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ОглавлениеKapitel 4
Wenn ich hundert sage, meine ich Millionen
Die Welt des Werner Feldkamp
2011 im Januar. Feldkamp ist der Generaldirektor alter Schule. Er steuert P&R Deutschland wohl ohne Heinz Roth, wie er selbst sagt. Mit Harald Roth, dem Gründer-Sohn, als Wasserträger. Heinz Roth ist wohl auf seiner Insel St. Barth. Wo er auch bleiben soll, wie Feldkamp nicht müde wird zu betonen. Dreißig Jahre enge Zusammenarbeit und Wertschätzung klingen anders. Einzuordnen sind solche Aussagen von den Mitarbeitern nicht. Aber es scheint um mehr als nur kurzfristige Unstimmigkeiten zu gehen. Möglicherweise, jedenfalls darf man das vermuten, ist es der immer größer werdende Druck auf beide, den Betrug weiter zu verschleiern, dem jeweils anderen die Verantwortung für die Entstehung der fatalen Situation überhaupt zuzuschieben. Naheliegend: Denn Roth wird später, bereits Ende 2016, also nach Feldkamps Tod und über ein Jahr vor der Insolvenz, seinen langjährigen Weggefährten intern verantwortlich machen für die hohen, kaum zu bedienenden Anlegerforderungen. In abstrusen Begründungen. Möglicherweise hat Feldkamp sich auch von Roth allein gelassen gefühlt. In einer Situation, wo es für beide um alles geht, um Betrug, Knast, Verlust der Existenz, genießt Roth sein Millionärsleben in der Karibik. So die Wahrnehmung jedenfalls retrospektiv.
Feldkamp muss also weitestgehend alleine steuern und klarkommen. Mit Anlegern. Mit der Presse. Mit dem Wirtschaftsprüfer. Mit dem Vertrieb. Und es gibt nur ein Ziel damals, eine existenzielle Notwendigkeit: Das frische Geld von Anlegern darf nie versiegen. Es muss mehr werden. Um bestehende Forderungen der Anleger zu bedienen und vielleicht, mit etwas Glück, Überschüsse zu erzielen, mit denen der Schneeball zurück gebaut werden kann, indem der reale Containerbestand, hunderttausende Kisten fehlen bereits, Stück für Stück an den Soll-Bestand der an Anleger verkauften Boxen angepasst wird. Keine Spekulation. Denn Feldkamp wird später, 2014, gegenüber einem leitenden Mitarbeiter äußern, er wolle in Rente, habe aber noch ein paar Jahre wichtiges mit der Firma zu regeln. Damals klingt das unspektakulär. Auch die sogenannte Fortbestandsanalyse, die er intern beauftragen wird. Die aber nicht ist, was sie sein soll. Sie ist nichts anderes als eine Statuserfassung zum Fehlbestand und den monströsen Defiziten, um den Rückbau des Schneeballs zu planen. Denn Feldkamp weiß: Die Betrugs-Firmen sind so weder zu verkaufen, noch sind sie legal sauber zu liquidieren, ohne dass der Betrug sofort entdeckt werden wird. Und er dann mit Roth, statt ein geruhsames Millionärsdasein in Rente zu genießen, in Stadlheim seine nächsten zehn Jahre verbringen darf. Das muss Feldkamp gewusst haben. Das dürfte er mit seinen kryptischen Sätzen auch gemeint haben. Naheliegend. Feldkamp muss also weiterhin erfolgreich sein. Erfolgreich bedeutet: Hunderte Millionen an frischem Geld ansaugen. Er ist kein Stratege. Aber lange im Geschäft. Er weiß, gefühlt wenigstens, wie Anleger ticken. Was sie brauchen. Was sie lesen mögen, um P&R zu vertrauen. Altanleger, die reinvestieren sollen. Die P&R empfehlen sollen. Neuanleger, die noch mehr Geld bringen.
Ein erster Schritt: Er dokumentiert transparent alle wesentlichen Kenngrößen und die Entwicklung des so gesunden Unternehmens für die Anleger in einem neu gestalteten sogenannten Performancereport Anfang 2011, der alle wesentlichen Zahlen, auch kumuliert von 2003 bis 2010, einzeln für 2008, 2009, 2010, enthält. Jedenfalls die Zahlen, die man zeigen möchte. Diesen Report, ein Name den das Papier nicht verdient, gibt es schon ein paar Jahre. Aber Feldkamp ändert die Darstellung: übersichtlicher, klarer, professioneller. Er bildet den Report nicht nur auf seiner ebenfalls neu gestalteten Website ab. Er lässt ihn an alle Bestandskunden verschicken. Zwei dünne Seiten weisen eine beeindruckende Bilanz aus:
Report | Performance 201015
Aktuelle Leistungsdaten der P&R-Gruppe Deutschland
P&R Container Vertriebs- und Verwaltungs-GmbH
P&R Gebrauchtcontainer Vertriebs- und Verwaltungs-GmbH
P&R Container Leasing GmbH
über 55.000 Investoren
über 250.000 Verträge
über 1.500.000 verwaltete Containereinheiten (TEU); ca. 6% des Weltcontainerbestandes
Containerverkaufsvolumen an Investoren:
2003 bis 2010: | 4.660 Mio. Euro |
davon in 2008: | 0.747 Mio. Euro |
davon in 2009: | 0.442 Mio. Euro |
davon in 2010: | 0.692 Mio. Euro |
Mietauszahlungen an Investoren:
2003 bis 2010: | 2.516 Mio. Euro |
davon in 2008: | 0.356 Mio. Euro |
davon in 2009: | 0.381 Mio. Euro |
davon in 2010: | 0.377 Mio. Euro |
Containerrückkäufe nach Vertragsablauf
2003 bis 2010: | 1.339 Mio. Euro |
davon in 2008: | 0.275 Mio. Euro |
davon in 2009: | 0.188 Mio. Euro |
davon in 2010: | 0.096 Mio. Euro |
Geprüftes System:
Gutachten über Vollständigkeit und Ordnungsmäßigkeit sämtlicher Mietzahlungen und Rückkäufe bis 2009 liegen vor.
Für die aktiven und potenziellen Anleger wirken diese Zahlen seriös, erfolgreich, glaubhaft. Der explizite Hinweis auf ein Gutachten, gemeint ist ein Wirtschaftsprüfer-Prüfbericht, populistisch bezeichnet als geprüftes System, bestätigt, dass alle Mietzahlungen und Rückkäufe ordnungsgemäß erfolgt sind. Das ist beruhigend. Die öffentliche Dokumentation einer ungeheuren Erfolgsgeschichte. Feldkamp weiß: Nachweisbarer Erfolg, Verlässlichkeit, Zuverlässigkeit und eine glaubhafte Kontrollinstanz sind die beste Werbung für bestehende wie potenzielle Kunden. Hier folgt er den Empfehlungen seiner neuen Marketing-Agentur. Die Vertriebszahlen im Report sind korrekt. Denn sie bezeichnen im Grunde nur die Zahlungsströme von und zu den Investoren. Wieviel Geld P&R eingesammelt hat. Die Mietauszahlungen und Rückkaufsvolumina. Vieles aber in diesem so beeindruckenden Zahlenwerk stimmt nicht. Feldkamp, Herr über Zahlen und Anlegerinformationen, lässt wesentliche Informationen aus. Oder stellt wesentliche Informationen irreführend dar. Die gefährlichen Zahlen, die in einfacher Kombination schon zu diesem Zeitpunkt, 2011, hätten aufdecken können, dass die Erfolgsgeschichte P&R keine Erfolgsgeschichte mehr ist:
Über die Anzahl der tatsächlich erworbenen Container pro Jahr und Gesellschaft, über deren Typ, wie beispielsweise 40 Fuß oder 20 Fuß, über deren Alter, steht dort nichts. Die Veröffentlichung der Zusammensetzung der P&R Containerflotte ist für Feldkamp schon immer eine Zahl, die nicht veröffentlicht wird. Viele Jahre aus seiner Haltung heraus, grundsätzlich ginge das niemanden etwas an. Seine Worte. Nun aber, spätestens ab 2007, muss er diese Information unbedingt zurückhalten, eben weil sie dokumentieren würde, welchen Containerbestand in welcher Flottenzusammensetzung die Schweizer P&R exakt und wenigstens theoretisch verwaltet. Diese Flottenzusammensetzung muss den über die einzelnen Investmentangebote an Anleger verkauften Containertypen und deren Alter ja entsprechen. Was sie nicht tut. Hunderttausendfach nicht.
Eine zweite wesentliche Information in diesem Zusammenhang fehlt ebenso: Entsprechen die Kaufpreise, die die Investoren bezahlen, den Marktpreisen? Gerne mit etwas Aufschlag? Sie tun es nicht. Schon zu diesem Zeitpunkt verkauft P&R die Frachtcontainer völlig überteuert an Anleger. Nicht selten bis 40% über Marktwert. Aber wer will das nachvollziehen? Der Kleinanleger kann es nicht. Zu komplex sind die Einflussfaktoren, die insgesamt marktgerechte Containerpreise in allen Ausführungen definieren. Schon mit diesen überteuerten Verkaufspreisen füttern Feldkamp und Roth den Schneeball, sie schaffen sich notwendige Zusatz-Liquidität: Denn sie nehmen zunächst viel mehr Geld ein, als es ihren Container-Einkaufspreisen entspricht. Vorweggenommen: Das kann nicht gutgehen. Denn beim Verkauf der Container wird P&R wieder nur die geringeren Marktpreise erzielen. Den Investoren aber muss P&R nach Vertragsablauf 65% auf die überteuerten Anleger-Preise ausbezahlen. Es fällt wenigen Finanz-Journalisten auf. Ohne Konsequenzen.
Die Relevanz solcher fehlenden Information ist für Anleger aber nicht sichtbar. Denn schließlich weist Feldkamp eine weitere Zahl aus, beruhigend, groß genug, um stimmen zu können: Eine für Laien nicht nachvollziehbare Gesamtzahl von 1,5 Mio. sogenannte TEU, eine Einheit, die in der Fachbranche als Standard-Container-Einheit verwendet wird, um die Größe von Containerflotten vergleichbar zu machen. So entspricht ein TEU einem 20-Fuß-Container. Ein 40-Fuß-Container hat zwei TEU. Kaum ein Anleger kennt den Unterschied zwischen TEU und Stückzahlen. Die Anleger setzen beides gleich. Auch das weiß Feldkamp. Auch Roth. Wer beide Zahlen kennt – Stückzahlen und TEU – kann erneut die Flottenzusammensetzung grob kombinieren. Genau was Feldkamp nicht brauchen kann. Sein Zahlensalat hat System. Keine Transparenz. Keine Nachvollziehbarkeit. Mal TEU. Mal Stück. Intransparenz systematisiert. Vielleicht ein paar kritische Fragen durch die Scheißpresse wie er die Fachmedien bezeichnet. Denn tatsächlich ist diese Zahl von scheinbar 1,5 Mio. TEU verwalteter Containereinheiten bereits damals falsch. Sie entspricht weder den durch Anleger erworbenen Container-Einheiten, noch der Stückzahl, sie entspricht auch nicht der tatsächlich vorhandenen Containerflotte und sie entspricht auch nicht den behaupteten 6% Anteil an am Weltmarkt. Aber welcher Anleger weiß schon, wie viele Container in Stück und TEU auf den Weltmeeren unterwegs sind. Wikipedia. Grob.
Nichts davon also lässt sich nachvollziehen, nicht ob die genannten 1,5 Mio. TEU als 1,5 Millionen 20-Fuß-Container existieren, oder als 750.000 Stück 40-Fuß-Container. Oder eine Mischung, die der Zusammensetzung entspricht, die die Anleger tatsächlich gekauft haben. Gesteuerte Intransparenz. Feldkamp muss bereits zu diesem Zeitpunkt, möglicherweise früher, einen aus heutiger Sicht schwierigen Spagat vollziehen: Einerseits positive, geprüfte Zahlen veröffentlichen, um das Vertrauen der Anleger zu rechtfertigen. Zahlen, die auch der Wirtschaftsprüfer testieren kann. Andererseits keine Nachvollziehbarkeit zur Plausibilität und inhaltlichen Stimmigkeit der Zahlen überhaupt nur im Ansatz zulassen. Niemand, darum geht es, darf aus den P&R-Informationen den wahren Containerbestand kombinieren können. Es wird durchaus Verdachtsmomente in den kommenden Jahren geben. Ausschließlich aber durch kritische Fachjournalisten wie Stefan Loipfinger. Damit leben Feldkamp und Roth aber sehr gut. Denn sie wissen: Ein Nachweis der Unstimmigkeiten ist nicht möglich. Dazu müsste die gefährlichste Zahl überhaupt bekannt sein: Wie viele Container in welcher Zusammensetzung tatsächlich bei der Schweizer P&R vorhanden sind. Und: P&R agiert auf dem sogenannten grauen Kapitalmarkt. 2011 also, wie all die Jahre zuvor, ohne jede relevante Aufsicht und Kontrolle durch staatliche Instanzen. Und die Schweizer P&R? Findet in der Öffentlichkeit nicht statt. An deren Zahlen kommt niemand dran.
Das abgelaufene Geschäftsjahr 2010 ist für die Investoren eine Erfolgsgeschichte. Für Feldkamp und Roth aber bereits eine mehr als bedrohliche Situation. Denn die existierende Containerflotte ist geringer als die an Anleger verkauften Container. Sie erwirtschaftet nicht genügend, um Renditezusagen zu decken. Die einzelnen Investmentangebote sind jedes für sich nicht tragfähig. Was sie sein müssten. Und das Neugeschäft reicht nicht aus: Feldkamp nimmt 692 Mio. Euro frisches Geld ein. Und muss 473 Mio. auszahlen.16 Der Einbruch an Neugeschäft ein Jahr zuvor, 2009, in Folge der Weltwirtschaftskrise 2008, wirkt sich fatal aus – mit nur 442 Mio. Neugeschäft. Mit einer übrigens fast absurden Situation: Nicht die Nachfrage bei den verwöhnten P&R Anlegern ist in diesem Jahr gesunken. Es gibt schlicht nicht genügend Container zu kaufen, um die Anlegernachfrage bedienen zu können. Selbst wenn P&R hätte kaufen wollen oder können. Langjährige Bestandskunden sollen wütende Anrufe getätigt haben und wütende Briefe geschrieben haben. So erzählt es Werner Feldkamp persönlich dem Agenturchef seiner neuen Marketingagentur 2010. Ein Luxusproblem also. Aber im Ergebnis für ihn: fatal. Feldkamp braucht Neugeschäft. Mehr als bisher. Fehlbeträge, die nicht erwirtschaftet werden, sollen – eine tödliche Entscheidung – durch den Verkauf von weiteren Bestands-Containern gegenfinanziert werden. Obwohl sowieso schon zu wenige Container vorhanden sind. Kisten verkaufen, um liquide zu bleiben. Noch weniger Kisten in Folge, die Geld verdienen. Noch weniger Einnahmen. Das Problem verschiebt sich. Es verschärft sich. Kurzfristig Liquidität. Luft holen. Langfristig aber schaufelt Feldkamp mit Roth weiter am eigenen P&R-Grab. Feldkamps Teufelskreis.
Feldkamp beginnt also, nicht mehr nur auf seinen internen und externen Vertrieb zu setzen um Neugeschäft zu machen. Hier sieht er kein zusätzliches Potenzial mehr, wie er später, im April 2011, seinem neuen Marketingchef gestehen wird. Er setzt auf eine Disziplin, die er bisher ignoriert hat: Marketing & Kommunikation. Er hat keine Idee, keine klare Vorstellung, was Marketing ist oder kann. Nur eben die grundsätzliche Idee, dass es mit Werbung zu tun hat. Was helfen kann. Was in den letzten 30 Jahren kaum nötig war. Irgendwie. Bereits Ende 2009 beauftragt er seine neue Kommunikations-Agentur aus München. Der Agentur-Chef erinnert sich sehr gut an diesen ersten Kontakt mit Feldkamp, der schon viel über Feldkamps Persönlichkeit aussagt. Feldkamp spart sich jede Höflichkeit. Er kommt direkt zur Sache beim telefonischen Erstkontakt:
»Hier Feldkamp. P&R. Ich brauche eine gute Agentur. Die alte passt nicht mehr.«
Knurrig. Schnörkellos. Ohne überflüssige Freundlichkeiten. Und weiter:
»Sie sind eine Empfehlung von einem, der sich auskennt. Wir nehmen entweder Sie oder Jung von Matt.«
Feldkamps Auftritt ist, so erzählt es der Agenturchef, für einen Erstkontakt schon sehr bestimmend. Er fragt weder, was die Agentur leisten kann, noch was sie kosten wird, noch informiert er, welche Aufgaben er stellen will. Sondern einfach nur: Ich nehme Sie, oder die andern. Die Frage, ob die Agentur das will, stellt sich nicht für ihn. Er entscheidet. So ist er es gewohnt. Wenn Feldkamp ruft, hat man anzutreten. Feldkamp lädt die Agentur zum Kennenlernen ein. Nein – er befiehlt sie nach Grünwald. Kurze Höflichkeiten, Feldkamp stellt den ebenfalls anwesenden Harald Roth, Gründersohn, vor. Harald Roth zeigt sich schon bei diesem Erstkontakt als freundlich, zurückhaltend, als ausgesprochen angenehmer Typ. Zirka 45 Jahre alt, etwas über 1,80m groß, sympathisch, bescheiden im Auftritt. Feldkamp selbst ist in Plauderlaune. Erzählt über die fünfunddreißig Jahre Erfolgsgeschichte, über Milliardenbeträge, das Spitzenunternehmen, den Marktführer, die Direktinvestments, das Containergeschäft. Der Agenturchef gibt zu: Es war nicht unspannend. Und dieser Feldkamp, zirka sechzig Jahre alt, wirkt nicht unsympathisch an diesem Tag auf seine knorrige, ja auch etwas zu selbstbewusste Art. Nicht großmäulig. Eher stolz. Zufrieden. Einer, der niemandem etwas beweisen muss. Auf die Frage der Agentur, welche Kommunikationsaufgaben denn anstehen: Schweigen. Weiter Schweigen. Dann brüllt Feldkamp: »Das müssen Sie mir doch sagen, Sie sind doch die Experten.«
Maier, der Agenturchef, ist sprachlos. Wie nie, nach so vielen Berufsjahren. Feldkamp kauft eine Agentur ein, die ihre Aufgaben selbst definieren soll. Kein Wort zu Unternehmenszielen, Planzahlen, zu Honoraren, Budgets, Kosten. Mehr noch: Nachdem die Agentur Feldkamp später eine erste Gesamtanalyse der bestehenden Kommunikationsmaßnahmen mit einem klaren Plan zuschickt – quasi die Job-Akquise der Agentur – ruft Feldkamp zurück. Er brüllt ins Telefon, wie es so oft vorkommen wird:
»Sehen Sie, Dr. Maier. Alles, was Sie schreiben, ist richtig. Das ist alles ein Scheiß, was wir da an Werbung haben. Sie sind unsere Agentur. Jung von Matt habe ich abgesagt.«
»Jetzt machen Sie uns einen Plan, was Sie alles brauchen und neu machen und vorhaben. Und dann sagen Sie mir, was das ungefähr kosten soll. Aber es ist egal, was es kostet. Zweihunderttausend. Dreihunderttausend. Reicht per E-Mail.«
Maier bedankt sich und kündigt verbindliche Projekt-, Kostenschätzungen und Angebote an. Nun wird es absurd-komisch. Zwei Wochen später. Feldkamp brüllt, wohl noch lauter, ins Telefon.
»Ersparen Sie mir Ihre Angebote. Das brauchen wir nicht. P&R macht das nicht. Aber das lernen Sie noch. Ich will nur eine Zahl wissen. Sie können anfangen.«
Verträge, Vereinbarungen, Kostenkalkulationen, Projektbeschreibungen – Feldkamp lehnt alles ab. Auch alles, was eigentlich seiner Kostenkontrolle dienen muss.
Was bekomme ich für welches Geld von der Agentur. Feldkamps Botschaft: Geld spielt keine Rolle. Und vor allem: Ihn interessiert es nicht, was genau für welche Kosten die Agentur liefert. Nicht hier, bei seinem neuen Zukunfts-Versicherung Marketing. Schon die erste Präsentation der Agentur bricht Feldkamp ab, mit dem Satz, an den sich der Agenturleiter bis heute schmunzelnd erinnert. Es ist wohl ein typischer Feldkamp:
»Wie lange soll ich mir diesen Scheiß noch anhören? Machen Sie alles, was Sie müssen, damit P&R eine Spitzen-Marke wird. Aber ich muss nicht Ihre Vorarbeiten anhören. P&R verdient Geld. Jetzt mit Ihnen. Darum geht es.«
Vorarbeiten und Spitzenmarke. Feldkamps Vorstellung von Marketing. Er zeigt nach draußen weiter einen völlig sorglosen Umgang auch mit hohen Ausgaben oder Rechnungen. Kostenkalkulationen interessieren ihn weiterhin einen Scheiß. Seine Wortwahl. Das ist die Welt, in der er wohl lebt. In der er auch gesehen werden will. Und als es in einem der vielen Meetings bei Feldkamp zu den oben beschriebenen Performance-Reports kommt, zu den großen Zahlen, zu seinem Thema also, fällt der wohl denkwürdigste Satz, den Feldkamp unter vielen denkwürdigen Sätzen zu Maier und einem Kollegen sagt. Der Satz, der ihn und seine Welt beschreibt, wie kein anderer:
» Merken Sie sich: Wenn ich 100 sage, meine ich Millionen!«
Feldkamp setzt, ohne irgendwelche Kenntnis über Marketing und Kommunikation, auf die richtige Karte. Die Agentur macht ihre Hausaufgaben, auch und nicht selten gegen Feldkamps Skepsis. Auch gegen den Widerstand seines Vertriebsleiters Stömmer, der sich gedemütigt fühlt, der bei den Meetings nicht dabei sein darf. Warum eine Marketing-Agentur? Er hat mit seinem Vertrieb bisher alles erfolgreich geregelt. Wie er glaubt. Und oft genug auch in den nächsten Jahren klar machen wird. Die Agentur setzt eine Kundenbefragung durch. Umfangreich, schriftlich, per Post. Üblich noch zu dieser Zeit. Richtig bei einem Kundenprofil, das über 50% Investoren mit über 60 Jahren17 ausweist. Rund zwanzigtausend Anleger beantworten die Fragen zu Zufriedenheit, Wünschen, Empfehlungsbereitschaft, Wiederanlagebereitschaft, zu Vertrauen, zu Reputation. Als Belohnung für die Teilnahme lobt P&R eine Luxus-Schiffsreise für zwei Personen aus. Mit Knurren, so erzählt der Agenturchef und ohne es zu verstehen, akzeptiert Feldkamp den Strategiewechsel in der Kommunikation: Nicht mehr Produkt und Leistung im Vordergrund, sondern Marken-Bekanntheit, Reputation, vertrauensbildende Maßnahmen. Weiterempfehlung, Wiederanlage, geprüfte Sicherheit, sind die Themen. Für Feldkamp böhmische Dörfer. Aber: Für ihn, den Zahlenmensch, zählen nur Zahlen. Ergebnisse. Mit dem Neugeschäft über 792 Mio. in diesem Geschäftsjahr erzielt P&R eines der besten Ergebnisse. Und zunächst genug frisches Geld, um wenigstens weiterzumachen.
Für Feldkamp das Signal, einen Schritt weiter zu gehen. Er ruft den Agentur-Geschäftsleiter an, Angestellter dort, nicht Eigentümer, und wie immer direkt:
»Dr. Maier, so einen wie Sie könnte ich ganz bei P&R brauchen.«
Und Maier kommt. Nach 15 Agenturjahren Wechsel auf Kundenseite. Warum nicht. Gesundes Unternehmen. Sicherer Job. Zukunftsfähig. Am 01. April 2011 hat Feldkamp nach über 35 Jahren erstmals eine Marketing-Abteilung. Maier bringt einen weiteren Kollegen mit.
Maier kennt Feldkamp inzwischen ganz gut. Nach bald zwei Jahren Zusammenarbeit. Er kann ihn aushalten, kann mit ihm umgehen. Er sitzt bei Feldkamp, in dessen Büro. Recht schmucklos. Nicht groß. Nicht klein. Schreibtisch. Telefon. Eigenes Fax. Eine Sesselgruppe. Kleiner Tisch dabei. Feldkamp wirkt wie immer: Knorrig. Bodenständig. Gut angezogen. Aber keine 5.000 $ Anzüge. Ja – eine unter dem Ärmel versteckte Rolex. Aber ohne sie zu tragen, wie stillose Neureiche das zu tun pflegen, nämlich so, dass man sie hätte sehen sollen. Nur seine Zähne sind auffallend weiß für einen 60-jährigen. Gebleacht. Hollywood-like. Ein einziges Foto wird Maier später sehen, von Feldkamp, bestimmt 20 Jahre her. Ein extrem lässiger, auch gutaussehender Typ. Vielleicht 1,85 groß, schlank, alte Jeans, Hemd, keine Krawatte, auf dem Boden sitzend, im Gespräch mit Heinz Roth, dem Konzerneigentümer. Tausend Geschichten erzählt dieses Bild. Vielleicht, wie die beiden dieses Unternehmen groß gemacht haben. Lässig, hands-on, schlau. Feldkamp hat mehrere Seiten. Seiten, die nicht zusammen zu passen scheinen in einer einzigen Persönlichkeit:
Einerseits der menschennahe Typ, der durchaus Humor zeigt, schräg, zugegeben, manchmal fast sympathisch. Dann wieder der humorlose Buchhalter – ohne Lächeln, nicht freundlich, nicht unfreundlich, nur indifferent. Dann wieder der Typ Generaldirektor, der aus einem Rühmann-Film der 50-er Jahre hätte entsprungen sein können: Dominant. Beherrschend. Top-Down. Irrational. Rechthaberisch. Hochemotional. Stimmungsgetrieben. Laut. Cholerisch. Auch brutal. Es sind nicht alle seine Facetten. Feldkamp ist in seinem Verhalten nicht zu fassen, nicht zu kalkulieren.
»Rational heute, irrational morgen. Freundlich jetzt. Stunden später ein schlecht erzogenes Arschloch. Sozial heute. Brutal und asozial morgen. Kühl, abweisend ignorant. Dann wieder in Plauderlaune über wirklich private Dinge.«
So beschreibt ihn Maier, der es dennoch leichter zu haben scheint, als viele andere Mitarbeiter: Er steht bei Feldkamp hoch im Kurs durch die ersten Erfolge, die Feldkamp und Roth den Hintern zu retten scheinen. Was der Neue nicht wissen kann.
Der 01.April 2011 ist Maiers erster Arbeitstag bei P&R. Erwähnenswert, weil Feldkamp an diesem ersten Tag weitere Seiten von sich preisgibt, die bisher so nicht klar gewesen sind. Feldkamp differenziert, heute und später, extrem in seinem Verhalten gegenüber externen Partnern einerseits und seinen Mitarbeitern auf der anderen Seite. Nach außen zeigt er eine wenigstens professionelle Grundhöflichkeit im Umgang mit externen Partnern. Dort wirkt er wie ein Konzernchef, der alles managed, mit Plan. Nach innen aber ein anderes Bild: Mitarbeiter sind seinen Launen ausgesetzt, seinen Spontan-Ideen, seinen oft emotional getriebenen Entscheidungen. Auch stellt sich an diesem ersten Arbeitstag heraus, dass Mitarbeiter keinen Internetzugang haben. Nicht sollen. Auch nicht der Eigenvertrieb mit den Kundenberatern. Mitarbeiter sollen sich nicht mit dem Wettbewerb befassen, nicht mit den Informationen, die Kunden im Netz lesen, schon gar nicht im Web surfen. Laptops? Fehlanzeige. Projektmeetings, möglicherweise einmal zu Hause einen Job fertigstellen, Arbeitsmeetings mit Vertrieb, Dienstleistern Agenturen, Presse? Feldkamp nennt das:
»…einen Scheiß! Sie müssen keine Meetings halten oder den Vertrieb vom Verkaufen abhalten. Und Presse? Die Arschlöcher bekommen keine Informationen von uns. Zuhause arbeiten? Wir beginnen um 9: 00. Wir gehen um 18: 00. Haben Sie das verstanden?«
Nur einen Tag später wird Feldkamp den IT-Leiter beauftragen, Laptops anzuschaffen. Und Internetzugänge freizugeben. Eine gefährliche, seltsame Stimmung zunächst, wie Maier sich erinnert. In den ersten Minuten. Beim Thema Büroausstattung.
Dann der Stimmungswechsel. Feldkamp – als hätten die letzten Minuten des Gespräches nie stattgefunden – ist freundlich, ja fast väterlich. Ein anderer Mensch im Raum. Diese extremen Stimmungswechsel wird Feldkamp beibehalten. Sie sind Teil seiner Persönlichkeit. Stimmungswechsel, die von einer Sekunde auf die andere geschehen können. Stimmungswechsel, die zu völlig irrationalen, spontanen Entscheidungen führen, um nur einen Tag später das Gegenteil zu entscheiden. Und: P&R ist ein Unternehmen, das ausschließlich von oben nach unten geführt wird. Top down. Es gibt nur zwei Ebenen. Ebene eins: Feldkamp. Ebene zwei: Alle anderen darunter. Egal, welche Position jemand bekleidet, egal welches Geld er oder sie verdient. Und dennoch unterscheidet Feldkamp in seiner Welt: Die neuen Mitarbeiter dürfen nichts beitragen, um das ihnen zugewiesene Büro aufzuräumen. Weil sie leitende Mitarbeiter sind. Das erledigen andere: In Feldkamps Welt ausschließlich Frauen. Assistentinnen, Sekretärinnen, Verwaltungsmitarbeiterinnen. Auch das wird so bleiben. Führungskräfte verrichten keine niederen Tätigkeiten. Und Führungskräfte sind ausschließlich männlich. Feldkamp legt großen Wert auf Außendarstellung, auf Symbole und Zeichen des Erfolgs.
»Man bekommt keinen ordentlichen Arbeitstisch unter 4.000 Euro. Es muss zu P&R passen.« äußert er gegenüber den neuen Mitarbeitern. Es passt zu seinem legendären Ausspruch, wenn ich Hundert sage, meine ich Millionen. Auch, dass er Maier verbietet, einen VW als Firmenwagen zu ordern. Weil das nicht passt. Es muss ein BMW oder Mercedes sein. Ab achtzigtausend Euro.
»Leasing? Den Scheiß machen wir nicht. Wir kaufen die Autos. Also abgemacht! Ein X5. Konfigurieren Sie den bis morgen. Dann wird bestellt. Schönen Tag.«
Und noch eine Seite Feldkamps wird bereits an diesem 01.April deutlich. Feldkamps brutale Seite. Er kündigt einem langjährigen Mitarbeiter grundlos, der das Thema Werbung bisher nebenberuflich mit erledigt hat. Weil er, Feldkamp, wie Maria aus der Finanzbuchhaltung erklärt, jetzt neue Top-Leute hat. Und den langjährigen Mitarbeiter nicht mehr brauchen kann. Familienvater, kleine Kinder. Feldkamp feuert ihn. Arbeitsrecht? Spielt keine Rolle. Es wird über Abfindungen geregelt. Dieser Vorgang aber deckt noch mehr auf: Der so brutal Gekündigte ist privat aufs engste mit Harald Roth befreundet. Dem Gründersohn. Dem Co-Geschäftsführer bei P&R. Dem Erben des Imperiums. Feldkamps Position im P&R-Universum muss enorm stark sein, wenn er selbst einem Freund seines Führungskollegen im Alleingang kündigt. Und Harald Roths Position muss so schwach sein, dass er nichts dagegen unternehmen kann. Feldkamp ist in Abwesenheit des alten Roth der absolute Alleinherrscher. Und die Mitarbeiter haben Angst vor ihm. Seinen Launen. Seinen Spontanentscheidungen. Es kann jeden treffen. Jederzeit. Und ohne Grund. All das wird an diesen beiden ersten Tagen bereits klar. Dennoch: Die Mitarbeiter vertrauen auf Feldkamps Manager-Qualitäten. Zu erfolgreich ist das Unternehmen. Er muss ein Zahlengenie sein. Ein Stratege. Und damit sind die eigenen Arbeitsplätze sicher. Wenn man das Glück hat, nicht auf seine Abschussliste zu gelangen. Und nicht wenige werden auf dieser Liste landen die kommenden Jahre. Weil es nicht mehr gepasst hat, wie Feldkamp dann jedes Mal allgemein begründen wird. Feldkamp kennt keine Empathie. Ein Defizit, das er auch gegenüber den Anlegern zeigen wird. Eine Qualität umgekehrt, die ihn zum Milliardenbetrüger auch geradezu befähigt.