieder gefunden. Also her mit den „Schuppen- und Schalentieren!“
Natürlich wollten wir zum Essen auch etwas trinken. Doch da machte Hugo die Kühltasche auf und zum Vorschein kamen – ich staunte nicht schlecht - eine Flasche Sekt und zwei Flaschen Weißwein! Er winkte den Kellner herbei, der sich kommentarlos die Flaschen aus der Kühlbox angelte und damit in Richtung Küche verschwand.
Ich war verblüfft: „Was ist das denn!? So was gibt es bei uns aber nicht. Ich kann mir nicht vorstellen, daß das klappen würde...!“
Christine erklärte uns, daß wir hier in einem „BYO (bring your own ) – Restaurant“ waren, was bedeutete, daß jeder seine eigenen Getränke selber mitbringen konnte. Das Bereitstellen der Gläser, das Kühlen der Flaschen und selbstverständlich auch das spätere Öffnen und Einschenken gehörten zum Service des Lokals. Man revanchierte sich danach beim Personal mit einem angemessenen Trinkgeld.
Als der Sekt im Glas perlte, nahm Hugo einen tiefen Schluck: „Wir leben hier zwar weit entfernt von Europa, aber wir haben auch Kultur! Jawohl, wir haben hier in Australien einen eigenen Lebensstil entwickelt, eine eigene Kultur. Wir brauchen uns nicht hinter Europa zu verstecken.“
Huch, hier hatte wohl jemand seinen wunden Punkt. Ich verschluckte mich am Sekt ob dieser unerwarteten Breitseite und fing an zu husten. Klaus klopfte mir beruhigend auf den Rücken. Zum Glück ging er nicht auf Hugos verbale Spitzen ein, sondern brachte stattdessen einen Toast auf meinen Ehrentag aus. Danach sangen alle zusammen: „Hoch soll sie leben...“
Und dann endlich begann ein Fest- Mahl unter dem Motto: „Meeresfrüchte – aus dem Ozean frisch auf den Tisch“, das wir nicht so schnell vergessen sollten: Platte auf Platte, kunstvoll dekoriert, wurde herbei geschleppt und vor unseren staunenden Augen plaziert. Natürlich wurde ausschließlich mit Stäbchen gegessen: Am Anfang hatte ich noch leichte Schwierigkeiten, mit den ungewohnten Dingern zu Recht zu kommen, aber nach einer geduldigen Einweisung durch den Chef persönlich klappte es dann prima.
Wir schwelgten zuerst in Riesengarnelen, süßsauer bis chillyscharf angemacht und kunstvoll umlegt mit knusprig gebackenen Crayfischbällchen. Danach gab es „Variationen von Krabben“ - mit und ohne Knoblauch - gefolgt von phantasievoll dekorierten und verschiedenartig zubereiteten Sorten Fisch. Als Beilagen reichte man zu knackiger asiatischer Gemüsevielfalt eine besondere Delikatesse von den Hängen des Himalaja: Schneeweißen zart duftenden Basmati-Reis.
Obwohl jeder von uns wahre Massen in sich hineinschaufelte, ständig von dem wohlwollend lächelnden Mr. Huan in lustigem chinesisch-englischem Kauderwelsch zu immer neuen Höchstleistungen angestachelt, schafften wir höchstens 2/3 der ausgesuchten Köstlichkeiten. Am Schluß dieser einmaligen Meeresfrüchte-Tafel war ich mir sicher, nie zuvor besser gespeist zu haben: Köstlich, exotisch - und vor allem grätenfrei!
Später am Abend saßen wir auf der Luchsschen Terrasse und unterhielten uns träge über „Gott und die Welt.“ Die warme Nacht war erfüllt vom Gezirpe der Grillen und anderen uns unbekannten Stimmen und Geräuschen. Christine stand auf, um einige Eiswürfel aus der Küche zu holen. Kaum war sie in Haus verschwunden, da ertönte ihr hysterisches Gekreisch: „Ihhhhh, nein!“ Und dann weniger schrill: „So eine Schweinerei! Da ist ja alles versaut......!“
Wir waren alle aufgesprungen und stürzten an den Ort des Geschehens. Die dicke Deedee hatte sich ausgerechnet das Wohnzimmer ausgesucht, um ihren Mageninhalt in kleinen gleichmäßigen Portionen auf Teppichen und Fußboden zu verteilen. Jetzt saß sie, von jeglicher drückender Last befreit, offensichtlich zufrieden vor der Küchentür. Mit ihren riesigen dunklen Mopsaugen schaute sie (unschuldig?) von einem zum Anderen - jetzt war sie endlich wieder Mittelpunkt. Ich hatte sogar den Eindruck, daß sie ein wenig die Leftzen hob und listig grinste.
Als es mittels Zeitung, Kehrblech, Eimer und Lappen an die Beseitigung der unappetitlichen Hinterlassenschaft ging, bekamen sich Hugo und Christine in die Haare. Jeder beschuldigte den Anderen, Deedee während unseres Essens nicht vernünftig eingesperrt zu haben. Aus lauter Langeweile, vielleicht aber auch aus Boshaftigkeit, weil es alleine zu Hause bleiben mußte, hatte das Hundchen den Komposthaufen geplündert und dabei gefressen, was in seinen Trommelbauch reinging. Dabei hatte es sich offensichtlich zuviel zugemutet...
Auf den Knien liegend, laut schimpfend und wüste Drohungen gegen Hund und Mann ausstoßend, reinigte Christine schließlich das Wohnzimmer. Obwohl ich bestimmt nicht erpicht auf diese Arbeit war, erbot ich mich doch, behilflich zu sein. „Bleib´ Du mal schön draußen auf der Terrasse sitzen und genieß den Abend, es ist ja Dein Tag. Aber das hier hätte nun bestimmt nicht sein müssen.“ Christines gekrümmter Rücken und ihre hektischen Aktivitäten wirkten wie eine Anklage auf mich.
Ich fühlte mich völlig unschuldig, aber der harmonische Abend war nachhaltig gestört und eine ungemütliche Stimmung machte sich breit.
Der Verursacher der ganzen Aufregung schlich sich auf Umwegen an Hugo heran und versucht ihn mit seinen braunen Kugelaugen zu becircen. Und es gelang ihm tatsächlich. Erst hatte sich Deedee nur so um den Stuhl herumgedrückt, dann setzte sie sich und sah Hugo unverwandt an. Schließlich lag sie zu seinen Füßen. – Nur wenig später dann saß sie auf Hugos Knien und ließ sich mit Paprikachips füttern. (Sicherlich die ideale Schonkost bei einem angegriffenen Magen).
Als Christine nach einiger Zeit erhitzt und kurzatmig wieder auf die Terrasse kam, schubste Hugo das verfressene Monster schnell von seinem Schoß und stopfte die Chips die er in der Hand hielt mit unschuldiger Mine in den Mund.
Am nächsten Tag holte uns ein Freund der Familie namens John schon sehr früh ab, um mit uns über viele Umwege und „points of interests“ zu dem 140 Meilen entfernten Philip Island zu fahren. Kaum saßen wir im Auto erzählte er unaufgefordert und frei von der Leber weg, daß er große Probleme mit einer bestimmte Volksgruppe hätte: „ Jawohl, alle Weißen sind hier Einwanderer; die paar brauchen sich also nicht darauf einzubilden, daß ihre Vorfahren keine Deportierten waren sondern Beamte der Englischen Krone oder so. Die meinen wohl, sie könnten sich was drauf einbilden und hier deswegen eine gewisse Vormachtstellung einnehmen. „Ich bin stolz darauf, daß ich meinen Stammbaum bis zu einem Sträfling mit Namen Roy McGuire zurückverfolgen kann. Der war seinerzeit in London wegen Brotdiebstahls zu fünfundzwanzig Jahren Zwangsarbeit in Australien verurteilt worden. Was sagt ihr denn zu diesem Problem?“
So unvorbereitet mit diesem Thema konfrontiert, hatte wir erst einmal keine Meinung dazu und auch keine Lust uns näher mit irgendwelchen Animositäten, die wer gegen wen hegte, zu beschäftigen Da wir aber den ganzen Tag zusammen verbringen wollten, und es in unserem Interesse lag, daß alles harmonisch verläuft, gaben wir ihm kurzerhand Recht, fanden das „Alles“ unglaublich und halfen ihm auf die „Poms“, Prisoner of mother England, zu wettern.
Wir haben dann im Laufe unserer Reise noch einige Leute kennengelernt die uns stolz erzählten, die Nachfahren verurteilter „Verbrecher“ zu sein. Wobei der, natürlich immer unbewiesene, Brotdiebstahl mit weitem Abstand der Hauptverurteilungsgrund gewesen ist.
Wir kamen an herrlichen Stränden vorbei und nahmen uns hier und da die Zeit ein kühlendes Bad zu genießen. Als wir aber noch etwas in der Sonne liegen wollten, trieb uns John zielstrebig weiter, es gab noch zu viele Sehenswürdigkeiten, die noch angesehen, bzw. abgearbeitet werden mußten.
Über eine schöne alte Hängebrücke bei San Remo fuhren wir schließlich nach Philip Island, dem eigentlichen Ziel unseres Tagesausfluges. Wir kauften uns als verspäteten Lunch riesige Steaksandwiches; die Weißbrotscheiben konnten die riesigen platten Steaks nicht annähernd bedecken, sie waren nur dazu da, um das Brot besser halten zu können. Ich schlug mich wacker, aber ein gutes Pfund Fleisch ist als Snack entschieden zuviel. Klaus und John hatten mit dem Häppchen hingegen keine Schwierigkeiten.
Danach frischten wir noch unsere Vorräte an flüssigem Proviant auf und setzten uns hoch an den Summerland Beach, um auf die Pinguine zu warten.
Klaus machte mich auf einen kleinen Einsiedlerkrebs aufmerksam, der sich mit einem großen Schneckenhaus auf dem Rücken recht mühsam fortbewegte. Das schützende Haus schien viel zu groß für das Krebschen zu sein. Ich hob ihn vom Sand auf, um ihn mir einmal ganz genau aus der Nähe ansehen zu könne. Aber leider hatte ich recht mit der Vermutung, daß sich der Kleine ein zu großes Häuschen „aufgeladen“ hatte, denn auf halber Höhe fiel der Krebs aus der Schnecke runter auf den Strand. Erschrocken blickte ich auf das weiße kurze Hinterteilchen, denn ich dachte, ich hätte ihn verletzt oder gar etwas abgerissen. Das „entblößte“ schutzlose Tierchen sucht sein Heil in der Flucht. Aber auf dem leergespülten Strand war keine Deckung zu finden. Schnell legte ich ihm sein Häuschen in seine Krabbelrichtung. Dann traten wir einige Schritte zurück, um es nicht weiter zu ängstigen. Kaum hatte der Krebs das Schneckenhaus bemerkt, eilte er darauf zu und befühlte es intensiv mit seinen Scheren. Er nahm offensichtlich Maß und befand das Kalkgebilde für gut und passend. Flugs drehte er sich um und schob sein Leibchen in die neue bzw. alte Hülle. Nach einigem Herumgeruckel marschierte er emsig weiter. Ich hoffte, daß er noch lange genug leben würde, um ganz fest in sein Häuschen hineinzuwachsen.
Die Sonne stand jetzt nur noch eine Handbreit über dem Horizont und jeden Augenblick mußte das Schauspiel beginnen, dessentwegen wir hierher gekommen waren. An diesem Strandabschnitt hat eine Kolonie Zwergpinguine ihre Nester in den Dünen. Sie kommen bei Einbruch der Dunkelheit alle zusammen auf einmal zurück von der Jagd im offenen Meer. Vereinzelte Frühankömmlinge trauten sich wohl alleine nicht recht über den leeren Strand, sondern drückten sich in den ausrollenden Wellen herum. Es schien, als warteten sie auf Verstärkung. Dann war auf einmal der Riesenpulk da. Es war faszinierend zu sehen, wie die „Frackträger“ aus dem Wasser heraus und aufs Land schossen. Durch den eigenen Schwung landeten sie oft nicht auf ihren Platschfüßen, sondern kugelten herum und rissen die schon aufrecht stehenden wieder um. Sie erzählten sich dabei wohl ihre Tageserlebnisse, denn die kleinen Schnäbel standen keinen Augenblick still. In kurzer Zeit war die ganze Kolonie an Land und hatte ihre angestammten Schlafplätze aufgesucht. Die Sonne verschwand hinter dem Horizont. Ich war froh und dankbar, daß ich dieses entzückende Schauspiel miterleben durfte.
John fuhr uns über Umwege, wie er es nannte nach Hause. Er zeigte uns interessante Gegenden von Melbourne, solche die bei normalen Stadtrundfahrten nicht auf dem Programm stehen. Spät in der Nacht trudelten wir erfüllt von all den überwältigenden Eindrücken fröhlich bei Familie Luchs ein und bekamen schon in der Tür einen ordentlichen Rüffel zu hören: Man hätte uns viel eher zurück erwartet und auch einen kleinen Imbiß vorbereitet. Außerdem hätte uns ein wichtiger Geschäftspartner von Hugo kennenlernen wollen, der sei aber nach einer Stunde Warterei verärgert wieder gefahren.
„Den Appetit scheint es ihm aber nicht verschlagen zu haben“, konnte ich nicht an mich halten zu sticheln, als ich die leergeräuberten Servierplatten sah. Die Luchs sahen uns vorwurfsvoll an und John gab sich betreten: „Ich habe nicht gewußt, daß die beiden hier noch erwartet wurden. Wir hätten easy schon früher zurück sein können. Mir hat keiner was gesagt.“
„Natürlich,“ hakte Hugo ein, „ich hab dir das ausdrücklich gesagt. Das weiß ich genau. Ich hab mit dir noch über die Strecke auf meiner Karte...“
„Was für eine Karte? Du hast mir beim besten Willen keine Karte gegeben....“
Und wenn sie nicht gestorben sind, dann streiten sie noch heute.