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Der Handstreich auf Lüttich1 am 5.—7. August 1914. Von General der Infanterie z. D. Erich Ludendorff, damals Generalmajor und Oberquartiermeister der 2. Armee.

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er Sturm auf die Festung ist mir die liebste Erinnerung meines Soldatenlebens. Es war eine frische Tat, bei der ich kämpfen konnte, wie der Soldat in Reih und Glied, der im Kampf seinen Mann stellt.

Am 1. August wurde die Mobilmachung ausgesprochen.

Ich fuhr am 2. August früh mit meinen Werden über Köln nach Aachen, wo ich abends eintraf. Meine Mobilmachungsbestimmung ließ mich Oberquartiermeister bei der 2. Armee werden, deren Oberbefehlshaber General v. Bülow, Chef General v. Lauenstein waren.

Ich trat zunächst zum General v. Emmich, der die Aufgabe hatte, mit einigen schnell mobilgemachten, gemischten Infanterie-Brigaden, die aber nicht die volle Kriegsstärke hatten, die Festung Lüttich durch Überraschung zu nehmen. Dem Heere sollte hierdurch der Weg nach Belgien hinein freigemacht werden. Mein Quartier in Aachen war das Hotel Union. Am 3. August früh traf General v. Emmich ein. Ich sah ihn zum ersten Male. Tiefe Hochachtung verband mich von da ab mit diesem bedeutenden Soldaten bis zu seinem Tode. Sein Stabschef war Oberst Graf v. Lambsdorff, ein ausgezeichneter Offizier, der sich bei Lüttich und später große Verdienste erwarb.

Am 4. August früh erfolgte der Vormarsch über die belgische Grenze. Am gleichen Tage machte ich bei Vise, hart an der holländischen Grenze, mein erstes Gefecht mit. Es war ganz klar, dass Belgien auf unsern Einmarsch seit langem vorbereitet war. Die Straßen waren so planmäßig zerstört und gesperrt, wie es nur bei anhaltender Arbeit möglich war. An der belgischen Südwestgrenze haben wir nichts von ähnlichen Sperren entdecken können. Warum hat Belgien gegen Frankreich nicht die gleichen Maßnahmen ergriffen?

Die Frage, ob wir die Brücken bei Visé unversehrt besetzen würden, war von besonderer Bedeutung. Ich begab mich zu dem Kavalleriekorps v. der Marwitz, das dorthin angesetzt war. Es kam nur langsam vorwärts, da ein Verhau nach dem andern die Straße sperrte. Auf meine Bitte wurde eine Radfahrer-Kompagnie vorgeschickt. Bald darauf kam ein Radfahrer zurück: die Kompagnie wäre nach Visé hineingefahren und vollständig vernichtet. Ich machte mich mit zwei Mann dorthin auf und fand zu meiner Freude die Kompagnie unversehrt, nur der Führer war gerade durch einen Schuss vom anderen Maasufer her schwer verwundet. Die Erinnerung an diese kleine Episode hat mir später geholfen. Ich wurde unempfindlicher gegen Tataren- oder, wie es später hieß, Etappengerüchte.

Die schönen, großen Maasbrücken bei Vise waren zerstört: Belgien war auf den Krieg eingestellt.

Am Abend war ich in Herve, meinem ersten Quartier auf feindlichem Boden. Wir übernachteten in einem Gasthof gegenüber dem Bahnhof. Alles war unversehrt. Wir legten uns ruhig schlafen. In der Nacht erwachte ich durch ein lebhaftes Geschieße, auch gegen unser Haus. Der Franktireurkrieg in Belgien begann. Er lebte am nächsten Tage allerorts auf und hat so ausschlaggebend zu der Erbitterung beigetragen, die diesen Krieg im Westen, im Gegensatz zu der Stimmung im Osten, in den ersten Jahren kennzeichnen sollte. Die belgische Regierung hat eine schwere Verantwortung auf sich geladen. Sie hat den Volkskrieg planmäßig Organisiert. Die Garde civique, die im Frieden ihre Waffen und Uniformen hätte, konnte einmal in diesem, dann in jenem Gewande auftreten. Auch die belgischen Soldaten müssen zu Beginn des Krieges noch einen besonderen Zivilanzug im Tornister mitgeführt haben. Ich sah auf der Nordostfront Lüttichs in den Schützengräben bei Fort Barchon Uniformen liegen, die die dort kämpfenden Soldaten zurückgelassen hatten.

Solche Art von Krieg entsprach nicht den kriegerischen Gebräuchen. Es ist unserer Truppe nicht zu verdenken, wenn sie mit größter Schärfe dagegen einschritt. Unschuldige werden mit zu leiden gehabt haben, aber die „belgischen Gräuel“ sind eine überaus geschickte und mit allem Raffinement erfundene Und verbreitete Legende. Sie müssen einzig und allein der belgischen Regierung zur Last gelegt werden. Ich selbst war mit dem Gedanken einer ritterlichen und humanen Kriegführung ins Feld gezogen. Dieser Franktireurkrieg musste jeden Soldaten anwidern. Riem soldatisches Empfinden hatte eine schwere Enttäuschung erlitten. Die Aufgabe, die die vorausbeförderten Brigaden vor Lüttich zu lösen hatten, war schwer. Es war auch eine unerhört kühne Tat, durch die Fortlinie einer neuzeitlichen Festung hindurch in deren Inneres einzudringen. Die Truppen fühlten sich beklommen. Aus Gesprächen mit Offizieren entnahm ich, dass die Zuversicht auf Gelingen des Unternehmens nur gering war.

In der Nacht vom 5. zum 6. August begann der Vormarsch durch die Werke nach Lüttich hinein.

Gegen Mitternacht des 5./6. verließ General v. Emmich Hervé. Wir ritten zur Versammlung der 14. Infanterie-Brigade — Generalmajor v. Wussow — nach Micheroux, etwa 2—3 km von Fort Fléron entfernt. Auf der Straße, die von dem Fort aus unmittelbar bestrichen werden konnte, sammelten sich in tief dunkler Nacht die Truppen mit den ihnen noch recht ungewohnten, aber so überaus segensreichen Feldküchen in einer wenig kriegsmäßigen Weise. In diese Versammlung hinein fielen einige Schüsse aus einem Hause südlich der Straße. Es entstanden Kämpfe. Das Fort aber schwieg, es war ein Gotteswunder. Etwa gegen 1 Uhr begann der Vormarsch. Er führte uns nördlich Fort Fléron vorbei über Retinne hinter die Fortlinie und dann auf die am Rand« der Stadt gelegenen Höhen der Chartreuse. Dort sollten wir am frühen Vormittag sein; die übrigen Brigaden, die die Fortlinie an anderer Stelle durchbrechen sollten, hatten zu gleicher Zeit die Stadt zu erreichen.

Der Stab des Generals v. Emmich war ziemlich am Ende der Marschkolonne. Plötzlich ein Hält von längerer Dauer. Ich schob mich von hinten durch die Marschkolonne nach vorn hindurch. Der Halt war ohne jeden Grund entstanden, im Gegenteil war die Auffassung der Lage, die ihn verursacht hatte, eine recht bedauerliche gewesen. Ich selbst war eigentlich nur Schlachtenbummler, hatte keine Befehlsgewalt und sollte nur mein später eintreffendes Armee-Oberkommando über die Vorgänge bei Lüttich unterrichten, sowie die Maßnahmen des Generals v. Emmich mit den zu erwartenden Anordnungen des Generals v. Bülow in Einklang bringen. Ich setzte die Kolonne selbstverständlich in Marsch und blieb an ihrem Anfang. Die Verbindung nach vorn war inzwischen verlorengegangen. In voller Dunkelheit, mit Mühe den Weg verfolgend, kamen wir nach Retinne. Der Anschluss nach vorn fehlte immer noch. Ich trat mit der Spitze aus einem falschen Dorfausgang hinaus. Schüsse schlugen uns entgegen. Rechts und links fielen Leute. Den hörbaren Einschlag der Geschosse in menschliche Körper werde ich nie vergessen. Wir machten einige Sprünge gegen den nicht sichtbaren Feind, dessen Feuer lebhafter wurde. In der Dunkelheit war das Zurechtfinden nicht leicht. Es konnte aber kein Zweifel sein, dass wir falsch gegangen waren. Wir mussten aus dem Feuer zurück, das war peinlich. Die Mannschaften konnten nur glauben, ich hätte Furcht. Es half nichts, Höheres stand auf dem Spiel. Ich kroch zurück und gab den Leuten den Befehl, bis an den Dorfrand zu folgen.

In Retinne setzte ich mich auf den richtigen Weg. Hier sah ich den Pferdeburschen des Generals v. Wussow mit dessen Pferden. Er meinte, der General sei gefallen. Mit geringer Begleitung schlug ich den richtigen Weg, die Chaussee nach Queue du Bois, ein. Plötzlich ein Feuerschein vor mir. Ein Kartätschschuss prasselte die Straße entlang, wir blieben unverletzt. Nach wenigen Schritten stießen wir auf einen Haufen toter und verwundeter deutscher Soldaten. Es war die Spitze Mit General v. Wussow, ein früherer Kartätschschuss musste sie getroffen haben. Ich sammelte die nach und nach eintreffenden Soldaten des Jäger-Bataillons 4 und des Infanterie-Regiments 27 und beschloss, die Führung der Brigade zu übernehmen. Zunächst galt es, die Geschütze zu beseitigen, die die Straße beschossen. Die Hauptleute v. Harbou und Brinkmann vom Generalstabe schoben sich mit einigen tapferen Leuten durch die Hecken und Gehöfte zu beiden Seiten der Chaussee an die Geschütze heran. Die starke Besatzung ergab sich. Der weitere Weg war frei.

Wir gingen vor und traten bald darauf in Queue du Bois in einen schweren Häuserkampf. Es wurde allmählich hell. Die beiden Generalstabshauptleute, der Kommandeur der Jäger, Major v. Marcard, der Kommandeur der II. Abteilung Feld-Regiments H, Major v. Greiff, und sein vortrefflicher Adjutant Oberleutnant Neide, einige Soldaten und ich schritten vorweg. Eine Feldhaubitze und später eine zweite wurden in gleiche Höhe vorgeholt. Sie säuberten die Straßen und schossen in die Häuser rechts und links. So kamen wir langsam vorwärts. Ich musste oft die Mannschaften, die nur zögernd vorgingen, ermahnen, mich nicht allein gehen zu lassen. Endlich lag das Dorf hinter uns. Die Bevölkerung war übrigens geflüchtet. Es handelte sich hier um Kämpfe gegen die reguläre belgische Armee.

Beim Heraustreten aus dem Dorf erkannten wir nach der Maas zu eine in Richtung Lüttich marschierende Kolonne. Ich hoffte, es wäre die 27. Infanterie-Brigade. Es waren aber Belgier, die über die Maas kopflos abzogen, statt uns anzugreifen. Lange Zeit dauerte es, bis die Lage festgestellt war. Inzwischen verstärkten sich die bei mir befindlichen Kräfte durch das Eintreffen zurückgebliebener Soldaten. Der Durchbruch durch die Fortlinie war gelungen. Das Infanterie-Regiment 165 unter seinem hervorragenden Kommandeur, dem damaligen Oberst v. Oven, rückte geschlossen heran.

General v. Emmich traf ein. Der Vormarsch auf die Chartreuse wurde fortgesetzt. General v. Emmich stellte mir noch Teile der weiter südlich angesetzten II. Infanterie-Brigade zur Verfügung in der Annahme, dass auch sie durchgebrochen sei. Der Weitermarsch fand ohne Zwischenfälle statt. Im Angesicht der Werke an der Nordfront Lüttichs erstiegen wir aus dem Maastal die Höhen östlich der Chartreuse. Als die Brigade dort eintraf, war es etwa 2 Uhr geworden. Die Geschütze wurden gegen die Stadt gerichtet. Ab und zu wurde ein Schuss abgegeben, teils als Signalschuss für die anderen Brigaden, teils uni den Kommandanten und die Stadt willfährig zu machen. Ich musste sorgfältig mit der Munition haushalten, sie war sehr knapp geworden. Die Truppe war erschöpft und durch den zersetzenden Kampf teilweise stark mitgenommen. Die Offiziere hatten ihre Pferde verloren. Die Feldküchen waren zurückgeblieben. Ich ließ die Brigade rasten und verpflegte sie, so gut es ging, durch Beitreibungen aus den umliegenden Häusern.

Bald erreichte General v. Emmich wieder die Brigade. Von den Höhen östlich der Chartreuse hatten wir einen schönen Überblick über die Stadt. Sie lag zu unseren Füßen. Aus ihr heraus, auf dem jenseitigen Ufer der Maas, erhob sich die Zitadelle. Dort wurden plötzlich weiße Fahnen gesetzt. General v. Emmich wollte einen Parlamentär hinsenden. Ich schlug vor, den feindlichen zu erwarten. Der General blieb bei seinem Entschluss. Hauptmann v. Harbou ritt in die Stadt. Um 7 Uhr abends kam er wieder: die weiße Flagge wäre gegen den Willen des Kommandanten gezeigt. Zum Einmarsch in Lüttich war es zu spät geworden. Eine schwere Nacht stand bevor.

Inzwischen hatte ich die Brigade sich einrichten lassen. Unsere Lage war ungemein ernst. Von den anderen Brigaden kam keine Nachricht, auch von der II. nicht. Meldereiter waren nicht durchgekommen. Es wurde immer klarer: die Brigade befand sich allein im Fortgürtel, abgeschlossen von der Außenwelt. Wir mussten mit feindlichen Gegenangriffen rechnen. Besonders unbequem waren für uns etwa tausend belgische Gefangene. Als erkannt wurde, dass die vor uns liegende Chartreuse, ein altes Festungswerk, unbesetzt war, sandte ich eine Kompagnie mit diesen Gefangenen dorthin. Der Kompagniechef muss an meinem Verstande gezweifelt haben.

Die Nervosität der Truppe steigerte sich bei Einbruch der Dunkelheit. Ich ging die Fronten ab und ermahnte die Leute zur Ruhe und festen Haltung. Das Wort „Wir sind morgen in Lüttich“ richtete sie auf.

General v. Emmich mit seinem Stabe fand in einem kleinen Bauernhof Unterkunft.

Ich werde die Nacht vom 6./7. August nie vergessen. Es war kalt. Meine Sachen hatte ich zurückgelassen, Major v. Marcard gab mir seinen Umhang. Gespannt lauschte ich, ob irgendwo ein Kampf hörbar würde. Ich hoffte immer noch, dass wenigstens die eine oder andere Brigade die Fortlinie durchbrochen habe. Alles blieb still, nur alle halbe Stunde fiel ein Haubitzschuss auf die Stadt. Die Spannung war unerträglich. Gegen 10 Uhr abends gab ich einer Jäger-Kompagnie, Hauptmann Ott, den Befehl, die Maasbrücken in Lüttich zu besetzen, um sie für weiteren Vormarsch in der Hand und eine Sicherung für die Brigade weiter vorn zu haben. Der Hauptmann sah mich an — und ging. Die Kompagnie erreichte ohne Kampf ihr Ziel. Meldungen kamen nicht zurück.

Es wurde Morgen. Ich ging zum General v. Emmich und besprach mit ihm die Lage,. Der Entschluss, einzurücken, stand fest. Nur den Zeitpunkt wollte sich der General noch vorbehalten. Während ich die Aufstellung der Brigade verbesserte und versuchte, die Vormarschstraße der II. Infanterie-Brigade zu erreichen, erteilte mir sehr bald darauf der General v. Emmich den Befehl zum Einmarsch. Oberst v. Oven hatte die Vorhut. Der Rest der Brigade mit den Gefangenen folgte in gewissem Abstande, General v. Emmich mit seinem Stabe und ich mit dem Brigadestabe an dessen Anfang. Während des Einmarsches ergaben sich viele umherstehende belgische Soldaten. Oberst v. Oven sollte die Zitadelle besetzen. Meldungen veranlassten ihn, dies nicht zu tun, sondern den Weg in Richtung Fort Loncin, im Nordwesten der Stadt, einzuschlagen und sich an diesem Ausgang von Lüttich aufzustellen. In der Annahme, dass Oberst v. Oven auf der Zitadelle sei, fuhr ich mit dem Brigade-Adjutanten in einem belgischen Kraftwagen, den ich mir nahm, dorthin voraus. Kein deutscher Soldat war dort, als ich eintraf. Die Zitadelle war noch in feindlicher Hand. Ich schlug an das verschlossene Tor. Es wurde von innen geöffnet. Die paar hundert Belgier ergaben sich mir auf meine Aufforderung.

Die Brigade rückte nun an und besetzte die Zitadelle, die ich sofort zur Verteidigung einrichtete.

Meine selbstübernommene Aufgabe war damit beendet. Ich konnte General v. Emmich bitten, mich nunmehr zu entlassen. Ich beabsichtigte, auf dem gleichen Wege, auf dem ich hineingekommen war, aus der Festung herauszufahren, um das Armee-Oberkommando von dem Vorgefallenen in Kenntnis zu setzen, die anderen Brigaden aufzusuchen und den Artillerieaufmarsch gegen die Forts einzuleiten. Noch während ich auf der Zitadelle war, trafen einige hundert Mann deutsche Gefangene ein, die jetzt befreit waren. Die 34. Infanterie-Brigade war auf dem westlichen Maasufer mit ihren Anfängen durchgebrochen, hatte aber dann den Kampf aufgegeben. Die durchgebrochenen Teile waren gefangen genommen. Dann kam noch die später die 27. Infanterie-Brigade, so dass General v. Emmich, als ich ihn verließ, doch über eine gewisse Macht verfügte. Allerdings lagen Meldungen vor, dass Franzosen von Namur in Vormarsch wären. Die Lage blieb also verzweifelt ernst. Sie konnte erst als gesichert angesehen werden, wenn wenigstens einige Ostforts gefallen waren.

Mein Abschied von General v. Emmich war bewegt. Um 7 Uhr trat ich die Fahrt nach Aachen an, die eigenartig war. Ein Mann der Garde civique erbot sich, mich dorthin zu bringen. Er wählte einen Kraftwagen aus, den ich aber ablehnte. Der Kraftwagen, den ich nahm, versagte schon in der Zitadelle. Mir blieb so nichts anderes übrig, als mich blind dem belgischen Soldaten anzuvertrauen. Die Fahrt ging glatt. Wir kamen durch Hervé; mein Quartier und der Bahnhof waren niedergebrannt. Auf deutschem Gebiet blieb der Wagenführer plötzlich halten und erklärte mir, er könne nicht weiterfahren. Mit Hilfe verschiedener Fahrgelegenheiten traf ich dann spät abends mit meinem belgischen Soldaten in Aachen ein. Ich wurde dort in dem Hotel Union wie ein vom Tode Auferstandener begrüßt. Hier fand ich auch unsere große Bagage mit meinem Burschen Rudolf Peters, der mir Treue während sechs langer Jahre bewahrt hat. Sein größter Wunsch war das Eiserne Kreuz; er konnte es nicht erhalten, da die Verleihung desselben an ihn meinen Anschauungen widersprach. In Aachen aß ich schnell und fuhr dann in der Nacht nach vorn, um die Brigaden zu suchen. Beinahe 90 Stunden kam ich nicht aus den Kleidern. Ich traf zufällig mein altes Regiment, das in aller Eile auf die Bahn gesetzt war, um bei Lüttich zu helfen. Auch die Oberste Heeresleitung in Berlin hatte über unser Schicksal die schwersten Befürchtungen gehegt.

Die Lage unserer Truppen in der Festung war hochgespannt. Ich hatte Sorge um ihr Geschick. Diese Spannung löste sich, der Feind tat nichts.

Die Schilderung der weiteren Ereignisse vor Lüttich fällt der Kriegsgeschichte zu.

Ich vermochte nur noch bei der Einnahme des Fort de Pontisse an der Nordfront mitzuwirken und kam hinzu, als das Fort Loncin fiel. Ein Schuss unseres 42 cm-Geschützes hatte es getroffen. Die Munitionsräume waren in die Luft gegangen und das Werk in sich zusammengefallen. Geschwärzte, geistig völlig verwirrte belgische Soldaten, vermischt mit deutschen Kriegsgefangenen aus der Nacht vom 5./6. August, krochen aus den Trümmerhaufen hervor. Blutend, mit hocherhobenen Händen, kamen sie uns entgegen. „Ne pas tuer, ne pas tuer“ (Nicht töten, nicht töten) brachten sie stammelnd hervor. Wir waren keine Hunnen. Unsere Soldaten brachten Wasser herbei, um den Feind zu erfrischen.

Die Werke kamen nach und nach und so rechtzeitig in unsere Hand, dass der rechte Flügel des deutschen Heeres den Vormarsch über die Maas nach Belgien hinein ungehindert ausführen konnte. Mir war ein Stein vom Herzen gefallen.

Ich habe es als besondere Gunst des Schicksals angesehen, dass ich bei der Einnahme von Lüttich mitwirken konnte, zumal ich im Frieden an dem Entwurf zum Angriff mitgearbeitet hatte und von der Wichtigkeit der Aufgabe durchdrungen war. Seine Majestät verlieh mir für die Führung der Brigade den Orden Pour le mérite. General v. Emmich erhielt ihn selbstverständlich als Erster. Er war der verantwortliche Führer. Auch die Einnahme von Lüttich war eine Tat, bei der nicht einer allein, sondern eine Reihe von Männern mitgewirkt hat, die sich in den Ruhm teilen können, die Festung bezwungen zu haben.

1 Mit Genehmigung des Verlags E. S. Mittler & Sohn, Berlin, etwas gekürzt abgedruckt aus: Ludendorff, Meine Kriegserinnerungen.

Im Felde unbesiegt

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