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Erster Teil
Ein Rebell kehrt zurück Grenada, Karibik, September 1817 1
ОглавлениеWasser spritzte auf. Alarmiert spähte Corporal Lewis Dexter hinab in den Hafen von St. George’s, der tief unter ihm am Fuß der Festung lag. Auf dem schwarzen Wasser tanzten Lichtflecken von Schiffslaternen und Kaifackeln. Seine Wache hatte gerade begonnen, und seine Augen mußten sich an das mondlose Dunkel gewöhnen.
»Immer ruhig, Junge«, ertönte hinter ihm der brummende Baß von Lieutenant Brimwell, »is’ nur ’n Beiboot der Concordia, das sie zu Wasser lassen. Schätze, die Königliche Marine wird sich heute nacht wieder heftig amüsieren, da unten. Seit dieser hochmütige Korse besiegt is’, finden sie kein Ende mit’m Feiern. Napoleon is’ erledigt, es leben der Rum und die Weiber.«
Mit seiner Muskete deutete er auf die schlafende Stadt, die sich an den Festungsfelsen schmiegte. Jetzt drangen die Geräusche von Ruderern zu ihnen herüber, die heiseren Befehle des Steuermanns und der dumpfe Schlag der Riemen, die in gleichmäßigem Takt das Wasser durchpflügten.
Am Kai versammelten sich eifrige Handlanger, die wie aus dem Nichts aus den Schatten der Häuser aufgetaucht waren. Ihre Lockrufe klangen zu den Ruderern und hinauf zur Festung. Im kehligen Singsang des Kreol warben sie für ihre Rumbuden in den winkligen Gassen und für ihre petits dames, die schwarzen, verführerischen Schönheiten der Nacht.
»War’ auch lieber da unten, all’ unsere feinen Offiziere sind dabei«, knurrte Brimwell und spuckte einen gelben Strahl Tabaksaft über die Brüstung des Bollwerks. »Aber ob Frieden oder nicht, unsereins muß Wache schieben. Verfluchte Langeweile!«
Lewis Dexter entspannte sich ein wenig, doch unter dem rauhen Kragen seiner roten Uniformjacke sammelte sich in Rinnsalen der Schweiß. Noch immer hatte sich der Junge aus dem rauhen Schottland nicht an die Schwüle der Tropen gewöhnt. Die üppigen Gerüche von Orchideen und Muskatbäumen legten sich wie lähmender Mehltau auf seine Atemwege und machten ihn schwindlig. Das Paradies war für ihn die Hölle, erfüllt mit bedrohlichen Geräuschen wie dem hohen Pfeifen der Fledermäuse oder dem Gezirp von Zikaden.
»Steh bequem, Junge«, forderte ihn Brimwell auf und hockte sich selbst auf eine leere Munitionskiste, die er eigens zu diesem Zweck neben der Geschützpforte postiert hatte.
»Wie wär’s mit ’nem Spielchen, Euer Lordschaft?« wandte er sich nun, mit leichtem Spott, an einen zweiten Wachsoldaten, einen hochgewachsenen, jungen Mann von siebenundzwanzig Jahren mit dem Gebaren eines Gentleman und den verwegenen Zügen eines Hasardeurs, der lässig an der Brüstung lehnte und in den Hof der Festung starrte.
»Danke, heute nicht, Sir«, gab der Mann in der roten Uniform eines Majors gelangweilt zurück, »der Einsatz lohnt nicht, oder haben Sie Ihren Sold inzwischen erhalten?«
Brimwell spuckte wieder aus. »Dumme Frage, ’türlich nicht. Die Staatskassen sind leer wie immer. Bonaparte hat unseren König den letzten Hemdenknopf gekostet, heißt es. Wer in der Armee auf seinen Sold hofft, ist ein Träumer. Für ’ne Lordschaft sind Sie ganz schön klamm, Major Ton Elliott. Dabei hat Ihr Vater doch die Taschen voll, hä?«
»Wir stehen uns nicht sehr nah«, antwortete der Angesprochene steif, doch seine Miene verriet kalte Wut.
In versöhnlichem Ton fuhr Brimwell fort. »Schon gut, bin auch pleite. Hach, das waren noch andere Zeiten, als wir damals sechsundneunzig die Aufständischen hier ausgehoben und die Plantagen zurückerobert haben. Da sprang was bei raus. Drei Sklaven Preisgeld für ’nen toten Rebellen, eine Viertelquadratmeile Land für jedes gesäuberte Zuckerrohrfeld. Meiner Seel’, hab’ selbst ein Dutzend Nigger und fast ’ne Meile Land damals bekommen. Tja, fast war ich ein gemachter Mann.«
»Der Tod ist ein einträglicheres Geschäft als das Kartenspiel, nicht wahr?« bemerkte der Lord mit einem spöttischen Funkeln in seinen dunklen Augen.
»Wohl wahr, wohl wahr. Ein Lob auf sauberes Kriegshandwerk, sag’ ich immer. Hab’ damals alles wieder verloren, was mein Glück hätte sein sollen. Aber davon können wir beide ein Lied singen, oder, Sir Elliott?«
Der Lord schnaubte nur verächtlich, doch Brimwell reagierte gereizt.
»So dumm, um einen Marschbefehl zu spielen, bin ich freilich nicht, M’lord«, bemerkte er spitz. »Die Armee is’ auch so gefräßig genug. Ein Krake mit hundert Armen, stimmt’s, Dexter? Dich haben sie mit ’nem ordentlichen Whiskeyrausch zum Dienst gepreßt, oder?«
Der junge Corporal blickte kurz über seine Schulter und nickte mit reumütigem Blick. »Haben mir ’nen Halfpenny in den letzten Krug gelegt, ich hab’s nich’ gemerkt und ihn geschluckt, damit stand ich im Sold. Der Halfpenny is’ bis heut nich’ mehr aufgetaucht.«
Brimwell lachte dröhnend, aber nicht ohne Mitgefühlt.
»Tja, Junge, so machen sie das, nicht gerade die feine englische Art. Aber nu’ denk dir mal, unser feiner Lord hier hat seinen roten Rock bei ’ner Wette gewonnen. Lebt wie’n Gentleman im feinsten London und spielt mit ’nem Freund darum, wer am nächsten Morgen in ’ner Hängematte eines stinkenden Batteriedecks mit Kurs auf die Karibik aufwachen soll. Einfach so, aus ’ner Laune heraus. Hab’ meiner Lebtag noch nicht so ’nen Blödsinn gehört. Macht mich richtig wütend, wenn einer sein Leben so wegwirft …«
Der junge Lord Elliott drehte sich um und hob halb ärgerlich, halb amüsiert eine Braue. »Sein Leben wegwirft? Und das aus dem Mund eines überzeugten Soldaten, der bei der Armee beinahe zu unermeßlichem Vermögen gekommen wäre? Lieutenant Brimwell, ich muß mich wundern, das klingt ein wenig nach Insubordination.«
»Insub … was? Weiß nicht, was Sie damit meinen, aber eins is’ klar: Ich hab’ mit Seiner Majestät mehr als einmal mein Leben riskiert. Mehr als einmal.«
»Sie Glücklicher«, seufzte der Major, »das einzige, was mich hier in Lebensgefahr bringt, ist die tödliche Langeweile.«
»Ah ja, ihr beide wißt eben nicht, was ein echtes Gefecht is’, wenn Pulverschwaden und Schwefeldampf dir die Lunge verbrennen und dir Kugeln um die Ohren zischen wie ein Schwärm verfluchter Stechmücken.«
Tom Elliott verdrehte die Augen zum nächtlichen Himmel. »Ersparen Sie mir das. Mein in Gelddingen zurückhaltender Vater hat mich halb zu Tode gequält mit seinen Erinnerungen an die Rebellion von Grenada. Er war damals dabei. Machte eine Inspektionsreise zu seinen Plantagen. Kannten Sie ihn, Brimwell?«
»Elliott? Elliott? Ach ja, einer von den Pflanzern, die sich der Bürgerwehr anschlossen. Kerls in piekfeinen Klamotten, hatten Angst, ’ne Kugel könnte ’n Loch reinbrennen.«
Der junge Lord lächelte amüsiert.
»Na ja, nix für ungut. Aber gegen Fedon und seine Rebellen waren sie machtlos. Eine Bestie sag’ ich, gefährlicher als eine Korbnatter und cleverer als jede Raubkatze. Ging nicht mit rechten Dingen zu, seine Rebellion. Damals 1976. Man sagt, er gehört zu einer geheimen Bruderschaft. Besitzen ’nen heiligen Stein, der sie unverwundbar macht. Schwarze Magie und so. Fedon kann sich in den loup-garou verwandeln und dir das Herz mit einem Tatzenschlag aus der Brust holen. Ein schwarzer Teufel, sag’ ich.«
Elliott lächelte breit, legte seine Ellbogen auf die Brüstung und musterte den Veteranen, der seine Kriegserlebnisse aufwärmte, mit leichtem Spott. Von unten erklang das perlende Lachen einer Kokotte herauf, so als teile sie seine Belustigung. Brimwell bemerkte es und fuhr mit gesteigertem Eifer fort.
»Ich übertreib’ nicht. Ein Jahr hat Fedon fast die ganze Insel beherrscht, bis rauf nach Sauteurs. Selbst mit unseren dicksten Kanonen, den besten Truppen und den blutrünstigsten Söldnern war dem nicht beizukommen. Muß an dem Stein liegen. Teufelskram.«
Brimwell bekreuzigte sich, wobei er die abgeschabten Goldknöpfe seiner Jacke berührte. Lewis Dexter zuckte zusammen. Er kannte die Legende vom schwarzen Stein. Jeder Weiße, der seinen Fuß je auf karibischen Boden gesetzt hatte, wußte von dem magischen Saphir und der geheimnisvollen Bruderschaft, die mit ihrer grausamen Magie alle schottischen Spukgestalten zu übertreffen schien. Die sanfte, von Spott durchtränkte Stimme Elliotts beruhigte Dexters gereizte Nerven.
»Sie waren zu lange in den Tropen, Brimwell«, sagte er. »Werwölfe, magische Steine, geheime Bruderschaften – das ist Altweibergeschwätz von den Märkten. Mein Vater sagt, Fedon war nicht mehr als ein verwegener, gallischer Mulatte. Halb Franzose, halb Neger, wütend über die Vorherrschaft der Briten und ihre Vorurteile gegen Pflanzer mit schwarzem Blut. Fedon war ein williges Werkzeug für die Spione der Französischen Revolution, die Verbündete in den britischen Kolonien suchten. Revolution. Egalité, liberté, fraternité, pah. Wir wissen, wo das endete. Bei Napoleon, einem gierigen Despoten. Und viel mehr wäre auch aus Fedon nicht geworden, hätte er Grenada erobert. Das Wort von der Freiheit meint meist nicht mehr, als die Freiheit zur vollkommenen Ausbeutung anderer. Der Mensch ist des Menschen Wolf, nicht sein Hirte.«
Brimwell kratzte seinen Schädel, schaute aber befriedigt drein wegen der ausführlichen Rede, mit der Elliott seine Ausführungen über die Rebellion beantwortet hatte. Seine Lordschaft nahm ihn ernst.
»Is’ mir zu hoch, M’lord, das mit, wie hieß es, égalité und der Freiheit und so«, brummte er, »aber das mit ’nem Wolf, das stimmt. Wie ich sagte, ein loup-garou. Man hat Fedon nie gefunden.
Selbst Lowensteins Gebirgsjäger, die jeden Winkel und jeden Grat nach Rebellennestern durchkämmt haben, kamen ohne seinen Kopf zurück. Nix als abgerissene Mohrenköpfe hatten sie im Gepäck, der ganze Markt stank damals nach Verwesung und Heidenpack, so viele von den Barbaren haben sie da aufgespießt, aber nie Fedon.«
Dexter schüttelte sich beim Gedanken an die abgetrennten Köpfe. »Fragt sich, wer die Heiden und Barbaren waren«, murmelte Elliott sarkastisch, doch Brimwell ließ sich nicht beirren.
»Und seit Ende der Rebellion vor zwanzig Jahren sind noch jede Menge unerklärliche Sachen passiert. Ich sag’ es, der lebt noch. Genau wie diese Bruderschaft. Und wenn nicht, dann ist es sein Geist, der überall Speicher und Pulvermagazine anzündet und das Vieh vergiftet. Denkt nur an die aufgeblähten Maulesel …«
»Still«, kam es scharf und plötzlich wie ein Peitschenknall von Elliott. In Sekundenschnelle hatte er seine gelassene Haltung aufgegeben. Mit hart gespanntem Rücken und zusammengekniffenen _Augen spähte er die Schanze des Kastells hinab. Gleichzeitig brachte er den Hahn seiner Muskete in Sicherheitsrast, öffnete, ohne hinzusehen, sein Pulverhorn am Koppel und schüttete Schwarzpulver in den Lauf. Geschickt löste er den Ladestock von seiner Waffe, griff sich eine mit Leinen umwickelte Kugel aus seiner Patronentasche und stopfte sie in den Lauf. Seine Fingerfertigkeit verriet den geübten Waffengänger.
Dexter tat es ihm aufgeregt nach, seine Hände umklammerten zitternd die Muskete, und er verschüttete reichlich Pulver bei dem Versuch, die richtige Menge für die Pulverpfanne abzumessen. Gleichzeitig schlossen beide Soldaten den Pfannendeckel und setzten die Hähne auf Schußposition.
Keuchend und stoßweise kam Dexters Atem, als aus dem Geäst eines am Hang stehenden Muskatbaumes ein Braunpelikan mit knatternden Flügeln aufstieß.
Brimwell lachte, schüttelte seinen Kopf und öffnete ein frisches Päckchen Kautabak. Herzhaft biß er einen frischen Batzen ab.
»Wollt’ wohl Jagd machen, M’lord, das sind zähe Viecher, hab’ sie oft genug probiert.«
»Da, da, da war noch was anderes«, stotterte Dexter.
»Ach was, hier gibt’s nix zu holen außer ein paar lästigen Gefangenen, regt euch ab«, murmelte Brimwell, begleitet von heftigen Kaugeräuschen. Unten im Hof schlug ein Hund an. Tom Elliott wirbelte herum und legte die Muskete an, als ihn ein Stöhnen Brimwells ablenkte. Der vierschrötige Mann griff sich an seine Kehle und bemühte sich würgend, den Kautabak auszuspeien; sein Gesicht verfärbte sich in ungesundem Blauton. Er röchelte und formte mit den Lippen mühsam das Wort Gift.
Bevor Dexter oder Elliott ihm zu Hilfe eilen konnten, riß eine gewaltige Explosion sie zurück und warf sie mit den Rücken gegen die steinerne Brüstung. Mit weit aufgerissenen Augen verfolgten sie einen gewaltigen Feuerball, der aus dem Pulvermagazin des Forts emporstieg, begleitet von einer mächtigen Wolke und einem Regen aus zerborstenen Balken und auffliegenden Faßteilen, die mit Funkenschwänzen niedergingen. Beißender Rauch hüllte sie ein, Balken flogen krachend und brennend zu Boden. Geschrei erhob sich im Hof und mischte sich mit dem grölenden, triumphierenden Gelächter der Eingekerkerten zu einem infernalischen Lärm.
Im Nebel auf der Geschützgalerie wurden tappende Schritte eines Barfüßigen hörbar. Major Elliott rappelte sich hoch, die Muskete im Anschlag, das Bajonett aufgepflanzt. Kurz lichtete sich der Rauch, und im Schein einer Laterne erkannte er das wilde Gesicht eines Farbigen.
Kein Wunder, daß man ihn einen Wolf nannte. Er besaß die wilde Schönheit einer Bestie. Seine schmalen Augen leuchteten gelb und katzengleich, die Lippen seines vollen Mundes waren aufgeworfen und erinnerten an den Fang eines Raubtieres. Das ganze Gesicht war von einer grauschwarzen, wirren Mähne umrahmt. Genauso plötzlich wie es aufgetaucht war, verschwand es wieder. Elliott vernahm nur das kurze Stöhnen von Dexter.
»Verflucht«, murmelte Tom Elliott heiser und stieß mit seinem Bajonett in den Nebel hinein. Mit einem eisernen Griff wurde es abgefangen und Elliott zu Boden gezogen. Einen Moment später spürte er einen dumpfen Schlag auf seiner linken Schläfe, danach nichts mehr. Tiefe Dunkelheit umhüllte ihn.