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Die Familie Blettsworthy

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Die Blettsworthys, meine Familie, sind allezeit sehr gewissenhafte und vornehme Leute gewesen, die Blettsworthys aus Wiltshire vielleicht sogar in noch höherem Maße als die aus Sussex. Man möge es mir verzeihen, wenn ich einiges über sie sage, ehe ich meine eigene Geschichte beginne. Ich bin stolz auf meine Ahnen und auf die guten Sitten und die heitere Lebensart, die sie mir vererbt haben. Der Gedanke an sie hat mich, wie ich erzählen werde, in so mancher schwierigen Lage gestützt und aufrecht erhalten. »Was«, so habe ich mich stets gefragt, »soll ein Blettsworthy tun?« Und ich habe es zumindest versucht, mich durch meine Haltung meiner Familie würdig zu zeigen.

Es hat allezeit Blettsworthys in England gegeben, und zwar im Süden und im Westen des Landes, und sie sind stets so ziemlich dieselbe Art von Menschen gewesen. Zahlreiche Grabschriften und ähnliche Aufzeichnungen, die weit hinter die Zeit der Tudors zurückreichen, legen Zeugnis für ihre Tugenden ab, für ihr Wohlwollen, ihre Rechtschaffenheit und ihren unaufdringlichen Reichtum. Es soll auch im Languedoc einen Zweig der Familie geben, doch weiß ich darüber nichts Bestimmtes. Einige Blettsworthys sind nach Amerika, insbesondere nach Virginia ausgewandert, scheinen aber dort verschluckt worden zu sein und sind verlorengegangen. Doch zeichnet sich meine Familie durch eine zähe Eigenart aus, die nicht so leicht verschwindet. Vielleicht weiß irgendein amerikanischer Leser etwas über das Schicksal dieses Zweiges der Blettsworthys. Dergleichen Zufälle gibt es. In der Kathedrale von Salisbury steht die Alabaster-Statue eines Bischofs Blettsworthy; sie wurde aus der Kirche des alten Sarum dahin gebracht, als man dieses Städtchen dem Erdboden gleichmachte und Salisbury errichtete; das Marmorantlitz könnte als ein Bildnis meines Oheims, des Rektors von Harrow Hoeward, gelten, und die feinen Hände gleichen völlig den seinen. Es muß Blettsworthys in Amerika geben, und ich kann es kaum begreifen, daß man nichts von ihnen hört. Gewisse Züge ihrer Wesensart zeigen sich, wie man mir sagt, in der Landschaft Virginias, die weit, warm und freundlich sein soll, gleich unserem englischen Downland an sonnigen Tagen.

Die Blettsworthys sind eine Familie der Bodenkultur. Mit dem Handel haben sie sehr wenig zu tun gehabt, weder en gros noch en detail, auch haben sie in der unmittelbaren Entwicklung dessen, was man Industrialismus nennt, keine Rolle gespielt. Sie haben die Theologie der Jurisprudenz vorgezogen, noch lieber aber sich klassischen, botanischen und archäologischen Studien gewidmet; doch haben sie, wie das Domesday Book, jenes alte, unter Wilhelm dem Eroberer angelegte große Reichsgrundbuch Englands, beweist, ihre Pflicht dem Lande gegenüber wohl erfüllt, und Blettsworthy’s Bank ist in unserem Zeitalter der Verschmelzung eine der letzten bedeutenden Privatbanken. Sie spielt im Leben Westenglands immer noch eine wichtige Rolle. Die Blettsworthys wandten sich, dessen mag der Leser sicher sein, nicht aus Gier nach Wuchergewinn dem Bankwesen zu, sondern einfach nur, um den Bedürfnissen und Forderungen der weniger vertrauenswürdigen Nachbarn in Gloucestershire und Wiltshire entgegenzukommen. Der Zweig in Sussex ist vielleicht nicht ganz so frei von kaufmännischem Geist wie der in Wiltshire; während der Kriege mit Frankreich übte er »Freihandel«, was damals genau genommen ungesetzlich und überdies ein recht gefährliches Abenteuer war. Doch trotz des gewaltsamen Endes von Sir Carew Blettsworthy und seines Neffen Ralph infolge einer Meinungsverschiedenheit mit einigen Zollbeamten, die zu einem Blutvergießen in den Straßen von Rye führte, erwarb dieser Zweig durch seine Tätigkeit beträchtlichen Reichtum und örtlichen Einfluß und hat seine Beziehungen zur Einfuhr von Seidenstoffen und Branntwein bis auf den heutigen Tag nicht völlig gelöst.

Mein Vater war ein Mann von echtem Wert, aber exzentrischem Handeln. Viele seiner Taten bedurften der Erläuterung, ehe die Stichhaltigkeit seiner Beweggründe klar zutage trat, und manche konnten infolge der räumlichen Entfernung von der Heimat und aus gewohnheitsmäßiger Nachlässigkeit oder aus anderen Gründen niemals völlig geklärt werden. Es liegt den Blettsworthys nicht, Erklärungen abzugeben. Sie verlassen sich in der Regel auf ihr Ansehen. Da mein Vater der fünfte Sohn seiner Eltern war, keinerlei Aussichten auf ein Vermögen hatte und auch keinerlei leicht in Geld umzusetzende Fähigkeiten besaß, rieten ihm Freunde und Verwandte, sein Glück im Auslande zu versuchen; er verließ Wiltshire in jungen Jahren, um, wie er sagte, Gold zu suchen; er suchte es, das muß ich zugeben, ohne jedwede Gier und überdies zumeist an völlig ungeeigneten Plätzen. Gold kommt, wie ich höre, nur in ganz wenigen bestimmten Erdstrichen vor und wird in der Regel nicht von einzelnen, sondern im Rahmen eines »Goldrausches« gefunden; mein Vater aber hatte eine Abneigung gegen Menschenmengen und deren Verhalten; er zog es vor, das seltene und edle Metall in einer angenehmen Umgebung zu suchen, in der ihm der häßliche Wettkampf mit unkultivierten Menschen erspart blieb; inzwischen lebte er von den sehr bescheidenen Mitteln, die ihm seine wohlhabenderen Freunde und Verwandten zur Verfügung stellten. Seine Aussichten, eine Goldmine zu entdecken, wurden, das wußte er, durch sein Verhalten kaum gefördert, doch meinte er, daß es ihm die Hoffnung gewährte, irgendeinen anderen glücklichen Fund, den er machen mochte, für sich allein auszunützen. Bezüglich der Ehe war er leichtsinniger, als es unter den Blettsworthys üblich ist: Er ging mehrere Heiraten ein, einige davon in ziemlich formloser Weise – doch sind wir Blettsworthys alle ziemlich unvorsichtig im Abschließen von Verträgen. Meine Mutter war halb portugiesischer, halb syrischer Abstammung und hatte auch einen Tropfen madeirischen Blutes in den Adern. Madeira ist auch mein Geburtsort.

Meine Geburt war durchaus legitim; gewisse Verwirrungen in den ehelichen Verhältnissen meines Vaters entstanden erst später, und zwar als eine Folge der außerordentlich wandelbaren Natur der Ehe in tropischen und subtropischen Landstrichen.

Meine Mutter war, das schließe ich aus Briefen meines Vaters, eine Frau von leidenschaftlicher Selbstvergessenheit, in meiner Veranlagung aber scheint ihre Wesensart keineswegs völlig ausgemerzt. Ihr ist es, wie ich glaube, zuzuschreiben, daß ich mehr zu umfassenden als zu knappen Aussagen neige und unter gleichen Umständen die Realität dem reizvollen und ausgiebigen Gebrauch der Sprache unterzuordnen vermag. »Sie spricht viel«, schrieb mein Vater, als sie noch lebte, an meinen Onkel. »Kein Thema gelangt jemals zu einem Abschluß.« Sie empfand die Dinge so fein und scharf, daß sie instinktiv zu schützenden Worten Zuflucht nahm; ihr Gemüt konnte sich nicht zufrieden geben, solange eine Feststellung in irgendwelcher Hinsicht unvollkommen blieb. Sie feilte aus, sie retouchierte. Wie gut ich das verstehe! Auch ich weiß, daß Gedanken und Gefühle, die man unausgesprochen läßt, unerträglich werden können. Überdies ist ihr ohne Zweifel etwas dem Blettsworthyschen Blute noch Fremderes in mir zuzuschreiben: mein Gefühl für den inneren moralischen Konflikt. Ich bin mit mir selbst uneins – in welchem Maße, muß dies Buch erweisen. Ich habe keine innere Harmonie, lebe nicht in Frieden mit mir selbst, wie die richtigen Blettsworthys es tun. Ich kämpfe gegen den Blettsworthy in mir. Neben der vom Vater ererbten Vielfältigkeit des Wesens habe ich auch noch die Neigung zur Selbstbetrachtung. Wie der Leser wohl bemerken wird, betone ich immer wieder, daß ich ein Blettsworthy bin. Kein vierundzwanzigkarätiger Blettsworthy würde das tun. Ich bin bewußt ein Blettsworthy, weil ich mir dessen nicht völlig sicher bin. Wesentliche Teile meines Wesens stehen in keinem rechten Zusammenhang mit mir selbst. Vielleicht bin ich den Traditionen meiner Familie um so treuer ergeben, weil ich ihnen auf eine objektive Art treu sein kann.

Meine Mutter starb, als ich fünf Jahre alt war, und meine wenigen Erinnerungen an sie sind hoffnungslos verquickt mit einem Wirbelsturm, der die Insel verheerte. Zwei Wolken der Furcht vermischten sich miteinander und barsten, um schreckliche Wandlungen hervorzubringen. Ich erinnere mich an den Anblick entwurzelter Bäume und eingestürzter Häuser und weiß auch noch, daß ich verwundert eine Menge roter Blumenblätter in einem Straßengraben schwimmen sah; diese Bilder verknüpfen sich auf verworrene Art mit der Mitteilung, daß meine Mutter im Sterben liege, und schließlich mit der, daß sie tot sei. Wenn ich nicht irre, empfand ich damals weniger Kummer als basses Erstaunen.

Mein Vater schrieb an Verwandte meiner Mutter in Portugal und an einen reichen Onkel in Aleppo, doch brachte dieser Briefwechsel keinen Nutzen; schließlich gelang es ihm, einen unerfahrenen jungen Priester ausfindig zu machen, der von Madeira nach England reiste: Diesem vertraute er mich an und bat ihn, mich bei meiner Tante in Cheltenham, Miss Constance Blettsworthy, abzuliefern, die auf solche Art zum erstenmal von meiner Existenz erfuhr. Mein Vater hatte seinen Boten mit Schriftstücken versehen, die keinen Zweifel an meiner Identität zuließen. Ich entsinne mich dunkel, in Funchal ein Dampfschiff bestiegen zu haben, meine Erinnerungen an die darauf folgende Seereise jedoch sind glücklicherweise aus dem Gedächtnis entschwunden. Vom Wohnzimmer meiner Tante in Cheltenham habe ich eine genauere Vorstellung.

Sie war eine würdige Dame, die entweder eine blonde Perücke trug oder ihr Haar auf so kunstvolle Weise ordnete, daß es einer solchen glich; ihre Gesellschafterin ähnelte ihr, war jedoch größer, umfangreicher, war überhaupt eine außerordentlich umfangreiche Person, deren Büste auf mein kindliches Gemüt großen Eindruck machte. Ich erinnere mich, daß die beiden mich hoch überragten, während ich auf einer Matte vor dem Feuer saß, und daß das Gespräch mit dem jungen Geistlichen bedeutsam genug war, um einen starken Eindruck in mir zu hinterlassen. Die beiden Damen waren offenbar der Meinung, daß er schlecht beraten worden sei, mich nach Cheltenham zu bringen, und legten ihm nahe, noch etwa eine Stunde Bahnfahrt auf sich zu nehmen, um mich im Hause meines Onkels, des Rektors von Harrow Hoeward, abzuliefern.

Meine Tante bemerkte wiederholt, sie sei durch das Vertrauen meines Vaters gerührt, ihr Gesundheitszustand mache jedoch meine Aufnahme unmöglich. Sie und ihre Gesellschafterin unterrichteten den jungen Geistlichen über ihren Gesundheitszustand, soweit das schicklich war, ja, sie ließen sich, wie ich glaube, sogar auf die Schilderung heikler Einzelheiten ein. Sie mochten wohl fühlen, daß die Lage der Dinge ein so entschlossenes Vorgehen erfordere. Trotz des Mitleids, das der Geistliche von Berufs wegen empfinden mußte, war er offenkundig bemüht, diesen Geständnissen auszuweichen, zumindest insoweit, als sie die betreffende Angelegenheit beeinflussen konnten. Mein Vater habe ihm über diesen Bruder in Harrow Hoeward nichts gesagt, habe vielmehr nur von meiner Tante Constance gesprochen, seiner älteren Schwester, die ihm als ein Fels in der Brandung in Erinnerung sei. Er fühle sich, so erklärte der junge Geistliche, nicht berechtigt, von seinen Instruktionen abzuweichen. Seine Aufgabe sei erfüllt, behauptete er, da er mich in die Obhut meiner Tante gebracht habe; und er wünsche nur noch die Regelung gewisser kleinerer Ausgaben während der Reise, für die mein Vater nicht vorgesehen habe.

Ich für meinen Teil saß gleichmütig auf meiner Matte und betrachtete mit vorgetäuschter Aufmerksamkeit den Kamin, der von anderer Art war als die mir bekannten von Madeira, hörte dabei aber dem Gespräch aufmerksam zu. Ich war nicht sehr begierig, bei meiner Tante zu bleiben, doch wünschte ich sehnlichst, den jungen Geistlichen loszuwerden, so daß ich seinen Bemühungen, mich nunmehr verlassen zu können, guten Erfolg wünschte, und erfreut war, als er sein Ziel schließlich erreichte.

Er war ein dicker junger Geistlicher mit einem weißen runden Gesicht und einer gepreßten hohen Tenorstimme, die besser zu lautem Beten als zu Alltagsgesprächen taugte. Unsere Bekanntschaft hatte mit warmen und sehr gewinnenden Versicherungen der Zuneigung seinerseits begonnen, und ich hatte auf seinen Vorschlag hin an Bord des Dampfers eine Kabine mit ihm geteilt; als ich dann aber nicht imstande war, die Bewegungen des Schiffes mit Zurückhaltung zu ertragen und betreffs des Ergebnisses meines Verhaltens wenig Einsicht an den Tag legte, verschlimmerte sich unsere Beziehung zueinander, die eine so schöne zu werden versprochen hatte. Als wir Southampton erreichten, hatten wir eine gegenseitige Abneigung gefaßt, die nur durch die Aussicht auf eine baldige und dauernde Trennung gemildert wurde.

Kurz, er wollte nichts mehr mit mir zu tun haben …

Ich blieb bei meiner Tante.

Cheltenham war kein sehr glücklicher Zufluchtsort für mich. Ein kleiner Junge von fünf Jahren sucht emsig nach Beschäftigung, ist taktlos in der Wahl seiner Unterhaltungen und destruktiv, wenn er versucht, die gebrechlicheren unter den vielen interessanten Gegenständen rings um ihn zu erforschen und kennenzulernen. Meine Tante sammelte mit Begeisterung Figürchen aus Chelsea und anderes altenglisches Porzellan. Sie liebte diese sonderbaren alten Dinge. Trotzdem vermochte sie eine verwandte Leidenschaft in mir nicht zu begreifen, als ich mit reger junger Einbildungskraft Kämpfe und Dramen unter ihren Schätzen in Szene zu setzen begann. Auch meine Versuche, mit zwei großen, blauschwarzen Perserkatzen, die das Haus schmückten, zu spielen und ihr Leben etwas bewegter zu gestalten, mißfielen ihrer reiferen Einsicht. Ich konnte nicht begreifen, daß eine Katze, mit der man spielen möchte, nicht allzu heftig verfolgt werden darf und auch durch die bestgezielten Schläge nur selten fröhlich gestimmt wird. Meine Heldentaten im Garten, wo ich die Dahlien und Astern als wohlbewaffnete feindliche Scharen auffaßte und behandelte, trugen mir auch nicht einen Funken Beifall seitens meiner Tante ein.

Die beiden ältlichen Dienstmädchen und der bucklige Gärtner, die Behaglichkeit und Würde meiner Tante und deren stattlicher Gesellschafterin förderten, teilten die Ansicht ihrer Arbeitgeberin, daß die Kindererziehung vollkommen repressiv gestaltet werden müsse. So blieb mir nichts anderes übrig, als ein möglichst wenig aufdringliches Dasein zu fristen. Wenn ich mich recht entsinne, wurde ein junger Erzieher aufgenommen, der möglichst lange Spaziergänge mit mir unternahm und mir möglichst unhörbare Unterweisungen erteilte. Mein Gedächtnis bewahrt kein klares Bild von ihm, ich weiß eigentlich nur, daß er abnehmbare Manschetten trug, die ich bis dahin noch an niemandem gesehen hatte. Cheltenham erschien mir als ein Wirrsal endloser, ziemlich breiter Straßen mit blaßgrauen Häusern unter einem blaßblauen Himmel. Den größten Eindruck machten auf mich die Trinkhalle, die zahlreichen Liegestühle und das Fehlen jedweden lebhaften Farbtons, sowie jedweden erheiternden Vorfalls, wodurch sich der Ort von Madeira stark unterschied.

Ich verzeichne diese Monate in Cheltenham – vielleicht waren es nur Wochen, in meiner Erinnerung aber sind es endlose Monate – als eine Art Interregnum in der Leere vor dem Beginn meines wirklichen Lebens. Ober- und außerhalb des Bereiches meiner Aufmerksamkeit müssen meine Tante und ihre Gesellschafterin sehr angestrengt bemüht gewesen sein, mich in eine andere Umgebung zu versetzen, denn von dem trüben Hintergrund meiner Cheltenhamer Erinnerungen hebt sich eine Anzahl noch verschwommenerer Gestalten ab, lauter Blettsworthys, die kamen, mich weder liebevoll noch feindselig betrachteten, wobei sich aber sehr rasch der Entschluß in ihnen auszubilden schien, daß sie nichts weiter mit mir zu tun haben wollten, und wieder verschwanden. Ihre Bemerkungen lassen sich, glaube ich, in drei Hauptgruppen einteilen: Erstens wurde gesagt, daß ich meiner Tante gut tue, weil sie durch mich aus sich selbst herausgerissen werde – aber sie wollte offenkundig nicht aus sich selbst herausgerissen werden. Wer will das schon? Zweitens, daß man mich meinem Vater zurückschicken solle, was aber unmöglich war, da er Madeira mit unbekannter Adresse in Rhodesien verlassen hatte und die englische Post kleine Buben, die man postlagernd nach entfernten Kolonien schicken will, nicht annimmt; und drittens, daß die ganze Angelegenheit meinem Onkel unterbreitet werden solle, dem Reverend Rupert Blettsworthy, Rektor von Harrow Hoeward. Alle stimmten darin überein, daß ich für einen Blettsworthy von sehr kleiner Statur sein würde.

Mein Onkel war damals gerade in Rußland, wo er im Verein mit etlichen anglikanischen Bischöfen eine mögliche Wiedervereinigung der anglikanischen und der orthodoxen Kirche diskutierte – es war lange vor dem Weltkrieg und dem Aufkommen des Bolschewismus. Briefe, die meine Tante ihm schrieb, erreichten ihn nicht. Da, mit einem Male, als ich mich eben in ein rein negatives Leben im Hause meiner Tante zu Cheltenham unter der Leitung eines Erziehers mit abnehmbaren Manschetten zu ergeben begann, erschien mein Onkel.

Im allgemeinen ähnelte er meinem Vater, war aber kleiner, rosiger und runder, auch kleidete er sich, wie es einem wohlhabenden und glücklichen Rektor ziemt, während ich meinen Vater stets in zu weitem und verwaschenem Flanell gesehen hatte. Auch an ihm gab es vieles, was der Erklärung bedurfte, doch trat diese Notwendigkeit in seinem Fall nicht so deutlich zutage. Sein Haar war silbergrau. Er trat mit einem Mal und in vertrauenerweckender und angenehmer Weise aus dem verschwommenen Hintergrunde hervor. Er setzte seine randlose Brille auf die Nase und betrachtete mich mit einem sanften Lächeln, das mir außerordentlich anziehend dünkte.

»Nun, mein Junge«, sagte er mit einer Stimme, die mir fast die meines Vaters schien, »sie wissen offenbar nicht recht, was sie mit dir anfangen sollen. Würdest du denn gerne zu mir kommen?«

»Ja, bitte«, sagte ich, sobald ich den Sinn seiner Frage verstanden hatte.

Meine Tante und ihre Gesellschafterin begannen, mir ein Loblied zu singen. Sie ließen plötzlich jede Verstellung beiseite. Ich hatte nicht im entferntesten geahnt, wie viel Gutes sie von mir hielten. »Er ist so lebhaft und so klug«, sagten sie; »er hat Interesse für alles und jedes. Wohlversorgt und gut genährt, wird er ein netter kleiner Junge werden.«

Und somit war mein Schicksal entschieden.

Mr. Blettsworthy auf der Insel Rampole

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