Читать книгу Erntejagd - György Kristián Szitás - Страница 8
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ОглавлениеUnweit der slowakisch-tschechischen Grenze rollte ein alter Mercedes-Lieferwagen, Modell 208, mit drei kräftigen Männern auf den Parkplatz eines Motels. Die ursprünglich dunkelgrüne Farbe des Fahrzeugs war einer Mischung aus dunkelgrün, rostbraun und dreckig-blau gewichen, denn die schadhaften Teile waren durch Ersatzteile aus dem Schrottplatz ersetzt worden. Einem deutschen TÜV hätte das Fahrzeug nie standgehalten, aber es tat seine Arbeit.
Die drei Männer hatten Armeejacken und Hosen an, die allesamt schon bessere Tage gesehen hatten. Dienstabzeichen, Einheitszeichen oder Namensschilder fehlten und die Männer legten auch keinen Wert darauf. Alle drei trugen kurz geschnittene Haare, die einer dringenden Wäsche bedurften. Eine Rasur war ebenso überfällig.
Auf der Rückbank des Doppelkabiners lag, mit schmerzverzerrtem Gesicht, einer der Männer, dessen blonde Haare sich vom dunkelgrün der Armeekleidung abhoben. Fahrer und Beifahrer war die Anstrengung der letzten Stunden anzumerken, sie schienen jedoch unverletzt zu sein.
Der Beifahrer, dessen Haut etwas dunkler war, als die seiner Kollegen, packte den Mann auf der Rückbank grob am Kragen und riss ihn nach oben, so dass dieser wach wurde:
„Hör zu mein Freund,“ zischte er ihn auf einer Mischung aus polnisch und kroatisch an, „wenn Du nicht durchhältst, müssen wir Dich hier zurücklassen, aber bestimmt nicht lebend!“
„Lasst mir ein paar Stunden meine Ruhe, dann bin ich wieder auf den Beinen. Wenn nicht, könnt Ihr mich hier eh begraben.“ Die Antwort kam auf polnisch.
Anhand der Verletzungen hätte man annehmen können, dass der Liegende schwächer geredet hätte, aber die Stimme war fest und kraftvoll, das gefiel dem Beifahrer.
„Gut!“ sagte er, „wir müssen hier sowieso telefonieren.“
Der Fahrer war inzwischen ausgestiegen, ging zur Rezeption und sagte in bestem Tschechisch:
„Hier wurden für uns zwei Zimmer bestellt, auf den Namen Vukonic.“
„Ja,“ kam die Antwort, „allerdings für vier Personen. Sie sind nur zu dritt.“ Der Mann an der Rezeption lugte aus dem Fenster auf den alten, verbeulten Lieferwagen und machte kein Hel aus seiner Verachtung gegenüber dem Auftreten des Mannes.
„Ja, einem Kollegen kam etwas dazwischen.“ Auch sein Gegenüber gab sich keine Mühe Freundlichkeiten aufkommen zu lassen.
„Und was ist mit dem Mann auf dem Rücksitz? Ist der krank?“ Die Stimme des Motelbesitzers schwankte zwischen Interesse und Vorwurf.
„Nein, nur fürchterlich besoffen.“ Ein leichter Hauch von ’Entschuldigung’ schwang in der Stimme des Tschechen mit.
„Kotzt mir nicht alles voll,“ brummte der Mann an der Rezeption, aber im Grunde war er froh keinen weiteren Kontakt zu seinen neuen Mietern zu haben.
„Ja geht klar. Wo sind die Zimmer?“ Der Tscheche war sichtlich genervt.
„Kommen Sie mit!“, brummte der Mann an der Rezeption, stellte ein Schild auf, dass er gleich wieder kommen würde - in der Hoffnung, dass dies jemanden interessierte - und ging dem tschechisch sprechenden Mann voraus, zu den beiden reservierten Zimmern, die mit einer Verbindungstür versehen waren. Die anderen beiden Männer verließen mit Mühe den Lieferwagen und folgten.
Der Rezeptionist übergab die Schlüssel und wandte sich ab, ein Trinkgeld wurde nicht erwartet und nicht gegeben.
An seiner Theke angekommen schnappte sich der Mann das Telefon und wählte eine Nummer in Deutschland.
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Wenn man im Münchener Stadtteil Schwabing die Hauptstraßen verlässt und sich in dem Gewirr aus Gassen und Hinterhöfen zurechtfindet, kann man viele kleine Läden entdecken, die durchaus einen Besuch lohnen.
Jedoch sollte man dies nicht unbedingt am Sonntag Nachmittag tun, denn dann haben die Läden geschlossen.
In einem dieser Läden schrillte gerade das Telefon mit einem chinesischen Glockenton. Dies war nicht weiter verwunderlich, da es sich bei dem Laden um ein Geschäft handelte, das mit allerlei chinesischen Dingen gefüllt war. Stäbchen und Schalen für ein klassisches, chinesisches Essen hatten nach asiatischer Art gewürzte Tütensuppen und Bandnudeln zum Nachbarn. Aber auch hoch geschlitzte Kleider und Kimonos, sowie Schals mit chinesischen Schriftzeichen waren hier zu finden. Ein besonderes Regal beinhaltete auch Horoskopkarten und Bücher, wie das I Ging15 . Neben dem Eingang fand sich eine altertümlich wirkende Registrierkasse. Die Bücher, die in dem abgedunkelten Büro standen, das am anderen Ende des Ladens lag, beinhalteten keine Orakel, sondern Adressen und Zahlen, für die sich mancher Kriminologe oder Buchprüfer interessiert hätte. Dass der Stoff des Vorhanges, mit dem die Fenster verdunkelt wurden, aus einem hellblauen Stoff bestand der mit einem Stern und einem Halbmond verziert war16 , fiel nur dem geübten Auge auf. Deutete es doch darauf hin, dass hier Uiguren verkehrten. Die Frau mittleren Alters, die ein klassisches chinesisches Kostüm trug, das hervorragend zu ihrer schmalen Figur und ihren schwarzen, langen Haaren passte, war jedoch weder Uigurin noch Chinesin, sondern stammte ursprünglich aus dem Osten Europas, dennoch konnte sie den bayerischen Aktzent nicht verbergen, als sie zum Hörer griff und sich meldete. Sie lebte einfach schon zu lange in der bayerischen Landeshauptstadt. „Die bestellten Gäste sind soeben eingetroffen,“ meldete sich der Mann am anderen Ende. „Und?“ wollte die Ladenbesitzerin wissen. „Einer fehlt, er ist offenbar krank geworden.“ „Was fehlt ihm?“ „Das weiß ich nicht, aber ich kann einen der restlichen Gäste holen und fragen.“ „Ja, holen Sie einen der anderen, ich will wissen was los ist.“ Die Stimme der Frau klang genervt und der tschechische Motelbesitzer rannte zu seinen Gästen. Schließlich wollte er die Dame aus Deutschland nicht verärgern. Ein paar Minuten später meldete sich der tschechische Gast am Telefon. „Was ist passiert?“ herrschte die Ladenbesitzerin ins Telefon. „Wir hatten Probleme!“ kam knapp die Antwort. „Der Ukrainer hat sich bei unserem nächtlichen Ausflug verletzt.“ „Schwer verletzt?“ „Ja, sehr schwer!“ Wobei das sehr deutlich verlängert wurde. Für einen Moment war nur der Atem der Ladenbesitzerin zu hören. „Und das Ergebnis?“ wollte sie dann sachlich wissen. „Teilweise positiv - die Frau ist tot, der Mann war nicht anwesend!“ „Wo ist der Mann?“ herrschte die Ladenbesitzerin ins Telefon. „Ist uns nicht bekannt!“ antwortete zerknirscht der Tscheche. „Und ich habe noch eine schlechte Nachricht,“ beeilte er sich zu sagen, bevor die Ladenbesitzerin ihre Stimme wiedergefunden hatte. „Noch eine?“ bellte die Dame ins Telefon. „Ja, den Polen hat es auch erwischt, aber er ist hier bei uns.“ „Was heißt erwischt?“ brüllte die Dame ins Telefon. „Die Frau hat ihn mit einem Quad überfahren,“ kam nun die nicht mehr verschlüsselte Antwort. „Wie geht es ihm?“ fragte die Dame aus München, nachdem sie die Fassung wiedergefunden hatte. „Er hat vermutlich innere Verletzungen und betäubt seine Schmerzen mit Alkohol.“ „Sie wissen was zu tun ist?“ fragte die Stimme aus München kalt. „Ja!“ kam die Antwort genauso kalt zurück. „Gut! Dann reisen Sie und ihr verbliebener Kollege weiter zum Treffpunkt B. Wann werden Sie dort sein?“ Die Stimme der Dame hatte ihren Befehlston wiedergefunden. „Wenn nichts dazwischen kommt, in zehn Stunden!“ Die Antwort kam zögerlich, fast ängstlich. „Es wird nichts dazwischenkommen!“ Kam der Befehl aus München und die Dame legte auf, dann wählte sie eine Nummer in der Schweiz: „Hallo Kantonalbank Zürich?“ meldete sich die Stimme am anderen Ende, in bestem Schweizerdeutsch. „Ja, hallo,“ meldete sich die Dame aus München - nun in perfektem Hochdeutsch, „ich bitte darum die beiden Anderkonten17 der folgenden Kennworte aufzulösen und die Beträge auf das Hauptkonto zu überweisen.“ „Selbstverständlich, wie lauten die Kennworte?“ fragte die Stimme aus der Schweiz. „’Blaue Wölfin’ lautet das Hauptkonto, die Anderkonten lauten ’Vovk’18 und ’Wilk’19 “. Die Stimme in der Schweiz war zufrieden und versprach das Notwendige zu veranlassen. Ebenfalls zufrieden legte die Dame aus München auf, bevor sie eine Nummer in der Slowakei wählte: „Vukonic hier, reservieren Sie auf meinen Namen für morgen Vormittag bei sich ein Doppelzimmer. Die beiden Herren sollten bis Mittag bei Ihnen sein.“ Der Ton klang genauso geschäftsmäßig wie gegenüber der Schweizer Bank, war jetzt jedoch leicht österreichisch gefärbt. Nach einer kurzen Bestätigung ihrer Angaben dankte die Münchner Ladenbesitzerin und legte den Hörer auf die Gabel. Dann schloss sie die Augen und war innerhalb kürzester Zeit in ihrem bequemen Bürostuhl eingeschlafen.
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Das junge Mädchen war auf dem Weg nach Hause. Es fuhr mit seinem Fahrrad und war so glücklich, wie es ein verliebtes, jugendliches Mädchen von fünfzehn Jahren nur sein konnte.
Dass in diesen Tagen die Welt in Flammen stand, Militär, Sicherheitsdienst und ’Terroristen’ aufeinander schossen und sich der rumänische Diktator mit seiner Frau auf der Flucht befand, berührte sie nur am Rande.
Heute hatte er sie zum ersten Mal geküsst.
Nicht vorsichtig, wie sie ihr Vater hin und wieder auf die Wange geküsst hatte, sondern leidenschaftlich. Seine Zunge war spontan in ihren Mund eingedrungen, aber nicht so wild, dass es abschreckte, sondern vorsichtig, tastend, fühlend.
Und sie hatte mehr gewollt, aber er meinte, dass das noch Zeit hätte. Schließlich war er so alt wie sie und sie wusste nicht, welche Erfahrungen er bisher gemacht hatte. Jedenfalls freute sie sich auf das nächste Treffen mit ihm, das für den folgenden Abend ausgemacht war.
Er meinte, er wollte etwas Besonderes für sie vorbereiten, bevor er sie ’anders’ küssen wollte.
Sie hatte ihn angestrahlt, ihm versichert, dass sie sich sehr freute, war aufs Fahrrad gestiegen und hatte sich in der Dämmerung und Kälte des Dezember-Nachmittags auf den Heimweg in Cluj20 gemacht. Noch zwei Querstraßen und sie wäre zu Hause. Plötzlich stand ein gebeugter Mann in ihrem Weg und ein Auto rumpelte schnell von hinten heran. Die Türe zum Straßenrand wurde aufgerissen und der gebeugte Mann schob sie kräftig von ihrem Fahrrad herunter, direkt in die offene Wagentüre hinein. Sie strampelte, aber Irgendjemand schob ein Taschentuch über ihren Mund und ihre Nase. Der stickige, scharfe Geruch lähmte in ihr jeden Willen zur Gegenwehr und die Sinne schwanden ihr. Mit einem Ruck wurde die Ladenbesitzerin wieder wach und brauchte einen Moment, um festzustellen, dass sie sich in ihrem Laden im sicheren München befand. Das war ihr Büro und hier würde sie Niemand überfallen und wenn doch, waren ein paar gebrochene Rippen sein geringstes Problem. Der Überfall war Jahrzehnte lang her und sie wunderte sich, weshalb sie nun wieder anfing davon zu träumen.