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Die Backsteinfassade stand genau in der Fluchtlinie der Straße oder vielmehr der Landstraße. Hinter der Haustür hingen ein Mantel mit kleinem Kragen, ein Zügel, eine schwarze Ledermütze, und in einem Winkel lagen auf der Erde ein Paar Gamaschen, an denen noch der getrocknete Dreck haftete. Rechts lag die große Stube, das heißt: der Raum, wo gegessen wurde und wo man sich aufzuhalten pflegte. Eine kanariengelbe Tapete, die oben durch eine Girlande aus blassen Blumen belebt wurde, zitterte von oben bis unten, so schlecht war der Leinenuntergrund gespannt; die Gardinen waren aus weißem Kattun mit roter Borte; sie überschnitten sich an den Fenstern, und auf dem schmalen Kaminsims glänzte eine Stutzuhr mit einem Hippokrateskopf zwischen zwei versilberten Leuchtern unter ovalen Glasglocken. Auf der anderen Seite des Flurs lag Charles’ Sprechzimmer, ein kleines Gelass von etwa sechs Fuß Breite, mit einem Tisch, drei Stühlen und einem Schreibtischsessel. Die Bände des »Medizinischen Lexikons« waren unaufgeschnitten, und ihre Broschur war bei all den Versteigerungen, die sie durchgemacht hatten, arg schadhaft geworden; sie füllten ganz allein schon die sechs Fächer eines Büchergestells aus Tannenholz. Während der Sprechstunde drang der Kochdunst durch die Wand, gerade wie man in der Küche die Patienten husten und des langen und breiten ihre Geschichte erzählen hören konnte. Dann kam, mit einem Ausgang unmittelbar nach dem Hof hin, wo der Pferdestall war, ein großer, verwahrloster Raum; er enthielt einen Backofen und diente jetzt als Holzschuppen, Keller und Rumpelkammer; er war vollgepfropft mit altem Eisenkram, leeren Fässern, ausgedientem Ackergerät und einem Haufen anderer verstaubter Dinge, deren Zweck sich unmöglich erraten ließ.

Der Garten war mehr lang als breit; er erstreckte sich zwischen zwei Lehmmauern mit Strohkappe und Aprikosenspalieren bis zu einer Dornenhecke, die ihn von den Feldern trennte. In der Mitte stand auf einem gemauerten Sockel eine Sonnenuhr aus Schiefer; vier Beete mit kümmernden Buschrosen umgaben symmetrisch das nützlichere Viereck mit Gemüse und Küchenkräutern. Ganz hinten unter amerikanischen Fichten stand ein gipserner Pfarrer und las sein Brevier.

Emma stieg zu den Schlafzimmern hinauf. Das erste war überhaupt nicht möbliert; aber im zweiten, dem ehelichen Schlafgemach, stand in einer Nische mit roter Draperie ein Mahagonibett. Ein Muschelkästchen zierte die Kommode; und auf dem Schreibpult am Fenster stand in einer Karaffe ein von weißen Atlasbändern umwundener Orangenblütenstrauß. Es war ein Hochzeitsstrauß, der Strauß der andern! Emma sah ihn sich an. Das bemerkte Charles; er nahm ihn und trug ihn auf den Speicher, während Emma in einem Lehnstuhl saß (rings um sie her wurden ihre Sachen aufgebaut) und an ihren eigenen Hochzeitsstrauß dachte, der in einen Karton verpackt war; und sie fragte sich träumerisch, was wohl daraus werden würde, wenn zufällig sie als die erste sterben sollte.

Während der ersten Tage beschäftigte sie sich damit, die Änderungen zu überlegen, die sie im Haus durchführen wollte. Sie nahm die Glasglocken von den Leuchtern, ließ neue Tapeten ankleben, die Treppe streichen und im Garten rings um die Sonnenuhr Bänke aufstellen; sie fragte sogar, wie man es anfangen müsse, um ein Becken mit Springbrunnen und Fischen zu bekommen. Ihr Mann wusste, dass sie gern spazieren fuhr; also kaufte er aus zweiter Hand einen zweirädrigen Einspänner, der, nachdem er neue Laternen und ein gestepptes Spritzleder bekommen hatte, fast wie ein Dogcart aussah.

So war er also glücklich und aller Sorgen ledig. Eine Mahlzeit zu zweit, ein abendlicher Spaziergang auf der Hauptstraße, ein Gleiten ihrer Hand über das glatt anliegende Haar, der Anblick ihres Strohhuts, der an einem Fensterriegel hing, und viele andere Dinge noch, von denen Charles niemals geglaubt hätte, dass sie mit Lustgefühlen verbunden seien, bildeten für ihn jetzt eine Bürgschaft für die Beständigkeit seines Glücks. Morgens im Bett, Seite an Seite mit ihr auf dem Kopfkissen, schaute er zu, wie das Sonnenlicht durch den blonden Flaum ihrer von den breiten Flügeln der Nachthaube halb verdeckten Wangen glitt. So aus der Nähe gesehen kamen ihre Augen ihm größer vor, zumal wenn sie beim Erwachen die Lider mehrmals hintereinander öffnete und schloss; sie waren schwarz im Schatten und dunkelblau bei vollem Tagesschein; sie hatten etwas wie übereinanderliegende Farbschichten, die nach der Tiefe zu immer dunkler und nach der schimmernden Oberfläche zu immer heller wurden. Sein eigenes Auge verlor sich in diese Tiefen, und er sah sich darin verkleinert bis zu den Schultern, mit dem Schal, den er sich um den Kopf geschlungen hatte, und den oberen Rand seines halboffenen Hemds. Er stand auf. Sie stellte sich ans Fenster, um ihn fortreiten zu sehen; und dort blieb sie stehen, auf das Fensterbrett gestützt, zwischen zwei Geranientöpfen, im Morgenrock, der sie locker umschloss. Unten auf der Straße schnallte er sich an einem Prellstein die Sporen an; und sie fuhr fort, von oben her mit ihm zu sprechen, wobei sie mit dem Munde eine Blüte oder ein Blättchen abzupfte und ihm zublies; das schwebte dann und schaukelte in der Luft, flog in kleinen Halbkreisen wie ein Vogel und blieb, ehe es niederfiel, in der schlecht gestriegelten Mähne der alten Schimmelstute hängen, die unbeweglich vor der Haustür stand. Charles saß auf und warf ihr eine Kusshand zu; sie antwortete mit einem Nicken; sie schloss das Fenster, er ritt davon. Und dann, auf der Landstraße, die endlos ihr langes Staubband entfaltete, in Hohlwegen, über denen die Bäume sich zueinander neigten und Gewölbe bildeten, auf Feldwegen, wo das Getreide ihm bis zum Knie reichte, den Sonnenschein auf den Feldern, die Morgenluft in der Nase, das Herz noch erfüllt von den Beglückungen der Nacht, mit ruhigem Gemüt und befriedigtem Körper, ritt er einher und genoss sein Glück zum zweiten Mal wie einer, der nach dem Abendessen noch den Geschmack der Trüffeln, die er bereits verdaut, auf der Zunge hat.

Was hatte er denn bislang an Gutem im Leben erfahren? Etwa seine Schulzeit, wo hohe Mauern ihn eingeschlossen hatten und er sich einsam zwischen Kameraden gefühlt hatte, die in ihren Klassen reicher oder stärker als er gewesen waren, die er durch seine Aussprache zum Lachen gebracht hatte, die sich über seine Kleidung lustig machten und deren Mütter mit Backwerk im Muff ins Sprechzimmer kamen? Oder etwa später, als er Medizin studiert und niemals genug Geld hatte, um irgendein Arbeitermädchen zum Tanz zu führen, das dann vielleicht seine Geliebte geworden wäre? Danach hatte er vierzehn Monate mit der Witwe zusammengelebt, deren Füße im Bett kalt gewesen waren wie Eisklumpen. Jetzt jedoch besaß er fürs Leben diese hübsche Frau, die er vergötterte. Für ihn ging das Weltall nicht über den seidigen Saum ihres Unterrocks hinaus; und er warf sich vor, er liebe sie nicht, es überkam ihn das Verlangen, sie zu sehen; schnell kehrte er um und stieg mit klopfendem Herzen die Treppe hinauf. – Emma war in ihrem Schlafzimmer bei ihrer Toilette; leisen Schrittes trat er zu ihr und küsste sie auf den Rücken; sie schrie auf.

Er konnte es nicht lassen, immer wieder ihren Kamm, ihre Ringe, ihr Brusttuch zu berühren; manchmal gab er ihr mit vollen Lippen plumpe Küsse auf die Wangen oder reihte kleine Küsse auf ihrem nackten Arm aneinander, von den Fingerspitzen bis zur Schulter; und sie stieß ihn zurück, halb lächelnd und halb belästigt, wie man ein Kind wegschiebt, das sich an einen hängt.

Vor der Hochzeit hatte sie geglaubt, sie liebe ihn; aber als das Glück, das aus dieser Liebe hatte entspringen sollen, ausblieb, dachte sie, sie müsse sich getäuscht haben. Und Emma suchte zu begreifen, was man denn eigentlich im Leben unter den Ausdrücken Glückseligkeit, Leidenschaft und Trunkenheit verstehe, die ihr in den Büchern so schön erschienen waren.

Madame Bovary. Sittenbild aus der Provinz

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