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VIII

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Das Schloss, ein moderner Bau im Renaissancestil mit zwei vorspringenden Flügeln und drei Freitreppen, spreizte sich jenseits einer weiten Rasenfläche, auf der einige Kühe zwischen vereinzelten Gruppen großer Bäume weideten, während buschiges Strauchwerk, Rhododendron, Flieder und Schneeball ihr ungleichmäßiges Grün längs des gewundenen, sandbestreuten Weges wölbten. Unter einer Brücke floss ein Bach hindurch; im Abendnebel waren strohgedeckte Häuser zu unterscheiden; sie lagen über das Wiesengelände verstreut; dieses wurde von zwei sanft abfallenden, bewaldeten Hügeln gesäumt, und hinten hoben sich von dem Buschwerk in zwei parallelen Reihen die Schuppen und Ställe ab, die Überbleibsel des alten, zerstörten Schlosses.

Charles’ Einspänner hielt vor der mittleren Freitreppe; Diener erschienen; der Marquis trat herzu, bot der Doktorsfrau den Arm und geleitete sie in die Vorhalle.

Sie war mit Marmorfliesen belegt und sehr hoch; das Geräusch der Schritte wie das der Stimmen hallte darin wider wie in einer Kirche. Gegenüber stieg ganz gerade eine Treppe empor, und zur Linken war ein Gang mit auf den Park hinausgehenden Fenstern; er führte zum Billardzimmer, aus dem man schon von der Tür her das Aneinanderprallen der elfenbeinernen Bälle vernahm. Als Emma es durchschritt, um in den Salon zu gelangen, erblickte sie rings um die Billardtische Herren mit ernsten Gesichtern, deren Kinn auf hohen Halsbinden ruhte; alle trugen Ordensbändchen, und sie lächelten schweigend beim Handhaben ihrer Queues. Auf der düsteren Holztäfelung hingen große Bilder in Goldrahmen; unten auf den Leisten standen in schwarzen Lettern Namen. Sie las: »Jean-Antoine d’Andervilliers d’Yvertonville, Graf de La Vaubyessard und Baron de la Fresnaye, gefallen in der Schlacht bei Coutras am 20. Oktober 1587.« Und auf einem andern: »Jean-Antoine-Henry-Guy d’Andervilliers de La Vaubyessard, Admiral von Frankreich und Ritter des Sankt-Michael-Ordens, verwundet im Gefecht bei La Hougue-Saint-Waast am 29. Mai 1692, gestorben auf La Vaubyessard am 27. Januar 1693.« Die nächsten waren kaum zu erkennen; denn das von dem grünen Tuch der Billards zurückgeworfene Lampenlicht schuf im Raum wogenden Schatten. Er bräunte die Gemälde und brach sich in dünnen Linien daran, je nach den Krakelüren im Firnis; und auf all diesen großen, goldgerandeten Vierecken trat hier und dort eine hellere Partie der Malerei hervor, eine bleiche Stirn, zwei Augen, die einen anschauten, Allongeperücken, die auf die puderbestreuten Schultern roter Gewänder niederwallten, oder auch die Schnalle eines Strumpfbands oberhalb einer gewölbten Wade.

Der Marquis öffnete die Tür zum Salon; eine der Damen erhob sich (es war die Marquise), ging Emma entgegen, bot ihr einen Platz neben sich auf einer Causeuse an und begann freundschaftlich mit ihr zu plaudern, als ob sie sie schon seit langem kenne. Sie war eine Frau von ungefähr vierzig Jahren mit schönen Schultern und einer Adlernase; sie sprach etwas schleppend und trug an diesem Abend über ihrem kastanienbraunen Haar ein schlichtes Tuch aus Gipüre-Spitze, das hinten als Dreieck herabhing. Neben ihr saß auf einem hochlehnigen Stuhl ein junges, blondes Mädchen; und Herren, die kleine Blumen im Knopfloch ihrer Fräcke trugen, plauderten mit den Damen, alle saßen um den Kamin herum.

Um sieben Uhr wurde das Abendessen aufgetragen. Die Herren waren in der Überzahl; sie nahmen in der Vorhalle Platz an der ersten Tafel; die Damen, der Marquis und die Marquise an der zweiten im Esszimmer.

Beim Eintreten fühlte Emma sich von warmer Luft umwogt, einem Gemisch vom Duft der Blumen und der feinen Tischwäsche, vom Dampf der Fleischgerichte und dem Aroma der Trüffeln. Die Kerzen der Armleuchter spiegelten ihre Flämmchen verlängert auf den silbernen Bratenhauben; die geschliffenen Kristallgläser, auf denen ein matter Hauch lag, warfen einander blasse Strahlen zu; Blumensträuße reihten sich in gerader Linie über die ganze Länge der Tafel, und auf den breitrandigen Tellern lagen zu Mitren gefaltete Servietten, die in dem Spalt zwischen ihren beiden Falten ein ovales Brötchen trugen. Die roten Scheren der Hummer ragten über die Platten hinaus; in durchbrochenen Körben türmten sich schwellende Früchte auf Moos; die Wachteln hatten noch ihr Gefieder; Dampfwölkchen stiegen auf; und in Seidenstrümpfen, Kniehose, weißer Halsbinde und Hemdkrause, ernst wie ein Richter, reichte der Haushofmeister die tranchierten Gerichte zwischen den Schultern der Gäste hindurch und ließ mit einem Stoß seines Vorlegelöffels das gewählte Stück auf den Teller hüpfen. Auf dem großen Kachelofen mit Messingleisten stand eine bis zum Kinn verhüllte Frauenstatue und schaute reglos auf die vielen Menschen herab.

Madame Bovary bemerkte, dass mehrere Damen ihre Handschuhe nicht in ihr Glas gesteckt hatten.

Aber am Ende der Tafel, allein inmitten all dieser Frauen, saß, über seinen vollen Teller gebeugt und die Serviette um den Hals geknotet wie ein Kind, ein alter Herr und aß, wobei er Soßentropfen aus dem Mund fallen ließ. Seine Augen waren rot unterlaufen, und er trug einen kleinen, mit einem schwarzen Seidenband umwundenen Zopf. Es war der Schwiegervater des Marquis, der alte Herzog von Laverdière, der ehemalige Günstling des Grafen von Artois in den Zeiten der Jagdpartien von Le Vaudreuil beim Marquis de Conflans, und er war, wie es hieß, der Geliebte der Königin Marie-Antoinette gewesen, zwischen den Herren de Coigny und de Lauzun. Er hatte ein rauschendes Leben der Ausschweifungen geführt, voller Duelle, Wetten und Entführungen von Frauen; sein Vermögen hatte er vergeudet und war der Schrecken der Familie gewesen. Ein hinter seinem Stuhl stehender Diener rief ihm mit lauter Stimme die Namen der Gerichte ins Ohr, die er stammelnd mit dem Finger bezeichnete; und immer wieder kehrten Emmas Augen unwillkürlich zu diesem alten Mann mit den Hängelippen zurück, als sei er etwas Außerordentliches und Erhabenes. Hatte er doch am Hof gelebt und im Bett der Königinnen geschlafen!

Es wurde frappierter Champagner gereicht. Emma überlief es am ganzen Körper, als sie die Kälte im Mund spürte. Nie zuvor hatte sie Granatäpfel gesehen oder Ananas gegessen. Sogar der Puderzucker erschien ihr feiner und weißer als anderswo.

Dann gingen die Damen in ihre Zimmer hinauf und richteten sich für den Ball her.

Emma widmete ihrer Toilette die sorgsame Gründlichkeit einer Schauspielerin vor ihrem Debüt. Sie ordnete ihr Haar nach den Vorschlägen des Friseurs und schlüpfte in ihr Barègekleid, das ausgebreitet auf dem Bett lag. Charles drückte die Hose auf dem Bauch.

»Die Stege werden mich beim Tanzen behindern«, sagte er.

»Du willst tanzen?«, entgegnete Emma.

»Natürlich!«

»Aber du bist ja verrückt! Man würde sich bloß über dich lustig machen; bleib ruhig sitzen. Übrigens schickt sich das viel besser für einen Arzt«, fügte sie hinzu.

Charles schwieg. Er ging im Zimmer hin und her und wartete, bis Emma fertig angezogen war.

Er sah sie über den Rücken hinweg im Spiegel zwischen zwei Leuchtern. Ihre schwarzen Augen wirkten noch dunkler. Ihr gescheiteltes, flach anliegendes Haar, das nach den Ohren zu etwas aufgebauscht war, schimmerte in bläulichem Glanz; in ihrem Haarknoten zitterte eine Rose an beweglichem Stiel, mit künstlichen Tauperlen an den Spitzen der Blätter. Ihr Kleid war matt safrangelb; es wurde durch drei Sträußchen von imitierten Rosen zwischen Blattgrün belebt.

Charles küsste sie auf die Schulter.

»Lass mich!«, sagte sie. »Du zerknitterst mir alles.«

Ein Geigen-Ritornell und Hornklänge wurden vernehmlich. Sie stieg die Treppe hinab; am liebsten wäre sie gerannt.

Die Quadrillen hatten begonnen. Es kamen immer neue Gäste. Gedränge entstand. Sie setzte sich neben der Tür auf ein Bänkchen.

Als der Kontertanz zu Ende war, blieb das Parkett frei für Gruppen im Stehen plaudernder Herren und livrierte Diener, die große Tabletts trugen. In der Reihe der sitzenden Damen gingen die Fächer auf und nieder; die Buketts verdeckten zur Hälfte die lächelnden Gesichter, und Riechfläschchen mit Goldstöpseln machten die Runde in den kaum geöffneten Händen, an deren weißen Handschuhen, die die Haut am Handgelenk zusammenpressten, die Form der Fingernägel hervortrat. Die Spitzengarnituren auf den Korsagen bebten leise, auf den Busen glitzerten Diamantbroschen, Armreife mit Medaillons streiften geräuschvoll über bloße Arme. Als Kränze, Trauben oder Zweige wurden im Haar, das über der Stirn glatt anlag und im Nacken zu einem Knoten gewunden war, Vergissmeinnicht, Jasmin, Granatapfelblüten, Ähren oder Kornblumen getragen. Mütter mit sauertöpfischen Mienen saßen geruhsam auf ihren Plätzen und trugen rote Turbane.

Emma klopfte ein bisschen das Herz, als ihr Tänzer sie an den Fingerspitzen fasste; sie ließ sich in die Reihe der andern führen und wartete auf den ersten Bogenstrich, um loszutanzen. Bald jedoch war die Erregung geschwunden; sie wiegte sich in den Rhythmen des Orchesters und glitt mit leichten Bewegungen des Halses vorwärts. Bei gewissen zärtlichen Violinpassagen umspielte ihre Lippen ein Lächeln; zuweilen, wenn die Musikinstrumente schwiegen, war das helle Klingen der Geldstücke auf den Spieltischen zu hören; dann begann alles von neuem; das Waldhorn setzte mit vollem Klang ein, die Füße fanden den Takt wieder, die Röcke bauschten sich und streiften einander, Hände fanden und ließen sich; dieselben Augen, die sich vor einem gesenkt hatten, blickten einen gleich darauf wieder fest an.

Einige Herren (etwa fünfzehn) zwischen fünfundzwanzig und vierzig, die entweder unter den Tänzern waren oder plaudernd an den Türen standen, hoben sich von der Menge durch eine gewisse Familienähnlichkeit ab, trotz aller Unterschiede des Alters, der Toilette oder der Gestalt.

Ihre besser gearbeiteten Fräcke schienen aus weicherem Tuch zu bestehen, und ihr in Wellen an den Schläfen zurückgestrichenes Haar glänzte von erleseneren Pomaden. Sie hatten den Teint des Reichtums, jenen hellen Teint, den die Blässe von Porzellangeschirr, das Schillern von Seide und der Lack schöner Möbel noch steigern und den eine diskrete Diät und exquisite Ernährung bewahren. Ihr Hals drehte sich zwanglos über niedrigen Binden; ihre langen Bartkoteletten fielen über umgeschlagene Kragenecken; sie trockneten sich die Lippen mit Taschentüchern, auf die große Monogramme gestickt waren und denen ein köstlicher Duft entströmte. Die zu altern begannen, wirkten jugendlich, während den Gesichtern der jüngeren eine gewisse Reife eigen war. Aus ihren gleichmütigen Blicken sprach die Ruhe täglich befriedigter Leidenschaften; und durch ihre glatten Manieren brach die eigenartige Brutalität hindurch, die die Beherrschung von etwas halbwegs Leichtem verleiht, wobei die Kraft sich übt und die Eitelkeit sich ergötzt beim Umgang mit Rassepferden und in der Gesellschaft käuflicher Frauen.

Drei Schritte von Emma entfernt plauderte ein Herr im blauen Frack mit einer jungen, blassen Frau, die einen Perlenschmuck trug, über Italien. Sie schwärmten von der Dicke der Pfeiler der Peterskirche, von Tivoli, dem Vesuv, Castellammare und den Villen um Florenz, den Genueser Rosen und dem Kolosseum bei Mondschein. Mit dem anderen Ohr lauschte Emma einer Unterhaltung, in der Ausdrücke vorkamen, die sie nicht verstand. Man umringte einen jungen Herrn, der vorige Woche in England »Miss Arabella« und »Romulus« geschlagen und beim Grabensprung zweitausend Louis gewonnen hatte. Einer klagte, dass seine Pferde nicht im Training seien; ein anderer jammerte über einen Druckfehler, der den Namen seines Pferdes entstellt habe.

Die Luft im Ballsaal war schwer; die Lichter waren fahler geworden. Alles drängte nach dem Billardzimmer. Ein Diener stieg auf einen Stuhl und zerschlug zwei Scheiben; beim Klirren der Glasscherben wandte Madame Bovary den Kopf und entdeckte im Park an den Fenstern hereinschauende Bauerngesichter. Da überkam sie die Erinnerung an Les Bertaux. Sie sah den Pachthof vor sich, die Mistpfütze, ihren Vater im Kittel unter den Apfelbäumen, und sah sich selber wieder wie einst, als sie in der Molkerei mit dem Finger die Milch in den Schüsseln abrahmte. Allein im Lichterglanz der gegenwärtigen Stunde verwehte die eben noch so klare Erinnerung an ihr früheres Leben völlig; es dünkte sie fast unmöglich, dass sie es gelebt hatte. Sie war hier; über alles, was vielleicht außerhalb des Ballsaals existierte, war Dunkel gebreitet. Jetzt aß sie Maraschino-Eis aus einer vergoldeten Silbermuschel, die sie in der linken Hand hielt, und sie schloss halb die Augen, den Löffel zwischen den Zähnen.

Eine neben ihr sitzende Dame ließ ihren Fächer fallen. Ein Tänzer ging vorüber.

»Haben Sie doch die Güte, Monsieur«, sagte die Dame, »meinen Fächer aufzuheben; er ist hinter das Sofa gefallen!«

Der Herr bückte sich, und während er seinen Arm ausstreckte, bemerkte Emma, wie die Hand der jungen Dame etwas Weißes, dreieckig Zusammengefaltetes in seinen Hut warf. Der Herr hob den Fächer auf und reichte ihn respektvoll der Dame; sie dankte ihm durch ein Neigen des Kopfs und roch an ihrem Strauß.

Nach dem Souper, bei dem es viele spanische Weine und Rheinweine gab, Krebssuppe und Mandelmilchsuppe, Pudding à la Trafalgar und alle Arten kalten Aufschnitts mit Gelee garniert, der auf den Platten zitterte, begannen die Wagen einer nach dem andern abzufahren. Wenn man eine Ecke des Musselinvorhangs beiseite schob, konnte man die Lichter ihrer Laternen im Dunkel entschwinden sehen. Die Bänkchen wurden leerer; ein paar Spieler blieben noch; die Musiker kühlten sich ihre Fingerspitzen mit der Zunge; Charles lehnte an einer Tür und war dem Einschlafen nahe.

Um drei Uhr morgens begann der Kotillon. Emma konnte nicht Walzer tanzen. Aber alle tanzten Walzer, sogar Mademoiselle d’Andervilliers und die Marquise; es waren nur noch die zur Nacht bleibenden Gäste da, etwa ein Dutzend Personen.

Da geschah es, dass einer der Tänzer, der einfach »Vicomte« genannt wurde und dessen weit ausgeschnittene Weste wie angegossen saß, Madame Bovary zum zweiten Mal aufforderte, wobei er versicherte, er wolle sie führen und es werde vortrefflich gehen.

Sie begannen langsam, dann tanzten sie schneller. Sie wirbelten dahin: alles um sie drehte sich, die Lampen, die Möbel, die Wandtäfelung, wie eine Drehscheibe auf einem Zapfen. Wenn sie an den Türen vorbeitanzten, legte ihre Schleppe sich um seine Hose; beider Beine gerieten ineinander; er senkte die Augen zu ihr hin, sie hob die ihren zu ihm empor; ihr schwindelte, sie hielt inne. Sie begannen von neuem, und mit einer schnelleren Bewegung riss der Vicomte sie mit sich fort und verschwand mit ihr bis ans Ende der Galerie, wo sie heftig atmend fast hingefallen wäre und für einen Augenblick den Kopf an seine Brust lehnte. Und dann führte er sie, noch immer tanzend, aber langsamer, auf ihren Platz zurück; sie lehnte sich gegen die Wand und legte die Hand vor die Augen.

Als sie sie wieder aufschlug, sah sie in der Mitte des Salons eine Dame auf einem Hocker sitzen, vor ihr knieten drei Walzertänzer. Sie wählte den Vicomte, und die Geige begann von neuem.

Man sah ihnen zu. Wieder und wieder tanzten sie vorüber, sie mit reglosem Körper, das Kinn gesenkt, und er immer in derselben Haltung, die Brust herausgedrückt, die Ellbogen gerundet, die Lippen vorgestreckt. Die konnte Walzer tanzen! Sie fanden kein Ende und tanzten alle anderen müde.

Dann wurde noch ein paar Minuten geplaudert, und als »Gute Nacht« oder vielmehr »Guten Morgen« gesagt worden war, gingen die Schlossgäste schlafen.

Charles schleppte sich am Treppengeländer hinauf; er hatte sich »die Beine in den Leib gestanden«. Fünf Stunden hintereinander hatte er an den Spieltischen ausgehalten und dem Whist zugeschaut, ohne das geringste davon zu verstehen. Daher stieß er einen tiefen Seufzer der Erleichterung aus, als er sich die Stiefel ausgezogen hatte.

Emma legte sich einen Schal um die Schultern, öffnete das Fenster und lehnte sich hinaus.

Die Nacht war schwarz. Vereinzelte Regentropfen fielen. Sie atmete den feuchten Wind ein, der ihr die Lider kühlte. Die Ballmusik hallte noch in ihren Ohren nach; sie hielt sich gewaltsam munter, um die Illusion dieses Lebens im Luxus, die sie nur zu bald würde aufgeben müssen, länger andauern zu lassen.

Der Morgen graute. Lange betrachtete sie die Fenster des Schlosses und überlegte, welches wohl die Zimmer derjenigen seien, die ihr am Vorabend aufgefallen waren. Wie gern hätte sie etwas von deren Leben gewusst, wie gern wäre sie hineingedrungen und damit verschmolzen.

Doch es fröstelte sie. Sie zog sich aus und schmiegte sich in die Kissen an den schlafenden Charles.

Zum Frühstück erschienen viele Leute. Es dauerte zehn Minuten; zur Verwunderung des Arztes wurden keine Liköre gereicht. Dann sammelte Mademoiselle d’Andervilliers die Brioche-Reste in einem Körbchen, um sie den Schwänen auf dem Teich zu bringen, und man unternahm einen Gang durch das Treibhaus, wo bizarre, stachelig behaarte Pflanzen in Pyramiden übereinandergestaffelt waren, unter hängenden Gefäßen, die, zu vollen Schlangennestern ähnlich, über ihre Ränder lange, ineinander verschlungene grüne Stränge herabhängen ließen. Die Orangerie, die sich am Ende befand, führte, ohne dass man ins Freie musste, zu den Wirtschaftsgebäuden des Schlosses. Um der jungen Frau eine Freude zu machen, führte der Marquis sie in die Ställe. Über den korbartigen Raufen waren Porzellanschilder angebracht, auf denen in schwarzer Schrift die Namen der Pferde standen. Jedes Tier rührte sich in seiner Box, wenn man an ihm vorbeiging und mit der Zunge schnalzte. Die Dielen in der Geschirrkammer glänzten wie Salonparkett. Die Wagengeschirre waren in der Mitte auf zwei drehbaren Pfeilern aufgehängt, und die Kandaren, die Peitschen, Steigbügel und Kinnketten hingen wohlgeordnet längs der Mauer.

Währenddessen bat Charles einen Bedienten, seinen Einspänner fertigzumachen. Er wurde vor die Freitreppe gefahren, und nachdem alles Gepäck verstaut worden war, bedankte das Ehepaar Bovary sich bei dem Marquis und der Marquise und fuhr heim nach Tostes.

Emma sah schweigend auf die sich drehenden Räder. Charles saß am äußersten Rand der Kutschbank und kutschierte mit abstehenden Ellbogen, und das Pferdchen lief im Zockeltrab in der Deichselgabel, die viel zu lang für es war. Die schlaffen Zügel klatschten ihm auf die Kruppe und wurden nass vom Geifer, und der hinten aufgeschnallte Koffer polterte in starken, regelmäßigen Stößen gegen den Wagenkasten.

Sie waren auf der Höhe von Tibourville, als plötzlich ein paar Reiter lachend und mit Zigarren im Mund an ihnen vorüberritten. Emma glaubte den Vicomte zu erkennen; sie wandte sich um und sah lediglich in der Ferne die im unregelmäßigen Rhythmus des Trabens oder Galoppierens sich auf und nieder bewegenden Köpfe.

Nach einer Viertelmeile musste gehalten und die gerissene Hemmkette mit einem Strick geflickt werden.

Als Charles einen letzten Blick auf das Geschirr warf, sah er etwas am Boden liegen, zwischen den Beinen seines Pferdes; und er hob eine ganz mit grüner Seide bestickte Zigarrentasche auf, die in der Mitte ein Wappen trug wie eine Karossentür.

»Sogar zwei Zigarren sind drin«, sagte er; »die rauche ich heute abend nach dem Essen.«

»Rauchst du denn?«

»Manchmal, wenn die Gelegenheit sich bietet.«

Er steckte seinen Fund in die Tasche und zog dem Klepper eins mit der Peitsche über.

Als sie daheim ankamen, stand das Abendessen nicht bereit. Madame brauste auf. Nastasie gab eine unverschämte Antwort.

»Machen Sie, dass Sie rauskommen!«, sagte Emma. »Das wäre ja noch schöner; Sie sind entlassen.«

Zum Abendessen gab es Zwiebelsuppe und ein Stück Kalbfleisch mit Sauerampfer. Charles saß Emma gegenüber, rieb sich die Hände und sagte mit glücklichem Gesicht:

»Es freut einen doch, wieder zu Hause zu sein.«

Man hörte Nastasie weinen. Er hatte das arme Mädchen recht gern. Früher, während der leeren Stunden seiner Witwerzeit, hatte sie ihm an so manchem Abend Gesellschaft geleistet. Sie war seine erste Patientin gewesen, seine älteste Bekannte im Dorf.

»Hast du ihr im Ernst gekündigt?«, fragte er schließlich.

»Ja. Warum auch nicht?«, antwortete sie.

Dann wärmten sie sich in der Küche, während ihr Schlafzimmer hergerichtet wurde. Charles fing an zu rauchen. Er rauchte mit vorgestülpten Lippen, spuckte alle Augenblicke aus und lehnte sich bei jedem Zug zurück.

»Dir wird noch übel«, sagte sie verächtlich.

Er legte seine Zigarre weg, lief zur Pumpe und stürzte ein Glas kaltes Wasser hinunter. Emma nahm die Zigarrentasche und warf sie rasch hinten in den Schrank.

Der Tag war lang, der Tag nach dem Fest! Sie ging in ihrem Gärtchen spazieren, immer dieselben Wege auf und ab, blieb vor den Blumenbeeten stehen, vor dem Spalier, vor dem Gipspfarrer und musterte verwundert alle diese alten Dinge, die sie doch so gut kannte. Wie weit schien ihr der Ballabend schon zurückzuliegen! Was war es nur, das eine solche Entfernung zwischen dem vorgestrigen Morgen und dem heutigen Abend schuf? Die Fahrt nach La Vaubyessard hatte in ihr Leben einen Riss gebracht, einen klaffenden Spalt, wie ihn ein Unwetter zuweilen innerhalb einer einzigen Nacht in den Bergen höhlt. Gleichwohl schickte sie sich darein; sie verschloss ihr schönes Ballkleid behutsam in der Kommode, und sogar die Atlasschuhe, deren Sohlen vom Parkettwachs gelb geworden waren. Ihrem Herzen ging es genauso: bei der Berührung mit dem Reichtum war daran etwas haften geblieben, das nie weichen würde.

Das Zurückdenken an jenen Ball wurde für Emma fortan zu einer Beschäftigung. Jedesmal, wenn sie mittwochs erwachte, sagte sie sich: »Ach, vor acht Tagen …, vor vierzehn Tagen …, vor drei Wochen war ich dort!« Und nach und nach verschwammen in ihrer Erinnerung die Gesichter, sie vergaß die Tanzmelodien, sie hatte die Livreen und die Räumlichkeiten nicht mehr so deutlich vor Augen; die Einzelheiten waren in Vergessenheit geraten, aber die Sehnsucht verharrte in ihr.

Madame Bovary. Sittenbild aus der Provinz

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