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Kapitel 5. Hamburg – Nacht ohne Ende.
ОглавлениеHamburg, St. Pauli, Bar „Excellence“. 9. Mai, 23:00 Uhr Ortszeit. Eine Nacht ohne Ende.
Seine allzeit bereite, moderne BMW ActiveHybrid 7er-Limousine aus der Tiefgarage des BND-Komplexes hatte Günter Freysing nach der Besprechung zügig und schnell trotz relativ dichten Freitagnachmittagsverkehrs in drei Stunden nach Hamburg gebracht. Er fuhr diesen Wagen seit knapp einem halben Jahr dienstlich, während sein 2008er Z1 in der Garage seines selten benutzten Häuschens in der Nähe von München stand. Es war etwas gewöhnungsbedürftig gewesen, auf das neue Modell umzusteigen, doch er hatte einsehen müssen, dass eine bequeme Limousine für seine mitunter langen Dienstfahrten wesentlich geeigneter war als das wohlgefällige Cabrio, dass er als Zweijahreswagen günstig von seiner Dienststelle privat übernommen hatte. Und dass er keine dreißig mehr war und daher auch ein entsprechendes Auto fahren sollte. Er sollte den Z1 doch wieder verkaufen…
Nach gutem Zureden der Fahrbereitschaft hatte er beschlossen, das Angebot des „Dienstes“ wahrzunehmen und den 7er voll ausrüsten zu lassen.
In ihm befand sich nun eine Menge Elektronik; viel mehr, als vom Hersteller serienmäßig oder auf Kundensonderwunsch angeboten wurde. Stoessner war darüber eigentlich nicht glücklich gewesen, er war wie sein Vorgänger wegen wiederholter Haushaltskürzungen für den Geheimdienst ein Pfennigfuchser und immer darauf bedacht, dass jeder Cent, den die Spezialabteilung ausgab, auch wirklich gerechtfertigt war.
Vor sich ein Glas seines Lieblings-Drinks, saß Sax nun auf einem der Barhocker des „Excellence“ und konnte im großen Spiegel hinter Gläsern und Flaschen die Dreiergruppe von jungen Marinesoldaten in eher lässigem Zivil beobachten.
Sie befanden sich in einer Sitzecke um einen kleinen Tisch, jeder neben sich ein Mädchen in mehr als leichter Kleidung. Sie gehörten zu einem Teil der Besatzung der „Baden-Württemberg“, die nicht mit auf die Fahrt zum „Horn“ gegangen war, aber an der kurzen Nordsee-Testfahrt teilgenommen hatte. Am Tisch wurde fleißig getrunken, frivol geplaudert und gekichert.
Hin und wieder ließ Freysing seinen Blick durch den Rest der Bar schweifen, die ihre besten Tage hinter sich hatte, ohne heruntergekommen zu wirken. Nur irgendwie… altmodisch!
Die Einrichtung war auf jeden Fall aus dem vorigen Jahrhundert, Mitte der Achtziger, schätzte er, als sich hier wahrscheinlich neureiche IT-Manager und Börsianer ihr Stelldichein gaben und das Geld schneller wieder los wurden, als sie sie es über den Tag ihren Kunden aus den Taschen gezogen hatten.
Auf einer kleinen Bühne in der linken Raumhälfte neben der Bartheke mühten sich zwei viel zu junge vollbusige Mädchen, die eineiige Zwillinge sein konnten, recht gelangweilt ab, um dem männlichen Publikum einzuheizen.
Sie führten parallel zueinander an zwei bis fast zur Decke reichenden hohen Stangen langsam eine Art von „rhythmischer Sportgymnastik“ auf; mit Jeans-Hot-Pants und Stilettos bekleidet – und zwar nur noch damit bekleidet – das Ganze zu schwülstigen Rhythmen längst vergangener Tage. „Sax“ meinte „Freddies Blues“ von Hound Dog Taylor zu erkennen, allerdings ohne Gesang.
Trotz der späten Stunde und der halbwegs akzeptablen Show waren die Plätze in der Bar nur spärlich besetzt. Die meisten Menschen befanden sich dieser Tage auf dem Hafenfest, das alljährlich im Mai zehntausende von Menschen anlockt. Aber auch sonst schienen die großen Tage des ehemals ebenso glamourösen wie verruchten Stadtteils vorbei zu sein.
Freysing hatte sich auf der Fahrt von Berlin nach Hamburg über den Bordbildschirm mit den Fakten vertraut gemacht, die man über Novotny und Frier kannte, und die auf sein Computersystem übertragen worden waren.
Beides eigentlich untadelige Seeleute, schien es irgendetwas in Novotnys Leben gegeben zu haben, das ihn unlängst aus der Bahn geworfen hatte.
Der Kapitän a.D. hatte angeblich, erst heimlich und dann unheimlich, mit dem Trinken angefangen, und laut den Unterlagen hatte das zu einem Unfall an Bord der „Baden-Württemberg“ während der Testfahrt auf der Nordsee geführt. Drei Matrosen waren dabei nicht unerheblich verletzt worden. Man hatte nicht herausfinden können, was der Hintergrund war, oder sich auch nicht wirklich Mühe gegeben. Oder es war etwas vertuscht worden.
Novotny war unverheiratet und es auch nie gewesen, aber dem Anschein nach solide. Keine großartigen Frauengeschichten, auch keine Männer; der Dienst auf See war seine Heimat, Beruf und Berufung gewesen. Er beteiligte sich nicht an Glücksspielen, und das einzige nicht seemännische Hobby, für das er sich je zu interessieren schien, war American Football. Er hätte durchaus das Zeug gehabt, irgendwann einen der geringeren Admiralsränge zu bekleiden.
Frier war da von einem etwas anderen Schlag. Ein Karrieremensch, der aber nichts riskierte, sondern mit vorsichtigem Handeln stets in der Deckung blieb und immer zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle war. So wie diesmal auch, weshalb die Wahl, ihn zum Nachfolger für Novotny zu machen, scheinbar automatisch erfolgt war. Verheiratet, zwei Kinder; halbwüchsige Mädchen. Er war kein Draufgänger, sondern ein funktionierender Entscheidungsträger, der Befehle ebenso konsequent gab wie er sie befolgte, akkurat und gründlich, und nie einen Zweifel darüber aufkommen ließ, das er der richtige Mann in der Position war, die er gerade ausfüllte, und war in seinen Kreisen wegen seiner ausgesprochenen Verlässlichkeit und strengen Gutmütigkeit beliebt.
Gleichwohl waren sie einander irgendwie ähnlich, hatten beide eine enorme Führungsstärke und Willenskraft und schließlich durch diese notwendigen Eigenschaften trotz Beförderungsstaus unablässig in der Marinehierarchie aufgestiegen.
Umso mehr erstaunte es Freysing, dass Novotny, bis zu dem Unfall bei der Testfahrt scheinbar ein untadeliger Mann, irgendetwas so aus der Bahn hatte werfen können. Um herauszufinden, was es war, deshalb war er hier.
Die Matrosen von der „Baden-Württemberg“, die aufgrund ihrer bei dem Unfall erlittenen, aber inzwischen nahezu abgeklungenen Verletzungen nicht mit zum Horn von Afrika abkommandiert worden waren, bildeten einen geringen Ansatz, nachdem er vergeblich versucht hatte Kapitän a.D. Novotny telefonisch zu erreichen, um ihm noch am Abend einen Besuch abzustatten. Er würde wohl die Gelegenheit bekommen, sie alle vorsichtig auszufragen, aber im Moment waren sie zu sehr beschäftigt und würden bei einer Störung ihrer gegenwärtigen Landurlaubs-Aktivitäten kaum gesprächig sein.
Morgen würde er dann das Gespräch mit dem Ex-Kapitän direkt suchen, in der Hoffnung, zu dem Zeitpunkt schon etwas mehr zu wissen, um ihn dann gegebenenfalls aus der Reserve locken zu können, falls er etwas verbarg.
Irgendwas mussten die Matrosen schließlich wissen, das nicht in den Akten stand. Hoffte er zumindest. In Gedanken versunken nippte er an seinem Glas.
„Einsam?“ fragte eine Stimme mit rauchigem Klang plötzlich neben ihm.
Freysing wandte den Blick vom Spiegel ab und sah in das Gesicht einer recht betagten, unter der sauberen Schminke verlebten Animierdame.
Groß, brünett, mit fortschreitenden Altersflecken im tiefen Dekolleté, registrierte er. Sie trug eine große helle Perlenkette um den Hals. ´Nun´, dachte er bei sich, ´wenn er es hier schon mit dem ältesten Gewerbe der Welt zu tun bekam, warum musste es dann ausgerechnet ein Gründungsmitglied sein?´
„Bestellst du mir einen Drink?“ fragte dieselbe Stimme aus dem geschminkten Mund. Wenn er nicht auffallen wollte, musste er das Spiel wenigstens eine Zeit lang mitspielen. Wieso war er sonst hier? Der Barkeeper stand schon erwartungsvoll hinter seiner Theke parat.
„Die Dame nimmt einen…“ sagte er langsam und sah sie fragend dabei an.
„Champagner.“ vollendete sie zufrieden. „Und für den Herrn hier nochmal dasselbe!“ Ziemlich sicher schien sie am Getränkeumsatz beteiligt.
Der Barkeeper öffnete mit einem dumpfen „Plopp“ eine kleine Flasche der billigsten Sorte, wahrscheinlich, um später die teuerste zu berechnen, goss ein Glas ein und stellte es vor der „Dame“ auf den Tresen.
Danach füllte er ein breites, niedriges Glas zunächst mit etwas Eis und dann beinahe bis zum Eichstrich mit den Flüssigkeiten aus zwei verschiedenen Flaschen, eine farblos, eine braun; die klare immerhin von jener Marke, die Freysing bevorzugte; ohne beim zweiten Drink allerdings die Anweisung zu beachten, die dieser bei seiner ersten Bestellung gegeben hatte:
„Skyy-Wodka bis in die Hälfte eines Whiskey-Glases, kräftig gewürzte, kalte Kraftbrühe dazu - und mit zuvor hineingegebenem Crushed-Ice verrühren. Keine Würfel! Ohne Gemüse!“ Simpel, aber gut. Und auch ein Relikt seiner Amerika-Zeit, wie die „St. James´“. In der Bar herrschte allerdings Rauchverbot.
Zu einem „normalen Bull Shot“, der eigentlich in einem Cocktail-Glas serviert wird, gehörten üblicherweise freilich Eiswürfel und ein Stengel Petersilie. Aber das war etwas für „Jungs“, nichts für „Männer“.
Als er den Drink vor Freysing platzierte, nahm er geschickt das alte Glas weg, obwohl es noch einen kleinen Schluck beinhaltete.
Es folgte eine eher belanglose, kurze Unterhaltung, in der die „Dame“ zu taxieren schien, ob das Opfer ihrer Begierde zu mehr Bereit und vor allem zahlungskräftig war. Sie nippte an ihrem Champagnerglas.
Als der Barkeeper sich zwei neuen Gästen zuwandte, die erschienen waren und am anderen Ende der Theke Platz genommen hatten, raunte ihm die „Dame“ etwas zu. Sie musste es wiederholen, damit er es verstand, denn seine Aufmerksamkeit galt in dem Augenblick bereits wieder den Matrosen in der Sitzgruppe, allerdings ohne dass sich dort anderes tat als zuvor.
„Trinken Sie es aus und kommen sie mit!“
Der Barkeeper war damit beschäftigt, Drinks für die neuen Gäste zu mixen.
„Keine Lust auf ein Schäferstündchen!“ lehnte Freysing kurz angebunden ab.
Die „Dame“ hatte ihr Champagnerglas nun in einem Zug leer getrunken und drängte jetzt zum Aufbruch. Um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen, fasste sie ihn mit einem erstaunlich festen Griff am Oberarm und zog ihn halb vom Barhocker herunter, woraufhin er sie scharf und ablehnend ansah.
Ihn kurz mit großen Augen dringlich ansehend, ließ sie ihn sogleich wieder los, drehte sich um und ging in Richtung Tür, ohne zu prüfen, ob er ihrer Aufforderung auch wirklich Folge leistete.
Er legte einen 50-Euro-Schein auf den Tresen, den der Barkeeper, kaum das Freysing und die „Dame“ an der Tür waren, in seiner eigenen Tasche verschwinden ließ, und folgte ihr hinaus auf die Straße. Ein Volvo-Taxi kam schnell heran. Das „Taxi“-Schild auf dem Dach war allerdings ausgeschaltet.
„Vorn einsteigen!“ befahl sie ihm und riss die Tür der Beifahrerseite auf.
Der Mann hinter dem Steuer war ein grimmig dreinblickender Hansestädter mit osteuropäischem Migrationshintergrund. Davon gab es hier eine ganze Menge.
Kaum war Freysing eingestiegen, ging die Beifahrertür zu, die „Dame“ nahm hinter ihm auf dem Rücksitz Platz und gab dem Fahrer Anweisungen in einer Sprache, die er nicht richtig verstand. Hörte sich ein wenig wie serbisch an. Sie nannte ihn Milo.
Das Taxi fuhr zügig los.
In der Bar trank der Barkeeper den Rest des Drinks aus, den Freysing hatte stehen lassen, schüttelte sich ein wenig mit einem leicht verzogenem Gesichtsausdruck, räumte dann aber geschwind die Gläser ab und griff nach einem Handy zwischen den gestapelten Geschirrtüchern unter der Theke. Die Nummer, die er anrief, war in der Kurzwahl unter „Lena“ gespeichert.
„Sie sind unterwegs!“ sagte er, als die Verbindung stand. Mehr nicht. Dann drückte er das Gespräch sogleich wieder weg.
Das Taxi-Schild leuchtete jetzt, aber sowohl der Taxameter als auch das Funkgerät blieben ausgeschaltet. Noch war „Sax“ nicht beunruhigt.
Die Fahrt ging hinüber nach Sasel, einem der grüneren Außenbezirke Hamburgs, und dauerte im geringen Verkehr nicht ganz zwanzig Minuten.
Unterwegs sprachen sie nur wenig. So sehr Freysing auch versuchte, aus den beiden etwas herauszubekommen, so vergeblich war es.
„Na, kommt bloß nicht ins Plaudern!“ gab er irgendwann resignierend auf.
Das Fahrziel, ein kleines Einfamilienhaus, lag in einer schier endlosen Allee aus Kastanien, in der um beinahe Mitternacht aber die typische Stille aller spießbürgerlichen deutschen Großstadtrandbezirke herrschte.
Eine niedrige Hecke mit einem ebensolchen Mäuerchen und Metallgeländer davor trennte das nicht allzu breite, aber gediegen wirkende efeuumrankte zweistöckige Gebäude mit Spitzdach im Hintergrund des kleinen Vorgartens vom Rad- und Fußweg. Kein wirkliches Hindernis für einen Eindringling. Das Haus kam ihm irgendwie bekannt vor.
„Reingehen, da, sie erwarten!“ sagte der Fahrer mit starkem Akzent.
„Oh, Sie können tatsächlich sprechen!“ Erstaunen vorgebend, grinste Freysing. Sein Humor wurde nicht geteilt. Er stieg schnell aus.
Die beiden im Wagen beobachten, wie er die niedrige Tür im Heckenzaun öffnete, hindurch ging und auf die Haustür zusteuerte, die just in diesem Moment von innen geöffnet wurde. Beim Hereinkommen konnte er das Klingelschild lesen: „Novotny“ stand dort in fetten Arial-Lettern. Aha! Ein Bild des Hauses hatte er im Dossier über den Ex-Kapitän der „Baden-Württemberg“ gesehen gehabt. Er hörte das Taxi davonfahren.
Der Mann in der sich öffnenden Haustür schien ein älterer Bruder des Taxifahrers zu sein, jedenfalls sah er ihm recht ähnlich. Er führte ihn nach wortkarger Begrüßung durch einen kurzen Flur zu einem türlosen Durchgang mit Rundbogen, hinter dem ein geräumiges L-förmiges Wohnzimmer lag.
In gedämpftes Licht gehüllt, konnte „Sax“ die Einrichtungsgegenstände wahrnehmen. Überwiegend Eiche rustikal im Stil der 1960er und -70er Jahre.
Fast alles an Kleingut, mit Ausnahme der eigentlichen Möbel, schien irgendwie mit der Seefahrt zu tun zu haben. Es gab Schiffsmodelle, eine Schiffsglocke, halbwegs wertvolle Kopien historischer Seeschlachtgemälde, einen Muster-Wandteppich aus einfachem Material mit einer Unzahl verschiedenster kurz abgeschnittener seemännischer Seilknoten, ein über dreiviertel der Decke des Raumes gespanntes Netz mit allerlei künstlichem Meeresgetier darauf und als Höhepunkt eine Art Wintergarten, dessen bifokale Fenster jeweils in der Mitte eine runde, bullaugenähnliche, verstärkte Optik auf den rückseitigen wasserpflanzenlastigen Gartenabschnitt boten. Über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten.
Der einzige Gegenstand, der nicht zu dem Interieur passen mochte, war ein länglicher, orange-roter Football, der, mit unleserlichen Unterschriften versehen, seinen Platz in einer Halterung auf dem Sideboard gefunden hatte, und einem Wimpel der „Hamburg Blue Devils“ daneben.
Zwei zugeschlagene Magazine zu der Sportart lagen in der Mitte des Raumes auf dem Couchtischchen, das zusammen mit einer ausladenden Polstergruppe den meisten Platz im Zimmer einnahm.
„Kitsch as Kitsch can!“ stieß Freysing für sich selbst hervor.
Derjenige, der ihm die Tür geöffnet hatte, wies ihn mit einer Geste an, auf dem großen blauen Rundsofa Platz zu nehmen, das in dieser Umgebung wie ein großer Kahn wirkte. Niemand hatte es bisher für nötig befunden, ihn nach Waffen zu durchsuchen, was zweierlei bedeuten konnte: Entweder, man war ihm nicht wirklich feindlich gesonnen, oder aber man wollte ihn in Sicherheit wiegen und glaubte dabei nichts befürchten zu müssen.
Eine Frau erschien, groß, schlank, milchkaffeebraun, tiefschwarzes langes Haar, glatt nach einer Seite hüftlang herunter gekämmt, nicht wesentlich jünger, aber wesentlich jünger wirkend als die „Dame“, die ihn mit hierher gebracht hatte. Sie trug einen Sari, hatte exotische Gesichtszüge mit hohen Wangenknochen, sprach aber ein völlig akzentfreies Deutsch mit leicht nordischem Einschlag.
„Sie haben sich nach Willy erkundigt!“ ertönte leise ihre angenehme Stimme, weich wie Butter, dabei dem Serben, der gewartet hatte, mit einem Kopfnicken bedeutend, das er gehen könnte. Ihre Worte waren eine Feststellung.
Als sie ihm gegenüber in einem Sessel Platz nahm, die langen Beine parallel S-förmig leicht schräg gestellt, setzte sie einen amüsierten Blick auf, wie um zu sagen: „Was will denn einer wie du von Willy?“. Sie meinte allerdings wohl den Kapitän, Wilhelm Novotny, der hier wohnte. Er entgegnete erst mal nichts und wartete, dass sie aus der Deckung kam.
„Entschuldigen Sie die etwas unförmliche Einladung, die Helga und Milo ihnen überbracht haben.“ fuhr sie fort. „Und kommen Sie nicht auf dumme Gedanken, Vaclav ist in der Nähe, und er kann grob werden, wenn es sein muss.“ setzte sie nachdrücklich, aber nicht im Geringsten ängstlich, hinzu.
In der Tat hatte er nach seiner Ankunft im Hamburger Hafen an ein paar Stellen gezielte Fragen gestellt, die ihn schließlich in die St.-Pauli-Bar geführt hatten. Es war nicht einfach gewesen aufgrund der dortigen Menschenmassen des gerade stattfindenden Volksfestes, aber schließlich halbwegs zielführend.
„Darf ich rauchen?“ fragte er, um Zeit für eine Legendenbildung zu haben.
Als sie nickte, nahm er eine „St. James´“ aus seinem Etui und zündete sie sich mit dem „GF“-Feuerzeug aus seiner Tasche an, später den Ascher neben den Zeitschriften auf dem Couchtischchen nutzend, der die Form eines alten Rettungsbootes und die Aufschrift „Rette sich wer kann“ besaß. Er bot ihr keine davon an; sie machte allerdings auch keine Anstalten, um eine zu erbitten.
„Also?“ fragte er ungeduldig.
„Also – was?“ entgegnete sie. „Ich dachte, sie seien hier, um mir ein paar Fragen beantworten zu können. Wo zum Beispiel ist Willy?“
Freysing machte ein erstauntes Gesicht.
„Eigentlich hatte ich erwartet, ihn hier persönlich anzutreffen!“ sagte er mit fester Stimme. Er war tatsächlich schon sehr überrascht. Es hatte bisher keine Informationen darüber gegeben, dass Novotny verschwunden war.
„Ich bin vor vier Tagen von einer kleinen Reise wiedergekommen. Er war nicht da. Zunächst habe ich mir keine Sorgen gemacht - da er aus dem Dienst ausgeschieden ist, kann er ja mit seiner Zeit machen, was er will. Aber seine sämtliche Kleidung hängt im Schrank, und es gibt auch keine Nachricht.“
„In welcher Beziehung stehen Sie denn zu ihm?“
„Ich kümmere mich um das Haus, wenn er auf See ist. Und das kann – konnte - manchmal sehr lange sein. Als er vor kurzem von der aktiven Marine weg ist, war er dann natürlich öfter hier. Wir sind Freunde. Gute Freunde. Und manchmal auch etwas mehr. - Ich heiße Lena, Lena Palmer. Und Sie?“
Günter Freysing hatte sich inzwischen seine Geschichte zurechtgelegt.
„Freysing. Mit Ypsilon. Aber nennen Sie mich Günter. Ohne „Ha“. Ich bin sein Neffe.“ behauptete er dreist. „Wir haben uns etwas Sorgen gemacht.“
„Wir? - Komisch. Von Familie hat er eigentlich nie etwas gesagt. Und wir haben uns, wenn er hier war, sehr viel über Privates unterhalten. Außer…“ Sie unterbrach sich, so, als habe sie schon zu viel gegenüber dem Fremden preisgegeben.
„Das ist richtig.“ sagte Freysing vorsichtig, seine Legende vertiefend, um mehr aus ihr heraus zu bekommen. „Wir hatten quasi keinen Kontakt. Meine Familie wohnt in der Nähe von München. Zu den üblichen Festtagen war er meistens auf See. Keine Treffen. Mal ein Telefonanruf vor Ostern oder Weihnachten mit den Wünschen für Frohe Festtage, das war eigentlich alles, was mich mit Onkel Willy verband. Aber vor kurzer Zeit rief er mich an… das war schon allein ungewöhnlich“, log er ungeniert. Er überlegte einen Moment weiter.
„Und?“, forderte Sie ihn auf weiter zu sprechen.
„Er klang… verwirrt. Bestürzt. Er wirkte betrunken und faselte etwas von einem Unfall. Ich habe dann mal versucht, ihn telefonisch zu erreichen, aber ohne Erfolg. Schließlich habe ich mir etwas Urlaub nehmen können, um mal nach dem Rechten zu sehen. War nicht einfach.“ spann er die Legende weiter. Sie musste nur für die Dauer dieses Gesprächs halten.
Lena nickte und wartete auf Weiteres.
„Nein. Jetzt Sie! Sie sagten, er habe nie über Familie gesprochen. Außer…?!“
„Ja. Vor einiger Zeit hat er hat etwas erfahren, das ihn ein wenig aus der Bahn geworfen hat. Danach hat er viel getrunken…“. Sie stockte, offenbar wollte sie darüber nicht weiter sprechen.
„Und das war?“ – Freysing hatte das Gefühl, gleich überrascht zu werden.
Sie überlegte einen Moment, schien aber dann zu der Überzeugung zu gelangen, dass ihr Gegenüber vertrauenswürdig sei und ernsthaft besorgt war.
„Er hat einen Sohn!“
Das war eine Überraschung! Wenn auch nicht unbedingt eine weiterhelfende.
„Nein!?“ sagte Günter Freysing deshalb schnell so erstaunt wie schockiert.
„Doch! Er hat es erst vor nicht allzu langer Zeit überhaupt erfahren. Das Ergebnis eines Techtelmechtels in Schottland, als er noch Offiziersanwärter auf einem Minensuchboot war. Das muss Ende der Siebziger, Anfang der Achtziger Jahre gewesen sein. Eine interessante Zeit damals. Nato-Doppelbeschluss, Demos…“. Sie schien geistig in Erinnerungen ihrer frühen Jugend zu schwelgen.
Günter Freysing rechnete sich aus, wie alt der Sohnemann des Kapitäns inzwischen sein mochte.
„Okay, er hat also überraschend einen Sohn. Das freut einen, das bestürzt einen, oder es lässt einen kalt, je nachdem – aber es wirft einen doch nicht so aus der Bahn.“
„Normalerweise nicht.“
„Und bei Onkel Willy war es nicht normal? Was ist denn mit der Mutter?“
„Schottischer verarmter Landadel. Hat sich wohl mehr schlecht als recht durchs Leben geschlagen und ziemliche Entbehrungen auf sich genommen, um den Kleinen groß zu ziehen. Aber sie war wohl einerseits zu stolz, um nach dem Vater ihres Kindes zu suchen, andererseits hatte sie nicht die Möglichkeiten.“
„Und dieses Säumnis hat der Sohn dann nachgeholt?“
Lena nickte bedächtig.
„Er scheint eine ganze Weile nach seinem Vater geforscht zu haben, als er erfuhr, dass der noch am Leben war. Seine Mutter hatte ihm, soweit das bekannt ist, ursprünglich etwas Gegenteiliges gesagt gehabt.“
„Und dann hat er sich überraschend bei seinem Daddy gemeldet.“ Freysing stellte sich das Bild eines erwachsenen Mannes vor, der plötzlich an die Tür des alten Kapitäns klopft und sagt: ´Hallo, wie geht’s? Ich bin übrigens dein Sohn!´
„Nein, so war es ganz und gar nicht.“
„Sondern?“
„Eines Morgens, Willy machte gerade hier Station und wartete auf sein neues Kommando, erschienen zwei Kriminalbeamte vom LKA Hamburg. Sie waren sehr freundlich, aber die Nachricht, die sie überbrachten, war tragisch.“
„Was ist geschehen?“
„Peter“ – sie sprach es englisch aus – „wollte wohl seinen Vater wirklich überraschen. Oder er wollte ihn erst einmal beobachten und sich dann nähern. Vielleicht hatte er aber auch etwas ganz anderes vor. Wir werden es vielleicht nie erfahren. Denn auf der Autobahn gab es einen schweren Unfall.“
„Und Peter kam dabei ums Leben.“ Es war für Freysing mehr eine Feststellung als eine Frage. Lena Palmer hatte von Tragik gesprochen.
„Ja. Die Polizisten sagten, er habe Unterlagen dabei gehabt, aus denen hervor ginge, dass Willy sein Vater sei. Keine Geburtsurkunde, die Mutter hatte „Vater unbekannt“ angegeben gehabt. Aber einige andere Dokumente, Briefe und zusammengetragene Beweise über den damaligen Gast-Aufenthalt des deutschen Minenräumers in Rosyth und die Liaison mit seiner Mutter.“
„Hm.“, machte Freysing überlegend. Das konnte freilich etwas sein, das einen Vater aus der Bahn warf. Er erfährt, dass er einen unehelichen erwachsenen Sohn hat, der auf dem Weg ist, ihn kennenzulernen, aber im selben Augenblick, dass er auf der Fahrt zu ihm ums Leben gekommen sei.
Das schien aber noch nicht die gesamte Geschichte gewesen zu sein, die Lena zu berichten hatte, und sie fuhr auch sogleich fort.
„Das war allerdings nicht alles, was man bei Peter fand. Im Gepäck fand sich ein schaumgummigepolsterter großer Koffer mit einem CheyTac M200 Scharfschützen-Schnellfeuergewehr samt Zubehör.“
Freysing pfiff leise durch die Zähne. Das Sniper-System war mit das Beste, was zur Zeit auf dem Markt war, um auf große Distanz zielsicher jemanden zu erledigen. Und außerhalb der legalen Kanäle sehr schwer zu beschaffen.
„Sie kennen sich aus, hm?!“ hakte er nach, doch überrascht über Lenas scheinbares Sachverständnis.
„Nein, ich eher nicht, aber Willy wohl ein bisschen. Die Polizeibeamten haben die Marke erwähnt, so, als sei das Ding was ganz besonderes.“ Sie lächelte nicht, als sie das sagte.
„In der Tat!“ meinte Freysing. „Das ist nichts für Schützenvereine auf dem Lande.“
Der Sohn wollte den Mann umbringen, der seine Mutter geschwängert und dann abgehauen war?! Sowas soll´s geben, aber immer noch glaubte er nicht, das Lena schon zu Ende erzählt hatte – und sollte recht behalten.
Sie schüttelte den Kopf. „Das, was das Landeskriminalamt wohl über ihn herausgefunden hat, ist wesentlich schlimmer!“
Er hatte eine „St.-James“ zu Ende geraucht und steckte sich sogleich eine Neue an, gespannt, was noch kam. Dabei bot er ihr eine an, aber sie schüttelte nur dankend ablehnend den Kopf. Dann forderte er sie auf, weiterzusprechen.
„Wenn das, was die Polizisten Willy gesagt haben, stimmt, war Peter nicht das, was er zunächst schien. Er war kein Handelsvertreter.“
„Sondern?“
„Ein Berufsmörder.“ sagte sie leise. „Ein Killer, der mit dem Tod von mindestens sieben prominenten Menschen in Verbindung gebracht wird.“
Freysing schluckte kurz. „Ein sehr sentimentaler Berufsmörder!“
„Ein sehr in die Enge getriebener Berufsmörder, dem die Polizei immer näher kam, der auf der Suche nach seinen Wurzeln war und vielleicht seinen Job an den Nagel hängen wollte…“ sinnierte Lena.
„Was seinen Auftraggebern möglicherweise nicht recht war.“
´Aber wenn dieser Peter ein fähiger Berufsmörder war, wieso weiß ich dann nichts von ihm?´, dachte Freysing. Er beschloss, so schnell wie möglich über seine Kanäle herauszufinden, was über Peter herauszufinden möglich war. Es musste doch etwas in den Datenbanken des BND über so einen wie „Peter“ geben.
„Was ist dann weiter passiert?“
„Willy war danach verstört. Er wurde schnell unkonzentriert, depressiv, begann zu trinken, mehr als für ihn gut war, und geriet in üble Kreise. Ich habe dann Helga, die ich von meiner Arbeit her gut kenne und der ich vertraue, angehauen, um ihn da rauszuholen. Sie hat mir Milo und Vaclav vermittelt, um ein wenig auf ihn aufzupassen. Aber er zog sich innerhalb kürzester Zeit immer mehr zurück. Dann gab es auch schon den Unfall während der Testfahrt mit seinem neuen Schiff, für den man ihm die Schuld in die Schuhe schob.“
Freysing fragte an dieser Stelle nicht nach, was sie eigentlich arbeitete.
„In den letzten Wochen fing er sich dann wieder, aber als ich von meiner Reise zurückkam, war er nun plötzlich verschwunden. Ich habe mir sofort Sorgen gemacht und dann die beiden, Milo und Vaclav, nochmal gebeten, nach ihm zu suchen. Sie kennen sich aus und wissen, wo man wen in Hamburg fragen muss, um jemanden wie den Kapitän zu finden. Aber Fehlanzeige. Und dann kreuzen Sie hier auf und stellen ebenfalls Fragen nach ihm. Sagen Sie – sie sind doch nicht wirklich sein Neffe, oder?“
Der BND-Agent wusste, dass er seine Legende nicht aufrecht erhalten konnte.
„Sagen wir mal so: Es gibt Leute, die sind sehr beunruhigt, was mit ihm los ist, und sie haben mich gebeten, herauszufinden, was genau geschehen ist.“
Er überlegte: Niemand hatte bisher diesen „Peter“ erwähnt. Auch, als man seinerzeit die Hintergründe des Unfalls auf der „Baden-Württemberg“ durchleuchtete und die Lebenssituation von Novotny einer Kontrolle unterzog, hatte sich laut dem Dossier keine Verbindung zwischen einem Berufsmörder „Peter“ und dem Kapitän ergeben, die den zuständigen Dienst erreichte. Obwohl das LKA Hamburg offenbar mit der Sache befasst war und es eigentlich auch dort Daten im Computer geben musste. Aber von Lena hatte sein Dienst bisher auch nichts gewusst. Neue Namen, neue Spuren?
Fast hatte er den Eindruck, da wurde etwas unter den Teppich gekehrt, und zwar wesentlich mehr als nur ein kleiner Decksunfall.
„Können Sie sich an die Namen der ermittelnden Beamten erinnern?“ fragte er Lena.
Sie schüttelte den Kopf. „Beim besten Willen nicht.“ Dann schien ihr etwas ganz anderes einzufallen.
„Entschuldigen Sie, ich bin unhöflich. Darf ich ihnen einen Tee anbieten? – oder etwas Stärkeres?“
In einer Ecke des Raumes, neben dem künstlichen Kamin, hatte er eine offene Bar in Form einer großen halben braunen Weltkugel entdeckt.
Sie bemerkte seinen Blick, stand selbst auf, und bereitete zwei Gläser vor.
„Einen Vodka?“ fragte sie, zu ihm hinüber blickend. Er nickte, ersparte es sich aber, ihr eine Marke zu nennen oder gar seine bevorzugte Longdrink-Rezeptur, da er nicht davon ausging, dass in der überschaubaren Zimmerbar Kraftbrühe vorrätig sei. „Nur mit Crushed-Eis, wenn es geht“, fügte er aber hinzu.
„Sie sind ein Vodka-Typ, dachte ich es mir doch.“
„Sie haben eine gute Menschenkenntnis!“
„Die muss man haben in meinem Gewerbe.“
„Was da wäre?“
„Ich begleite Geschäftsleute zu offiziellen Anlässen.“
„Und zu mehr, wenn es sein muss?“
„Nur wenn es mir gefällt.“
„Und Novotny?“
„Ein einsamer Mann. Keine Familie, zumindest ja bislang. Monatelang auf See. Da braucht er einen Ausgleich. Wenn Sie verstehen, was ich meine.“
„Bin ja auch ein Mann.“
„Unübersehbar.“ lachte sie kurz, wurde aber gleich wieder ernst.
„Sie und Novotny treiben´s also miteinander, wenn er hier in Hamburg ist, und wenn er nicht da ist, kümmern Sie sich um das Haus. Weiß er, was sie beruflich machen?“ Freysing brachte Dinge sehr gerne sehr schnell auf den Punkt.
„Natürlich. So habe ich ihn ja kennengelernt. Er rief irgendwann bei der Agentur an und brauchte eine Begleitung für einen gesellschaftlichen Anlass, irgendeine Offiziers-Verabschiedung. Es blieb nicht bei dem einen Mal.“
Auch darüber, dachte Freysing, stand nichts im Dossier. Der Kapitän war sehr diskret vorgegangen. Und Lena war es von Berufs wegen ohnehin.
„Auf gewisse Weise habe ich mich tatsächlich in ihn verliebt.“ fuhr Lena fort. „Willy gibt mir das Gefühl, etwas anderes zu sein als eine berufsmäßige Mätresse.“
„Und Helga? - Sie kam mir vor wie eine Animierdame, als sie mich in der Bar abschleppte.“ Mit der Vermutung provozierte er bei Lena ein kurzes auflachen.
„Das war sie auch mal. Vor vielen Jahren. Das verlernt man nicht. Dann hat sie einen Steuerberater bezirzt und ihn geheiratet. Von ihm lernte sie alles über Geschäftsführung und einige wirklich wichtige Leute in Hamburg kennen. Die Ehe ist wieder auseinandergegangen, aber mit dem Geld, das er ihr aus dem Ehevertrag zahlen musste, gründete sie den Begleitservice.“
Sie hatte mit einem mechanischen Haushaltshelfer Eis aus einem Minicooler gecrushed und hantierte nun mit den Getränken an der Bar; Freysing hielt sie im Auge, nicht das etwas im Glas landete, was dort nicht mit hinein gehörte.
„Ich hab dann bei ihr angefangen. Damals brauchte ich das Geld, später machte ich es, weil es sehr viel Geld war und ich es sehr leicht verdienen konnte. Heute mache ich es nur noch gelegentlich, wenn mir danach ist und ich mir ein kleines Extra gönnen will. Willy ist mein ruhender Pol.“
Lena hatte nun die Drinks gebracht und nutzte die Gelegenheit, neben ihm auf dem Sofa statt gegenüber im Sessel Platz zu nehmen. Sie reichte ihm sein Glas, sie tranken und sie plauderte ein wenig weiter über die Vergangenheit. Er erfuhr unter anderem, dass sie das bunte Ergebnis (sie gebrauchte tatsächlich diesen Begriff) einer festen Liaison zwischen der schwarzen Tochter eines US-Soldaten aus South-Carolina und einem Mannheimer Werbegrafiker sei, die 2001 in die Staaten gegangen waren, wo auch der Großvater noch lebte.
Unwillkürlich musste „Sax“ an seine eigene Zeit in den USA denken, wurde aber sogleich davon abgelenkt. Er konnte ihr Parfum wahrnehmen. Es war „Thrill Woman“ von Joop, aber nur ein unaufdringlicher Hauch - wenn er sich noch auf seinen Geruchssinn verlassen mochte.
„Jetzt sind wir aber weit vom Thema abgekommen...“ sagte sie schließlich und blickte ihn an. Zum ersten Mal in dieser Nacht betrachtete er sie ganz als reife Frau. Sie besaß etwas äußerst anziehendes. Unter ihrem rosafarbenen, eleganten Sari zeichneten sich ihre Brüste ab, groß, rund, stramm und sehr weiblich. Er bemühte sich, cool zu bleiben, war aber auf einmal wie elektrisiert.
„…und es ist spät geworden!“ ergänzte er daher. „Ich sollte jetzt allmählich gehen.“ Er sagte es, obwohl er sich in der Gesellschaft von Lena direkt sehr wohl gefühlt hatte. Sie war sehr schnell für sich einnehmend; eine Voraussetzung für ihren Job.
„Um diese Uhrzeit braucht es eine Ewigkeit, bis hier draußen ein Taxi kommt.“ entgegnete sie.“ Es war eine eindeutige Einladung. In der Tat zeigte die alte Standuhr in einem Winkel des Raumes mittlerweile 2:10 Uhr in der Früh.
„Was ist mit Vaclav?“
„Der schläft längst. Im Gästezimmer. Und er hat einen festen Schlaf!“
Sie lehnte sich plötzlich an ihn. Er legte den Arm um sie, wie, um sie vor einem imaginären Feind zu schützen. „Sie sind ein sehr einfühlsamer Mann, Günter Freysing!“ sagte sie dann leise. „Sie wissen, was eine Frau wann braucht.“
Sie schien auf einmal ganz die „professionelle“, ohne anstößig zu wirken.
Noch eine ganze Weile saßen sie im Wohnzimmer, leerten die Flasche mit dem Vodka allmählich, das Eis nun weglassend, bis sie beide einigermaßen angeheitert waren. Dann standen auf und gingen zusammen ins Schlafzimmer.
´Keine Mädchen!´ kreiste es in Freysings Kopf. ´Keine Mädchen´, hatte der Generalmajor zu ihm gesagt, als er ihn in den Auftrag verabschiedet hatte. Nun, Lena war alles andere als ein „Mädchen“.
***