Читать книгу Im Felde unbesiegt - Gustaf von Dickhuth-Harrach - Страница 10
Der Durchbruch der 3. Garde-Infanterie-Division nach Brzeziny1 in der Schlacht von Lodz am 23. November 1914. Von General der Infanterie z. D. Karl Litzmann, damals Generalleutnant und Kommandeur der 3. Garde-Infanterie-Division.
Оглавлениеin gewaltiges Russenheer, vier Armeen mit 15 Armeekorps zählend, hatte sich unter General Rußki Anfang November gegen die Grenzen Schlesiens und Posens in Bewegung gesetzt. Am 11. November stand es mit dem rechten Flügel westlich der großen polnischen Fabrikstadt Lodz, mit dem linken östlich von Krakau. Seiner übermächtigen Front konnten außer österreichisch-ungarischen Truppen nur schwache deutsche Kräfte, meist Landwehr und Landsturm, entgegengestellt werden. Aber der nördlichen Heeresflanke der Russen gegenüber, zwischen Jarotschin und Thorn, wurde, von starker Reiterei verschleiert, Mackensens 9, Armee mit 5 ½ deutschen Armeekorps zum Angriff versammelt. Sie sollte unvermutet in südöstlicher Richtung vorbrechen, den feindlichen Heeresflügel bei Lodz umfassend angreifen, völlig umklammern und vernichtend schlagen. So war der Plan Hindenburgs und Ludendorffs.
Am 11. November überschritt die 9. Armee die Landssgrenze; vom 12. bis 16. kämpfte sie zwischen Weichsel und Warta erfolgreich gegen vorgeschobene russische Korps und gewann die Ner-Bzura- Linie, jenen sumpfigen Niederungsstreifen, der sich 40 Km nördlich Lodz vorlegt. Hier stand sie in der vollen Flanke Rußkis und hatte damit schon Bedeutendes erreicht. Denn Rußkis Heer, das nach Wunsch und Vorstellung der Entente als „Dampfwalze“ mit vernichtender Wucht sich über Schlesien und Posen auf Berlin fortwälzen sollte, war nicht nur zum Stehen gebracht, sondern auf dem Nordflügel schon eine Strecke ostwärts zurückgenommen worden. Nun konnte die Umklammerung dieses Flügels, der 2. russischen Armee unter Scheidemann, beginnen, die „Schlacht bei Lodz“ am 17. November ihren Anfang nehmen.
Von Westen her drang das preußische XI. Armeekorps, von Norden das XVII. und XX. gegen das „Manchester des Ostens“ vor, und 20 km östlich an Lodz vorbei, über Brzeziny, führte General v. Scheffer mit seinem XXV. Reservekorps, der 3. Garde-Infanteriedivision und dem Kavalleriekorps Richthofen — 6. und 9. Kavalleriedivision — einen kühnen Umgehungsmarsch aus, um die Einkreisung im Osten und Süden von Lodz zu bewirken.
Doch die rücksichtslose Willenskraft des russischen Generalissimus, Großfürsten Nikolai Nikolajewitsch peitschte die Truppen, auch der schon geschlagenen Korps, zum zähesten Widerstand auf und führte von Süden, aus der Heeresfront Rußkis, wie aus östlicher und nordöstlicher Richtung, von jenseits der Weichsel, sehr starke neue Kräfte zum Entsatz heran. Das XI. Korps wurde am 19. November in seiner südlichen Flanke angefallen und musste mit der rechten Flügeldivision rückwärts schwenken, statt sich zur Schließung des Ringes der Stadt Oabianice südwestlich von Lodz zu bemächtigen. Das XX. Korps wurde am 21. von Nordosten her in seinem Rücken empfindlich bedroht, und die Armeegruppe Scheffer verlor am gleichen Tage ihre rückwärtigen Verbindungen, da Brzeziny in des Feindes Hand fiel. Zugleich sah sie sich von Süden und Westen her angegriffen.
Diese Armeegruppe war ihrer Aufgabe bisher in vorzüglicher Weise nachgekommen. Sie hatte am 18. Nov. Brzeziny in Besitz genommen, am 19. südöstlich von Lodz Übergänge über den Miazgabach erzwungen, am 20. in siegreichen Kämpfen das Städtchen Rzgów2 südlich von Lodz überschritten. Aber das XI. Armeekorps hatte nicht vermocht ihr die Hand zu reichen; hier klaffte eine weite, vom Feinde beherrschte Lücke. Am 21. stand die Armeegruppe wie ein Keil weit in die russischen Massen hineingetrieben, die sich bei Lodz zusammengeballt hatten und von Süden und Westen her andauernd Zuzug erhielten. Sie hatte in täglich blutiger werdenden Gefechten schwere Opfer gebracht und nun unter den ungünstigsten Verhältnissen nach drei Seiten weiter zu kämpfen. Doch der Mut der Truppen war ungebrochen, ihre Hoffnung auf den Sieg nicht aufgegeben.
Auf der Nordfront des Keils rang die 3. Garde-Infanteriedivision, von der 9. Kavalleriedivision des Grafen Eberhard Schmettow brüderlich unterstützt, gegen die übermächtigen Russen. Über 10 km breit hatte die Gefechtslinie ausgedehnt werden müssen. Aber der Angriffsgedanke blieb lebendig. Es ging vorwärts, wenn auch nur schrittweise und unter Verlusten. Wussten wir doch weiter nördlich das preußische XX. Armeekorps uns gegenüber. Wir rechneten darauf, dass es uns entgegen kommen würde. Dann sollten die zwischen ihm und uns stehenden feindlichen Massen schon überwunden werden! . . .
Der 21. November, der fünfte Tag der Lodzer Schlacht, war zur Rüste gegangen. Ein sternenklarer Nachthimmel wölbte sich über dem flach gewellten polnischen Hügelland. Von Südwesten, wo in der Gegend von Rzgów die 49. Reservedivision als Spitze des Keils einen schweren Stand hatte, drang noch Gefechtslärm herüber. Im Norden, beim XX. Korps, wetterleuchtete Geschützfeuer. Der Kommandeur der Gardedivision stand mit seinem Generalstabsoffizier am Nordausgang von Wiskitno. Ihre Blicke waren auf Lodz gerichtet, dessen Südrand in Brand geschossen war. Plötzlich stieg aus der Stadt eine blutrote Lichtsäule zum Nachthimmel auf, ein riesiges, durch Scheinwerfer erzeugtes Fanal. Staunend betrachteten es die Männer. Aber, als sie sich umwandten, erblickten sie mit noch größerem Staunen im fernen Nordosten, Südosten und Süden gleiche rotleuchtende Säulen! Da erkannten sie, dass die Armeegruppe Scheffer umzingelt werden sollte. — Wir hatten die bei Lodz stehenden Russen einschließen wollen; nun sollte uns von neu hinzugekommenen Russen dasselbe Los bereitet werden.
In dieser Lage konnte es nur einen Entschluss geben: unsere Anstrengungen zu verdoppeln und mit dem Feind östlich von Lodz aufzuräumen, ehe die zu seiner Hilfe herbeieilenden Korps heran waren. Leider musste die 9. Kavalleriedivision aus der Gefechtslinie der Garde fortgenommen werden, um den Rücken der Armeegruppe zu sichern, und doch lagen vor der Front der Garde die stark befestigten und besetzten Dörfer Feliksin und Olechów, die erstürmt werden mussten. „Vorwärts“ war die Losung, koste es, was es wolle!
Der 22. November brach an. Es war der Totensonntag des Jahres 1914, und er entsprach seinem Namen! Tausende von deutschen Helden sanken dahin. Die Regimenter der 6. Garde-Infanteriebrigade — Lehr-Regiment und Gardefüsiliere — erstürmen Feliksin. Das Dorf Olechów wird von der 5. Brigade — 5. Garderegiment zu Fuß und 5. Gardegrenadiere — angegriffen. Es liegt 4 km breit auf einer Höhe mit glacisartigem Vorfeld und bildet einen stumpfen Winkel, dessen Öffnung uns zugekehrt ist. Der Divisionskommandeur sieht, wie seine Schützenlinie 600 m vor dem Dorf sich an den Boden anklammert, weil sie in dem Höllenfeuer nicht mehr vorwärts kommt. Er sieht — und das Blut stockt ihm in den Adern — wie die Batterie Lancelle im Galopp in und über die Schützenlinie hinausfährt. Ist es möglich, dass in diesem Feuerhagel auch nur ein Geschütz zum Abprotzen kommt? Allen sechs glückt es, und sie schleudern nun ihr Schnellfeuer gegen den dicht besetzten Dorfrand. Jubelndes Hurra der Infanterie erschallt, reißt sie vom Boden auf und zu erneutem Ansturm vor: ein wunderbarer Augenblick! Der ganze Südwestschenkel des Dorfes wird genommen.
Aber die Hoffnung, dass uns das XX. Korps entgegenkommen würde, erfüllte sich nicht. Zwar hatte es vom Armee-Oberkommando aus Hohensalza den Befehl erhalten, gemeinsam mit der 3. Gardedivision „in rücksichtsloser Offensive den östlich Lodz stehenden Feind zu vernichten“, und hatte gleich uns den allerbesten Willen dazu. Doch es sah sich von sehr starken russischen Kräften in seiner östlichen Flanke und im Rücken angegriffen, und schweren Herzens musste das Generalkommando sich entschließen, den Angriffsgedanken aufzugeben und die bis dahin südwärts gerichtete Front zurückzuschwenken, so dass sie nach Osten gekehrt war. Die linke Flügelbrigade des Korps konnte diese Bewegung nicht mehr mitmachen; von allen Seiten angefallen, wurde sie in einen Verzweiflungskampf verwickelt.
Bei Rzgów, an der Spitze des „Keils“, erneuerten die Russen ihre Angriffe von Süden, von Westen und Nordwesten mit verdoppelter Wut. Das XXV. Reservekorps hielt tapfer Stand. Höchst bedenklich wurde indes die Lage, als starke feindliche Kräfte weiter östlich, gegen die Südseite des Keils vorgingen, die hier an der Wolborka sichernde 6. Kavalleriedivision zum Zurückgehen nötigten und den Bach nordwärts überschritten. Die völlige Einkreisung der Armeegruppe drohte! —
Bald nach 4 Uhr nachmittags suchte General v. Scheffer den Kommandeur der Gardedivision in Wiskitno auf. Er fand ihn am Nordausgang des Dorfes. Eben wollten sich beide Führer an einem kleinen Wärmfeuer zur Besprechung niedersetzen, als wenige Schritte neben ihnen eine schwere Granate einschlug. Zum Glück ein Blindgänger. Doch bald folgte eine zweite Granate; die beiden Stäbe begaben sich nun querfeldein zu einem vereinzelt liegenden Bauernhause. Dort entwickelte der Divisionskommandeur seine Ansicht: Die Armeegruppe musste sich durchschlagen und zwar in der bisherigen Angriffsrichtung der Garde, nach Norden, wo sie am schnellsten den Anschluss an das XX. Korps gewann. Der kommandierende General erklärte sich einverstanden und versprach dem Divisionskommandeur die Erfüllung seiner Bitte: eine der beiden Reservedivisionen ihm für den Durchbruch zu unterstellen, während die andere als linke Flankenstaffel gegen Lodz decken und die 6. Kavalleriedivision im Rücken sichern sollte. Im Stabe der Gardedivision herrschte freudig zuversichtliche Stimmung. Die Truppen der Division hatten sich bisher glänzend bewährt und waren im kameradschaftlichsten, verständnisvollen Zusammenwirken aller Waffen trotz der Überzahl des Feindes täglich vorwärts gekommen. Die Verstärkung musste ihrem Angriff morgen neuen Schwung verleihen. Der Durchbruch nach Norden war für sie ein weiteres Vorwärts; wir vertrauten auf sein Gelingen.
Es sollte aber anders kommen. Abends traf ein Funkspruch des Armeeoberkommandos ein, wonach die Armeegruppe Scheffer auf demselben Wege abmarschieren sollte, auf dem sie gekommen war, also nach Osten, über die Miazga und dann erst nordwärts, über Brzeziny. Der Kommandeur der Gardedivision bat den kommandierenden General durch den Fernsprecher, es bei der getroffenen Verabredung zu lassen; doch General v. Scheffer entschied dem Armeebefehl entsprechend. —
Die Ausführung war schwierig. Die gesamte Infanterie der drei Divisionen lag in unmittelbarer Gefechtsberührung mit dem Feinde. Ob ein unbemerktes loslösen gelingen würde, war zweifelhaft. Drängte der Russe von Süden her nach, dann war der Abmarsch über die Miazga äußerst gefährdet. Außer den fechtenden Truppen mussten Hunderte von Fahrzeugen mit Verwundeten, die Gefangenen der letzten Tage, Munitionskolonnen, Lebensmittel- und Futterwagen die Brücke von Karpin benutzen, die vielleicht morgen schon vom Feinde gesperrt war.
Die beiden Divisionen des XXV. Reservekorps sollten um 9 und 10 Uhr abends aufbrechen und über Karpin zurückmarschieren, die 3. Gardedivision „nicht vor Mitternacht“ antreten und den Abzug decken. Aber Stunden vergingen, bis die Truppe aus der Gefechtslinie herausgezogen war. Dabei war es ein Glück, dass der kampfesmüde Feind trotz des unvermeidlichen Geräusches unaufmerksam blieb.
Er schlief, und so konnte das XXV. Reservekorps sich zwischen 11 und 12 Uhr nachts ungehindert in Bewegung setzen. In langsamem Marsch schleppte sich alles durch die öde Winterlandschaft, die schlaftrunkene Infanterie, die hungrigen Pferde. Wagenkolonnen und Gefangenenzüge schoben sich in das Fußvolk ein. Dann stockte die Bewegung. Zähneklappernd stand die Mannschaft im schneidenden Wind der eiskalten Nacht zum 23. November. Der Kaffee in den Feldflaschen war eingefroren; wer noch ein kleines Stück Brot besaß, versuchte es im Munde aufzutauen.
Um 3 Uhr morgens sollte die Nachhut der 3. Gardedivision sich in Marsch setzen. Aber bis dahin hatten die zahlreichen Verwundeten vom Gefechtsfelde bei Mechow noch nicht alle zurückgeschafft und versorgt werden können, und keiner dieser Helden durfte in des Feindes Hand fallen. Krankenträger und Arzte leisteten Übermenschliches. Doch dauerte es lange, bis alle Verwundeten auf Kolonnen- und Bagagewagen oder selbst auf Geschützen für den Transport untergebracht waren. Ein Teil musste auf vorgefundene Bauernwagen gelegt werden, die in Ermangelung von Pferden von gefangenen Russen fortbewegt wurden. Es war 7 Uhr morgens, als die Nachhut und mit ihr der Divisionskommandeur die von Rzgów nach Karpin führende Chaussee erreichte. Auf der vereisten Straße standen drei und vier Kolonnen nebeneinander wie festgebannt. Weiter vorn lag feindliches Artilleriefeuer auf der Chaussee und sperrte sie für den Weitermarsch. Hier musste unverzüglich eingegriffen werden. Dem tatkräftigen Bemühen des Generalstabsoffiziers der Division, Majors v. Wulffen, gelang es, durch Abdrehen der Kolonnen nordwärts über die Äcker, die sich stauende Masse allmählich wieder in Fluss zu bringen. Freilich fügte uns noch manche russische Granate Verluste zu. Und nun versuchte der Gegner von Süden her mit starken Kräften gegen unsere Flanke angriffsweise vorzudringen. Aber da stand Major Reinhard3 mit ein paar Bataillonen und Batterien der Gardedivision; der rechte Mann mit der rechten Truppe, um auch einer vielfachen Überzahl Halt zu gebieten. Er schützte die Flanke im mehrstündigen Gefecht bei Wardzin, bis sein Auftrag völlig erledigt war und er seiner Division folgen konnte. Diese hatte inzwischen einige Kilometer nordwestlich von Karpin die Miazga überschritten.
In Karpin stand seit 6 Uhr früh General v. Scheffer, ließ die abziehende Kolonne an sich vorbeimarschieren und war mit seinem Generalstabc unermüdlich tätig, um die durcheinander gekommenen Verbände neu zu ordnen und ihnen zweckentsprechende Marschrichtungen zuzuweisen. Um Brzeziny zu gewinnen, musste die Armeegruppe nach Überschreiten der Miazga nordwärts schwenken. Dabei sollte die V. Reservedivision die durch das langgestreckte Dorf Borowo führende Bandstraße Karpin-Brzeziny einschlagen. Die. 50. Reservedivision sollte rechts von ihr über Chrusty Nowe marschieren, die 3. Gardedivision aber links durch den Wald von Galküw, der sich in einer Tiefe von 6 km bei 3 km Breite westlich der Borowoer Straße hinzieht. Die 6. Kavalleriedivision hatte nach Süden, die 9. nach Osten für Sicherung des Abmarsches zu sorgen.
Die Vorhut der V, Reservedivision hatte Borowo durcheilt. Den Vorhuten der andern Divisionen weit vorauf und daher weder rechts noch links gesichert, überschritt sie bereits 7 30 früh die von Lodz ostwärts führende Eisenbahn nach Skierniewice-Warschau. Da überfiel sie ein Höllenfeuer von vorn und in beiden Flanken. In aller Eile entwickelte sie sich zum Kampf, schlug auch die sofort gegen sie anstürmenden Russen glücklich zurück. Aber immer neue Infanteriemassen drangen von drei Seiten auf sie ein, und aus dem Walde von Galków heraus stieß ein Reiterangriff ihr in Flanke und Rücken. Auch dessen erwehrte sie sich. Als sie jedoch 9 Stunden lang ohne Hilfe blieb und die russischen Angriffe sich immer erneuerten, ein Geschütz nach dem andern außer Gefecht gesetzt, die Munition zu Ende und die Bedienung gefallen war, da war es um die Vorhut geschehen. Nur ganz schwache Trümmer schlugen sich südwärts durch. Der Feind aber zündete Freudenfeuer an und tanzte um die eroberten Geschütze. — Es war ein böser Tag für die V. Reservedivision. Ihr tapferer Kommandeur, Generalleutnant v. Waenker, hatte in Borowo den Heldentod gefunden; sein Generalstabsoffizier wurde gleichzeitig schwer verwundet. So war es natürlich, dass die Gefechtsleitung eine Unterbrechung erlitt.
Die 50. Reservedivision gelangte 3 30 nachmittags östlich der 49. den Eisenbahndamm, stieß hier ebenfalls auf überlegenen Feind und wurde von ihm in die Verteidigung gedrängt. Sie behauptete sich zwar im Verzweiflungskampf; die Gesamtlage des XXV. Reservekorps war aber am Abend des 23. sehr ernst. Die Gefechtsstärken waren durch große Verluste bedenklich zusammengeschrumpft4, und die Munition war knapp geworden. Ob es gelingen würde, den von den Russen an der Eisenbahn vorgelegten starken Riegel zu durchbrechen, war zweifelhaft; ebenso, ob die Kavalleriedivisionen noch länger imstande waren, den Gegner in Rücken und Flanke abzuhalten.
Von der 3. Gardedivision wusste man nichts; alle Versuche, mit ihr die Verbindung aufzunehmen, waren gescheitert. Das Generalkommando sah mit berechtigt schweren Sorgen dem kommenden Tage entgegen; General v. Scheffer befahl aber für den 24. 6 Uhr früh die Erneuerung des Durchbruchsversuchs.
Zu der Zeit, da dieser Befehl erlassen wurde — 845 abends — hatte die 3. Gardedivision im Walde von Galków die russische Stellung an der Eisenbahn durchbrochen und war bereits seit einer Stunde auf dem Weitermarsch nach Brzeziny.
Auch sie hatte heftige Kämpfe zu bestehen gehabt. Die zuerst über die Miazga gehende Brigade Friedeburg (6. G.-I.-Brig.) war schon am Südrand des Waldes von Galków auf den Feind gestoßen. Es gelang ihr, ihn in den Wald zurückzuwerfen. Danach folgte die 5. Garde-Infanterie-Brigade über den Bach. Beiden Brigaden wurde vom Divisionskommandeur der Nordrand des Waldes als erstes Ziel bestimmt. Um die Mittagsstunde traten sie nebeneinander den Marsch dorthin an. Mit dem Schutze der Division nach rückwärts wurde der Artillerie-Brigade-Kommandeur General Graf v. Schweinitz betraut; ihm wurde dazu die Masse seiner vorzüglichen Artillerie5 nebst zwei Maschinengewehr-Kompagnien und einem halben Bataillon vom 5. Garde-Grenadierregiment unter Major Roosen Zur Verfügung gestellt. Eine vom Rittmeister v. Plessen, Führer der großen Bagage, aus deren Begleitmannschaft und aus Versprengten gebildete Kompagnie schloss sich an. Jedes überhaupt vorhandene Gewehr musste ausgenutzt werden. Die schweren Verluste der letzten Tage hatten bewirkt, dass die vier Infanterieregimenter der Division zusammen nur noch etwa 4000 Gewehre zählten. Ihre Offiziere waren meist gefallen oder verwundet. Aber diese Truppe war von herrlichem Geist beseelt geblieben. Im stolzen Vertrauen hierauf hatte der Divisionskommandeur den festen Entschluss gefasst, mit seiner Infanterie durch den großen Wald von Galków nach Norden durchzubrechen und den Straßenknoten von Brzeziny zu erreichen. Dort stand man dem Gegner des XXV. Reservekorps im Rücken und brachte diesem die beste Entlastung.
Größere Waldkämpfe bereiten der Gefechtsleitung wegen der völlig mangelnden Übersicht bedeutende Schwierigkeiten. Sie führen, da die Kampflinien von Freund und Feind sich leicht gegen- seitig durchdringen, überraschende Zwischenfälle herbei. So auch hier. Die beiden Infanterie-Brigaden waren, den Widerstand ihres den Wald füllenden Gegners — sibirischer Truppen — brechend, seit ein paar Stunden von Dickicht zu Dickicht nordwärts vorgedrungen, als hinter ihnen, an der südöstlichen Waldecke plötzlich Sibirier erschienen und auf die hier stehende Masse von Kolonnen und Trains der Division aus nächster Nähe das Feuer eröffneten. Eine Panik entstand; wild jagten die Hunderte von Fahrzeugen ostwärts über das Feld. Doch Roosens Infanterie warf die Übeltäter zurück.
Bald darauf stürmten ein paar feindliche Kompagnien aus der Südwestecke des Waldes gegen den Rücken der Artillerieabteilung Ruhstrat vor, die dort, Front gegen Lodz, im Feuer stand. Sie nahmen die rechte Flügelbatterie. Aber sofort waren die Geschütze der beiden andern Batterien herumgeworfen und spien ihr Feuer gegen die verlorene Schwesterbatterie. Dann wurde diese zurückerobert. Freilich unter schweren Verlusten! Auch der vortreffliche Major Ruhstrat fiel. Von den Russen aber entkamen nur wenige.
Der Divisionskommandeur war Zeuge der geschilderten Vorgänge gewesen. Er hatte die drei Brigadekommandeure persönlich mit Anweisung versehen, hatte den Eintritt seiner Infanterie in den Wald und die Entwickelung der Artillerie auf den flachen Höhen des östlichen Miazgaufers beobachtet und sich dann den Verwundeten zugewandt, die auf zahlreichen Fahrzeugen am Südrand des Waldes hielten. Die Tapferen ertrugen willig Schmerzen, Hunger und Kälte, und nur eine Angst quälte sie: dass sie in des Feindes Hand fallen könnten Mit zuversichtlichen Worten und warmem Händedruck versprach er, sie vor diesem Schicksal zu bewahren. Dann ritt er mit seinem Stabe der Infanterie nach in den Wald. In den Baumwipfeln platzten die russischen Granaten; unten am Boden klagten schwer verwundete Sibirier; durch das Buschwerk krochen noch immer Versprengte, erdfarbene Gestalten mit der grauen Pelzmütze. Sie gaben sich den Offizieren des Divisionsstabes oder der Stabswache gefangen.
Die Infanterie und mit ihr die Pionierkompagnie der Division lagen der russischen Stellung am Eisenbahndamm und -einschnitt gegenüber. Zwischen den Gefechtsfronten erstreckte sich eine Waldblöße, deren Überwindung bei Tageslicht viel Blut gekostet haben würde. Der Divisionskommandeur beschloss darum, den nahe bevorstehenden Eintritt der Dunkelheit abzuwarten. Alles ruhte im Schnee; was nicht in vorderster Linie war, ergab sich unbekümmert um das Krachen der feindlichen Granaten, einem kurzen, doch tiefen Schlaf. Dann aber gab brausendes Hurra von links das Zeichen zum allgemeinen Angriff. Der Divisionsstab war in die Schützenlinie vorgegangen. Im nächtlichen Wald zurückzubleiben hätte keinen Zweck gehabt; keine Meldung würde ihn gefunden haben. Der Divisionskommandeur aber war glücklich, zum ersten Mal seit 1871 wieder mit dem Degen in der Faust gegen den Feind vorstürmen zu können. Die russische Stellung wurde genommen.
Jetzt handelte es sich um Ausnutzung des taktischen Teilerfolges zum Besten des Ganzen. Während die Truppen ihre Verbände ordneten, wurde im Hühnerstall des mit verwundeten Russen überfüllten Bahnwärterhauses von Galków 7 25 abends der neue Divisionsbefehl zum Weitermarsch nach Brzeziny ausgegeben. Graf Schweinitz erhielt Anweisung zum Folgen mit Artillerie und Kolonnen. An General v. Scheffer wurde über den erfolgten Durchbruch und den beabsichtigten Weitermarsch eine Meldung abgefertigt, die ihn aber nicht erreicht hat.
Regimentsführer traten an den Divisionskommandeur mit der Bitte heran, die Truppe erst einige Stunden ruhen zu lassen. Ihre Erschöpfung war ja groß. Es kam aber darauf an, möglichst bald Brzeziny zu gewinnen und dem Gegner des XXV. Reservekorps die rückwärtige Verbindung zu unterbrechen. Darum musste von unserer Mannschaft das Äußerste verlangt werden. Des guten Beispiels wegen ging der 65 jährige Divisionskommandeur mit seinem Krückstock fortan selbst zu Fuß; die Offiziere des Stabes folgten. Ohne Weg und Steg wurde im unsichern Sternenlicht querfeldein weitermarschiert. Die durchwachten und durchkämpften Nächte der letzten Zeit, der Hunger und die schneidende Kälte hatten uns alle in der Tat stark mitgenommen. Wir stolperten todmüde über den gefrorenen Sturzacker, fielen und standen auf, um uns weiterzuschleppen. Der gute Wille hörte bei keinem auf. Von rechts her wurde die Kolonne plötzlich durch eine feindliche Feldwache beschossen. Sie warf sich zu Boden und verharrte lautlos. Der Divisionskommandeur war stehen geblieben. Neben ihm hockte mit hängendem Kopf, die vorderen Gliedmaßen aufgestemmt, eine dunkle fragwürdige Gestalt. „Was ist das? Ist es ein großer Hund?“ — „„Nee, man bloß’n Jardejrenadier“„ lautete die Antwort. Der Brave war, durch beide Beine geschossen, ohne jeden Schmerzenslaut zusammengesunken.
Das Dorf Galkowek wurde erreicht und umstellt. Die schlafenden Russen wurden aus den Häusern geholt und zu Gefangenen gemacht. Dann ging es weiter. Es war bitter kalt geworden. Die Überanstrengung führte zu seltsamen Sinnestäuschungen. Die blitzenden Sternbilder fingen vor unsern Augen an, in schön geschwungenen Kurven auf und nieder und durcheinander zu schweben. Und der Marsch wollte kein Ende nehmen! Hatten wir die Richtung verfehlt? Da stießen wir auf die Gräber lieber Kameraden, die hier vor fünf Tagen gelegentlich unseres Vormarsches gefallen waren, und wussten nun, wir waren auf 3 km an Brzeziny heran. Um 3 Uhr wurde auf den Höhen südwestlich der Stadt aufmarschiert und eine lange Schützenlinie entwickelt. Aus dieser Richtung erwartete uns sicher kein Russe. Der Angriff sollte umfassend und überraschend gegen den westlichen Stadtteil ausgeführt werden. Mit ungeladenen Gewehren wurde angetreten.
Eine feindliche Außenwache wurde mit dem Bajonett niedergestochen, und wir kamen ohne Schuss in die Stadt. Der Erfolg belebte noch einmal; es ging vorwärts durch die nächtlichen Straßen. Rechts und links krachten die Haustüren: Grenadiere und Füsiliere drangen in die Gebäude und holten die schlafenden Russen heraus. Wer sich nicht ohne weiteres ergab, wurde lautlos niedergemacht. Aber am Marktplatz kam es doch noch zu erbittertem Kampf. Der Russe war endlich erwacht und schoss aus Fenstern und Türen. Er wurde überwältigt. Die Häuser um den Marktplatz wurden siegreich erkämpft.
Doch nun beschloss der Divisionskommandeur, seinen zum Tode ermatteten Truppen endlich die wohlverdiente Ruhe zu gönnen und erließ um 5 Uhr morgens den dazu nötigen Befehl. Mochte der östliche Stadtteil vorläufig noch in Händen des Feindes bleiben; wir mussten erst einmal wieder zu Atem kommen. War doch die Truppe seit 28 Stunden ununterbrochen auf dem Marsch oder in heißem Gefecht! Sie ging in Massenquartiere rings um den Marktplatz; Wachen wurden ausgestellt, eine starke Abteilung blieb gefechtsbereit bei den Gewehren.
Auch der Divisionsstab brachte sich unter, nachdem einige Offiziere vom Generalstabe des IV. sibirischen Korps aus den Betten des nämlichen Quartiers herausgeholt waren. Der kommandierende russische General war leider entkommen.
An das Generalkommando unseres XXV. Reservekorps wurde durch Radfahrerpatrouille Meldung entsandt; die Patrouille nahm für General Graf v. Schweinitz eine der neuen Lage entsprechende Weisung mit.
Nicht länger als eine Stunde währte die Ruhe. Dann drangen starke feindliche Kräfte von Süden und Osten her in Brzeziny ein.
Es kam zu wütenden Straßenkämpfen, bei denen Major Reinhard sich erneut hervortat. Durch den Kugelregen pirschten sich die wackeren Pioniere vor in den Ostteil der Stadt und zündeten ihn an. Die Russen, die sich dort festgesetzt hatten, mussten aus ihren Schlupfwinkeln heraus und wurden gefangen genommen.
Im Laufe dieses Vormittags kam zu allgemeiner Freude General v. Friedeburg mit einem Teil seiner 6. Gardebrigade bei Brzeziny an. Er war am 23. abends nach Erstürmung des Eisenbahneinschnitts bis zum Nordrande des Waldes von Galküw durchgestoßen und hatte den Befehl zum Weitermarsch gar nicht erhalten.
Auch vier Geschütze, die mit in den Wald genommen waren, dort aber verloren gegangen zu sein schienen, fanden sich heran. Bis auf die Truppen des Grafen Schweinitz und zwei tags zuvor an die 50. Reservedivision abgegebene Bataillone hatte der Divisionskommandeur die fechtenden Teile seiner Division nun wieder beieinander.
Gegen Mittag waren die Russen von Brzeziny nach (Osten und Süden weithin zurückgedrängt. Nun wurden alle verfügbaren Kräfte nach einer Höhe südlich der Stadt zusammengezogen. Mit der Front nach Süden lagen hier Infanterie und Pioniere zum Gefecht entwickelt; auf jedem Flügel standen zwei Geschütze. Mit Spannung richteten sich die Blicke südwärts, wo am Horizont Sprengwolken deutscher Schrapnells auftauchten. Der Angriff des XXV. Reservekorps schien vorwärts zu geizen.
Mit Tagesanbruch hatte die Artillerie dieses Korps ihr Feuer wieder aufgenommen. Beim Korpshauptquartier hielt der verdiente, später leider gefallene Divisionspfarrer v. Wodtke einen Feldgottesdienst ab. Angesichts des bevorstehenden Kampfes auf Leben und Tod und der drohenden Vernichtung machten seine Worte auf alle Zuhörer den tiefsten Eindruck. An das Generalkommando XX. Armeekorps war folgender Funkspruch abgegangen: „XXV. Reservekorps kommt nicht vorwärts. Großer Munitions- und Verpflegungsmangel. Schleunige Hilfe Richtung Brzeziny erbeten. Lage ernst.“ Wie schlimm es stand, kann nicht deutlicher gekennzeichnet werden.
Auf dem äußersten linken Flügel des Korps stand jetzt General Graf v. Schweinitz mit der Artillerie der 3. Gardedivision und dem Bataillon Roosen im Gefecht. Den Befehl, seiner Division zu folgen, hatte er am späten Abend des 23. November erhalten. Aber die Erkundung hatte ergeben, dass die beim Durchbruch geschaffene Lücke in der feindlichen Stellung an der Eisenbahn sich inzwischen wieder geschlossen hatte. Auch steckten noch immer Russen im Walde. Unter diesen Umständen war es nicht geraten, die lange Artilleriekolonne mit ihrer nur schwachen Infanteriebedeckung auf den engen Waldwegen in Marsch zu setzen. Der ebenso einsichtige wie entschlusskräftige Führer6 gab ein Beispiel, wie man empfangene Befehle sinngemäß abzuändern hat, wenn die Verhältnisse es bedingen. Er beschloss, seine Artillerie zwischen Borowo und Wald so bereit zu stellen, dass sie in der Lage war, bei Tagesanbruch die 49. Reservedivision zu unterstützen und meldete das dem General v. Scheffer. Batterie Lancelle und schwache Infanterie sicherten im Rücken. Das waren freilich nur geringe Kräfte. Aber die Gardeartillerie hatte dem Russen am Tage vorher solchen Respekt eingeflößt, dass er nicht wagte, nachzudrängen. Er schanzte am westlichen Miazgaufer und ließ im Übrigen nur seine Geschütze spielen.
Um 8 Uhr vormittags begann der Infanterie-Angriff. Die Gardebatterien bahnten dem Bataillon Roosen in vorbildlicher Weise den Weg zum Vorgehen. Aber diese Infanterie und die der 49. Reservedivision waren zu schwach, um den zähen Widerstand des übermächtigen Gegners zu brechen. Die Verluste mehrten sich, der Munitionsmangel wurde empfindlich. Noch harrten die Tapferen im stundenlangen erbitterten Ringen aus; aber die Lage wurde nachgerade verzweifelt. Da traf — 10 30 vormittags — Unteroffizier Alkenings vom Lehr-Infanterieregiment mit seiner Radfahrerpatrouille beim General v. Scheffer ein. Er brachte die überraschende Kunde, dass Brzeziny in der Nacht von der 3. Gardedivision genommen war. „Er kam wie ein Bote des Himmels“, hat später General v. Scheffer dem Divisionskommandeur gesagt. Und Oberst v. Poseck, der als Generalstabschef des Kavalleriekorps Richthofen Zeuge des Eintreffens war, brachte sofort den Stimmungsumschlag mit den Worten zum Ausdruck: „Das ist die Schicksalswendung, und alle Zweifel sind nun geschwunden.“ Alkenings hatte ein wahres Wunder vollbracht, indem er durch die Russen hindurch zum Ziele gelangt war, und General v. Scheffer belohnte ihn auf dem Fleck mit dem Eisernen Kreuz I. Klasse. Wie ein Lauffeuer eilte die frohe Botschaft durch die Reihen der Kämpfer, ihren Mut aufs Neue belebend. Am beglücktesten aber waren wohl die Tausende von Verwundeten, die bei grimmiger Kälte in stillem Heldentum ihr ungewisses Schicksal erwartet hatten.
Gute Nachrichten kommen selten allein. Bald nach der Meldung der Gardedivision empfing General v. Scheffer eine solche von seiner tapferen 50. Reservedivision. Ihr war es gelungen, den Gegner östlich zu umfassen und ihre Artillerie in eine Stellung zu bringen, aus der sie ihn unter wirksamstes Flankenfeuer nehmen konnte. Unter den Augen des kommandierenden Generals, der sich zum Divisionsstabe begeben hatte, spielte sich hier ein packendem Drama ab. Der russische linke Flügel wurde zum Weichen gezwungen.
Doch bei der 49. Reservedivision war der Kampf am Eisenbahndamm noch immer unentschieden. Ihre Gefechtskraft hatte allzu sehr gelitten. Da warf Major Diez seine leichte Garde-Haubitzabteilung. durch die Schützenlinie hindurch todesmutig so weit nach vorn, dass sie den Bahndamm der Länge nach unter Feuer nehmen konnte, und Generalleutnant v. Thiesenhausen, der zum zweiten Mal binnen 12 Tagen für den gefallenen Kommandeur die Führung der 49. Reservedivision übernommen hatte,7 ließ seine letzte Reserve — ein Bataillon — zum Sturm antreten. Alles schloss sich diesem Angriff an, der auch von der Artillerie der Reservedivision glänzend unterstützt wurde. Die feindliche Stellung wurde genommen, und die am 23. verlorenen Batterien gelangten wieder in die Hand ihrer rechtmäßigen Besitzer. Unter dem vernichtenden Verfolgungsfeuer der deutschen Artillerie wich der Russe nordwärts auf Brzeziny zurück.
Er mochte etwa den halben Weg, verfolgt von der deutschen Infanterie, zurückgelegt haben, da schlugen ihm von Norden her Schrapnells entgegen: Die vier Geschütze der 3. Gardedivision auf der Höhe südlich Brzeziny hatten ihr lohnendes Ziel gefunden! Feindliche Artillerie, die seitwärts in nordwestlicher Richtung zu entkommen suchte, wurde in der Marschkolonne vom Feuer der beiden Kanonen auf unserm rechten Flügel gefasst. Andere geradenwegs auf Brzeziny zurückeilende russische Batterien wurden von Infanterie und Pionieren völlig zusammengeschossen und genommen. Unendliche Freude ergriff uns: nach äußerster Not und Gefahr der herrliche Sieg! Der Divisionskommandeur pflanzte selbst den sonst peinlich in Deckung zu haltenden schwarzweißroten Divisionswimpel auf der höchsten Kuppe in der Feuerlinie auf: „Die Russen sollen sehen, wer hier in ihrem Rücken steht!“ Seine Gardefüsiliere jauchzten ihm zu. Erschöpfung, Hunger und Kälte, alles war vergessen. Einer rief laut: „Seht doch bloß, die Russen laufen ja wie die Hasen!“ Und so war’s auch. In völliger Auflösung — und viele schon mit erhobenen Händen — kamen sie eilends über eine kahle Höhe auf uns los, um dann in einer Einsenkung ein paar hundert Meter vor unserer Front zu verschwinden. Waren etwa 200 von ihnen unten zu vermuten, so wurde ein Unteroffizier mit 20 Mann vorgeschickt; er holte sie als Gefangene herauf.
Nun erschien auch die vorderste Linie des siegreichen XXV. Reservekorps vor unsern Blicken. Der Infanterie und Artillerie folgten die Bagagen und Kolonnen, die Verwundeten und die Gefangenen. Und mit dem Reservekorps kam Graf Schweinitz mit seiner braven Artillerie und dem Bataillon Roosen. Das Kavalleriekorps Richthofen aber sicherte den Rücken gegen stark überlegene russische Reiterei.
Der Durchbruch der Armeegruppe war gelungen. Um 5 Uhr nachmittags ritt General v. Scheffer in Brzeziny ein. Er begrüßte den Kommandeur der 3. Gardedivision mit den Worten: „Ich beglückwünsche Sie zu Ihrem Siege von gestern, der meinem Korps Rettung und Erfolg ermöglicht hat. Ich danke Ihnen dafür.“ Das war eine schöne Anerkennung. Der Divisionskommandeur aber wusste, dass er seinen Erfolg nächst Gott der unvergleichlichen Ausdauer und Tapferkeit seiner Truppen zu danken hatte.
Die Armeegruppe Scheffer blieb während der Nacht zum 25. November bei Brzeziny. Bei dem erschöpften Zustande von Mann und Pferd musste auch das weitere Zurückführen ihres Trosses auf den 25. Nov. verschoben werden. Am Nachmittag dieses Tages konnten die beiden Reservedivisionen den Abmarsch in nördlicher Richtung fortsetzen. Die 3. Gardedivision deckte ihn gegen starke von Südwesten nachdrängende Kräfte, wobei es wieder zu blutigen Gefechten kam. Am 26. wurde eine geschlossene, gegen Osten gerichtete Armeefront hergestellt; der Anschluss an das XX. Korps war gewonnen. In dieser Stellung wurde unter harten Kämpfen das Eintreffen namhafter Verstärkungen vom westlichen Kriegsschauplatz abgewartet. Dann kam ein Umschwung der Lage: Der Feind gab das Spiel verloren und zog ab. Die Schlacht bei Lodz war gewonnen.
Der Durchbruch nach Brzeziny hatte die Armeegruppe Scheffer vor der Vernichtung bewahrt. Großfürst Nikolai Nikolajewitsch hatte an seinem Vollsieg nicht gezweifelt und Leerzüge bereitstellen lassen zum Abtransport der „drei Armeekorps8 und zwei Kavalleriedivisionen zählenden Deutschen“ in die Gefangenschaft. Die Ententepresse triumphierte. Aber Sieger wurde nicht der Russe, sondern der Deutsche, indem er den ihn umgebenden Russenring durchbrach. Dabei ging uns nicht ein einziges Geschütz verloren, unsere Verwundeten konnten fast alle geborgen werden, und 16 000 gefangene Russen, erbeutete russische Geschütze wurden von uns mitgebracht.
Brzeziny lehrt, dass Überlegenheit an sittlichen Kräften selbst eine verzweifelte Lage in Sieg umzuwandeln vermag. Feldherrnkunst kam beim Durchbruch kaum in Betracht. Die Überlegenheit der Zahl war auf Seite der Russen und sehr bedeutend. Sie hatten Nachschub an Munition und Verpflegung, während wir seit dem 22. Nov. empfindlichen Mangel litten. Die taktische Lage war für uns überaus schlimm, — für den Gegner sehr günstig geworden. Wir hätten zugrunde gehen müssen, wenn nicht die sittlichen Kräfte bei uns so stark entwickelt gewesen wären: Die gemeinsame glühende Vaterlandsliebe und das hohe Gefühl für deutsche Ehre, die todesmutige Opferwilligkeit und die treueste Kameradschaft, vor allem der zähe, unerschütterliche Wille zum Siege. Diese Kräfte beseelten damals jeden Einzelnen, vom General bis zum letzten Grenadier und Füsilier, Kanonier und Pionier: Sie schufen jenen Heldengeist der Truppe, der auch unter den widrigsten Umständen den Sieg verleiht.
1 Das polnische rz wird wie das G in Gendarm, das einfache z wie ein weiches s ausgesprochen.
2 Die Endung ów wird uff ausgesprochen.
3 Der jetzige Oberst Reinhard, als Retter Berlins aus den Spartakuskämpfen 1918/19 wohlbekannt.
4 Beide Reservedivisionen zählten zusammen etwa 4000 Gewehre! Zur Verstärkung der 50. Res.-Div. hatte die Gardedivision 2 Bataillone abgegeben.
5 Die Feldartillerie-Brigade der 3. Garde-Infanteriedivision war bei der Mobilmachung aus der Feldartillerie-Schießschule entstanden. Disziplin und Ausbildung waren allerersten Ranges, Abteilungs- und Batterieführer Meister ihres Faches. Da Stab und 1. Abteilung des 5. Garde-Feldartillerieregiments abkommandiert waren, befanden sich damals die Abteilung Ruhstrat des 5. Und das 6. Garde-Feldartillerieregiment (Oberleutnant Woltag) bei der Division.
6 Dieser hervorragende General war später Kommandeur der 4. Garde-Infanteriedivision und ist am 23. September 1917 leider einer durch das Feldleben entstandenen Krankheit erlegen.
7 Am 12. November war Generalleutnant v. Briesen an der Spitze der Division in Wlozlawek gefallen.
8 Es ist bezeichnend, dass in russischen Berichten immer von drei Korps gesprochen wird. Die drei Divisionen, die dem Feinde so viel Respekt eingeflößt haben, waren dabei am 23. November zusammen nur etwa noch 8000 Gewehre stark.