Читать книгу Erntejagd - György Kristián Szitás - Страница 5
III
ОглавлениеAls der moderne Dienstwagen an der Abfahrt zum Tanya hielt, wurde István László wieder wach, öffnete die Türe, stieg aus und streckte sich. Da es noch recht dunkel war, hatte die örtliche Feuerwehr Scheinwerfer aufgestellt, um den Tatort auszuleuchten. Über die Staatsstraße hinweg sah er die Abdeckplane, die üblicherweise über Leichen gelegt wurde.
Sein Leutnant kam direkt auf ihn zu, doch noch ehe der Major ihn ansah, sah er den abgedeckten Körper deutlicher, der mitten auf dem Feldweg lag. Der Regen schwemmte Blut unter der Plane hervor, das sich nach links in das angrenzende Feld ergoss, auch wenn die Spurensicherung einen Pavillon über der Leiche aufgestellt hatte.
Der Leutnant sah den Blick des Majors und fing gleich an zu erklären:
„Die junge Deutsche wurde offenbar von mehreren Männern überfallen, wusste sich aber zu wehren. Sie brachte einen der Angreifer – einen dreißigjährigen Ukrainer, den wir schon mehrmals wegen Drogendelikten und Körperverletzungen in Haft hatten – mit einem japanischen Kurzschwert um. Diesem Wakizashi hier.“
„Ein was?“ fragte László nach.
„Wakizashi. So nennt man diese Schwerter. Die längere Version heißt Katana.“
„Ach so,“ gähnte László, „ich bin noch nicht richtig wach. Wir waren gestern auf der Silberhochzeitsfeier meines Schwagers und ich hatte eine politische Diskussion mit meinem Schwiegervater. Sie machen ja Kampfsport.“ László hatte es vor einigen Jahren mal mit Karate probiert, aber dann kam seine Frau, dann die Kinder, das Leben halt …naja.
„Ja, man muss sich fit halten.“ Kam die Antwort des Leutnants und László dachte sich: „So wie Du, dachte ich damals auch!“
László rieb sich die Stirn: „Also gut. Was wissen Sie noch?“
„Es waren wahrscheinlich drei Angreifer, vermutlich alles Ukrainer. Den vorläufigen Spuren nach zu urteilen, stürmten alle drei Angreifer in das Grundstück, wo einer von ihnen von einem großen, schwarzen Hund attackiert wurde, den sie erschossen haben. Mit einer Schrotflinte, wie die Frau. Aber das muss ein anderer Schütze gewesen sein, denn die Schrotladung mit der die Frau getötet wurde ist grobkörniger. Bei dem Hund handelte es sich wohl um eine Mischung zwischen Dobermann und Rottweiler.“
Sie hatten die abgedeckte Leiche erreicht und László ging auf die Knie, um die Plane etwas anzuheben.
„Ist die Spurensicherung hier schon fertig?“ wollte er wissen.
„Ja, sind wir!“ war von weiter vorn die Stimme des Gerichtsmediziners Dr. Molnár zu hören. „Wir wollten nur warten, bis Du Dir ein Bild von allem gemacht hast. Dein Leutnant hat Dir wohl schon alles erzählt?“
„Noch nicht so ganz,“ kam die Antwort Lászlós.
László und der Doktor kannten sich schon lange, sie waren miteinander zur Schule gegangen. Dann hatten sich ihre Wege getrennt.
László hatte bei der Polizei angefangen und Dr. Molnár hatte Medizin studiert. Erst in Budapest, dann in Wien und schließlich in Würzburg. Danach hatte es ihn an die Gerichtsmedizin in Kecskemét verschlagen. Seine Frau, eine deutsche Ärztin, die er in Würzburg kennengelernt hatte, wollte die Heimat ihres Mannes kennenlernen. Seit etwa fünf Jahren war Dr. Molnár nun Leiter der Gerichtsmedizin in Kecskemét.
Die junge Deutsche, deren Blut auf dem Feldweg versickerte, war recht hübsch gewesen, László schätzte sie auf Mitte Zwanzig, doch die Schrotflinte hatte ihr ein hässliches Loch in den Magen gerissen.
László stierte stumm über sie hinweg, den Feldweg entlang zu dem Tanya, aus dem sie gekommen war und zu dem Quad, das alleine, über die Staatsstraße hinweg, bis ins nächste Feld gefahren war.
„Sie war gleich tot,“ bemerkte Dr. Molnár und der Leutnant ergänzte: „Nachdem sie dem Ukrainer das Kurzschwert ins Herz gerammt hatte, versuchte sie mit dem Quad,“ der Leutnant zeigte in die Richtung, wo das Quad hin gerollt war, „zu fliehen. Aber der zweite oder vielleicht ein dritter Angreifer, schoss ihr auf der Straße in den Rücken.“
László schloss der jungen Frau die Augen, die noch immer offenstanden und blieb einen Moment bei ihr knien, wie er das immer bei Leichen machte, deren Ende er aufzuklären hatte.
„Wissen wir schon was über sie?“ fragte der Major nachdenklich.
„Ja,“ erklärte Dr. Molnár. „Sie heißt Silvia Labahn, ist neunundzwanzig Jahre alt und kommt aus der Nähe von Nürnberg. Dort studierte sie Medizin im sechzehnten Semester. Sie wollte aber ihr Studium nach Szeged verlagern. Wir haben die Unterlagen im Haus gefunden und nachdem ich ja ein bisschen deutsch kann...“
„Klar,“ erwiderte trocken László. „Schade, war ne hübsche Frau.“ „Und lebte hier wohl mit ‘nem knapp fünfzigjährigen Deutschen, dem das Haus gehört.“ Der Leutnant wollte weitererzählen, doch László unterbrach ihn: „Wer hat uns eigentlich angerufen?“ „Eine Hebamme, die von einer Geburt nach Hause wollte, sie wurde durch das Quad aufgehalten und hat uns gleich angerufen. Ihr Auto wurde noch durch den Fluchtwagen gerammt, einen alten Mercedes-Lieferwagen mit tschechischem Kennzeichen.“ Der Leutnant musste kurz niesen. „Gesundheit!“ kam von mehreren Seiten. „Danke!“ Der Leutnant wischte sich die Nase, doch bevor László weiter fragen konnte, erklärte er weiter: „Sie hat uns einiges über den Hausbesitzer erzählt. Der Mann heißt Hans-Peter Vogel, Witwer, hatte zwei Kinder, Sohn und Tochter. Seine Frau und seine Kinder starben bei einem Verkehrsunfall, vor …“ der Leutnant blickte in sein Notizbuch, „…ach ja hier …vor etwas mehr als zehn Jahren. Damals hat sich Vogel ne Zeit lang nicht hier blicken lassen, war wohl durch den Unfall auch verletzt. Vor etwas mehr als vier Jahren kam er dann das erste Mal mit dieser Silvia vorbei. Die Nachbarn und die Familie der Hebamme mochten die Familie und freundeten sich auch mit Silvia an. Er hat wohl eine Computerfirma, bei der es egal ist, wo er arbeitet. Jedenfalls wollte er sich mit Silvia hier niederlassen.“ „Hatte er das mit seiner Frau und den Kindern auch vor?“ „Was?“ „Sich hier niederlassen.“ „Ja,“ erklärte der Leutnant, „nur die Kinder gingen noch in Deutschland zur Schule. Deshalb waren sie immer nur in den Ferien hier. Der Sohn machte wohl einer der Hebammentöchter ne Zeit lang schöne Augen.“ László grinste, dieses „schöne Augen machen“ kannte er von seinen Kindern. „Und das wisst Ihr alles von der Hebamme?“ wollte er wissen. „Ja,“ antwortete der Leutnant, „die Familie der Hebamme und die Vogels waren wohl öfter zusammen. Auch weil Sohn und Tochter etwas miteinander hatten. Die Hebamme haben wir nach Hause fahren lassen, sie hält sich dort für weitere Fragen zur Verfügung.“ „Sechzehn Semester? Ist das nicht etwas lang?“ Dem Major hatte die Anzahl der Semester stutzig gemacht, aber Dr. Molnár erklärte: „Nicht wenn man noch ein Spezialstudium anschließt. So wie es aussieht, hat sie zwar Allgemeinmedizin abgeschlossen, aber mit Orthopadie weitergemacht, das sie hier zum Abschluß bringen wollte.“ „Gut,“ meinte er nach einem Moment des Nachdenkens. „Und wo ist dieser Vogel jetzt?“ „Das wissen wir nicht.“ Der Leutnant grinste: „Allerdings hat er denselben Autogeschmack wie Sie.“ „Wie meinen?“ fragte László nach. „Er fährt auch einen Lada Niva.“ László lächelte und wollte etwas erwähnen, aber Dr. Molnár unterbrach ihn: „Können wir die Leichen wegbringen?“ „Die der jungen Frau ja, den Ukrainer will ich mir nochmal kurz anschauen. Wo liegt der?“ Dr. Molnár gab seinen Kollegen einen Wink und seine Leute holten eine Trage. Dann sagte er: „Im Hof des Hauses, neben der Garage.“ Die drei Männer gingen schnellen Schritts über den Feldweg in das Grundstück. „Die Haustüre wurde mit einer Schrotflinte aufgeschossen,“ erklärte der Leutnant. „Und zuvor der Hund?“ hakte László nochmals nach. „Ja,“ antwortete der Leutnant. „Der Kadaver des Hundes liegt hier.“ László blieb verdutzt stehen: „Kann ich den mal sehen?“ Einer von der Spurensicherung kam hinzu: „Den Kadaver haben wir nicht extra abgedeckt, der liegt noch hier.“ „Aber ihr habt hoffentlich die Schrotkugeln aufgesammelt.“ Stellte László fest. „Ich will genau wissen, welche Schrotkugeln aus welcher Waffe abgefeuert wurden und in welcher Reihenfolge.“ Der Major war jetzt hellwach und besah sich den Kadaver des Hundes. „Das ist keine Mischung zwischen Dobermann und Rottweiler, sondern ein Beauceron. Die französischen Kollegen verwenden diese Rasse gern als Polizeihund. Sehen Sie hier die doppelte Afterkralle und das rötliche Fell an den Füßen?“ Der Major deutete auf die roten Socken. „Aber nochmals zur Haustüre,“ machte der Major weiter: „Die wurde mit einer Schrotflinte geöffnet. Warum nicht einfach mit der Schulter?“ „Das haben wir uns auch gefragt.“ stellte der Leutnant fest, „so stabil sieht die nicht aus.“ László wollte noch etwas hinzufügen, aber der Leutnant hob die Hand: „Die Frau, Silvia Labahn muss jedenfalls bemerkt haben, dass etwas nicht stimmt, hat sich angezogen, das Schwert ergriffen – es hing als Wandschmuck im Treppenhaus – die Schlüssel für das Quad geschnappt – die lagen wahrscheinlich drinnen, neben dem Telefon – und schlich sich durchs Toilettenfenster aus dem Haus.“ Der Leutnant ging auf den Durchgang zwischen Haus und Garage zu, wo die Leiche des Ukrainers, von einer Plane abgedeckt lag und erklärte weiter: „Das Toilettenfenster ist dort.“ Der Leutnant wies in den Gang. „Dort hat sie wahrscheinlich den Ukrainer gesehen und hat ihm ohne zu zögern das Schwert durch den Leib gerammt.“ László blieb einen Moment auf dem Hof stehen: „Was sind das für Reifenspuren?“ wollte er wissen. Der Leutnant pfiff einem der Leute der Spurensicherung zu sich: „Habt ihr diese Reifenspuren schon aufgenommen?“ fragte er nach. „Oh Gott,“ kam von dem Fotografen, „wir waren viel zu sehr mit den beiden Leichen beschäftigt.“ „Na, dann nehmen Sie es jetzt auf,“ wies ihn der Major an. „Wenn ich das richtig sehe,“ dachte László laut nach, „kam hier jemand aus dem Haus gerannt, als die Frau fliehen wollte. Sehen sie die Stiefelabdrücke?“ Der Leutnant nickte: „Wie konnten wir das übersehen?“ „Kein Problem, ich brauche ja auch meine Daseinsberechtigung. Jedenfalls kam die Frau mit dem Quad aus der Garage und hat den Mann hier umgefahren. Es müssen also mindestens drei Männer gewesen sein.“ László dachte einen Moment nach. „Haben Sie schon ein Fahndung rausgegeben und haben Sie das Kennzeichen des Lieferwagens?“ „Nein,“ antwortete der Leutnant, „mit der Fahndung wollten wir auf Sie warten. Die Hebamme hat das Kennzeichnen leider nicht genau erkannt.“ „Na dann legen sie mal los!“ rief László: „Wir suchen mindestens drei kräftige Männer, vielleicht Ukrainer, die hier einen Mordanschlag entweder auf die junge Frau oder diesen Vogel verübt haben. Wenn auf die junge Frau, dann war er erfolgreich. Wenn auf Vogel, dann nicht erfolgreich. Bleibt zu klären, wo dieser Vogel ist. Die Gesuchten sind mit einem Mercedes-Lieferwagen unterwegs, der möglicherweise ein tschechisches KFZ-Kennzeichen hat.“ László drehte sich um und ging zur Haustüre. „Wieso drei Ukrainer?“ frage der Leutnant nach. „Wenn es drei Angreifer waren, bleiben doch noch zwei übrig.“ „Wenn es insgesamt drei gewesen wären,“ gab László zurück, „dann wäre Silvia Labahn noch am leben. Drei haben das Grundstück gestürmt, zwei sind ins Haus, einer blieb draußen. Den, der außen geblieben ist, hat Frau Labahn erstochen, einen zweiten überfahren. Der dritte war wahrscheinlich oben im Haus und konnte nicht auf sie schießen. Aber hier unten auf dem Feldweg wartete ihr Mörder, der sie mit ner Schrotflinte vom Quad holte.“ „Ich veranlasse alles,“ kam kleinlaut von dem Leutnant. „Gut! Dann schauen wir mal ins Haus, ob wir dort etwas finden.“ László stieg die Stufe zur Haustüre hinauf und durchschritt die zertrümmerte Türe. „Habt Ihr davon schon Bilder gemacht?“ fragte er einen der Männer von der Spurensicherung. „Ja, wir sind hier innen fertig. Sie können sich frei bewegen.“ László sah sich lange Zeit im Flur um. Das Telefon stand auf einer Konsole, die an der Wand befestigt war, auf dem verschiedene Schlüssel lagen. Darüber hing ein Familienplaner, auf dem verschiedene Eintragungen für Silvia Labahn und Hans-Peter Vogel vorhanden waren. Als László das aktuelle Datum mit der Spalte für Vogel verglich, entdeckte er einen Eintrag: „Stefan in Csikszereda treffen, Biene mitbringen“ „Habt Ihr den Kalender fotografiert?“ brüllte er nach draußen. Der Kollege von der Spurensicherung tauchte neben ihm auf: „Ja, haben wir. Uns ist der Eintrag auch aufgefallen. Kann damit das heutige Miercurea Ciuc3 in Rumänien gemeint sein?“ „Sollte man mal nachprüfen,“ brummte László, „Ich zumindest kennen kein anderes Csikszereda.“ Der Leutnant kam zur Tür herein: „Die Fahndung nach den Ukrainern läuft.“ „Gut, dann sehen wir uns mal hier innen um. Ich will wissen, wer dieser Stefan ist und wer diese Biene sein soll.“ „Eine deutsche Schäferhündin,“ platzte es aus dem Leutnant heraus, der auf ein Bild an der Wand deutete. László sah sich das Bild näher an, das den Untertext „H.P. Vogel mit Biene, Fährtenhundeprüfung 2017“ trug. „Damit wissen wir wenigstens, wie dieser Vogel aussieht und wer Biene ist. Bleibt zu klären, wer dieser Stefan ist.“, kommentierte László und bückte sich zu dem kleinen Regal, das unter der Telefonkonsole stand, während der Leutnant im Wohnzimmer verschwand, um dort Schubkästen und Schranktüren zu öffnen.