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Kapitel 1: Italien.

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Norditalien, Friaul-Julisch Venezien, bei Paluzza nördlich von Tolmezzo am Fuße der Karnischen Alpen. Ein einsamer und wenig bekannter Landgasthof etwas abseits der Hauptstraße zwischen Cleulis und Timau, separate Berg-Ferienhütte „La Motta“, 9. Mai 2014, 3:20 Uhr nachts Ortszeit. Sprich: Am Ende der Welt zu nachtschlafender Zeit.


Unter der dünnen Bettdecke zeichneten sich die deutlichen Konturen zweier halbschlafender Gestalten ab. Die eine erschien groß, muskulös und trainiert, die andere etwas kleiner, zusammengerollt in Fötusstellung.

Die kleinere Gestalt bewegte sich gerade ein wenig und löste sich sanft aus der Umarmung, die sie gefangen nahm. Sie schob die Bettdecke beiseite und blinzelte etwas in das durch die Scheiben hereinfallende Mondlicht. Rote Haare, kurz geschnitten, nach hinten nur halslang; ein volles, herzförmiges Gesicht mit einer etwas zu robusten Nase, aber ansonsten hübsch geformt, blau-gesprenkelte, ungewöhnliche Augen. Auf dem rechten Schulterblatt saß ein handtellergroßes Tattoo in Form eines tiefblauen Halbmondes, dessen sich zum Vollmond vollendenden Konturen in karmesinrot die dämonische Fratze eines Teufelswesens darstellten. Beinahe eine Analogie zur Szenerie.

Das einzige, was sie an Kleidung trug – wenn man es so nennen wollte, als sie nun vorsichtig aufstand - war ein feingliedriges, enges Goldkettchen an ihrem linken Handgelenk. Ihre Brüste waren eher klein, aber wohlgeformt wie ihr gesamter Körper. Sie mochte um die dreißig Jahre jung sein, nicht mehr als einsfünfundsechzig groß, schien insgesamt recht sportlich trainiert und turnte beinahe mit katzenhafter Geschwindigkeit durch den nur halbdunklen Raum.

Der Mann im Bett bewegte sich nun auch leicht, als habe er einen angenehmen Traum, wachte aber scheinbar nicht auf. Sein recht längliches, ovales Gesicht glänzte im hereinfallenden Licht des abnehmenden Halbmondes. Sein Atem blieb ruhig und gleichmäßig, auch als er sich bewegte.

Die Lippen des Mannes waren voll und dunkelrosa, wie der Mund eines berufsmäßigen Blasmusikers. Er schien beinahe im Schlaf etwas zu lächeln – vielleicht die unterbewusste schöne Erinnerung an die letzte halbe Nacht.

Der stoppelige Dreitagebart, den der trug, war keine Erscheinung der Anstrengungen der letzten Tage, sondern gehörte zu ihm wie ein Deckmantel, ohne ihn allerdings älter zu machen. Das im Laufe der letzten Jahre etwas schütter gewordene dunkelblonde Haar zeigte an den Ansätzen ein kaum merkliches grau, die Farbe auch seiner Augen.

Ein Blick in sein Gesicht oder auf seine Hände hätte das Alter nicht verraten, es mochte zwischen vierzig und fünfundvierzig Jahren zählen, aber das konnte täuschen, denn trotz seines mitunter anstrengenden und gefährlichen wirklichen Berufes hatte er sich noch ein recht jugendliches Aussehen bewahren können.

Man hatte ihm früher öfter nachgesagt, dass er vom Gesicht her entfernt dem Boxer Henry Maske ähnlich sähe, aber das hatte er stets von sich gewiesen. Die einzige Gemeinsamkeit war, wie er selbst fand, die Geburtsregion im brandenburgischen Fläming, zwischen Potsdam und der Lutherstadt Wittenberg.

Auf der Nachtkonsole neben seiner Betthälfte lagen eine Armani-Gleitsicht-Sonnenbrille mit den lichtreaktiven Zeissgläsern und ein blattgoldenes Etui mit bis zu zwanzig „St. James´“-Zigarillos, einer besonders starken Perique-Marke, der Tabak nur mäßig gestreckt und in Pflaumensaft gegoren, die er bevorzugte.

Ihr Tabak wächst nur an einem bestimmten Ort im US-Staat Louisiana an den Ufern des Mississippi und sein Rauch erinnerte ihn immer sehr an seine Zeit als konsultierter Verbindungsmann zum FBI in den Südstaaten der USA. Das Geheimnis des Tabaks liegt darin, dass vor der Ernte ein Teil der Blätter entfernt wird, um den Nikotingehalt zu erhöhen. Die Zigarillos sind in Europa nur sehr schwer zu bekommen, und er ließ sie eigens importieren. Aber in letzter Zeit rauchte er tatsächlich seltener, weil ihm der Arzt bei der letzten Fitnessprüfung ernsthaft von übermäßigem Tabakkonsum abgeraten hatte.

Daneben befand sich auf der Konsole noch ein zum Zigarilloetui passendes Dunhill-Feuerzeug mit den eingravierten Initialen „G.F.“ und dem Zusatz „in Liebe, Susanne“ in verspielt-verschnörkelten Buchstaben. Und eine angebrochene Pariser-Packung.

Günter Freysing, in gewissen Kreisen auch als BND-Agent „Sax“ bekannt, wartete, bis das „Mädchen“, eigentlich ja mehr eine junge Frau, in der Ecke angelangt war, an der es am Abend zuvor ihre Kleidung verloren hatte, bevor seine Hand vorsichtig über das Bett, aber noch unter der Decke, zu der Schublade tastete, die sich in der Nachtkonsole befand. Die Augen hielt er dabei geschlossen, um weiterhin den Eindruck des Schlafenden zu vermitteln.

Das „Mädchen“ zog sich nun vor dem Fenster schnell an, was auf einen heimlichen Beobachter sehr aufreizend wirken musste, und schnappte sich dann eine schmale, bordeauxrote Aktentasche. Sie lag auf einem der Sessel, die das spärliche Mobiliar dieses Raumes beinahe komplettierten.

Günter Freysing hatte nun die Schublade leise aufgezogen. Darin lag eine Heckler & Koch Pistole des Typs P 30 V2, Kaliber 9mm, in der alle bekannten Detektoren abweisenden Kunststoffausführung. Eine grauschwarze, tödliche Waffe mit überzeugender Durchschlagskraft, wie es der Waffenmeister des BND genannt hatte, der für die technische Ausrüstung der Agenten des aktiven Dienstes zuständig war. Die Griffschalen der Waffe waren speziell für Freysings rechte Hand gefertigt. Obwohl er sie in den Jahren seit ihrer Einführung als Dienstwaffe nur sehr selten benötigt hatte, war sie für ihn ein treuer Freund geworden.

Das „Mädchen“ verschwand gerade mit der Aktentasche durch den offenen Durchgang in den Nachbarraum. Günter Freysing ignorierte die Pistole und griff stattdessen nach dem kleinen, viereckigen Kästchen mit drei Tastknöpfen, das sich ebenfalls in der Schublade befand.

Dann stand er geräuschlos und behände auf, um dem Mädchen, selbst splitternackt, zu folgen. Körperlich war er in ausgezeichneter Form, wie der alljährliche Leistungstest unlängst ergeben hatte. Außer der Lunge vielleicht.

Sie hatte beinahe die schwere Holztür erreicht, die nach draußen führte, als er es mit einer kurzen Bewegung seiner Hand zum Dimmschalter im Wohnraum von einem Moment zum anderen beinahe taghell werden ließ.

Erschrocken und überrascht zugleich drehte sich das „Mädchen“ rasch um, ohne wirklich in Panik zu verfallen.

Sie war unzweifelhaft eine gute Schauspielerin und erinnerte, wenn auch nur sehr entfernt, an eine jüngere Version von Franka Potente zu der Zeit, in der diese durch den Film „Lola Rennt“ von Tom Tykwer bekannt geworden war.

Ihre kleinen Brüste zeichneten sich deutlich unter dem enganliegenden Kostüm ab. Auch in ihrer scheinbaren Panik wirkte sie sehr sexy; es war aber nichts im Vergleich zu dem Anblick des 1,91 Meter großen, nackten, durchtrainierten Freysing, der sich ihr bot. Sie musste unwillkürlich schmunzeln.

„Mach wenigstens einen falschen Schritt, damit ich leichter von dir loskomme“, zitierte dieser einen, wie er fand passenden, alten Trennungsspruch.

„Versteh´ mich nicht falsch Gunny, die Nacht mit dir war nochmal wunderschön, aber ich muss jetzt leider gehen!“ säuselte sie neckisch. Sie sprach es englisch, so wie die Abkürzung für „Gunnery Sergeant“, aus.

„Dagegen wäre nichts einzuwenden, aber die da“ – er deutete auf die Aktentasche in ihrer Hand – „solltest du doch besser hier lassen, oder?“

Ihr Blick erhaschte kurz das verräterische Objekt ihrer Begierde, bevor sie wieder zu ihm aufsah. Sie fuhr sich kurz mit der Zunge über die Oberlippe und dann mit den oberen Zähnen über die Unterlippe, wie es ihre kleine Marotte war, so als überlege sie, was sie nun tun sollte.

„Ach, weißt du, Gunny, es war ein hartes Stück Arbeit, das Ding von Julius zurück zu beschaffen, und ich sehe eigentlich nicht ein, dass es deine Firma für ein Dankeschön und einen Fick zurückbekommt. Auch wenn der wieder gut war!“

Mit „Julius“ meinte sie Dr. rer.nat. Julius Notker Stahlmann, dessen Geliebte sie aus rein eigennützigen Motiven gewesen war, bis sie Günter Freysing in der östlichen Türkei, nahe der irakischen Grenze, kennengelernt hatte.

Sie drehte sich halb um und wollte die schwere Tür öffnen, aber Freysing drückte sogleich einen der drei Knöpfe auf dem kleinen Kästchen; einer Art Fernbedienung, die man auch für Garagentore verwendet. Er hatte das Kästchen beim Einchecken am Abend zuvor an der Rezeption erhalten.

Ein deutliches schweres Klacken verriet, das die Tür nun mit mehr verschlossen war als nur durch den offen liegenden großen Innenriegel. Der war nur etwas für Romantiker – inzwischen hatten fast alle Herbergen, die etwas zählten, ein verstärktes Sicherheitsbewusstsein für ihre Gäste. Selbst in Italien!

„Hm!“ machte sie und schmollte. Dann ließ sie die Tasche vor sich auf den Boden mit einem schweren Plumpsen fallen, ebenso den Wagenschlüssel, den sie zuvor im Vorbeigehen vom Wohnzimmertisch genommen hatte.

„Hm-mh!“ machte er und äffte sie dabei ein wenig nach.

„Sei ein liebes Mädchen und sag mir, für wen du wirklich arbeitest. Das macht die ganze Sache einfacher.“ verlangte er dann.

„Einfacher – für wen?“ fragte sie und wusste im selben Moment, dass sie sich damit verraten hatte, denn nun dürfte ihrem One-Week-Stand endgültig klar sein, dass sie ihn – auch ihn - hatte ausnutzen wollen. Aber sie hatte noch einen Trumpf im Ärmel.

„Für dich, für mich, für alle eben…“

Sie lächelte. Dabei kam sie einen Schritt auf Günter Freysing zu, der das kleine Kästchen nun auf das schmale zweisitzige Sofa im Wohnraum warf.

„Mach dich nicht unglücklich!“ sagte er und ging in eine Abwehrstellung über.

Woher sie das kurze gebogene Messer mit der schmalen Klinge, einen sogenannten „Hirschfänger“, plötzlich hatte, wusste er nicht zu sagen. Ihre Bewegung war so schnell gewesen, dass es ihm gerade noch gelang, rechtzeitig auszuweichen, bevor der kalte Stahl an ihm vorbeizischte. Dann traf ihn auch schon ein kleiner, harter Fuß in der Leistengegend, und er sah kurz Sterne.

Bevor er Luft holen konnte, war das „Mädchen“ – sich nun zur wahren Furie entwickelnd - dicht an ihn herangetreten und wollte ihm das Messer in den Bauch stechen, doch diesmal war er schneller. Er packte ihren Unterarm, drehte ihn mit einer ruckartigen Bewegung herum und das Messer flog in eine Ecke des Raumes, während sie eine Art von Salto rückwärts vollführte und ihm die freie Handkante gegen den Hals schlug.

´Gelenkig, äußerst gelenkig!´ – dachte Freysing anerkennend. ´In jeder Art von Zweikampf!´

Hätte sie ihn voll erwischt, wäre er fraglos zu Boden gegangen, aber er konnte gerade noch den Kopf etwas zur Seite bewegen und so würde der Karateschlag anstelle bleibender Schäden nur einen größeren blauen Fleck hinterlassen.

Allerdings hatte er sie nun loslassen müssen, was sie in die Lage versetzte, eine Rolle über die auf dem Boden ausliegenden Felle zu absolvieren und in die Nähe des Messers zu gelangen, das er ihr gerade erst entwunden hatte.

Günter Freysing bückte sich nun jedoch schnell und zog derart ruckartig und stark an einem der Felle, sodass sie im Abschluss der Rolle aus dem Gleichgewicht geriet und gegen das niedrige Vitrinen-Schränkchen stürzte, das sich unterhalb des Flachbildschirmes an der fensterlosen Wand befand. Eine sorgsam aufgestellte Batterie von bunten DVD-Hüllen wurde dabei herunter gefegt und verteilte sich teilweise berstend auf dem Fußboden.

Einen der Titel in italienischer Sprache konnte er dabei lesen: Mister Dynamit: morgen küsst euch der Tod.“ - Fast musste er ein wenig schmunzeln.

Mit einem nun ganz und gar bösartigen Blick richtete sie sich behände wieder auf, bevor ihr Gegner bei ihr sein konnte. Er fiel dabei nur kurz auf das Messer, denn sie wusste, dass sie es nicht schnell genug würde erreichen können.

Taktik-Änderung! Sie täuschte vor, sich auf das Messer stürzen zu wollen, machte dann aber zwei lange Schritte in die entgegengesetzte Richtung. Doch genau damit hatte Günter Freysing gerechnet. Er schnellte in dieselbe Richtung, umklammerte sie nun mit seinen Armen, und hob sie vom Boden hoch, bevor sie erneut einen ihrer Karatetricks einsetzen konnte.

So trug er sie fast mühelos die paar Schritte zurück in den Schlafraum und warf sie mit Leichtigkeit aufs Bett, obwohl sie energisch zappelte und austrat.

„Schluss jetzt!“ stieß er scharf aus, und befürchtete doch im selben Moment, dass er möglicherweise einen Fehler begangen hatte.

Dem Mädchen war die noch offene Schublade der Nachtkonsole mit der darin liegenden Pistole keineswegs entgangen. Mit einem Lächeln griff sie danach, riss die Waffe herum, sie dabei trotz der modifizierten Griffschalen gleichzeitig geschickt entsichernd, und wollte sie auf Günter Freysing richten.

Der allerdings vollführte im selben Moment einen Hechtsprung auf sie und das Bett. Ein zischender Laut entfuhr ihr, als die Luft aus ihren Lungen wich.

Die Waffe wurde zwischen ihnen beiden eingeklemmt und einige Sekunden lang rangen sie darum, sich wild hin und her wälzend.

Dann war ein deutliches, schweres Klicken zu vernehmen.

Merde!“ stieß das Mädchen gepresst fluchend hervor.

Es war der Moment, in dem sie zu resignieren schien.

Deshalb gelang es ihm nun ohne große weitere Anstrengung, ihre beiden Handgelenke mit seiner rechten Hand zu umschließen und oberhalb ihres Kopfes auf das Bett zu drücken. Gleichzeitig saß er auf ihrem Bauch und entwand ihr die Waffe. Sie keuchte aufgrund des Kampfes. Auch sein Atem ging noch etwas schwerer, was aber eher an der Gesamtsituation lag.

„Ich sagte doch: Schluss jetzt!“ Seine Lippen pressten sich aufeinander, und es blieb nichts zurück von dem Schmollmund, den er im Halbschlaf gezeigt hatte.

Sie versuchte ein letztes Mal, eher halbherzig, sich zu befreien, und gab ein grummelndes, knurrendes Geräusch von sich, als es nicht gelang.

„Du hättest mich also wirklich erschossen!“ sagte er mit etwas Enttäuschung in der Stimme. „Nach allem, was zwischen uns gewesen ist!“

„Vorher hätte ich dich bestimmt nicht erschossen!“ entgegnete sie schnippisch, offenbar hatte sie ihre Fassung schnell wiedergefunden.

Er drohte ihr mit dem Zeigefinger, als er vorsichtig ihre Handgelenke los ließ und sich von ihr zurückzog, die ungeladene H&K In der linken Hand.

Dann stand er neben dem Bett und ließ die Waffe in die Schublade zurückgleiten. Schnell zog er eine Shorts an, die noch von vor dem ersten Akt in der Nacht neben dem Bett auf dem Fußboden lag, blieb aber ansonsten weiterhin nackt und hielt ein waches Auge auf das daliegende „Mädchen“.

Schließlich schob er einen der Sessel heran und setzte sich darauf, nahe neben das Bett.

„Also. Fangen wir nochmal von vorne an. Für wen arbeitest du wirklich?“

Sie traute sich nicht, sich großartig zu bewegen, erlaubte es sich aber, die Arme nach unten zu nehmen und eine etwas aufrechtere Position zu suchen, mit dem Rücken an der gitterartigen hölzernen Bettbegrenzung der Kopfseite.

Günter Freysing dachte dabei über seine eigene Legende nach, mit der er vor etwas mehr als einer Woche in ihr Leben getreten war.

Angeblich arbeitete er für einen deutschen Rüstungsbetrieb. Er hatte ihr vorgespielt, einen technischen Prototyp zurückkaufen zu wollen, den ein dort eingeschleuster Industriespion namens Julius Stahlmann – eben „Julius“ - entwendet und an ein Nahost-Konsortium hatte verkaufen wollen.

Das Mädchen war die Geliebte dieses Spions gewesen, bis der sich in die Türkei abgesetzt hatte. Sie war ihm allerdings gefolgt, angeblich, um an dem Geschäft teilzuhaben, das ihr „Lover“ zu machen gedachte.

Günter Freysing hatte sie beide aufgespürt. Gerade noch rechtzeitig, bevor das Gerät an die Kontaktleute des Konsortiums aus dem Irak ging, war es ihm gelungen, sie zu überzeugen, es für ihn zurück zu beschaffen.

Er hatte ihr zunächst einfach mehr Geld angeboten, als für sie wohl andernfalls herausgesprungen wäre, und dann, naja, ihr noch einiges mehr versprochen, auf nicht finanzieller Ebene.

Sie hatte daraufhin ihrem „Jetzt-Ex“ den Prototyp geklaut und zusammen waren sie und Freysing über den halben Balkan geflüchtet. Ein abenteuerlicher Weg, bei dem es zweimal energische Versuche gab, sie abzufangen und das Gerät zurückzubekommen.

Bedauerlicherweise musste er dabei zwei Leute der Opposition in Notwehr umbringen, aber so war das nun mal. Keine Gewissensbisse! Schließlich hatte sie ihr Fluchtweg zuletzt nach Norditalien geführt, wo sie spät am Abend und müde in den Landgasthof eingekehrt waren, den Freysing von früheren Reisen her kannte. Vor allem, wenn diese eher privater Natur waren. Niemand würde sie hier so schnell finden, außer seiner eigenen Dienststelle.

Nachdem Sie ihm vorhin gesagt hatte, dass sie den Prototyp nicht „für ein Dankeschön und einen Fick“ zurückgeben würde, war ihm allerdings klar geworden, dass sie wissen musste: Mit Geld hatte sie von ihm nicht zu rechnen. Und das wiederum musste ihr schon länger im Kopf herumgegangen sein.

Jetzt galt es heraus zu finden, warum sie sich, unter diesen Umständen, nicht gleich, nachdem sie aus der Türkei draußen waren, oder spätestens in Italien, wieder von ihm getrennt hatte, sondern erst jetzt plötzlich davon laufen wollte.

Gelegenheiten genug hätte es gegeben.

„Du hast ja keine Ahnung, auf was du dich da einlässt!“ meinte sie mehr störrisch als warnend. „Die Leute, für die ich tätig bin, verstehen keinen Spaß. Die legen dich um, ohne vorher mit dir ins Bett zu gehen.“ Sie war in ihren markanten elsässischen Dialekt verfallen, wie immer, wenn sie aufgeregt war.

„Das ist aber nicht die feine französische Art!“, entgegnete er und äffte dabei ein wenig ihren Stimmfall nach, weil er wusste, dass sie das ärgerte.

„Deine Sprüche werden dir ausgehen, wenn sie mit dir Sachen machen, die man nicht als wahre Freude bezeichnen kann.“ Ihre Augen funkelten bei dem Gedanken daran, was man ihm wohl antun würde.

„Du willst also nicht reden?“ fragte er nach.

Sie bewegte einmal den Kopf zu einem schwachen „Nein“ hin und her und schwieg.

„Okay. Ich mache dir jetzt ein Angebot, das du nicht ablehnen kannst.“ sagte er langsam und fügte dann hinzu: „Wenn wir morgen früh gleich aufbrechen, können wir in drei bis vier Stunden auf deutschem Boden sein. Die Behörden dort werden dich einkassieren. Industriespionage, Mordversuch. Da kommt einiges zusammen. Ich schätze so zehn Jahre bis lebenslänglich. Wenn du aus Moabit rauskommst, bist du nicht mehr ganz so hübsch, schätze ich.“

„Was ist denn daran ein Angebot!“ keuchte sie entrüstet hervor und wusste dabei, dass sie sich niemals „einfach so“ durch Österreich hindurch schmuggeln lassen würde.

„Geduld! Ich wollte dir nur kurz vor Augen führen, in welcher Situation du dich befindest. Wenn du mir die Informationen gibst, die ich haben will, dann kommst du mir auf dem Weg nach München abhanden. Kein Mensch wird Fragen stellen. Du hast mich eben überlistet.“

„Und der Prototyp?“

Er lächelte wieder.

„In der Aktentasche befindet sich wohl nur ein umlackierter externer 4-86er Festplattenspeicher mit Dateien von stundenlangen Blauwal-Gesängen , und das dürfte für die Irakis ungefähr denselben Wert haben wie eine X-Box.“

Sie machte ein etwas entgeistertes Gesicht.

„Ja, ich habe das Teil bereits in Skopje ausgetauscht und meinem Kontakt dort übergeben, nachdem wir das erste Mal angegriffen worden waren!“ bestätigte er ihre Vermutung, er habe sie gelinkt.

„Deinem Kontakt? Ich wüsste nicht, das die DEMTAG auf dem Balkan ein Werk hätte!“ sagte sie und erinnerte sich dunkel an einen Mann in einer Gaststätte in der mazedonischen Hauptstadt, mit dem Freysing gesprochen hatte. Ihr hatte er gesagt, es sei um den Fluchtweg gegangen, was auch bedingt stimmte.

DEMTAG war das Kürzel für den Rüstungsbetrieb, für den Günter Freysing angeblich arbeitete, und für den auch Dr. Stahlmann tätig gewesen war: ´Deutsche Marine-Technik Aktiengesellschaft´.

Aber sie war ja nicht auf den Kopf gefallen. „Du arbeitest gar nicht für die DEMTAG!“ stellte sie daher sogleich fest. Die Überraschung wirkte echt.

„Ich arbeite, sagen wir, für eine Regierungsstelle, die es nicht so schön findet, wenn deutsches Kriegsgerät in Hände fällt, in denen es nichts zu suchen hat.“

Sie lächelte sogleich ein wenig, fast schnippisch.

„Und ich arbeite, sagen wir, für eine andere Regierungsstelle, die es nicht so schön findet, wenn ein deutscher Rüstungsbetrieb Pläne für den Bau von Kriegsgerät, die er zuvor einem anderen Land gestohlen hat, dazu verwendet, einen eigenen Prototyp für ein Marineverteidigungssystem zu bauen.“

Günter Freysing runzelte die Augenbrauen.

„Du meinst, die DEMTAG hat die Pläne für das System irgendwo gestohlen?“ hakte er etwas ungläubig nach.

„Was dachtest du? Dass ein eher kleines mittelständisches Unternehmen trotz Wirtschaftskrise innerhalb von fünf, sechs Jahren zu einem führenden Rüstungsbetrieb in Westeuropa wird, mit Aktienkursen, die durch die Decke schießen, ohne das es nicht mit rechten Dingen zu geht?“

Sie plauderte nun ungehemmt, nachdem sie in Freysing einen Gleichgesinnten sah und nicht mehr einen Mittelsmann des Werkes. Sie war natürlich an ihm drangeblieben, nachdem sie hoffte, von ihm mehr Informationen zu bekommen als von ihrem „Ex“ Stahlmann.

„Deutschland ist eines der führenden Länder, wenn es um die Entwicklung von kleineren Kriegsschiffen oder U-Booten oder Technologie hierfür geht. Wir brauchen keine Technik zu stehlen, wir haben in diesem unserem Lande den Grips, selber welche zu erfinden!“ entgegnete er, wenig von ihrer Behauptung überzeugt.

„Ja, wenn man die richtigen Köpfe im Unternehmen hat! Die DEMTAG hatte die nicht, und trotzdem ist es ein Senkrechtstarter geworden. Jemand hat ein Schweinegeld damit und mit anderen „Entwicklungen“ vorher verdient, und damit meine ich nicht nur die Leute, die bei der DEMTAG im Vorstand sitzen.“

Günter Freysing nahm das Etui mit den „St. James´“ von der Nachtkommode, zog zwei Zigarillos heraus, steckte sie in den Mund und zündete sie beide mit dem Goldfeuerzeug an, das er zu seinem letzten runden Geburtstag geschenkt bekommen hatte, von Susanne Heydt, einer Frau, die ihm zu der Zeit sehr nahe gestanden hatte. Zu nahe, wie er inzwischen fast fand.

Dann nahm er eine aus dem Mund und hielt sie dem „Mädchen“ hin, dass sie dankbar lächelnd entgegennahm. Der Tabak war ihr jetzt nicht mehr zu stark, wie sie unterwegs einmal vorgegeben hatte. Nach ein paar durchaus kräftigen Zügen auf Lunge sprach sie weiter.

„Man hat mich auf Julius angesetzt. Ich bin seine Freundin geworden und habe ihn dazu gebracht, den Prototyp zu stehlen, um selber dann feststellen lassen zu können, wie viel von unseren Plänen da drin steckt. Zumindest dachte ich das, denn tatsächlich war er längst von dem Nahost-Konsortium angeworben worden. Ich wollte ihn schließlich kompromittieren, damit er mir Insider-informationen über die DEMTAG gibt. Leider ist der Schweinehund dann auf die Idee gekommen, mich sitzenzulassen, um die Sache alleine durch zu ziehen. Das, also den tatsächlichen Verkauf, konnte ich natürlich nicht zulassen.“

„Und wer hat dich angesetzt?“ fragte er nochmals, obwohl er es beinahe schon ahnte. Sie zögerte auch nur noch einen Augenblick. Dann sagte sie mit fester Stimme:

Direction Générale de la Sécurité Extérieure – DGSE.

„Französischer Geheimdienst!“ stellte Günter Freysing nickend fest.

SDECE“ nannten ihn nur noch Nostalgiker. „Na, ich glaube, ich muss mal ein paar ernsthafte Worte mit dem alten Filou reden…“

„Mit wem?“ fragte sie, vorsichtig erstaunt. Die süßen Grübchen, die er so an ihr mochte, zierten dabei nun ihre Mundpartie. Er lächelte.

„Gilbert Filou. Deinem Chef!“

„Ich erinnere mich, dass ich den Namen mal gehört habe“ sagte sie. „Mein Chef heißt LeMondes. Ich bin allerdings erst seit Februar bei der Truppe; sie haben zu der Zeit für die Operation absichtlich ein neues Gesicht gesucht, das die Gegenseite nicht kennen konnte. „Der Alte“ ist, soweit ich weiß, im letzten Sommer in den Ruhestand gegangen. Umstrukturierungen im Dienst, nachdem die Sozialisten vor zwei Jahren das Ruder übernommen haben.“

Ihm wurde einiges klar. Sein alter Freund wäre schließlich sofort über den Namen Freysing gestolpert und hätte ihn informiert. Sicher. Sicher? Nein, was war schon sicher in dieser Zeit. Da konnten schnell Freunde zu Feinden und Feinde zu Freunden werden. Seit dem 11. September 2001 war die Welt etwas aus den Fugen geraten. Freunde, die gingen. Neue Feinde, neue Sorgen. Wie die Zeit eben vergeht. Er wunderte sich nur, dass sich „der alte Filou“, wie er zuletzt genannt worden war, nicht ein einziges Mal bei ihm gemeldet hatte, wenn er jetzt Rentner war.

„Okay, Rita…“ begann er nach einer Weile. Doch sie korrigierte ihn sogleich.

„Cathleen. - Cathleen Conquête. Angenehm! Du darfst mich „Katie“ nennen.“ Sie sprach es deutsch mit einem langen „a“ aus. Und du, wie heißt du richtig?“

„Gunny. Bleiben wir einfach bei Gunny!“ sagte er trocken und erhob sich aus dem Sessel, um näher an das Bett heranzutreten. Rita Hauser war also nicht ihr richtiger Name, aber was waren schon Namen in der Welt der Geheimdienste.

Auch er selbst verwendete schließlich verschiedenste Identitäten in seinem Job; „Günter Freysing“ war dabei freilich auch nur eine von vielen, aber diejenige, die er immer mal wieder benutzte, wenn er nicht wirklich ernsthaft „undercover“ abtauchen musste, und zu der er ein ganzes Arsenal an Ausweisen, Kreditkarten, Visitenkarten und sonstigen Accessoires besaß.

„Okay, Katie!“ wiederholte er schließlich langsam, so, als wolle er sicher gehen, sich diesen neuen Namen auch zu merken. Nur für den Fall, dass dieser wirklich ihr richtiger sein sollte.

Sie hatte sich inzwischen an der Bettkante aufgesetzt.

„Die Frage ist, was machen wir jetzt? Julius dürfte stinksauer sein, wenn ihn seine enttäuschten Abnehmer nicht inzwischen liquidiert haben. Der halbe Nahost-Geheimapparat zwischen Guleman und Bregenz ist hinter uns her und wir haben nichts in der Hand, um sie uns vom Leibe zu halten. Wir wissen, dass es bei der DEMTAG nicht mit rechten Dingen zugeht, können es aber nicht beweisen, bis ein Experte den Prototyp auseinandergenommen hat. Und den haben jetzt deine Leute.“ Sie versuchte zumindest, professionell zu bleiben, als er ihr näher kam.

„Nun ja, sagen wir, ich habe ein paar Vorkehrungen getroffen.“ Er sah auf die Armbanduhr auf dem Nachttisch, die nun kurz nach 4:00 Uhr morgens anzeigte. „Gegen halb sieben kommt ein sehr guter Freund von mir mit einem etwas schnelleren Wagen vorbei, und dann machen wir uns auf die Socken.“

Der Leihwagen, mit dem sie von Udine aus hier her gekommen waren, war zwar gut in Schuss, aber für die Flucht nach Deutschland konnten sie durchaus etwas Flinkeres gebrauchen, der österreichischen Gendarmerie zum Trotz.

Sie setzte ein ebenso verführerisches wie unschuldiges Lächeln auf.

„Und was macht man in einer einsamen Ferienhütte am Ende der Welt mit zwei Stunden Wartezeit?“

„Nun, da wir offenbar beschlossen haben, uns nicht gegenseitig umzubringen, hätte ich da eine Idee…“ sagte er leise und knöpfte ihr langsam die noch vom Kampf etwas derangierte Kostümbluse auf.

An jedem Ort, an dem die Notwendigkeit das Recht bestimmt…”, hauchte sie auf Französisch. Das Motto des DGSE.

´Das Leben ist schön´, sinnierte er leise.

Ein kaum merkliches Erdbeben in der Region am frühen Morgen schoben sie auf ihre gegenseitige, höchste Erregung.


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Geheimauftrag für Sax (1)

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