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Kapitel 2

Das geniale Geschäftsmodell des Heinz Roth

Die Finanzierung eines Milliardenmarktes durch Kleinanleger

Wir schreiben das Jahr 1975. Heinz Roth hat eine Idee: Die Vorfinanzierung großer Containerflotten durch private Investoren. Eine Idee, die so einfach ist und damals so naheliegend, dass man sich fragen darf: Warum haben große, leistungsfähige Investmentgesellschaften oder Banken dieses Geschäft nicht selbst betrieben? Wahrscheinlich weil es war, wie so oft mit guten Ideen: Viele denken daran. Aber nur einer setzt sie um. Heinz Roth macht es. Zusammen mit seiner damaligen Partnerin Heidrun Pfeiffer. Die neue Firma: Pfeiffer & Roth. Abgekürzt P&R. Die erste Gesellschaft, am 23.12.1975 eingetragen als P&R Pfeiffer & Roth GmbH, seit 21.07.1983 in Grünwald bei München, ab 18.05.1993 als P&R Container Vertriebs- und Verwaltungs-GmbH umfirmiert.10

Frachtcontainer als standardisierte und überall einsetzbare Transportkisten gibt es damals noch nicht sehr lang. Seit den 60-er Jahren. Eine Revolution in der internationalen Transportlogistik und im weltweiten Warenverkehr. Standardisierte Kisten, stapelbar wie Legosteine, einfach zu be- und entladen, also umzuschlagen, wie man es nennt. Ein Milliarden-Wachstumsmarkt entsteht.

Fracht-Schiffe, Flugzeuge, LKWs und Güterzüge werden für den Transport der Stahlboxen standardisiert, genormt und umkonstruiert. Die größten Seehäfen werden für den Warenumschlag mit Containern umgerüstet. Und in den 70-er Jahren? Beträgt der weltweite Anteil der Waren, die in Containern transportiert werden, gerade einmal zwanzig Prozent des Warenverkehrs insgesamt. 2020 liegt die Quote bei 80 Prozent. Dazu gigantische korrespondierende Wachstumsraten im Welthandel gesamt in den vergangenen vierzig Jahren. Ein astronomischer Wachstumsmarkt also. Die gesamte weltweite Transport- und Logistikindustrie will diese Stahlboxen später, seit Malcom Purcell McLean (*1913 – +2001) die Idee dazu hatte: 1956 fährt das erste Containerschiff, die Ideal X, mit 56 Containern von New York nach Houston. Gegen enorme Widerstände, wie die der Gewerkschaften, die Massentlassungen fürchten. Die Europäer erkennen die Revolution zunächst nicht, sehen nur ein Nischengeschäft in den standardisierten Boxen. Erst 1966, also nur neun Jahre vor Heinz Roths Idee, fahren die ersten Übersee-Frachtcontainer nach Europa. Heute in allen Größen und Ausprägungen. Zwanzig Fuß Standardcontainer, abgekürzt einfach durch 20". Doppelt so große 40"-Container. Übergrößen wie High-Cubes, Spezialcontainer wie Kühlcontainer, Schüttgutcontainer, Gefahrengutcontainer. 2016 waren rund 38 Millionen TEU, so die Standard-Einheit für einen 20-Fuß-Container, weltweit unterwegs. Sie wurden 698 Mio. mal im Jahr umgeschlagen. 75% aller Waren im Stückgutverkehr werden allein in Seefrachtcontainern transportiert. Eigentümer sind Leasinggesellschaften (51%), Reedereien (43%) und sonstige Transportgesellschaften (6%).11 Und: Für den reibungslosen Containerumschlag werden pro Schiffs-TEU (ein TEU entspricht einem 20“-Standardcontainer) knapp zwei Container-TEU benötigt. Man benötigt also mehr Container, als es den Ladekapazitäten aller Schiffe weltweit entspricht.

Vor allem – darin liegt 1975 das geniale Geschäftsmodell des Heinz Roth – Leasingfirmen oder Reedereien benötigen Finanzierungspartner für die Anschaffung von hunderttausenden, ja Millionen von Containern. Milliardenbeträge, die sie selbst nicht aufbringen können. Nicht wollen. Liquidität wäre gebunden. Ein gigantisches Geschäft. Das erkennt Roth, nur wenige Jahre nachdem es überhaupt die standardisierten Stahlboxen in Europa gibt, die die Logistikbranchen revolutionieren werden. Er setzt seine Idee um. Er ist ein Macher. Ein Unternehmer. Intuitiv. Kein Theoretiker. Kein Akademiker. Keiner, der lange fackelt. Er hat ein gutes Gefühl für das richtige Geschäft zur richtigen Zeit. So hat ihn sein Sohn Harald 2012 beschrieben. Tatsächlich wohl, so die Legende, besteht der ganze Roth-Businessplan, wie man es heute nennen würde, 1975 aus einer hingerotzten Skizze auf einem Schmierzettel, der später im P&R-Markenbuch abgebildet wird. So strickt man Legenden. Der sprichwörtliche Bierdeckel, wie Feldkamp, der langjährige Geschäftsführer und Vorstandsvorsitzende, einmal in Plauderlaune erzählt haben soll, über diese Anfänge einer Milliarden-Idee:

Die Vor-Finanzierung der benötigten Container für die Frachtindustrie durch private Investoren, durch tausende Kleinanleger also, die die von den Industrien benötigten Container von P&R erwerben, sie von P&R verwalten, vermieten und vermarkten lassen, im Gegenzug an den Mieteinnahmen dieser Container über einen festen Zeitraum beteiligt werden und sie später wieder an P&R zurückverkaufen dürfen. Mit Renditen, von denen wir heute träumen: In den 80-ern wohl nicht selten bei fünfzehn Prozent. Und die Industriepartner, Reedereien, zum Beispiel? Bezahlen für die Fremdfinanzierung ihrer Container durch die P&R Investoren gerne etwas mehr und behalten im Gegenzug die für sie so wichtige Liquidität. Einleuchtend, wenn man grob überschlägt, welche Summen nötig sind, nur um ein einziges mittelgroßes Frachtschiff mit Containern auszustatten. Astronomisch. Wenn ein Schiff 4.000 Container laden kann, bei beispielhaften Kosten von 1.500 $ pro Neucontainer muss die Reederei 6 Millionen aufbringen. Bei zehn Schiffen 60 Millionen. Die Mega-Frachter heute können 20.000 Container laden. Containerwerte: 30 Millionen. Ein Finanzierungsproblem. Vor allem aber: Ein Liquiditätsproblem. Sehr vereinfacht dargestellt. Im Übrigen werden Reedereien von den kreditgebenden Banken damals und auch heute noch als risikoreich in ihrer Kreditwürdigkeit betrachtet. Was Kreditkosten wieder steigen lässt. Für die Industriepartner deutlich einfacher: Finanzierung durch P&R. Statt bei den Banken betteln zu gehen. Und bei den Industrien bereits vorhandene Container werden an P&R verkauft und zurückgemietet. Sale & Leaseback.

Dieses Geschäftsmodell bleibt bis zum bitteren Ende im Grunde unverändert. Die Transportindustrien ebenso wie private Anleger zeigen sich begeistert, das Business wächst kontinuierlich, der Markt explodiert, der Welthandel ebenfalls, immer mehr Container werden benötigt.

Feldkamp wird am 21.10.1992 zum Geschäftsführer bestellt. Er ist seit den 80-ern mit an Bord. Ein Bleistiftspitzer. Number-Cruncher. Finanzbuchhalter. Kein Kaufmann. Zuständig für Zahlen und Steuern. Kein Controller, der Strategien aus Zahlen entwickeln kann. Mit Steuern kennt er sich aus. Mit Buchhaltung. Genau, was Roth braucht. Weil die P&R Finanzprodukte nur aus einem Grund so attraktiv sein werden: Durch die steuerlichen Gestaltungsmöglichkeiten, die bei den Finanzdirektionen dann als eigene Lex P&R verankert werden.

Stömmer stößt etwas später dazu. Er soll die Finanzprodukte vertreiben. Das Business ist zu groß geworden. Stück für Stück kommt es zur Verantwortungsaufteilung: Feldkamp ist zuständig für Finanzen und Zahlen in Deutschland und der Schweiz. Roth Senior ist zuständig für Handel und Vermarktung, die ab 1982 in der Schweiz erfolgt. Stömmer unter dem dominanten Feldkamp übernimmt als Vertriebsleiter und gelernter Bankkaufmann den Verkauf in Deutschland. Roth und Feldkamp gründen weitere P&R Gesellschaften im Lauf der Jahre, sogenannte Vertriebs- und Verwaltungsgesellschaften, Sitz in Deutschland / Grünwald, die sich nur durch unterschiedliche Container-Typen, Laufzeiten und an Steuermodelle angepasste Vertragskonditionen für die Anleger unterscheiden sollen. So entstehen die nach außen bekannten deutschen Geldsammel-Firmen, wie sie auch 2008 bestehen, als das monströse Schneeballsystem nachvollziehbar beginnt – und wie sie noch 2018 bestehen. Eben jene Firmen, die als Vertragspartner zu den Privatinvestoren fungieren, die die Kauf- und Verwaltungsverträge abschließen und die Milliarden-Einlagen der Investoren zum Kauf der benötigten Container an die Schweizer P&R weiterleiten sollen: Die P&R Container Vertriebs- und Verwaltungs-GmbH, die Neucontainer vertreibt, Kurzname: LF. Die P&R Gebrauchtcontainer Vertriebs- und Verwaltungs-GmbH, die Gebrauchtcontainer vertreibt, Kurzname: GC. Die P&R Container Leasing GmbH, die ein anderes Steuermodell unabhängig von Containertyp und Alter vertreibt, Kurzname: CL. Diese drei Gesellschaften wird Feldkamp dann am 14.06.2012 als 100%-ige Töchter unter das Dach einer neuen P&R AG eingliedern. Ab 01. Januar 2017 löst eine reaktivierte, prospektpflichtige P&R Transport Container GmbH, die alle Container-Typen unabhängig vom Alter vertreibt, Kurzname TC, die drei AG-Töchter ab, die die Prospektpflicht nicht erfüllen können und aus dem Vertrieb genommen werden. Es gibt handfeste Gründe dafür.

Die Vermarktung der Anlegercontainer, mit Handel und Vermietung, verlegt Roth bereits 1982 in die neu gegründete P&R Equipment & Finance Corp. in die Schweiz, eine unabhängige Gesellschaft, die mit den deutschen Gesellschaften nur durch den gemeinsamen Eigentümer Heinz Roth verbunden ist, ein Personenkonzern gesellschaftsrechtlich. Ein Umstand, der später wichtig werden wird. Es wird sich zeigen, dass das Roth-Imperium noch sehr viel mehr Firmen umfasst. Firmen, deren Geschäftszweck im Dunkeln bleiben. Firmen, die keiner kennt. Firmen, die nicht entdeckt werden sollen. Die aber alle den gigantischen Schneeball, das System Roth stützen und bedienen.

Roth sen. wird sich gegen 2007 offiziell aus dem operativen Geschäft in Deutschland zurückziehen. Sein Sohn Harald übernimmt. Die Schweiz bedient Roth sen. wohl weiterhin beratend. Zu gut sind seine persönlichen Kontakte in die Container-Branchen. Er zieht sich, offiziell, Stück für Stück auf die Karibikinsel St. Barth zurück. Seine Villa in Grünwald behält er, ebenso sein Haus in St. Johann in Österreich, im Schweizer Zug ist er wohl, wenn es nötig scheint. In seiner Firma in Grünwald wird er sich lange Zeit nicht mehr sehen lassen. Nur punktuell, bis eben Mai 2016. Seinen Spitznamen Das Phantom erhält er nicht erst nach der betrügerischen Insolvenz, als er, abgetaucht, von der gesamten Fachpresse gesucht wird. Das Phantom ist ein fast liebevoller Spitzname, den seine Mitarbeiter ihm geben: Der Boss, die absolute Legende, die viele niemals gesehen haben. Ohne nachvollziehbare Historie, keine Spuren im Netz, keine Bilder, keine Information. Nichts. Nur Gerüchte, Geschichten, Sagen. Geheimnisumwittert. Der Stoff, aus dem Legenden nun mal gemacht sind.

Mit seinem Rückzug in die Karibik stellt er Feldkamp 2007 seinen Sohn Harald Roth in der Geschäftsführung in Deutschland zur Seite. Der soll von Feldkamp lernen, soll gleichzeitig das Schweizer Geschäft kennen lernen, um Heinz Roth dann auch dort Stück für Stück ablösen zu können. Roth jun., der Erbe des Imperiums, ist zeitgleich ab 2007 als Direktor, ab 2010 als Verwaltungsrat mit Einzelunterschrift bei der P&R Equipment & Finance Corp. In der Schweiz eingesetzt.12 Und, zeitlich überschneidend, auch als Geschäftsführer in Deutschland. Feldkamp wird den jungen Roth, soweit ist es nachvollziehbar, zwischen 2011 und 2012 Stück für Stück demütigen, demontieren und aus der Firma drängen. Mit Wissen des Vaters. Mit dessen Unterstützung.

In Deutschland also sammelt P&R Geld bei den Anlegern ein. Schiebt das Kapital in die Schweizer P&R. Dort werden Container gehandelt, vermietet, dort sollen die Container Geld verdienen. Die Erlöse aus Mieten und Verkauf gehen zurück nach Deutschland und werden dort vertragsgemäß an die Investoren ausbezahlt. Transparent. Für jeden auch ungeübten Anleger zu verstehen. Einfach. Ertragreich. Sicher. So der P&R Slogan über Jahrzehnte. Es ist ein Milliardenbusiness.

Es scheint als ob alles, einfach alles, was Heinz Roth anfasst, zu Geld wird. So investiert er scheinbar in den 2000-Jahren, nach Beschreibung seines Sohnes, 50 Millionen in ein asiatisches Start-up, um Jahre später mit 200 Millionen auszusteigen. Es spielt keine Rolle, ob Harald Roths Geschichte stimmt. Sie passt zum Senior Heinz Peter Roth. Er ist ein unternehmerisches Naturtalent. Einer, der etwas hat, was man nicht studieren kann: Die unfassbar treffsichere Intuition für die richtigen Geschäfte und die richtigen Entscheidungen. Wohl auch die Risikobereitschaft. 2018 wird man entdecken: Roth kann keine Unternehmensbilanzen lesen. Kein komplexes Zahlenwerk seiner Wirtschaftsprüfer. Damals nicht. Vierzig Jahre später auch nicht. Er versteht es nicht. Wie er selbst zugeben wird. Er musste es nie verstehen. Nur die großen Zahlen. Was geht raus. Was geht rein. Vielleicht eine Schutzbehauptung.

Roth ist der Unternehmer. Feldkamp der Verwalter. Stömmer der Verkäufer. Und Harald Roth? Hat schlicht keine Chance bei den dominanten Alphatieren. So wird es sich ab 2011 darstellen, in der Wahrnehmung derjenigen, die es miterleben mussten. Auch hier nicht die ganze Wahrheit, wie sich zeigen wird.

Im Grunde ist insbesondere über Heinz Roth, das Phantom, aus der Zeit zwischen 1975 und 2005 nicht allzu viel bekannt. Man findet nichts. Stellt auch die Presse später, 2018, fest. Diejenigen, die mehr über ihn wissen, wollen nicht erzählen oder sind verstorben. Im Gegensatz zum Wirecard-Skandal aber darf man diese rund 30 Jahre seit Gründung auf wenigen Seiten zusammenfassen, da das P&R Geschäft viele Jahre – davon geht auch der Insolvenzverwalter aus – seriös ist. Kein Schneeball. Kein Betrug. Keine heiße Luft.

Damit ist zunächst nur wesentlich: P&R wächst in den Jahren seit Gründung 1975 kontinuierlich. Mit allen Schwankungen geht es konstant nach oben. Jedenfalls was Anzahl der Investoren, abgeschlossene Verträge, Container-Vermögen und Anleger-Gelder betrifft. Und: Die Frachtcontainer erwirtschaften viele Jahre lang die vertraglichen Forderungen der Anleger. So glaubt man auch heute. Mit nur rund einer Handvoll Mitarbeiter und ausgestattet mit einem gut aufgestellten externen Vertrieb aus Finanzvertrieben und institutionellen Vertriebspartnern wie Postbank und Sparkassen.

Wann der Schneeball begonnen hat, lässt sich nach Gutachten Jaffé und Untersuchungen PWC bis heute nicht genau nachvollziehen. Gesichert aber ist, dass er wohl seit 2007 / 2008 aktiv betrieben wurde.13 Gesteuert zu Beginn wohl von Heinz Roth und Werner Feldkamp.

Abgesoffen - Die Milliardenlüge

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