Читать книгу Rosen für Theophanu. Braut Ottos II. - Kaiserin des Abendlandes - Gunter Krieger - Страница 10
4
ОглавлениеLudwig, genannt Lupus, war ein Wolfsjäger. Schon seine Vorfahren hatten diesen Beruf ausgeübt und zwar schon seit den Zeiten Karls des Großen, wie er behauptete. Trieb es ein Wolfsrudel in einer Gegend zu dreist, so schickten die um ihr Vieh besorgten Bauern nach ihm aus, und der Herbeigerufene befreite sie binnen weniger Tage von der Plage.
Die Bauern mochten Lupus gut leiden, auch wenn er zur Geschwätzigkeit neigte. Sein Alter ließ sich schlecht schätzen, aber vermutlich war er nicht älter als vierzig. Er war von robuster Gestalt und besaß ein wettergegerbtes, bartloses Gesicht, schütteres Haar und die wundersame Fähigkeit, immer genau dort aufzutauchen, wo es gerade etwas zu feiern gab. So erschien er im Sommer des Jahres 973 unversehens auf dem Hochzeitsfest des jungen Bauern Helmprecht.
Etwa zwanzig Gäste waren vor dem Hofgebäude unter freiem, sonnigem Himmel versammelt. In Grüppchen stand man beieinander, schwatzte, lachte und knabberte von dem duftenden Gebäck, das in Körben für die Feiernden bereitstand. Hühner stritten sich um die Krümel. Ein Bursche spielte auf einer Flöte. Bald wurde das Brautpaar von der vergnügten Gesellschaft zum Tanzen aufgefordert. Man bildete einen weiten Kreis um sie, klatschte in die Hände, rief ihnen ausgelassene Sprüche zu.
Helmprecht spürte erste Müdigkeit in seinen Beinen und wünschte sich im Stillen, die Gäste, die seine Braut und ihn unermüdlich hochleben ließen, würden schon nach Hause gehen. Noch vor dem ersten Hahnenschrei war er aufgestanden, um Arbeiten zu erledigen, die auch am Hochzeitstag nicht warten konnten. In Kürze stand die Ernte an. Mit der Hochzeit noch zu warten, war nicht in Frage gekommen, denn Hroswitha war schwanger. Zum Glück trug sie noch keinen Bauch vor sich her. Rasch hatte man also einen Hochzeitstermin anberaumt.
Als der tanzende Helmprecht den Wolfsjäger erblickte, der sich unter die Zuschauern gemischt hatte und gleichfalls eifrig in die Hände klatschte, sah er endlich einen Grund, den Tanz zu beenden. Er gab seiner Braut einen Kuss und ging dann hinüber zu dem Ankömmling. Die beiden Männer umarmten sich.
»Gratulation, mein Junge«, sagte Lupus mit einem Seitenblick auf die Braut. »Ich wusste ja gar nichts von deinem Glück!«
»Gewiss nicht. Kommst ganz zufällig vorbei, was? Aber da du schon hier bist – folge mir!«
Er führte ihn zu dem Tisch mit den Leckereien und sorgte dafür, dass man ihm einen Becher Wein brachte. Lupus langte zu. Viele der Gäste scharten sich um ihn in der Hoffnung, etwas Neues von dem Umherwandernden zu erfahren. Lupus war an die Neugier der Menschen gewöhnt und genoss es sichtlich, im Mittelpunkt des Interesses zu stehen. Zumal er diesmal eine Nachricht von immenser Tragweite im Gepäck hatte.
»Nun, Lupus, erzähl schon, was gibt’s Neues da draußen in der Welt?«, fragte einer von Helmprechts Nachbarn, ein Bauer mit dem Namen Drogo. Neben ihm stand seine Frau Ursel, an ihrer Hand ein etwa dreijähriger Knabe, der immerzu Grimassen schnitt.
»Ihr wisst es noch nicht?«, fragte Lupus leichthin und nippte an seinem Becher.
»Was denn?«, fragte Drogo.
»Der Kaiser ist tot!«
Einen Moment lang herrschte tiefes Schweigen. Nur wenige der Anwesenden konnten sich an die Zeit erinnern, da Otto der Große, Bezwinger der Ungarn und Träger der römischen Kaiserkrone, noch nicht regiert hatte.
»Kaiser tot, Kaiser tot«, trällerte Drogos kleiner Sohn Brun.
Kurze Zeit später hatten sich sämtliche Hochzeitsgäste lauschend um den Wolfsjäger geschart, dem man einen Hocker herbeigeschafft hatte. Lupus war in seinem Element und begann, weitschweifig zu erzählen. Wo seine Kenntnisse von den Begebenheiten lückenhaft waren, fabulierte er einfach. Das war besser, als in fragende Gesichter zu schauen.
So erfuhr man vom plötzlichen Tod des Kaisers in seiner Pfalz zu Memleben. In der Kapelle sei er beim Gebet zusammengebrochen, und ein Engel des Himmels sei den dort Anwesenden erschienen, um zu verkünden, dass der Schöpfer den Retter der Christenheit nunmehr in sein Reich berufen habe. Dann habe man die Seele des Kaisers in Gestalt eines weißen Vogels zum Himmel steigen sehen. Immerhin, so fuhr Lupus fort, müssten die Menschen sich nicht an einen neuen Namen gewöhnen, denn der neue Kaiser trage ja den des Vaters. Allerdings sei es fraglich, ob auch er imstande sei, das Reich so kraftvoll zu regieren und alle Gefahren von ihm abzuwenden. »Zumal er ja seit Jahresfrist mit dieser Griechin aus Konstantinopel vermählt ist, die ihm ganz schön den Kopf verdreht.«
»Ist sie schön?«, fragte eine der Bäuerinnen.
»Schön? Sie ist die Verführung in Person! Trägt nur Kleider aus kostbarster Seide und goldenen Schmuck an Armen, Ohren und um den Hals, dass es den Betrachter schier blendet. Der junge Kaiser ist wie verzaubert von ihr. Bleibt zu hoffen, dass er dennoch klug zu regieren versteht. Denn wer weiß schon, was das fremde Weib ihm alles einflüstert.«
Lupus fand, dass seine Schlussfolgerung recht plausibel klang. Er hatte die Byzantinerin noch nie mit eigenen Augen gesehen, aber zum Glück fragte ihn niemand danach. Ursel, Drogos Frau, seufzte behaglich.
»Der junge Kaiser liebt seine Gemahlin – was soll daran bitte schön schlecht sein?«
Lupus entging nicht, wie sie dem Bräutigam einen schmachtenden Blick zuwarf. Helmprecht blickte rasch zu Boden.
»Liebe, pah!«, schimpfte einer der Älteren. »Am Ende herrscht Byzanz über uns, lasst es euch gesagt sein.«
»Unsinn«, widersprach Wirich, der junge Förster.
»Was wisst ihr denn schon, junges Gemüse! Griechen sind falsch wie die Schlangen. Bleibt zu hoffen, dass die Witwe Ottos genügend Einfluss hat, um ihren Sohn zur Besinnung zu kriegen.«
Der füllige Pater Roland, der das Paar getraut hatte und es sich auf dem Fest gut gehen ließ, pflichtete ihm bei. »Nichts hasst Gott mehr als hoffärtige Weiber«, erklärte er ernst.
»Du musst es ja wissen, Mönchlein«, rief Wirich.
Helmprecht wollte nicht, dass auf seinem Hochzeitsfest gestritten wurde. »Was immer auch geschieht – unsereins kann sowieso nichts daran ändern, oder? Warum langt ihr nicht zu? Es ist noch Backwerk da.«
»Ein Anderer sollte die Krone an sich nehmen«, fuhr der Alte kopfschüttelnd fort, »einer, der sich nicht mit griechischen Frauenzimmern abgibt.«
»Und wer sollte das sein?«, fragte Wirich.
»Der Herzog von Baiern, ein Vetter des Kaisers, ist sehr mächtig«, sinnierte Lupus. »Und er hat keine Griechin zur Frau.«
»Tanzen!«, rief Helmprecht und wollte dem Flötenspieler ein Zeichen geben. Aber der Bursche war im Augenblick nirgends auszumachen. »He, Lupus! Warum unterhältst du uns nicht mit einigen von deinen Kunststücken?«
»Warum nicht?«, meinte der Wolfsjäger. Er verstand es nicht nur, ganze Gesellschaften mit seinen Geschichten zu unterhalten, sondern beherrschte darüber hinaus auch eine Reihe von akrobatischen Tricks, die er sich von umherreisenden Gauklern abgeschaut hatte. Bald war er abermals umringt von den Hochzeitsgästen, die staunend zusahen, wie er Flammen in die Luft spie. Dann rief er die Braut zu sich und zog zur allgemeinen Erheiterung ein Hühnerei unter ihrem Schleier hervor. Während die allgemeine Aufmerksamkeit auf den zaubernden Wolfsjäger und die Braut gerichtet war, trat Ursel an den Bräutigam heran.
»Wann? Und wo?«, flüsterte sie.
Helmprecht schüttelte den Kopf. »Wir dürfen uns nicht mehr treffen, Ursel«, entgegnete er ebenso leise.
»Ach nein? Und warum nicht?«
»Was soll diese Frage? Ich bin jetzt verheiratet.«
»Das bin ich auch und zwar schon seit Langem. Ausgemacht hat’s dir aber nie etwas.«
Sie fielen beide in den Applaus der Zuschauer ein.
»Und plötzlich rührt sich dein Gewissen, wie?«, fuhr Ursel gereizt fort.
»Psst«, machte Helmprecht, der auf keinen Fall wollte, dass man auf sie aufmerksam wurde.
»Was bist du bloß für ein Schuft!«
»Ursel, bitte …«
»Sogar geschwängert hast du sie schon. Hattest es wohl ziemlich eilig damit, was?«
»Genug. Es ist vorbei, Ursel. Wir haben lange genug gesündigt.«
Gern hätte er sie noch einmal umarmt, doch es war besser, ein für alle Mal einen Schlussstrich zu ziehen.
»Hoffentlich wirst du glücklich mit deiner Anvertrauten«, zischte Ursel und ging zu ihrem Mann hinüber.
Helmprecht war heilfroh, als der Tag endlich ausklang.
Ein gutes Jahr später verschlug es Lupus erneut in die Gegend um den Ketelwald. Ein gefräßiges Wolfsrudel hatte die Bauern wochenlang in Atem gehalten und manches Stück Vieh erbeutet, aber den Fallen des Jägers waren die Tiere hilflos ausgeliefert. Binnen weniger Tage war die Plage ausgerottet.
Anstatt im Forsthaus Wirichs zu nächtigen, kehrte Lupus eines Abends bei Helmprecht und seiner Frau ein, denen er ein verspätetes Hochzeitsgeschenk überreichte: das braune Fell eines Bären, den er erst vor Kurzem in einem unwegsamen Eifelwald erlegt hatte. Hroswitha bettete ihren Säugling auf das wärmende Fell.
Lupus begann zu plaudern, wie es seiner Art entsprach. Erzählte von den Geschehnissen im Reich, als wäre er selbst dabei gewesen.
»Hatte ich nicht prophezeit, dass der Baiernherzog für Unruhe sorgen würde?«
Helmprecht zuckte mit den Schultern; im Grunde war es ihm einerlei, wer im Reich die Macht ausübte, solange man ihn und seine Familie nur in Frieden ließ. Lupus indessen hatte trotz der Gleichgültigkeit des Anderen keine Hemmungen, unverdrossen weiter zu plaudern.
Heinrich, so der Name des Baiernherzogs, habe es von Anfang an darauf angelegt, dem jungen Otto, seinem Vetter, die Macht zu entreißen, sodass man ihm den unrühmlichen Beinamen »der Zänker« gab. Zunächst habe er einen Verwandten auf den Augsburger Bischofsstuhl gesetzt. Dann sei des Zänkers Schwager gestorben, der kinderlose Herzog von Schwaben. Also habe der Bruder der Witwe nachdrücklich Anspruch auf die schwäbische Herzogswürde erhoben. Nachdem der Kaiser jedoch einem seiner Neffen das Herzogtum übergab, rüstete Heinrich zum Aufruhr. Sogar die Herzöge von Böhmen und Polen habe er für seine Pläne gewinnen können, doch nach einigen Scharmützeln habe der junge Kaiser Otto den Aufstand niedergeschlagen. Der Zänker befinde sich nun in Haft, schloss der Wolfsjäger endlich.
Helmprecht nickte und unterdrückte ein Gähnen. »Anscheinend bringt seine byzantinische Frau ihm doch kein Unglück«, stellte er fest.
Von seiner damaligen Skepsis wollte Lupus nichts mehr wissen. »Sie ist sein guter Geist«, behauptete er.
»Könnte ich doch nur einmal ihre Schönheit bestaunen«, sagte Hroswitha.
Der Säugling begann zu schreien. Hroswitha ging zu ihm, nahm ihn vom Bärenfell und wiegte ihn sanft in ihren Armen.
Erstmals widmete Lupus seine Aufmerksamkeit dem Kind. »Schreit ganz schön laut. Wie heißt denn der Knabe?«
»Es ist ein Mädchen. Sie heißt Jutta«, erklärte ihm die Mutter.
Lupus nickte und betrachtete die Kleine eingehend. »Was für ein Wonneproppen. Ihr Mann wird’s mal nicht leicht haben mit ihr, das könnt ihr mir glauben.«
Helmprecht grinste. »Wir verlassen uns da ganz auf dein Urteil als großer Menschenkenner und Prophet.«
»Und ihre Äuglein …«
»Was ist mit ihren Äuglein?«, fragte Hroswitha.
»Sie blicken so … so drollig drein.«
Eigentlich hatte er »listig« sagen wollen, aber das hätte die Mutter womöglich als Beleidigung empfunden.