Читать книгу Frausein zur Ehre Gottes - Hanna-Maria Schmalenbach - Страница 9
EINLEITUNG
ОглавлениеDie Frage nach dem höchsten Lebensziel eines Christen beantwortet der Apostel Paulus so: „… dass wir etwas seien zum Lob seiner Herrlichkeit…“ (Eph 1,12). Das Leben des Christen darf und soll die Größe, Heiligkeit und den unbeschreiblichen Wert Gottes auf dieser Welt zum Ausdruck bringen. Das geschieht mitten im Leben in den vielfältigen Bezügen des Alltags in einer spezifischen kulturellen und gesellschaftlichen Situation mit ihren Pflichten und Erwartungen.
„Nun führt euer Leben würdig des Evangeliums von Christus…“ (Phil 1,27), ermahnte Paulus dementsprechend die Gläubigen der christlichen Gemeinde in Philippi und erinnerte sie an ihre wegweisende Funktion als „Lichter in der Welt“ (Phil 2,15). Für die jungen Christen aus einer polytheistischen Gesellschaft war es eine große Herausforderung, als „untadelige Kinder Gottes inmitten eines verdrehten und verkehrten Geschlechts“ (Phil 2,15) nach völlig anderen Maßstäben zu leben, als sie es bisher gewohnt waren, und dabei gleichzeitig nach dem Vorbild des Apostels „in allen Stücken allen zu Gefallen zu leben…, damit sie gerettet werden“ (1Kor 10,33).
Beim Übergang des Evangeliums aus dem vorwiegend jüdischen Kontext in den multikulturell-hellenistischen der verschiedenen Orte im Römischen Reich durchdachte der Apostel im Blick auf die jeweiligen spezifischen Situationen der neuen Gemeinden die praktischen Implikationen des Evangeliums und suchte gemeinsam mit den Gläubigen vor Ort nach Lösungen für ihren Lebensvollzug. Diese sollten einerseits dem Evangelium ganz entsprechen, gleichzeitig aber in ihrem kulturellen Umfeld verstanden werden und keine unnötigen Hindernisse für die Ausbreitung des Evangeliums bedeuten. Dabei musste Paulus langfristig auch die Konsequenzen für die sozialen Ordnungen des öffentlichen Lebens im Blick haben (Marshall 1981, 21; Neill 1981, 7; Westfall 2016, 160–161). In den Briefen des Apostels, besonders deutlich in 1. Korinther 8–10, werden wir Zeugen dieses Ringens.
Menschen, die heute im interkulturellen Kontext die Botschaft des Evangeliums weitergeben, sehen sich vor ähnliche Aufgaben gestellt, wenn junge Christen aus einer anderen Kultur sie in ihre eigenen Fragestellungen an dieser Stelle einbeziehen und nach Lösungen fragen für die Umsetzung des Evangeliums in ihrem spezifischen Kontext. Das Vorgehen des Apostels Paulus ist dabei ihre wichtigste Orientierungshilfe.
Mitarbeiter im interkulturellen Dienst müssen sich allerdings dabei mit zwei Hindernissen auseinandersetzen: zum einen mit dem historisch-kulturellen Abstand der Kultur ihrer Gegenüber zur Welt des Hellenismus im ersten Jahrhundert, in die der Apostel hineinsprach, und zum anderen mit ihrer eigenen kulturellen Prägung, die nicht zum Maßstab werden darf, nach dem die Menschen anderer Kulturen „des Evangeliums würdig“ leben sollen. Hier ist viel Feingefühl und Demut gefragt, deren Fehlen christlichen Mitarbeitern aus westlichen Kulturen von einheimischen Christen und Theologen vielfach und zunehmend angekreidet wird (Stott 1981, vii).2 Dieser Prozess des Ringens um eine angemessene „Übersetzung“ (Nicholls 1979, 65) des Evangeliums in verschiedene Kulturen spielt seit dem Lausanner Kongress (1974) in der evangelischen Missiologie eine wichtige Rolle (Beyerhaus et al. 1974, 15). Für diesen Vorgang wurde der Begriff Kontextualisierung eingeführt, der allerdings bisher nicht in allen christlichen Kreisen eine uneingeschränkt positive Aufnahme gefunden hat (Nicholls 1979, 21; Conn 1984, 163).3
Die Beziehung zwischen Evangelium und Kultur ist in den letzten Jahrzehnten, vor allem auf Anregung nichtwestlicher Theologen, vielfach thematisiert worden, besonders intensiv auf einer vom Lausanner Komitee für Weltevangelisation zu diesem Thema gestalteten internationalen Konferenz in Willowbank auf den Bermudas im Jahr 1978.4
Das Anliegen der diesem Buch zugrunde liegenden Arbeit setzt bei der komplexen Fragestellung an, in welchem Verhältnis Evangelium und Kultur im Blick auf die Rolle der Frau stehen, und wie in der christlichen Gemeinde ein schriftgemäßes Frauenbild in verschiedenen Kulturen zum Ausdruck gebracht werden kann. Grundsätzlicher noch muss dabei gefragt werden, in welchem Verhältnis der Wille des Schöpfers und Erlösers zu kulturell definierten geschlechtsspezifischen Rollen und Verhaltensweisen steht.
Anstoß, mich der komplexen und vieldiskutierten Thematik um die Rolle der Frau aus dieser interkulturellen Perspektive zu stellen, war, wie bereits erwähnt, mein eigenes Erleben in dem indigenen Volk der Tutunakú5 in Mexiko und besonders die gezielten und wiederholten Fragen junger Tutunakú-Christen nach dem biblischen Maßstab für die Geschlechterbeziehung. Bei den Tutunakú sind die Rollen von Mann und Frau zwar klar definiert und voneinander unterschieden; eine hierarchische Ordnung, in der die Frau dem Mann durchgehend untergeordnet und deshalb von bestimmten Tätigkeiten grundsätzlich ausgeschlossen ist, gibt es jedoch nicht.
Eine hierarchische „biblische Ordnung“ der Geschlechter wurde den jungen Christen durch Lehrer und Gastprediger aus der mexikanischen Hauptgesellschaft beigebracht, wo der Machismo nach wie vor das Empfinden der Menschen durchdringt. Sie wiesen die Tutunakú-Christen nachdrücklich auf die „gottgewollte“ Ordnung zwischen Mann und Frau und die entsprechenden Einschränkungen für den Dienst der Frau in der Gemeinde hin. Das warf viele Fragen auf. Durften Frauen also nicht wie Männer unbefangen ihre Erkenntnisse und Erfahrungen in den Versammlungen mitteilen? Mussten sie nun vorsichtig auf eine Ordnung achten, die ihnen vorher in diesem Zusammenhang gar nicht bewusst gewesen war? War das wirklich das Frauenbild der Heiligen Schrift?
In diesem Kontext wurde ich mir meiner eigenen Unsicherheit über den biblischen Befund einerseits und meiner großen Verantwortung als Rollenvorbild andererseits schmerzlich bewusst. In Gesprächen vor Ort zeigte sich immer wieder, dass bei dieser Frage die Spannung zwischen dem Schöpferwillen Gottes und dem Ausleben dieses Willens in verschiedenen Kulturen besonders deutlich zu spüren ist. Von meinen Tutunakú-Mitarbeiterinnen beauftragt, mich noch einmal gründlich mit dieser Thematik zu befassen, richtete ich während meines Studiums der Missiologie6 in jedem Fach mein besonderes Augenmerk auf diese Fragestellung. Dabei wurde mir klar, dass nur eine gesamt-biblische Schau, die auch die kulturellen Aspekte der einzelnen Aussagen zu diesem Thema ganz ernstnimmt, ein ausgewogenes Bild über den biblischen Befund ergeben kann. Eine solche Gesamtschau wollte ich anstreben. Ziel meiner Arbeit sollte es sein, aus einer missiologischen Perspektive Orientierungshilfe für die Bildung einer eigenen Position zur gottgewollten Rolle der Frau zu geben. Zugleich war es mein Anliegen, Leitlinien für ein biblisch-kulturrelevantes Frauenbild herauszuarbeiten, bei dem der Wille Gottes und die verändernde Kraft des Evangeliums deutlich werden, ohne dass ein kultureller Anstoß entsteht, der die Verkündigung des Evangeliums hindern könnte. Dabei sollte soll das Vorgehen des Apostels Paulus wegweisend sein.
Befragt man die Literatur über das „biblische Frauenbild“, so stellt sich heraus, dass in der westlichen Christenheit, die das theologische Denken der Welt bis zum Ende des 20. Jahrhunderts entscheidend geprägt hat, seit der Zeit der Kirchenväter bis in die 1960er Jahre hinein fast unangefochten das „traditionelle Verständnis“ zum Geschlechterverhältnis vorherrschte. Hierbei wurde von einer biblisch gebotenen generellen Unterordnung der Frau unter die Autorität des Mannes in Familie, Gesellschaft und Gemeinde ausgegangen und von einer klar definierten Rollenverteilung, die der Frau bestimmte häusliche Pflichten zuwies und sie von den meisten Ämtern der Gemeinde ausschloss. Begründet wurde diese Sicht aus den entsprechenden Anweisungen in den Briefen des Apostels Paulus. Den Grund für diese Anordnungen sah man bis ins 20. Jahrhundert hinein in der generellen Minderwertigkeit der Frau, von dem Arzt P. J. Möbius noch 1908 als „physiologischer Schwachsinn“ (Möbius 1908)7 bezeichnet. Später erkannte man die Gleichwertigkeit der Geschlechter aufgrund der Schöpfung an, bestand jedoch weiter auf einer gottgewollten hierarchischen Ordnung im Geschlechterverhältnis, die durch die schöpfungsbedingte grundlegende Verschiedenheit der Geschlechter begründet wurde (Piper und Grudem 1991, xiv). Ob dieses Frauenbild tatsächlich dem ganzen biblischen Befund entspricht oder möglicherweise Ausdruck der kulturellen Prägung des christlichen Abendlandes durch griechisch-römisches Gedankengut ist, ist seit den 1960er Jahren vielfach und zunehmend gefragt worden.
Anlass dazu war nicht nur die neue feministische Bewegung, die sich in den 1960er Jahren in der westlichen Welt formierte und in gesellschaftlichen und kirchlichen Kreisen zu heftigen Auseinandersetzungen um die „Frauenfrage“ führte (Piper und Grudem 1991, xiii), sondern auch das Erscheinen zahlreicher Werke, die neue Perspektiven für die Auslegung mancher schwer verständlichen Stellen im biblischen Befund eröffneten (Gundry 1987, 5). Die zunehmende Beteiligung von Frauen an der wissenschaftlichen Forschung trug maßgeblich zu dieser Horizonterweiterung bei. In vielen Fachgebieten wurden von ihnen Fragestellungen bearbeitet, die vorher nur wenig im Blickfeld der Forscher gewesen waren. So konnten Wissenslücken geschlossen und in der Folge manche biblischen Texte besser verstanden werden. Dies gilt besonders für detaillierte und aus Quellen gut belegte Informationen über die Situation und Stellung der Frau in der römisch-griechischen und der jüdischen Welt des ersten Jahrhunderts, die traditionelle Einschätzungen ergänzen und an manchen Stellen auch korrigieren. Beispiele sind die Werke von Sarah B. Pomeroy, Frauenleben im klassischen Altertum (1985), Tal Ilan, Jewish Women in Greco-Roman Palestine (1995), Jane F. Gardner, Frauen im Antiken Rom: Familie, Alltag, Recht (1995). Wesentliche Verständnishilfen über die Situation im Römischen Reich geben auch die Werke des britischen Althistorikers Bruce W. Winter After Paul Left Corinth (2001) und Roman Wives, Roman Widows (2003). Den religiösen Hintergrund der jungen Christen, an die Paulus schrieb, beleuchtet das Ehepaar Richard und Catherine Clark Kroeger in I Suffer Not a Woman (1992), das im Jahr 2004 in deutscher Sprache unter dem Titel Lehrverbot für Frauen? erschien. Ein neuerer wertvoller Beitrag ist die Monografie von Lynn H Cohick (2009), Women in the World of the Earliest Christians. Ein tiefes Verständnis für die Bedeutung und Geschlechtsabhängigkeit des Ehrgefühls im Römischen Reich vermittelt Carlin A. Barton in Roman Honor: The Fire in the Bones (2001).
Allein die Lektüre dieser seit den 1970er Jahren entstandenen Werke fordert den ehrlichen Ausleger geradezu heraus, den biblischen Befund zur „Frauenfrage“ nochmals gründlich zu bedenken. Im Bereich der Kirchen- und Missionsgeschichte hat Ruth A. Tucker eine wichtige Informationslücke gefüllt über die Beteiligung der Frau am Leben und Dienst der Gemeinde Jesu seit ihren ersten Anfängen bis heute in Daughters of the Church (1987, gemeinsam mit W. Liefeld), Guardians of the Great Commission: The Story of Women in Modern Missions (1988) und The Changing Roles of Women in Ministry: The Early Church through the 18th Century (2005).
Auf dem Hintergrund dieser Entwicklungen ist seit der Mitte des 20. Jahrhunderts eine Fülle von Literatur erschienen, die das erneute grundsätzliche theologische Nachdenken über die Rolle der Frau in den meisten christlichen Kirchen und Denominationen der westlichen Welt reflektiert, gleichzeitig aber auch eine Meinungsvielfalt und kritische Auseinandersetzung, die R. W. Pierce als „exegetischen Bürgerkrieg“ bezeichnet (Pierce 1993, 343).
Dabei ist nicht zu übersehen, dass der Diskussion um die schriftgemäße Rolle der Frau eine tiefergehende hermeneutische Auseinandersetzung zugrunde liegt, die am Verständnis des Wesens und der Autorität der Heiligen Schrift selbst ansetzt (Scholer 1987, 407; Lakey 2010, 157). Das Ausmaß und die Tiefe dieser Auseinandersetzung wird in den Vorträgen und Diskussionen auf dem Kongress des International Council on Biblical Inerrancy 1982 in Chicago reflektiert, die in Hermeneutics, Inerrancy and the Bible (Radmacher und Preus 1984) zusammengestellt sind. Einen gründlichen und kommentierten Überblick über die Kernpunkte der Diskussion gibt W. J. Larkin in Culture and Biblical Hermeneutics. In Deutschland kommt diese Auseinandersetzung am schärfsten in der Zeitschrift Bibel und Gemeinde und in dem Buch Die Unfehlbarkeit und Irrtumslosigkeit der Bibel (Holthaus und Vanheiden 2002) zum Ausdruck. Die Diskussion um die schriftgemäße Rolle der Frau in vielen konservativen Kreisen der christlichen Gemeinde muss im Zusammenhang mit dieser grundsätzlichen theologischen Auseinandersetzung gesehen werden; das gibt ihr ein besonderes Gewicht.8
Eine übersichtliche Zusammenfassung über die beschriebene Meinungsvielfalt unter englischsprachigen evangelischen Forschern zum umstrittenen „Frauenthema“ gibt R. W. Pierce im Journal of the Evangelical Theological Society (JETS; 1993, 343–355) und in Pierce und Groothuis (2005, 58–75). Die Uneinigkeit in der „Frauenfrage“ unter den nordamerikanischen evangelischen Christen in den 1970er und 1980er Jahren führte 1986 zu einer Spaltung der Evangelical Theological Society, und es bildeten sich im Folgenden zwei einflussreiche Organisationen mit jeweils unterschiedlicher Einstellung zur biblischen Rolle der Frau: Der Council on Biblical Manhood and Womanhood (CBMW) vertritt die traditionelle Sicht einer in der Schöpfung begründeten hierarchischen Ordnung der Geschlechter in Familie und Gemeinde, während sich die Christians for Biblical Equality (CBE) für eine schöpfungs- und erlösungsbedingte Gleichrangigkeit der Frau in Familie und Gemeinde einsetzen. Die theologische Position des CBMW kommt in seinem Positionspapier, dem im November 1988 erstmals publizierten Danvers Statement, zum Ausdruck.9 Eine gründliche theologische Ausarbeitung der verschiedenen Aspekte dieser Position von mehreren Autoren stellt das von John Piper und Wayne Grudem herausgegebene Buch Recovering Biblical Manhood & Womanhood (1991, zweite Auflage 2006) dar. Es enthält auch eine Liste der Forscher, die sich zu dieser Sicht über die Rolle von Mann und Frau bekennen, und am Ende des ersten Kapitels eine Liste aller Aufgaben, die aus der Sicht dieser Autoren Frauen in der Gemeinde zugestanden werden können. Eine gemäßigt hierarchische Position nimmt Steven Clark in seiner umfassenden Monografie Man and Woman in Christ (1980) ein, die auch gründliche soziokulturelle Erwägungen einschließt. Die theologische Position der CBE wird in ihrem Positionspapier Men, Women and Biblical Equality dargestellt, das erstmals im April 1990 in der Zeitschrift Christianity Today publiziert wurde.10 Die Zeitschrift Priscilla Papers veröffentlicht regelmäßig theologische Beiträge von Autoren, die der Sicht der CBE nahestehen. Zahlreiche Monografien geben einen Überblick über ihre Argumentation. Geordnet nach ihrem Erscheinungsdatum seien einige wesentliche Werke beispielhaft genannt: Paul Jewett, Man as Male and Female (1975), Patricia Gundry, Woman Be Free (1977), Gilbert Bilezikian, Beyond Sex Roles (1985), Aida Besancon Spencer, Beyond the Curse (1985), Gretchen Hull Gaebelein, Equal to Serve (1987), John T. Bristow, What Paul Really Said About Women (1988), Craig S. Keener, Paul, Women & Wives (1992), Rebecca Merrill Groothuis, Women Caught in the Conflict: The Cultural War between Traditionalism and Feminism (1994), Loren Cunningham und David Joel Hamilton, Why not Women? (2000). Verschiedene Beiträge zu einzelnen Aspekten der Diskussion aus egalitärer Sicht sind zusammengefasst in den Vortragsmanuskripten des Evangelical Colloquium on Women and the Bible im Oktober 1984 in A. Mickelsen (Hrsg.), Women, Authority and the Bible (1986). Eine sehr gute Zusammenstellung der verschiedenen Aspekte dieser Position stellt der von Ronald W. Pierce und Rebecca Merrill Groothuis (2005) inzwischen herausgegebene Sammelband Disvcovering Biblical Equality: Complementarity without Hierarchy dar. Seither kamen weitere gründliche vertiefende exegetische und theologische Studien zum Thema hinzu, so die Monografie von Philip B. Payne (2009) Man and Woman, One in Christ: An Exegetical and Theological Study of Pauls’s Letters und von Cynthia Long Westfall (2016) Paul and Gender: Reclaiming the Apostle’s Vision for Men and Women in Christ.
Zur vergleichenden Beurteilung der gegensätzlichen Meinungen dient das von B. und R. Clouse herausgegebene Buch Women in Ministry – Four Views (1989) und eine entsprechende Zusammenstellung aus Großbritannien von S. Lees, The Role of Women (1984).
Auch im deutschen Sprachraum wurde und wird die theologische Diskussion um die Rolle der Frau in Familie und Gemeinde seit den 1970er Jahren heftig geführt. Allerdings stellte sich die öffentliche Auseinandersetzung entsprechend der kirchlichen Gesamtsituation in der Praxis hier etwas anders dar: Innerhalb der evangelischen Landeskirchen bestand und besteht eine große Meinungsvielfalt, die das ganze Spektrum der feministischen Theologie einschließt und sich im Blick auf die Praxis vor allem auf die Frage der Frauenordination und des ungehinderten Zugangs zu kirchlichen Ämtern für Frauen konzentriert hat. Einen Überblick über die verschiedenen Sichtweisen gibt hier die idea-Dokumentation Nr. 28/91, die anlässlich der Entscheidung der letzten Landeskirche, Schaumburg-Lippe, für die Ordination von Frauen verschiedene Stellungnahmen pro und kontra Frauenordination wiedergibt. In weiteren Veröffentlichungen zum Thema wird deutlich, dass Meinungsverschiedenheiten bis tief in die konservativ bibelgläubige Fraktion der Kirche hineinreichen: Die Positionen reichen von einer theologisch begründeten heftigen Ablehnung der Frauenordination, wie sie zum Beispiel in Bibel und Gemeinde (3/2001) zum Ausdruck kommt, bis zur ebenfalls theologisch begründeten völligen Zustimmung, wie das Positionspapier des Synodalgesprächskreises der „Lebendigen Gemeinde“ in Baden-Württemberg Die Frau in der Gemeinde deutlich macht.
In den evangelischen Freikirchen im deutschsprachigen Raum herrscht ebenfalls eine große Meinungsvielfalt. So werden über den Dienst der Frau in der Gemeinde alle Positionen vom Gebot ihres vollständigen Schweigens im Gottesdienst (Darbystische Versammlungen) bis zu ihrer Teilnahme an allen Funktionen des Gemeindelebens (z. B. in den Gemeinden der Heilsarmee) vertreten und praktiziert. Einen Überblick über die Stellungnahmen einiger Freikirchen zum Thema gibt idea-Dokumentation Nr. 5/92. Gründliche theologische Erarbeitungen zur Stellung der Frau aus der beschriebenen traditionellen Sicht stellen die Monografien von Werner Neuer Mann und Frau in christlicher Sicht (1993) und Heinzpeter Hempelmann Gottes Ordnungen zum Leben (1997) dar. In einigen freien Gemeinden hat die aus dem Amerikanischen übersetzte Monografie von A. Strauch Die Revolution der Geschlechter (2001) eine große Bedeutung, die sich weitgehend an der Argumentation des CBMW orientiert, in der Darstellung allerdings auffällig kämpferisch wirkt. Einen für die deutsche freikirchliche Diskussion ebenfalls wesentlichen Beitrag zur Bestätigung der traditionellen Sicht stellt die Stellungnahme der Evangelischen Gesellschaft für Deutschland von Klaus Riebesehl, Leitlinien zum Dienst der Frau in der Gemeinde (2004) dar. Eine konservative, aber eher versöhnende Position findet man bei Alfred Kuen in seiner gründlichen biblisch-theologischen Abhandlung Die Frau in der Gemeinde (1998).
Während alle genannten Autoren sich deutlich für eine biblisch begründete hierarchische Beziehung zwischen Mann und Frau aussprechen, kommen sie doch für die Praxis des Gemeindelebens zu sehr unterschiedlichen Schlüssen von einem „totalen Redeverbot“ der Frau im Gottesdienst (Neuer 1993) bis zum Zugestehen ihres Predigtdienstes (Hempelmann 1997). Auch ihre Berufung ins Ältestenamt ist nicht in allen Gemeinden ausgeschlossen (z. B. Hardmeier 2013). Die Inkonsequenz, mit der hier Linien gezogen und über den Dienst der Frau in der Gemeinde entschieden wird, macht vielen Betrachtern zu schaffen (z. B. Hardmeier 2013, 157–158). Lakey weist darauf hin, dass unter traditionellen Auslegern in der Praxis Elemente von Gleichrangigkeit und von Hierarchie in bunter Mischung nebeneinander stehen (2010, 15–18).
Von den Beiträgen zu einer egalitären Sicht unter Theologen im deutschen Sprachraum, die die Heilige Schrift als Autorität für Glauben und Leben hochhalten, ist das Buch von Christa Conrad Der Dienst der ledigen Frau in deutschen Glaubensmissionen (1998) zu erwähnen, das aus einer missionsgeschichtlichen Perspektive für eine biblisch begründete Gleichrangigkeit der Frau im geistlichen Dienst plädiert. Eine Zusammenstellung verschiedener Perspektiven und Aspekte aus egalitärer Sicht von unterschiedlichen Autoren ist das von Cornelia Mack und Friedhilde Stricker herausgegebene Buch Begabt und beauftragt (2000). Der ausführlichste theologische Beitrag, der sich in deutscher Sprache in Kreisen bibelgläubiger Christen aus egalitärer Sicht mit der „Frauenfrage“ befasst hat, ist bisher das aus dem Englischen übersetzte Buch von Marylin B. Smith und Ingrid Kern, Ohne Unterschied? Frauen und Männer im Dienst für Gott (2000), das die Position der Kommission für Frauenfragen der Weltweiten Evangelischen Allianz (WEA) zum Thema darstellt. Eine übersichtliche Kurzdarstellung einer egalitären Sicht bietet das ebenfalls aus dem Englischen übersetzte Büchlein von John Ortberg Die Frau schweige? (2004). Neu hinzugekommen ist die ausführliche Behandlung des Themas aus einer kulturwissenschaftlichen Perspektive von Annegret Braun, Warum Eva keine Gleichstellungsbeauftragte brauchte (2019).
In den Jahren seit der ersten Auflage dieses Buches hat die Frage nach Stellung und Dienst der Frau vor allem in freien Gemeinden und Organisationen konservativ-protestantischer Prägung in der westlichen Welt nach wie vor und immer wieder neu zu schweren Auseinandersetzungen und Gemeindespaltungen geführt.11 Auch im römisch-katholischen Kontext hat sich die Auseinandersetzung intensiviert, wobei es hier vor allem um Fragen des Zutritts von Frauen zu den Weiheämtern der Kirche geht (Berger 2011, 210–212).
In der neueren Literatur fällt nun auf, dass man sich auf allen Seiten bemüht, die Schärfe in Ton und Wortwahl der Diskussion abzumildern. Das gilt besonders für die Vertreter eines hierarchischen Geschlechterverhältnisses. In ihrer Selbstbezeichnung fällt auf, dass sie ihre Sicht nicht mehr als „hierarchisch“ oder „traditionell“ bezeichnen wie früher, sondern als „komplementär“. Auch in ihrer Argumentation nehmen sie versöhnlichere Positionen ein, so Roland Hardmeier, Himmelstöchter! Warum die Stärke der Frau in der Kirche gebraucht wird. Und warum das biblisch ist (2013) und Ulrich Neuenhausen, Gemeinsam gesegnet: Männer und Frauen im Dienst für Jesus Christus (2018).
Manche Autoren auf beiden Seiten fragen sich, wie es geschehen konnte, dass die Diskussion um die gottgewollte Stellung der Frau in der Gemeinde eine derart tiefe Spaltung in den Reihen bibelgläubiger konservativer Christen herbeiführen konnte, und suchen dringend nach Erklärungen, einigenden Perspektiven, ja neuen Paradigmen als Grundlage für die festgefahrene Diskussion (Husbands und Larsen 2007, 9; Sumner 2007, 250–265; George 2007, 266–288; Van Leeuwen 2007, 171–196; Lee-Barnewall 2016, 5–14; Westfall 2016, 1–6; Hiestand 2017, 101–118). Dabei nehmen auch Überlegungen zur Praxis einer von der Heiligen Schrift her erneuerten Geschlechterbeziehung in Ehe und Gemeinde und deren praktischen Konsequenzen für das Selbstverständnis und den Dienst der Frau zunehmend größeren Raum ein (z. B. LaCelle-Peterson 2008, Westfall 2016, Small 2020).
Dieses Buch möchte, auch in der zweiten, aktualisierten Auflage, angesichts der beschriebenen Meinungsvielfalt einen differenzierten und abwägenden Beitrag zu der umstrittenen Thematik leisten, der sich auf den biblischen Gesamtbefund gründet.
Aufgrund der engen Verflechtung der Rolle der Frau mit der Kultur, in der sie ausgelebt wird, habe ich dabei die Aussagen der Heiligen Schrift stets vor dem Hintergrund der Kulturen ausgelegt, in die sie direkt hineinsprechen, und auch die Ergebnisse wissenschaftlicher Untersuchungen aus den Natur- und Humanwissenschaften über die Natur und Kulturen des Menschen in meine Überlegungen einbezogen.
Dazu stelle ich in Kapitel 1 zunächst das komplexe Spannungsfeld der vielschichtigen Diskussion um das biblische Frauenbild vor. In Kapitel 2 geht es dann um eine Einführung in die kulturellen Aspekte, die unsere Thematik beeinflussen. Kapitel 3 stellt eine biblisch-theologische Betrachtung des biblischen Gesamtbefundes dar, die außer theologischen und hermeneutischen Ansätzen anderer Autoren auch die Ergebnisse von neurobiologischen, entwicklungspsychologischen und ethnologischen Studien in Beziehung zum Schriftbefund bringt. Ein kurzer kommentierter, geschichtlicher Überblick über die Rolle der Frau in der Kirchen- und Missionsgeschichte soll in Kapitel 4 das Bild abrunden. In Kapitel 5 werden die Befunde zusammengefasst und aus ihnen Richtlinien zur Kontextualisierung eines schriftgemäßen Frauenbildes erstellt, die es christlichen Mitarbeitern im interkulturellen Kontext ermöglichen, in jeder Kultur anzuknüpfen mit einem Frauenbild, das Gott ehrt und dem Evangelium kein unnötiges kulturelles Hindernis in den Weg legt.
In einem Nachwort möchte ich abschließend auf den Stand der Diskussion um die Stellung der Frau in den christlichen Gemeinden evangelisch-konservativer Prägung in der englisch- und deutschsprachigen westlichen Welt eingehen und neue Tendenzen und Bemühungen aufzeigen, einen gemeinsamen Weg aus der festgefahrenen Situation zu finden. Möge Gott es schenken, dass wir diesen Weg finden und trotz der Meinungsvielfalt gemeinsam glaubwürdige Zeugen des Evangeliums Jesu Christi sein können!
2 Diese Kritik wurde sogar 1974 in die Lausanner Verpflichtung aufgenommen und mit einer Mahnung zu mehr Demut an dieser Stelle verbunden (Beyerhaus et al. 1974, 15).
3 Er stammt ursprünglich aus dem Umfeld des Ökumenischen Rates der Kirchen und schließt auch Vorgehensweisen ein, bei denen nicht der Heiligen Schrift, sondern dem jeweiligen kulturellen Kontext die Autorität und Kontrolle über den gesamten Prozess eingeräumt wird (Larkin 1988, 130). Inzwischen hat er sich auch in der evangelischen Missiologie evangelikaler Prägung durchgesetzt, allerdings unter der Vorgabe, dass die Heilige Schrift Autorität, Maßstab und Vorbild im Prozess der Kontextualisierung ist, der stets an ihr gemessen und kontrolliert wird (May 2005, 349).
4 Die Beiträge der Konferenzteilnehmer sind in Down to Earth: Studies in Christianity and Culture (Stott und Coote 1981) zusammengestellt.
5 Die früher, auch zum Zeitpunkt der Herausgabe der ersten Auflage dieses Buches, gängige Benennung der Volksgruppe von außen war in Mexiko totonaco, eingedeutscht „totonak“. In den letzten Jahren setzte sich die Eigenbezeichnung der Ethnie tutunakú (auf deutsch: „drei Herzen“) zunehmend durch, und ich habe sie in Rücksprache mit einem Vertreter der Ethnie in dieser zweiten Auflage entsprechend geändert.
6 Heute ist der Studiengang vermehrt bekannt unter Interkulturelle Theologie und Missionswissenschaft.
7 Zitiert in Neuer 1993, 18.
8 Die grundsätzliche Diskussion um ein angemessenes „bibeltreues“ Schriftverständnis hat in den letzten Jahren in evangelisch-konservativen Kreisen an Schärfe und Unerbittlichkeit zugenommen. Siehe dazu z. B. Smith (2012). Dabei spielen Fragestellungen zum Geschlechterverhältnis eine große Rolle und vertiefen die Kluft zwischen den Parteien dieser Diskussion. Siehe hierzu auch George (2007, 280), Van Leeuwen (2007, 173) und Lakey (2010, 8–10).
9 Das Positionspapier ist im Internet zugänglich unter www.cbmw.com.
10 Zugänglich im Internet unter www.cbeinternational.org.
11 Westfall beschreibt diese Entwicklung so: „Inzwischen ist die öffentliche Meinung an gewissen Orten, sei es in Gemeinden, in… Leiterschafts-Organisationen, in Ausbildungsstätten und auch in säkularen Foren in einer Weise zum Kampf mobilisiert worden, dass im Blick auf Geschlechterfragen kaum mehr Raum ist für eine Mittelposition“ (2016, 1; Übersetzung aus dem Englischen: H. S.).