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Wenn jemand eine Reise tut

Die Chronologie einer Geschäftsreise mit elektronischer Navigationsunterstützung

 Die Glocke im Kirchturm schlägt sechsmal. Um zehn Uhr muss ich in Nürnberg sein.

 Ich drehe den Zündschlüssel im Auto, das daraufhin freudig brummend anspringt.

 Ich lenke den Wagen in Richtung der Autobahn nach Stuttgart.

 Ich komme flott voran, bereits um sieben Uhr bin ich fast in Heilbronn.

 Die Autobahn Richtung Nürnberg ist nur mittelstark befahren, auch die Lkw-Menge hält sich in Grenzen.

 Ich entscheide mich für eine benzinsparende Fahrweise, weil ich, was ich locker ausrechnen kann, schon um 8:30 Uhr ankommen werde.

 Etwa vierzig Kilometer vor Nürnberg mache ich mir ernsthaft Gedanken, was ich mit den übrigen anderthalb Stunden anfangen soll.

 Da hilft mir das Schicksal, denn vor mir taucht auf der rechten Spur ein Lkw-Stau auf.

 Ich wechsle auf die linke Spur und kann noch einen knappen Kilometer fahren, dann ist auch hier alles dicht.

 Schnell mache ich das Radio an und habe Glück: Eine Verkehrsmeldung besagt, dass die von mir befahrene Autobahn wegen einer Bergung komplett gesperrt ist.

 Und nochmals habe ich Glück, da ich mich direkt vor einer Ausfahrt befinde.

 Daher kann ich schon kurze Zeit später über den Standstreifen die Autobahn verlassen.

 Mein zusätzliches Glück ist, dass ich ja für die fehlenden vierzig Kilometer noch fast zwei Stunden „in der Tasche“ habe.

 Hinzu kam, als ganz besonderes Glück, dass ich mir vor einiger Zeit ein Navigationsgerät angeschafft habe.

 Bei der nächsten Gelegenheit halte ich an, um das Navi korrekt zu programmieren.

 Nun beginnt allerdings meine Glücksträhne zu reißen.

 Ich möchte im Navi „Nürnberg“ eingeben, es gibt aber kein „ü“, also probiere ich „ue“.

 Das führt dazu, dass ich als Zielort immer Nuehlen (oder so etwas Ähnliches erhalte).

 Anmerkung: Wenn die Ortseingabe fürs Navi „klar“ ist, zeigt es den verfügbaren Ort an und lässt keine weiteren Eingaben zu.

 Ich grüble ein wenig, wie ich es schaffen könnte, ins Navi „Nürnberg“ einzugeben.

 Nach einigem Hin und Her stelle ich fest, dass ich, wenn ich vorher auf „ß“ tippe, auch Umlaute bekomme.

 Also kann ich nun Nürnberg eingeben! Diese Technik! Toll!

 Eine Damenstimme gibt mir anschließend wertvolle Hinweise, wie ich schnell nach Nürnberg komme. Das ist einfach super!

 Schon nach wenigen Minuten sagt die freundliche Dame: „Jetzt links abbiegen!“

 Das Schild, dem ich dann folgen müsste, ist blau. Da steht groß „Nürnberg“ drauf.

 Ich stehe also vor der Autobahnauffahrt, die mich nach Nürnberg führen soll.

 Es ist die genau Auffahrt, die ich vor zehn Minuten heruntergefahren bin.

 Also weigere ich mich, den Anweisungen der Dame weiter zu folgen.

 Zwischendurch schaue ich auf die Uhr. Es ist jetzt 8:30 Uhr. Normalerweise wäre ich bereits am Ziel.

 Ich entscheide mich dafür, „blind“ von der Autobahn wegzufahren, damit die Dame mir einen neuen Weg weisen kann.

 Die Landschaft ist wunderschön, ich lerne hübsche alte Dörfer kennen, geradezu traumhaft!

 Nachdem ich das Gefühl hatte, weit genug von der Autobahn weg zu sein, nehme ich die Anweisungen der Dame wieder ernst.

 Es dauert eine Zeit lang, dann stehe ich wieder an derselben Autobahnauffahrt Richtung Nürnberg. Pech!

 Spontan entschließe ich mich in die Niederungen der Navi-Programmierung vorzudringen.

 Tatsächlich finde ich in einem Menü einen Punkt, der – wie es aussieht – Autobahnstrecken generell ausschließt!

 Freudig klicke ich das an und schaue erneut auf die Uhr. Es ist nun fast Neun.

 Entspannt folge ich wieder den Anweisungen der Dame, fest überzeugt, die vierzig Kilometer in einer Stunde zu schaffen.

 Nach kurzer Zeit werde ich jedoch stutzig. Die Dame führt mich wieder in Richtung Autobahn!

 In einem Dorf halte ich an und frage eine Passantin nach dem Weg.

 Sie deutet mal in diese, dann in jene Richtung, nennt irgendwelche kryptischen Ortsnamen, wo ich abbiegen soll und scheint sich sehr über das Gespräch zu freuen.

 Ich fahre also entspannt weiter, nachdem mir eine lebendige Person qualifiziert den Weg gewiesen hatte.

 Nach einiger Zeit stehe ich mitten in der Prärie und kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass die vor mir liegenden Feldwege nach Nürnberg führen sollen.

 Zum Glück entdecke ich eine weitere Dame, die ihre Hunde in dieser Ödnis spazieren führt.

 Gleich spreche ich sie an und frage nach dem rechten Weg.

 Sie deutet auf die Abzweigung nach rechts und redet davon, dass ich dann bald auf die B14 kommen müsste!

 Ich bin begeistert, die B14! Das sagt mir was. Auf der B14 bin ich schon als junger Mann in den Urlaub bis nach Cham gefahren!

 Es ist inzwischen zwar fast 9:30 Uhr, aber auf der B14 werde ich wohl zügig vorankommen.

 Tatsächlich stoße ich bald darauf auf eine Bundesstraße, allerdings ohne einen Wegweiser zu entdecken.

 Zügig biege ich gefühlsmäßig links ab und gebe ordentlich Gas.

 Aber irgendetwas ist komisch. Die seltsamen Lichtverhältnisse irritieren mich irgendwie.

 Ich rekapitulierte: Wenn du nach Osten willst und am Vormittag die Sonne im Rücken hast, kann möglicherweise etwas nicht stimmen.

 Bald darauf wird mein Verdacht erhärtet. Ich sehe ein Schild mit der Aufschrift Ansbach. Das stört mich erst mal nicht.

 Allerdings fällt mir auch auf, dass der Name Stuttgart auf dem dämlichen Schild zu lesen ist.

 Das stimmt mich nun überaus besorgt und ich beschließe insgeheim, der Dame im Navi wieder Gehör zu schenken.

 Dies nimmt sie erfreut zu Kenntnis und weist mich an, links abzubiegen.

 Unkritisch folge ich dieser Aufforderung und befinde mich schon fünf Minuten später wieder in der freien Natur, wo alles blüht und keinerlei Straßenlärm zu hören ist.

 Dies veranlasst mich zu einem weiteren Stopp, den ich für gründliches Nachdenken nutze.

 Ich komme zu der Erkenntnis, dass ich wohl auf der B14 war, aber mutmaßlich in der falschen Richtung.

 Da die Zeit so langsam knapp wird, beschließe ich nunmehr zurückzufahren und nach rechts auf die Bundesstraße abzubiegen.

 Es ereignet sich ein Wunder: Als ich wieder an der Straße ankomme, gibt es unmissverständliche Schilder, die rechts nach Nürnberg weisen!

 Jetzt aber Gas! Ich habe nur noch knapp dreißig Minuten für etwa dreißig Kilometer.

 Aber ab jetzt läuft es wie geschmiert. Die Straße ist gut ausgebaut und weitgehend frei.

 Plötzlich erstarre ich innerlich. Da war doch gerade „Heilbronn“ angeschrieben! Genau in meiner Richtung!

 Ängstlich will ich die Dame im Navi wieder zu Wort kommen lassen. Aber die sagt nur: „Sie überschreiten die zulässige Geschwindigkeit.“

 Ich weigere mich innerlich, vom eingeschlagenen Kurs abzuweichen. Noch ein Experiment und mein Zeitkonto wäre endgültig geplatzt!

 Zweifelnd fahre ich also mit Vollgas weiter und werde reich belohnt!

 Denn der nächste Ort ist „Heilsbronn“ und eindeutige Schilder weisen nach vorne: Nürnberg! Nur noch zwanzig Kilometer!

 Die nächsten fünfzehn Kilometer „fresse“ ich geradezu, bis nach einer Kuppe, unmittelbar vor einem Ort, plötzlich ein stehender Lastwagen vor mir auftaucht.

 Ich gehe vom Gas und muss durch die Tatsache, dass der Lastwagen steht, ebenfalls anhalten.

 Das passt mir im Moment überhaupt nicht in den Kram. Standzeiten kann ich mir nicht leisten.

 Ich spekuliere auf eine Ampel, die in der nahen Ortschaft von einem unwissenden oder unbedachten Fußgänger auf Rot gestellt wurde.

 Tatsächlich, nach wenigen Minuten geht es weiter!

 Allerdings gibt es nach kurzer Zeit wieder einen Stopp. Dem Navi kann ich sofort entnehmen, dass ich genau zweihundert Meter zurückgelegt habe.

 Das, so meine Erkenntnis, ist nicht besonders viel. Ich fluche: „Diese scheiß Fußgänger!“

 Endlich, nach gut zehn Minuten, gelingt es mir, die Ampel im Ort zu passieren.

 Aber ein Blick auf die Uhr zeigt mir, dass es nun höllisch knapp wird. Nun darf nichts mehr dazwischenkommen!

 Ich drücke aufs Gas und ignoriere den sich widerholenden Kommentar der Navi-Dame: „Sie überschreiten die zulässige Geschwindigkeit!“

 Innerlich bin ich nun etwas gereizt, denn statt mir den richtigen Weg zu weisen, kommt sie mir seit einiger Zeit ständig mit diesem Spruch!

 Daher kann ich mir einen kleinen Fluch nicht verkneifen. Ich muss gestehen, dass mir auch ein „Halt die Schnauze“ über die Lippen kam.

 Das „Überschreiten der zulässigen Geschwindigkeit“ findet schnell sein Ende.

 Bereits am Ortsausgang stehe ich wieder hinter dem Lastwagen, der sich weigert, auch nur einen einzigen Millimeter vorzurücken.

 Im Gegenteil, der Fahrer steigt aus und schaut sich gelassen die Gegend an. So ein Volldepp!

 Dieses unerhörte Verhalten macht mich unglaublich nervös, denn es ist bereits 9:50 Uhr.

 Nach fünf Minuten steigt der Lkw-Fahrer wieder ein und braust los, ich wie eine Klette hinterher.

 Kurz darauf kommt es erneut zum Stopp, wieder zeigt das Navi gefahrene zweihundert Meter an.

 Nun ist allerdings meine Sicht nach vorne etwas besser, ich erkenne eine Fahrzeugschlange, die erst am Horizont endet.

 Wiederum nach fünf Minuten geht es weiter, ebenfalls zweihundert Meter. Nun ist es genau zehn Uhr. Die Besprechung beginnt ohne mich.

 Da ich mich bereits nah an meinem Ziel wähne, beiße ich die Zähne zusammen und hoffe das Beste.

 Das Beste trifft nicht ein. Im Gegenteil, die Wartezeiten zwischen den Zweihundert-Meter-Sprints verlängern sich zusehends.

 Um 10:15 Uhr beschließe ich „Meldung“ zu machen und ziehe mein frisch geladenes Handy aus der Tasche.

 Irgendwie bin ich in dem Moment sogar zufrieden, denn bisher habe ich das Handy nie gebraucht und nun hat es einen echten Nutzen!

 Ich beschließe, in der Zentrale in München anzurufen, da ich die Handynummer des Kollegen, der sicher bereits vor Ort ist, nicht im Kopf habe.

 Mutig drücke ich auf den Knopf, der das Handy zum Leben erweckt.

 Das Handy will aber nicht erwachen, das Display bleibt dunkel.

 Ich versuche es gleich noch mehrmals. Mit demselben Erfolg. Nicht das kleinste Lichtlein geht an.

 Dann muss ich die Aktion unterbrechen, denn die Fahrzeugkolonne bewegt sich wieder. Exakt um weitere zweihundert Meter.

 Nun beginne ich wieder zu rechnen. Zweihundert Meter in fünf Minuten, bedeutet ein Kilometer in fünfundzwanzig Minuten.

 Ich bin fest davon überzeugt, nur noch knapp zwei Kilometer vor mir zu haben. Ich könnte es also noch vor dem Ende der Besprechung schaffen!

 Nach einem weiteren Fehlversuch mit meinem Handy gebe ich auf und überlege, ob ich das Ding in den angrenzenden Wald schmeißen soll.

 Das unterlasse ich dann allerdings, der Umwelt zuliebe.

 So entschließe ich mich, am Wagen hinter mir zaghaft an die Scheibe zu klopfen und nach einem funktionierenden Handy zu fragen.

 Der Mann ist sehr freundlich und lässt mich gratis telefonieren. Es gibt eben noch gute Menschen!

 In München gebe ich Bescheid, dass ich etwas später komme und bitte um Weiterleitung der Information.

 Nun bin ich wieder etwas beruhigt, allerdings bewegen sich die Zeiger der Uhr in Richtung 10:45 Uhr.

 Eine knappe Viertelstunde später wird mir endgültig klar, dass meine letzte Rechnung auch nicht aufgehen wird.

 Noch bin ich nicht einmal in Stein angekommen und ich muss ja weiter nach Langwasser.

 Ziemlich genau um 11:30 Uhr habe ich Stein durchquert und der Verkehr läuft wieder besser.

 Die Dame am Navi gibt nun wieder ihre Anweisungen. Ich schöpfe Hoffnung.

 „In hundert Metern rechts abbiegen“, sagt sie und ich bereite mich psychisch auf den Kurswechsel vor und gehe vom Gas.

 „In fünfzig Metern rechts abbiegen, In zehn Metern rechts abbiegen, jetzt rechts abbiegen!“

 Ich biege kurz entschlossen rechts ab. Es ist eine Autobahnauffahrt. Das irritiert mich etwas.

 Auch die Dame im Navi scheint irritiert. Sie hat vermutlich nun endgültig begriffen, dass ich keine Autobahnstrecke fahren will.

 Aber sie spricht mir Mut zu und sagt – etwas zögerlich: „Fahren Sie auf die Autobahn auf“.

 Das hätte sie sich sparen können, denn ich hatte ja gar keine andere Wahl mehr.

 Aber dann tröstet sie mich. „Die Route wird neu berechnet“, sagte sie mit Überzeugung im Ton.

 So kann ich wieder ein Stück Autobahn genießen, der Verkehr ist gering und es herrscht strahlendes Wetter!

 Einzig die Richtung scheint mir seltsam, denn ich habe wieder die Sonne im Rücken.

 Allerdings ist ja bald Mittag – das muss man als Pfadfinder ja bedenken – ich fahre also in nordöstlicher Richtung.

 Ich greife nach einer Zigarette und stelle fest, dass die Packung – gedacht für den ganzen Tag – fast leer ist.

 Ein Unglück kommt eben selten allein!

 Nun zieht allerdings die Dame im Navi alle Register, leitet mich wieder runter von der Autobahn und weist mir in der Folge präzise den Weg.

 Bereit fünf Minuten später sehe ich ein Schild, das in Richtung „Bayerncenter“ weist.

 Das ist fantastisch, denn die Information, dass ich irgendwie in die Nähe des Bayerncenters muss, liegt mir vor!

 Kurz darauf sehe ich sogar ein Schild mit dem Aufdruck „Leipziger Straße“. Eine Zentnerlast fällt von meinen Schultern.

 Die Leipziger Straße ist vierspurig und man kann nicht beliebig wenden. Ich komme natürlich aus der „falschen“ Richtung.

 Trotzdem fahre ich die Straße mutig und flott entlang. Die Navi-Dame kritisiert wiederholt mein Tempo.

 Und schließlich teilt sie mir resigniert mit: „Bitte kehren sie um.“

 Das war zwar nicht einfach, sogar ein wenig gefährlich, aber ich musste ja um jeden Preis auf die Gegenfahrbahn kommen!

 Es gelingt! Die paar hupenden A…löcher, denen ich flink den Weg abschneide, ignoriere ich weltmännisch.

 Ein paar Schweißtropfen perlen mir von der Stirn und benetzen Hemd und Krawatte. Hoffentlich gibt das keine Flecken!

 Nun ist die Dame vom Navi wieder am Zug. Sie weist mich an, rechts abzubiegen, und verkündet, dass ich bald mein Ziel erreiche.

 Einige Sekunden später macht sie ihre Ankündigung wahr: „Sie haben ihr Ziel erreicht“, lügt sie mich rotzfrech an.

 Ich spähe aus dem Autofenster, um die Aussage zu kontrollieren und halte Ausschau nach einem adäquaten Firmenschild.

 Weit und breit kann ich kein derartiges Schild erspähen.

 Was mich zusätzlich stutzig macht, ist die Tatsache, dass ich die Hausnummer 399 an einem der Gebäude entdecke.

 Das ist erschreckend, denn ich muss ja zur 149.

 Nun ist guter Rat teuer, denn ich müsste wieder auf die Gegenfahrbahn und wieder zurückfahren.

 Da ich ein wenig ängstlich bin, verwerfe ich diesen Plan, bevor er richtig ausgearbeitet ist.

 Mein Hemd ist inzwischen durchgeschwitzt und die Uhr zeigt 11:45.

 Hoffentlich schaffe ich es noch bis zum Mittagessen! Ich hatte ja aufs Frühstück verzichtet.

 Ich ringe mich durch, zum Bayerncenter zu fahren, um dort zu parken und den Rest des Weges zu Fuß zurückzulegen.

 Nach zweimaligem Umkreisen des Centers finde ich endlich das Loch, das zu den Parkdecks führt.

 Erleichtert stelle ich meinen Wagen dort ab und schaue mich um.

 Da sehe ich einen Mann, der gerade in sein Auto steigen möchte.

 Rasch renne ich hin und frage ihn nach der Firma Protima. Der Mann schaut irritiert. Man könnte meinen, er hat keine Ahnung.

 Allerdings behauptet er steif und fest sich auszukennen. Das jagt mir einige Angstschauer über den Rücken.

 Ich wiederhole meine Frage und versuche dabei, das Wort „B r r o o d ü m a“ besonders klar und deutlich in echtem Einheimisch auszusprechen.

 Der Mann schüttelt den Kopf: „Kenn‘ ich nicht!“

 Dümmlich frage ich nochmals nach: „Aber Sie kennen sich schon aus?“

 Der Mann ist etwas düpiert: „Sage ich doch!“

 Das ist echt ein Hammer. Ich muss in einer völlig falschen Stadt gelandet sein!

 Protima ist ein Laden mit bald 1000 Mitarbeitern. Frage mal jemand in München, der sich auskennt, ob er weiß, wo „Siemens“ ist!

 Der Mann muss mir meine Verzweiflung angesehen haben, denn nun spüre ich sein tiefes Mitgefühl.

 Schließlich weicht der Schock und ich komme wieder zur Besinnung.

 Eine knappe Million Gedanken schiesst mir durch den Kopf. Ganz sachlich resümiere ich schließlich, was ich weiß.

 Ich muss nach Nürnberg-Langwasser, Leipziger Str. 149, ganz in die Nähe vom Bayerncenter.

 Dass ich irgendwie in der Gegend um Nürnberg bin, da bin ich mir fast noch sicher!

 Sollte es also in oder um Nürnberg zwei Leipziger Straßen und zwei Bayerncenter geben?

 Eigentlich ausgeschlossen, aber wer kennt schon wirklich die geheimen Gedanken der Franken?

 Plötzlich durchzuckt es mich wie ein Blitz: „Melzer“, stoße ich erregt hervor, „kennen Sie die Firma Melzer?“

 Der Mann lächelt überheblich: „Natürlich, kennt doch jedes Kind hier!“

 Ich atme tief durch. Der alte Name von Protima hat den Durchbruch gebracht! Jetzt konnte wirklich nichts mehr schief gehen!

 „Bitte“, flehe ich den Mann an, sagen Sie mir nur die Himmelsrichtung, wo ich hin muss. Dann finde ich es schon!

 Der Mann schaut mich mitleidig an: „Da müssen Sie wieder aus der Garage rausfahren, zu Fuß ist das zu weit!“

 Ich erstarre innerlich. Nichts auf dieser Welt würde mich dazu bringen, diesen sicheren Parkplatz zu räumen!

 „Egal“, entgegne ich daher trotzig, „auch wenn es hundert Kilometer sind!“

 Das Mitgefühl des Mannes nimmt zu, als ich meine bisherige Odyssee ansatzweise erläutere.

 „Kommen Sie“, sagte er deshalb, „ich nehme Sie ein Stück weit mit. Ich muss sowieso in diese Richtung!“

 Erleichtert steige ich zu dem Mann in sein voll klimatisiertes Oberklassefahrzeug. Eine echte Wohltat!

 Ich grüble etwas darüber nach, ob der Mann mich wohl auch mitgenommen hätte, wenn ich ohne Anzug und Krawatte bei ihm aufgetaucht wäre.

 Kurze Zeit später fordert er mich an einer Ampel auf, auszusteigen und deutet in südliche Richtung: „Da hinten der Riesenbau!“

 Ich bedanke mich herzlich, während ich mich beeile auszusteigen, bevor die Ampel wieder auf Grün springt.

 Meine Aktentasche mit den Unterlagen lasse ich in der Eile in dem fremden Fahrzeug zurück.

 Es wird grün, der Mann fährt los und ich winke ihm dankbar zu.

 Dann wende ich mich in die gezeigte Richtung und marschiere freudig los.

 Nur noch wenige Minuten, dann bin ich angekommen. Die Uhr steht knapp vor Zwölf.

 Ich bin erstaunlich leichtfüßig, denn die Aktentasche ist normalerweise recht schwer.

 Aktentasche? Gerade als ich bei der Anmeldung ankomme, stelle ich den Verlust fest.

 Die Dame in der Anmeldung weist mir gütig den richtigen Weg: „Achter Stock, Besprechungszimmer Controlling!“

 Dankbar nehme ich ihre Information auf und schleppe mich die Treppen hoch. Von einem Aufzug hatte die Dame ja nichts gesagt.

 Als ich oben bin, muss ich feststellen, dass mein Hemd ein nasser Lappen ist und ich ein psychisches Wrack.

 Mutig klopfe ich beim „Besprechungszimmer Controlling“ und vernehme ein freundliches „Herein“.

 Da sitzen ein paar Leute beisammen, von denen ich niemand kenne.

 Ich schaue mich um und stelle dann heiter die entscheidende Frage: „Was gibt'‘s denn heute zum Essen?“

 Die anwesenden Menschen freuen sich über die Möglichkeit, so leicht eine klare Antwort geben zu können: „Omelett mit Pilzrahmsoße und jungen Kartoffeln!“

 Das war der erste und somit natürlich der entscheidende Schritt zu einer erfolgreichen Zusammenarbeit mit Protima!

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