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2.

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Ihre eigene Unentschiedenheit war das Schlimmste, fand Grimhild. Sie saß allein in der Großen Halle und wusste nicht, was sie tun sollte. Je länger sie die Flasche der Seherin auf dem Tisch ansah, desto monströser schien ihr der Plan. Gestern war sie erst spät von Thiota zurückgekehrt und hatte keine Gelegenheit gefunden, Sigfrid den Trank zu verabreichen – nein, das stimmte nicht. Sie hatte gezögert. Sie hatte nicht den Mut aufgebracht. Es war erdmegin in dem Trank!

Ein Wiehern unterbrach Grimhilds Grübeleien. Sie stürzte ans Fenster. Ihr Herz krampfte sich zusammen, als sie sah, wie Ivo die Pferde der Gäste aus dem Stall führte. Sigfrid bedachte ihn mit seinem typischen Lachen, und etwas zerriss in ihr. Sie konnte es nicht ertragen, dass er für immer aus ihrem Leben verschwand. Hastig riss sie den Verschluss von der Flasche und schüttete die farblose Essenz in einen Becher. Dann eilte sie zu einer Amphore und goss vom besten Wein dazu. Prüfend roch sie daran, konnte jedoch keinen anderen Geruch als den von Wein feststellen. Gut! In der Tür stieß sie mit Sigfrid zusammen und ließ dabei um ein Haar den Becher fallen.

»Verzeiht, frūa«, sagte der Sachse höflich, »ich dachte, Euer Bruder wäre hier. Ich möchte mich von ihm verabschieden.«

Grimhild schluckte. Ihre Kehle war trocken. »Ihr wollt uns wirklich schon verlassen?«, fragte sie und legte so viel Wärme in ihre Stimme, wie sie nur konnte. Vielleicht gab es eine andere Möglichkeit, ihn zurückzuhalten. Vielleicht genügte ihr natürlicher Zauber, um seinen Sinn zu ändern.

»Eure Gastfreundschaft war ohnegleichen, aber ich muss fort.«

Immer noch schreckte sie vor der Entscheidung, die ihre und seine Zukunft unwiderruflich festlegen würde, zurück, doch der Kampf in ihrem Inneren dauerte nur einen Herzschlag, dann trug ihr Verlangen den Sieg davon. »Wenn es sich denn gar nicht vermeiden lässt, so nehmt wenigstens diesen Abschiedstrunk von mir.« Ihre Hand zitterte, aber nur ein wenig, und sie verschüttete keinen Tropfen, als sie ihm den Becher reichte. Ihr Herz setzte aus, als Sigfrid daran roch.

»Eure Weine sind gut«, sagte er.

Grimhild hielt die Spannung kaum aus. Wenn er nicht gleich trank, würde sie sich durch ihre Nervosität verraten!

Er hob den Becher. »År ok friðr!«, sagte er und trank.

Gute Ernte und Frieden. Grimhild war nicht sicher, ob das, was sie mit ihrem Liebestrank gesät hatte, eine gute Ernte eintragen würde, geschweige denn Frieden. Aber sie hatte ihre Wahl getroffen, und nun war es zu spät, irgendetwas rückgängig machen zu wollen. Angespannt beobachtete sie den Sachsen und suchte nach einem Zeichen, dass er sich veränderte.

Sigfrid setzte den Becher ab. »Nun muss ich wirklich gehen. Ich sehne mich nach …« Seine Augen verschleierten sich. »Nach … meiner Sippe«, sagte er schleppend. Da war noch etwas gewesen. Etwas Wichtiges. »Sippe«, wiederholte er benommen. Das Denken fiel ihm schwer. Immer, wenn er versuchte, sich auf etwas zu konzentrieren, wirbelten bunte Kreise vor seinen Augen. Ein schemenhaftes Gesicht. Braune Augen, schwarzes Haar, der Geruch von Kiefernharz. Er zog die Stirn in Falten. Seine Gedanken waren wie aufgeweicht, zäh und klebrig. »Sippe«, rief er sich in Erinnerung, aber er kam über das eine Wort nicht hinaus. »Ich werde langsam alt«, sagte er.

Dann blickte er auf.

Zum ersten Mal, schien ihm, sah er Grimhild wirklich. Er kniff die Augen zusammen, um nicht von der strahlenden Helle ihres silberblonden Haares geblendet zu werden. Wie kam es nur, dass er sie nie richtig betrachtet hatte? Ihre Lippen weckten in ihm den Wunsch, sie zu küssen, ihre Augen brachten seine Knie zum Zittern. In seinem ganzen Leben hatte er sich noch keinem Menschen so verbunden gefühlt.

Grimhild verbarg ihre Unsicherheit hinter einem Lächeln. Wirkte der Trank? Das unangenehme Schweigen dehnte sich bis in die Unendlichkeit. Mit jedem Wimpernschlag wurde die Stille bedeutungsvoller. Um Zeit zu gewinnen, leckte sie sich über die Lippen und suchte nach Worten. »Geht es Euch gut?«

»Gut?« Verständnislos sah er sie an. Was konnte er sagen? Wie ihr erklären, was er fühlte? Die Worte in seinem Kopf waren widerspenstig, und als er schließlich sprach, bewegte sich seine Zunge unbeholfen, als sei er betrunken. »Ihr seid … außergewöhnlich schön.«

Es tat körperlich weh, als sie die Anspannung losließ, die ihr bis eben den Atem abgeschnürt hatte. Jetzt war sie sicher, dass das Mittel wirkte. »Ich danke Euch, frō Sigfrid. Es ist sehr freundlich von Euch, mich zu bemerken.« Sie befand sich wieder auf sicherem Boden. Um das Feuer entflammter Männer in Gang zu halten, brauchte sie keine Seherin. Auf die Kunst, mit Blicken und Gesten eine Fessel aus Hoffnung und Verlangen zu erschaffen, verstand sie sich.

»Bemerken? Ich kann an nichts anderes denken als an Euch.«

Grimhild erschauerte über die Wahrheit, die absichtslos in seinen Worten lag. Aber es war ein wohliger Schauer. Nein, sie bereute nichts. Was sie getan hatte, war nicht recht, aber sie würde es jederzeit wieder tun, nur um von seinen Augen auf diese Weise angesehen zu werden. Sein Blick gab ihr das Gefühl, einzigartig zu sein. »Ich sehe es gern, wenn Ihr mich bemerkt«, hauchte sie und trat an ihn heran. Die Macht seiner Nähe war überwältigend. »Auch meine Gedanken sind nicht mehr frei, seit ich Euch sah.«

Sie hatte noch so viel mehr sagen wollen, doch in diesem Moment kam Gunter herein. »Ah, hier seid Ihr!«, rief er aus. »Ich höre, Ihr wollt uns verlassen?«

»Verlassen?«, echote Sigfrid, und wieder fiel es ihm schwer, seine Gedanken zu ordnen. »Nein, warum?«

Jetzt war es an Gunter, verwirrt zu sein. »Aber Euer Gefolgsmann sagte … Nun, dann muss ich ihn falsch verstanden haben. Umso besser. Es täte mir leid, Euch so schnell wieder zu verlieren.«

»Ich würde gern Mittsommer mit Euch feiern«, sagte Sigfrid und gab sich alle Mühe, Grimhild dabei nicht anzusehen.

»Das freut mich.« Gunter betrachtete den Sachsen nachdenklich. »Sagt, frō Sigfrid, Ihr seid doch viel herumgekommen, trotz Eurer jungen Jahre … ich wollte Euch fragen … meine Sippe setzt mir zu, dass ich mich endlich verheirate und einen Nachkommen zeuge. Nun bin ich in der glücklichen Lage, auf kein Bündnis angewiesen zu sein, kann also frei wählen. Und eben das erschwert die Angelegenheit. Wisst Ihr nicht eine Frau für mich?«

Braune Augen, Kiefernharz. »Es gibt da eine Königin in Svawenland, die schönste, die ich je sah«, entfuhr es Sigfrid. »Und nicht nur ihre Schönheit, auch ihr Verstand und ihr Mut sind ohnegleichen. Brünhild, die Herrin von Burg Seegard, ist eines Königs würdig.«

Grimhild erbleichte. Das war sie, daran gab es keinen Zweifel! Ängstlich beobachtete sie Sigfrid. Was empfand er jetzt? Konnte sie bereits gegen das schwächer werdende Bild in seiner Seele bestehen? Zeit! Sie brauchte Zeit! »Du solltest frō Sigfrid nicht mit deinen Sorgen behelligen«, wies sie ihren Bruder zurecht. Und an den Sachsen gewandt: »Mir scheint, Euer Gefolgsmann wartet auf Euch.«

Sigfrid sah aus dem Fenster. Ein Ausdruck von Überraschung trat auf sein Gesicht. »Er hat die Pferde bei sich. Gab ich ihm den Befehl dazu?« Verwirrt eilte er hinaus.

Grimhild folgte ihm. In der Tür hielt sie noch einmal inne. »Sigfrid wäre ein guter Verbündeter, nicht wahr?« Und ehe ihr Bruder antworten konnte, war sie verschwunden.

Krähen über Niflungenland

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