Читать книгу Krähen über Niflungenland - Gunnar Kunz - Страница 15
4.
ОглавлениеAxtschläge wiesen Grimhild den Weg. Mit wehenden Haaren stürzte sie in die Baracke, in der die Niflungen das Feuerholz zum Trocknen lagerten. Dort fand sie ihren Lieblingsbruder beim Holzspalten. »Gislher«, rief sie, »ist dir etwas passiert?« Und ohne eine Antwort abzuwarten, fiel sie ihm um den Hals und fing an zu schluchzen.
Gislher hatte sein lebensgefährliches Abenteuer schon halb vergessen. Seine Gedanken kreisten um andere Dinge. Übermorgen, am Abend vor Mittsommer, würde wie alle Jahre das Sonnenwendfeuer entzündet werden, ein Riesenspaß! Jeder musste seinen Teil dazu beitragen, um die Götter versöhnlich zu stimmen, deshalb schlug er Feuerholz. Grimhilds Gefühlsausbruch überrumpelte ihn. Er legte die Axt beiseite und hielt seine Schwester fest. »Ist ja alles in Ordnung«, beruhigte er sie und kam sich sehr erwachsen dabei vor.
Grimhild rang um Beherrschung. »Ich bin so froh, dass du lebst!«, sagte sie und fing vor Erleichterung wieder an zu schluchzen. Schließlich wischte sie die Tränen fort und nahm ihren Bruder in Augenschein, um sicherzugehen, dass ihm auch wirklich nichts fehlte. Sie zauste ihm das Haar, eine Angewohnheit, die sie von ihrer Mutter hatte und die Gislher zutiefst verabscheute, aber angesichts ihrer rührenden Besorgtheit verbiss er sich eine Unmutsäußerung. »Hattest du keine Angst?«, wollte sie wissen.
»Überhaupt nicht.«
Sie sah ihn prüfend an, und nach einer Weile senkte er den Blick. Sie bemühte sich, ein Lächeln zu unterdrücken.
»Ich verdanke Sigfrid und Hagen mein Leben«, sagte er, um sie abzulenken. »Ich war eingeklemmt, und ein brennender Baum drohte auf mich zu stürzen. Sigfrid hatte überhaupt keine Angst, sich Wodan entgegenzustellen.«
Rote Flecken breiteten sich auf ihren Wangen aus, als ihr klar wurde, wie nahe er dem Tod wirklich gewesen war. Und Sigfrid, ihr Sigfrid hatte ihn gerettet! »Würdest du es begrüßen, wenn Jungherr Sigfrid für immer zu uns gehören würde?«, fragte sie.
Gislher bekam große Augen. »Er will hierbleiben?«
»Es könnte sein.«
»Aber er ist der Sohn des Königs von Tarlungenland. Er wird nicht Gunters Gefolgsmann werden wollen.«
Grimhild setzte eine verschwörerische Miene auf. »Was ich jetzt sage, muss unter uns bleiben. Es könnte sein … versteh mich recht, ich bin nicht sicher, aber … es könnte sein, dass Sigfrid mich bei Gunter zur Frau erbittet.«
»Wärst du froh darüber?«
Sie nickte zurückhaltend.
»Dann wären wir von einer Sippe!«, rief Gislher aus. »Vielleicht könnte Sigfrid mir beibringen, so gut mit dem Schwert zu sein wie er.«
Grimhild dämpfte seine Begeisterung. »Ich weiß nicht, wie Gunter darüber denkt. Vielleicht hält er Sigfrid nicht für würdig, um mich zu werben. Vielleicht hat er andere Pläne mit mir.« Obwohl sie kaum glaubte, dass ihr Bruder ihr einen Mann aufzwingen würde, und obwohl sie nicht vorhatte, es widerspruchslos hinzunehmen, falls er dergleichen plante, bestand selbstredend die Möglichkeit, dass er sie aufgrund einer politischen Überlegung jemand anderem geben wollte.
Gislher legte ihr die Hand auf den Arm. »Überlass das mir! Ich rede mit Gunter.« Sie setzte zu einer Erwiderung an, doch er ließ sie nicht zu Wort kommen. »Sieh mich nicht so an, Schmiedeauge! Du kannst unbesorgt sein, ich werde ihm von unserem Gespräch nichts sagen. Ich werde bloß erwähnen, wie gut es wäre, jemanden wie Sigfrid zum Verbündeten zu haben.«
Grimhild gab ihm einen Kuss. »Danke. Jetzt ist mein Herz wieder ruhig.« Noch einmal überzeugte sie sich, dass er auch wirklich keine Verletzung davongetragen hatte, dann ging sie zur Tür.
Gislher nahm seine Axt wieder auf, doch es lag ihm noch etwas auf der Seele. Er konnte nicht besonders gut lügen, und am allerwenigsten wollte er seine geliebte Schwester anschwindeln. »Grimhild!«, rief er ihr nach.
Sie drehte sich um.
»Ein ganz kleines bisschen habe ich schon Angst gehabt.«
Sie lächelte.
»Nur ein ganz kleines bisschen.«