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5.

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Sigfrid hatte den Stallburschen fortgeschickt und sich eigenhändig um sein Pferd gekümmert. Nun, da Grane versorgt war, holte der Sachse sein Amulett hervor und betrachtete es nachdenklich. Er konnte die Kraft fühlen, die ihm entströmte. Es war aus geschmiedetem Eisen, erdmegin floss darin. Hatte Wodan sie wegen des Schutzzaubers verschont?

Sigfrid war immer sicher gewesen, dass ihm alles im Leben gelingen würde. Wenn der Ase die schützende Hand über seine Sippe hielt, was brauchte er da zu fürchten? War sein Vater ihm nicht leibhaftig begegnet, damals, bei der Entscheidungsschlacht gegen einen feindlichen Sachsenkönig um den Besitz von Tarlungenland? Ein Fremder erschien plötzlich auf dem Schlachtfeld, so pflegte Sigmund zu erzählen, und ging furchtlos mitten durch die Krieger, ohne sich um Äxte oder Schwerter zu kümmern. Er war einäugig – jedermann wusste, dass Wodan ein Auge hingegeben hatte, um Weisheit aus dem Mimirsbrunnen zu erlangen – und wurde von zwei Raben und zwei Wölfen begleitet. Als der Sachsenkönig nach dem Ger schlug, den der Fremde gegen ihn hob, zerbrach sein Schwert in zwei Stücke. Da wich das Heil von ihm, und das Schlachtenglück wandte sich. Der König erlitt eine schmachvolle Niederlage und starb auf dem Schlachtfeld. Als Sigmund demütig vor dem Einäugigen niederkniete, hängte der ihm ein Amulett mit der Wodansrune um den Hals. Und Sigmund wusste, das Heil des Asen ward ihm gegeben.

Das Knarren der Tür kündigte Besuch an. Hastig steckte Sigfrid das Amulett wieder ein, als hätte er etwas Verbotenes getan.

Grimhild kam herein. Der Anblick des Sachsen machte sie befangen. Ihr Herz klopfte, ihre Knie zitterten. Es war nicht gerecht, dass ein Mann so etwas in ihr auslösen konnte! »Ich … ich möchte Euch für die Rettung meines Bruders danken, frō Sigfrid«, stotterte sie. »Er ist mir das Liebste auf der Welt. Wenn ihm etwas geschehen wäre …«

Auch Sigfrid war verlegen. Wie sie so dastand, mit vor Erregung geröteten Wangen und einer Brust, die sich aufgeregt hob und senkte, verspürte er den Wunsch, loszureiten und Heldentaten für sie zu vollbringen, um den Ausdruck von Dankbarkeit, mit dem sie ihn bedachte, ewig auf ihrem Gesicht zu halten. »Ich habe es nicht allein getan«, stammelte er. »Ohne Euren Waffenmeister wäre ich zu spät gekommen.«

»Ich … möchte Euch trotzdem danken.« Sie gab ihm einen Kuss auf die verhornte Wange. Ungerufen drängte sich die erregende Vorstellung, wie seine raue Haut über ihre glitt, in ihre Gedanken. Sie wurde rot und löste sich von ihm, ehe ihr Atem sie verraten konnte.

»Bleibt eine Weile, frūa!«, bat er. Seine Wange brannte, wo ihre Lippen ihn berührt hatten.

Unschlüssig wanderten ihre Augen zwischen ihm und der Stalltür hin und her. »Es ist nicht recht«, murmelte sie. »Wenn man uns sieht …«

Der Druck zu sagen, was er fühlte, wurde übermächtig. Impulsiv ergriff er ihre Hand. »Ich möchte Euch zum Weibe nehmen. Wenn … wenn Ihr mich haben wollt.«

Wenn sie ihn wollte? Grimhild konnte kaum einen klaren Gedanken fassen vor Glück. Er freite um sie! Ihr überstürzt ausgeführter Plan, geboren aus einer unverdauten Mischung aus Furcht und Sehnsucht, ging zu ihrer eigenen Überraschung auf! Sie musste zweimal schlucken, ehe sie antworten konnte. »Ich wäre mehr als erfreut.«

Jetzt jubelte er, ergriff sie bei der Taille und wirbelte sie herum, dass ihr schwindlig wurde und sie sich erschrocken an ihm festhielt. Es lag etwas Geborgenes darin, von seinen Armen umfangen zu werden. Sie wünschte, dieser Moment würde nie zu Ende gehen. »Hört auf, frō«, lachte sie, »Ihr dürft nicht …« Aber dann umschlang sie seinen Nacken und küsste ihn. Leidenschaftlich suchte sie seinen Mund und versank im Strudel der Gefühle.

Er war es, der im Ringen um Kontrolle den Kuss beendete. Verlegen standen sie sich gegenüber und vermieden es, sich anzusehen. »Ich gehe zu Eurem Bruder und bitte ihn, Euch mir zur Frau zu geben«, sagte er und war schon auf halbem Weg nach draußen, ehe sie ihn zurückhalten konnte.

»Nein!«

Verwirrt drehte er sich um. Frauen waren wie eine mehrfach verschlüsselte Zauberrune für ihn. Hatte er Grimhilds Kuss missverstanden?

Sie sah seine Enttäuschung. »Bitte, wartet noch! Nur ein oder zwei Nächte.« Wenn Sigfrid blind auf sein Ziel losstürmte, bestand die Gefahr, dass Gunter ablehnte. Sie brauchte ein wenig Zeit, um die Entscheidung ihres Bruders in ihrem Sinne zu beeinflussen. Sie wollte kein Risiko eingehen, nicht bei einer so wichtigen Sache. »Wartet bis nach dem Mittsommerfest!«

»Warum? Ich liebe Euch. Ihr liebt mich. Ich bin König Sigmunds Sohn und sicher in den Augen Eures Bruders würdig, Euch zur Frau zu bekommen.«

Verzweifelt strich sich Grimhild durchs Haar. Er hatte ja recht. Aber wenn nun etwas Unvorhergesehenes eintrat?

Ihre Geste ließ sein Herz schneller schlagen. Sie wusste nicht, was sie einem Mann antat, wenn sie mit dieser weiblichen Bewegung ihren Körper zur Geltung brachte. Es war ja gleichgültig, ob er nun heute um sie freite oder in zwei Nächten. Er wollte ihr gern jeden Wunsch erfüllen, allein für die Freude, sie lächeln zu sehen. »Also gut«, sagte er, »ich werde warten.«

Sie nickte dankbar. Oh, sie würde mit ihm glücklich werden, keine Frage! Er konnte Rücksicht nehmen, er war sanft und fröhlich und voller Wärme und –

Sie merkte, dass sie ins Schwärmen geriet und die Welt um sich herum vergaß, gab ihm einen flüchtigen Kuss und schlüpfte aus dem Stall, ehe sie von ihren Gefühlen überwältigt wurde.

Krähen über Niflungenland

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