Читать книгу Der Sklavenkönig - Hannes Wertheim - Страница 7

3

Оглавление

»Seid bereit für den Tanz im Rachen des Löwen. Magie noire, mes amis.« Fedons Stimme klang übermütig, sein Zorn schien verraucht. Am Nachthimmel standen die Sterne dicht wie Blüten, vor ihnen flackerte ein Feuer, das sich von Holz und – wie Elliott angewidert feststellte – den Überresten menschlicher Knochen nährte.

Man hatte ihn und Phileas noch tiefer in den Dschungel geführt und ihnen eine kurze Rast bei verbundenen Augen gestattet. Sie waren erschöpft in einen fiebrigen, traumlosen Schlaf gefallen. Erst das scharfe Rasseln einer Kalebasse, die mit Samenkörnern gefüllt und einem Netz aus den Wirbeln eines Schlangenrückgrats bedeckt war, hatte sie geweckt. Um sie herum hatten sich lautlos Männer und Frauen in weißen, parfümierten Baumwollgewändern versammelt. Sie gehörten nicht zum Lager Fedons.

Die ernsten, dunklen Gesichter waren mit geheimnisvollen Zeichen geschmückt, die im Schein der Flammen plastisch wie Narben hervorsprangen. Einige von ihnen hatten kleine Trommeln in ihrem Schoß. Auf ein Zeichen Fedons begannen sie, einen Rhythmus zu schlagen, der wie das Heranrollen eines Donners klang. Die hohe, fast schrille Stimme einer Frau durchschnitt die Nacht, und gegen die aufsteigende Tonfolge ihrer Anrufung setzten die Trommler eine ununterbrochene Klangbatterie, die so mächtig und eindringlich widerhallte, daß die Wipfel der Palmen im Takt mitschwangen.

»Was für ein erbärmliches Schauspiel soll das werden?« knurrte Elliott ungehalten. »Ich wünschte, er würde uns diesen Maskenball des Todes ersparen und uns sauber abkehlen.«

Phileas starrte mit der ganzen Würde eines vollkommenen Butlers in die Runde und wirkte seltsam deplaziert. Jetzt wandte er sein stilles Gesicht seinem Leidensgenossen zu. »Das ist Obeah, Sir. Der Geheimkult dieser Insel. Sie beschwören die Loa, ihre Geister. Vielleicht haben Sie davon gehört. Auf Haiti nennen sie es Voodoo. Schwarze Magie, verstehen Sie?«

Der Major schnaubte. »Egal, wie sie es nennen, ich würde gern auf eine mir bekannte Weise und ohne unnötiges Zeremoniell sterben. Ich hasse es, wenn man sich meinethalben zuviel Umstände macht.«

Eine Frau in weißem Gewand erhob sich nun und begann einen Tanz von zuckenden Schultern, Armen und Beinen. Es war kein anmutiges Ritual schöner Posen, sondern ein wildes Sichhingeben an die Mächte der Natur.

»Es ist nicht gesagt, daß das Ritual mit unserem Tod endet«, bemerkte Phileas unbeeindruckt, »und bei allen christlichen Heiligen, ich glaube nicht, daß Fedon noch ein ernsthafter Anhänger des Obeah ist. Er ist ganz einfach ein Scharlatan und Leuteverführer.«

Der Verführer trat nun aus dem Schein des Feuers. Er wirkte selbstsicher wie ein Mann, der einen Blitz in der Tasche zu tragen vermochte. Major Elliott fand ihn wider Willen beeindruckend. Er respektierte einen gewitzten Spieler, und der alte Rebell spielte hoch, darüber hatte er keinen Zweifel. Die Trommeln verstummten. Fedons Worte fielen wie Funken in die Nacht.

»Was Sie hier sehen, mes amis, ist nur ein Vorgeschmack auf das, was Sie erwartet. Obeah ist die kleine Schwester der grande dame noire, des Voodoo. Aber sie ist nicht zu unterschätzen. Ich werde es Ihnen beweisen. Mambo«, mit diesem Wort wandte er sich an die Sängerin, »rufe Legba, Le grand Legba.«

Fragend blickte Tom Elliott zu Phileas hinüber, auf dessen Wangen die Flammen einen gespenstischen Tanz vollführten. Ohne den Blick des Majors zu erwidern, erklärte der alte Mann: »Legba ist der Gott der Wegkreuzungen, der alle Sphären miteinander verbindet. Die Diener der Loa glauben, daß er Zugang zum Reich der Toten hat.«

»Und was, zum Teufel, soll das bedeuten?«

Phileas wandte dem Major sein Gesicht nun voll zu. Ein müdes Lächeln umspielte seinen Mund. »Es bedeutet, daß gleich der Herr der Toten zu uns sprechen wird.«

»Könnte mir einen unterhaltsameren Gesprächspartner vorstellen«, bemerkte der Major mit einem Anflug seines gewohnten Sarkasmus.

Die Mambo, Priesterin der anwesenden Gemeinde, schüttete nun Schwefelpulver in die Flammen, so daß Funken mit beißenden Rauchschwänzen in alle Richtungen schössen. Dann öffnete sie ein ledernes Säckchen und schüttete etwas Maismehl auf die Erde, aus dem sie mit ihren Fingern ein Muster formte. Die Gemeinde verfolgte ihre Handlungen gebannt und mit heiliger Stille. Nichts als die Geräusche des Dschungels begleiteten das Ritual.

»Sie legt das Vévé«, erklärte flüsternd Phileas, »das Zeichen des Gottes.«

»Hoffentlich kann der Gott lesen«, höhnte Elliott.

Die Mambo brachte ihn mit einem kalten Blick zum Schweigen. Wieder setzten die Trommeln ein. Es ertönte ein durchdringendes Stakkato, dann wieder das anschwellende Rollen eines Donners, so mächtig, als ob die Erde in ihrem Innersten zerrissen würde. Tänzerinnen erhoben sich, bewegten Arme und Beine in immer gleicher Abfolge. Sie hatten kaum zehn Minuten getanzt, als es passierte: Die Leittrommel hielt plötzlich inne, brach aus dem festen Rhythmus der anderen Trommeln aus und war dann auf einmal wieder da mit einem scharf synkopierten, zerklüfteten Kontrapunkt. Die Wirkung war qualvolle Leere, reißender Schmerz.

Tom Elliott spürte diesen Schmerz beinahe körperlich und blickte zu Phileas herüber. Der hatte die Augen geschlossen, seine Mundwinkel zuckten. Er wirkte plötzlich seltsam verletzbar. »Sie beginnen zu begreifen, nicht wahr? Sie spüren die Macht«, murmelte er fast unhörbar in Elliotts Richtung.

In diesem Moment erstarrte eine der Tänzerinnen. Die Leittrommel dröhnte erbarmungslos mit tiefen, wuchtigen Schlägen, die direkt in das Rückgrat der Frau zu treffen schienen. Bei jedem Schlag krümmte sie sich zusammen. Von Krämpfen getrieben, begann sie eine Pirouette zu drehen, aus der sie bald wieder ausbrach, um zum Feuer zu stürzen, wobei sie stolperte, hinfiel, mit den Händen um sich griff, als suche sie nach Hilfe.

Die Trommel trieb sie erbarmungslos weiter. Und unter den dröhnenden Klängen traf schließlich der Geist ein. Die rasende Frau beruhigte sich, mit friedlichem, entrücktem Blick wandte sie ihr Gesicht dem Himmel zu.

»Der göttliche Reiter hat sie auf sein Pferd gezogen«, flüsterte – nicht ohne Ehrfurcht – Phileas.

»Wie?« fragte Elliott.

»Der Loa ist gekommen. Der Geist hat sie in Besitz genommen, Sie werden es sehen, Sir.«

Bevor der Major weitere Fragen stellen konnte, griff die Besessene nun mit ruhiger Hand in die Flammen. Ohne zurückzuzucken oder Zeichen des Schmerzes zu zeigen, griff sie ein zu Kohle verbranntes Scheit. Ihre Haut zeigte keine Veränderung, als sie das rotglühende Holzstück zu ihrem Mund führte und es ganz darin aufnahm.

»Sie ist eine Dienerin Ingmales, sie schluckt den schwarzen Saphir«, murmelte Phileas voll Ehrfurcht.

»Es ist glühende Holzkohle. Das ist, das ist ganz und gar unmöglich. Ihr Mund verbrennt!« rief der Major entsetzt.

»Non, nicht unmöglich. Nicht sie schluckt das Holz. Das ist der Loa, er spürt keinen Schmerz. Er ist unverwundbar«, zischte neben ihm – mit unverhohlenem Triumph – Fedon. Elliott hatte sein Kommen nicht bemerkt. »Und du, Bruder Phileas, höre gut zu, was Legba zu berichten weiß über deinen toten Herrn, meine Schwester und ihrer beider Kind, das fern von hier geboren wurde und das du verraten hast. Das Kind Vivian Kellynch. Es lebt und ist längst eine junge Frau geworden.«

Der schwarze Diener zuckte bei der Erwähnung der Namen zusammen wie unter einem Peitschenhieb. Dann streckte er seinen Kopf weit vor, lauernd wie ein Jaguar im Baumwipfel, der am Fuß des Stammes seine Beute entdeckt hat.

Mit fremder Stimme und durchsetzt mit geheimnisvollen Worten, die Elliott nicht verstand, sagte das Mädchen: »Gebt mir meinen Trank, Mgune agba.« Die Mambo trat vor und verneigte sich respektvoll, während sie der Besessenen einen Tonkrug reichte. Die junge Frau trank, ihre Augen rollten nach hinten, das Weiß der Äpfel leuchtete in der Dunkelheit wie polierter Marmor. Nie zuvor hatte Elliott etwas so Schreckliches und gleichzeitig Ergreifendes erlebt.

»Victoire, die schwarze Dienerin Uleles, ist verflucht, weil sie den schwarzen Saphir verriet«, stieß die Besessene hervor. »Ihr Geliebter Broderick ist zweimal durch die Erde gegangen und zurückgekehrt. Un corps cadavre. Baron Samedi, der Tod, streckt die Hand nach beider Tochter aus, weil sie nach ihren Eltern sucht. Vivienne steht an der Schwelle des Todes. Mange moun. Mange moun. Mange moun.«

Ihre Stimme brach ab, das Mädchen sank erschöpft zu Boden, alles Leben schien aus ihr zu weichen, schlaff hingen ihre Arme herab. Die Trommeln setzten wieder ein. Der Geist war verschwunden.

Major Elliott schüttelte sich, als säße ihm ein drückender Alp auf der Brust. Fedon grinste wie ein Whistspieler, der gerade seinen sechsten Rubber heimgebracht hatte. Seine Siegesgewißheit forderte Elliott heraus.

»Nun?« fragte Fedon.

»Die Royal opera ist nichts dagegen. Schöne Inszenierung Fedon«, erwiderte der Major lakonisch und wandte sich zu seinem Mitgefangenen um, auf dessen Skepsis er hoffte. Der aber hatte all seine distanzierte Würde abgelegt. Mit wildem Gesicht wiederholte er immer wieder nur einen Satz: »Sie leben. Mein Gott, sie leben. O Herr, ich danke Dir.«

»Von wem spricht er?« fragte Major Elliott verwirrt. »Oder wird er auch von einem Geist heimgesucht?«

»Vom Geist der Vergangenheit, mon ami. Vom Geist der Vergangenheit. Er klebt daran wie eine Napfschnecke, mein schwarzer Bruder mit der weißen Seele.«

Phileas faßte sich nun. Mit einem Satz war er bei Fedon und packte ihn aufgeregt an den Aufschlägen seines Hemdes. »Wo sind sie? Wo sind sie? Wo ist Sir Kellynch, wo ist Madam Victoire? Das Kind? Das Kind? Wo ist es? Sagen Sie es mir.«

Fedon wollte sich aus dem Klammergriff befreien, doch Phileas hielt ihn mit ungewöhnlicher Kraft fest. Der Rebell entspannte sich und schaute dem Schwarzen nicht ohne Freundlichkeit ins aufgeregte Gesicht.

»Du siehst also, daß ich kein Mörder bin, n’est-ce-pas? Ich bin allerdings auch kein Hellseher. Was Victoire, meine Schwester betrifft, weiß ich nichts. Was ihren Verführer, deinen geliebten Herrn angeht, so habe ich eine gewisse Ahnung. Un corps cadavre ist, wie du weißt, eine sehr häßliche Sache. Er ist nicht tot, aber er lebt auch nicht. Aber eins weiß ich genau. Ihre Tochter, meine Nichte, Mademoiselle Vivian Kellynch, lebt in England. Allerdings, wie der Loa sagte, an der Schwelle des Todes. Es wird Zeit, daß wir sie dort abholen.«

Phileas ließ die Hemdaufschläge des Mannes fahren. »England«, murmelte er.

Elliott glaubte Tränen in seinen Augen zu erkennen. Da er für sich selbst keinen Grund zur Rührung erkannte und das Gerede Fedons für wirr hielt, verlegte er sich auf nüchterne Fragen.

»Was, Monsieur Fedon, hat dieses ganze Spektakel hier mit unserer Entführung zu schaffen? Zum Teufel, wenn Sie uns nicht töten wollen, dann spannen Sie uns auch nicht länger auf die Folter!«

»Oh pardon, ich vergaß, Sie sind ein fischblütiger Brite, dem alle Leidenschaften fremd sind.«

Im Hintergrund wurden die Trommeln wieder laut, diesmal spielten sie zum Tanz auf. Erzürnt erhob der Major seine Stimme gegen den dröhnenden Lärm.

»Das sind sie keineswegs, Sir. Ich versichere Ihnen, daß ich eine große Leidenschaft dafür hege, zu überleben. Was also haben Sie mit uns vor?«

»Zunächst nicht viel. Seulement, un petit excursion.«

»Einen Ausflug? Wohin? Wozu?«

Phileas hatte sich wieder beruhigt und richtete sich auf, sein Gesicht war klar und ruhig. »Nach Haiti«, sagte er entschlossen, »wir müssen zunächst nach Haiti.« Im Hintergrund begannen die Schwarzen zu tanzen, einen frenetischen, jubelnden Tanz. Phileas schloß sich ihnen an. Er tanzte mit seinem Schatten.

»Exactement«, Fedon nickte mit Blick auf den Diener. »Nach Haiti, der schwarzen Insel, dem zweiten Herzen Afrikas. Ein Besuch bei Maman Ulele. Nur sie und die Männer der Bruderschaft können Broderick Kellynch zu einem Zombie gemacht haben, einem corps cadavre. Vielleicht wissen sie auch, wo Victoire, ma sœur, abgeblieben ist.«

Major Elliott runzelte die Stirn. »Es mag Ihre Gastfreundschaft in ungebührlicher Form verletzen, Sir, aber ich habe nicht vor, mich auf eine Reise in das zweite Herz Afrikas zu begeben. Und es liegt mir fern, mich einer mir gänzlich unbekannten Dame namens Madam Ulele aufzudrängen, die blasphemischen Unsinn mit Verstorbenen treibt. Ihre Verwandtschaft interessiert mich nicht, Fedon. Lassen Sie mich gehen.«

Der Rebell zeigte seine Raubtierzähne. »Ah, mon ami. Sie wagen es, mich zu beleidigen und herauszufordern, ohne jeden Trumpf im Ärmel? Sie sind waghalsig. Aber ich schätze Ihren Mut, Sie werden ihn brauchen, bei dem, was vor uns liegt.«

»Uns?« fragte der Major spöttisch und abweisend.

»Oh, ich werde Sie für Ihre Begleitung belohnen. Wie würde Ihnen eine Rückkehr in Ihre scheußliche, kalte Heimat gefallen? Ein vorzeitiges Ende Ihrer unfreiwilligen militärischen Laufbahn. Eh?«

Der Major hob überrascht seine linke Braue.

»Ist das der Preis, den Sie mir versprechen, wenn ich Sie nach Haiti begleite?«

»Bien sûr. Nach Haiti und, wenn wir das überleben, ein wenig weiter, nach Großbritannien. Ich habe Sie entführt, weil ich in England Ihre Hilfe brauche. Sie sind dafür, sozusagen, vom Schicksal bestimmt. Unsere Mission ist, nun, nicht ungefährlich. Ich verspreche Ihnen als Belohnung dafür die vollkommene Freiheit, wieder die Unbilden Ihres feuchten Klimas und das zweifelhafte Vergnügen Ihres entsetzlichen Essens zu genießen. Was sagen Sie?«

»Was verlangen Sie von mir?«

»Nichts als Ihr Ehrenwort als Gentleman, daß Sie mir bedingungslos folgen.«

Mißtrauisch legte der Major seine Stirn in Falten. »Vergessen Sie es. Ich habe nicht vor, mich mit einem Rebellen gemein zu machen, der zudem die englische Krone angegriffen hat. Auch Ihr Hokuspokus hier hat mich nicht eben von der Lauterkeit Ihrer Absichten überzeugt.«

Fedon schüttelte den Kopf und zog eine abgegriffene Zeitung aus der Tasche. »Ah non, das ist kein Hokuspokus. Im Gegenteil, ich bin interessiert an einer Wiederherstellung meines guten Namens und der Wiedervereinigung meiner Familie. Sie haben gehört, wie Phileas mich bezeichnete: Mörder meiner Schwester. C’est scandaleuse

»Sie entdecken Ihre Familienehre recht spät, Fedon«, bemerkte der Major sarkastisch. »Ich glaube nicht, daß Sie dafür soviel riskieren.«

Fedon grinste unverschämt. »Sie haben recht. Es geht um mehr. Meine Schwester war nämlich zufällig die letzte Besitzerin des schwarzen Saphirs, und der ist seit dem Überfall auf die Kellynch-Plantage ebenso verschwunden wie meine Schwester mit dem Kind, das sie damals unter dem Herzen trug.«

»Ein Saphir? Also treibt Sie Gier, sonst nichts. Ich wußte, daß Sie weder ein ehrenwerter Rebell noch ein Magier sind.«

»Wenn Sie den Geistern nicht glauben, dann überzeugt Sie vielleicht das hier.«

Er reichte dem Major die Zeitung. Eine London Times, die vom Juni datiert war. Erstaunt warf der Soldat einen Blick auf das vertraute Druckerzeugnis und auf eine mit Tinte gekennzeichnete Annonce.

»Wo haben Sie das her?«

»Es fiel mir bei einem Plantagenbesuch in die Hände. Ich leihe mir dort nicht nur Rum, sondern auch Lesestoff aus. Die Nächte sind lang im Dschungel, vous comprenez? Lesen Sie.«

Verwirrt überflog der Major den angestrichenen Text. »Was, Monsieur Fedon, soll das nun wieder? Interessieren Sie sich für eine frischgebackene Gouvernante, die eine standesgemäße Erziehung für Kinder aus guter Familie anbietet?«

»Lesen Sie den Namen der Gouvernante. Lesen Sie den ganzen Text laut«, sagte Fedon mit der müden Geduld eines Lehrers.

»Antwort schriftlich an Miss Vivian Kellynch, postlagernd Southwark«, las der Major, stutzte und ließ die Zeitung sinken. »Vivian Kellynch. Das Kind von Mister Broderick und Ihrer Schwester? Die Namensgleichheit könnte ein Zufall sein.«

Fedon schüttelte den Kopf. »Unmöglich. Vivienne war der Name unserer Mutter. Ich bin sicher, daß Victoire ihre Tochter so genannt hat.«

»Dann wissen Sie also aus einer Zeitung, daß zumindest sie lebt und in England ist.«

Fedon nickte anerkennend. »Diese geschätzte englische Publikation ist in diesem Punkt besser informiert als die Loa und die Bruderschaft selbst. Die Anzeige spornte mich an, nach denen zu suchen, die ich für tot und verschollen hielt. Nun, wie steht es damit, einer britischen Gouvernante das Leben zu retten? Eine Jungfrau in Bedrängnis, sie ist kaum neunzehn Jahre alt, und wenn sie meiner Schwester ähnelt, tant mieux. Weckt das nicht die Abenteuerlust eines Gentleman?«

»Was zum Teufel soll ich mit diesem pompösen Unsinn zu schaffen haben?« rief Elliott erzürnt und zerknüllte die Zeitung in seiner Hand. Fedon starrte ihn fest an, wie ein Spieler, der kurz davor ist, einen vernichtenden Trumpf auf den Tisch zu blättern.

»Sie haben die Annonce nicht ganz gelesen, mein Freund. Wenn Sie die Rettung einer bedrängten Jungfrau nicht interessiert, dann vielleicht das Folgende.«

Widerwillig strich Tom Elliott die Zeitung glatt, seine Augen überflogen erneut das Inserat von »Vivian Kellynch, erzogen im philanthropischen Institut von Miss Pratt, Southwark/London, dank ihres Gönners Lord Winston Montgomery Elliott, Earl of Clandenbury.«

»Das ist, das ist …«, stammelte verwirrt der Major.

»Ihr Vater, oui.« Fedon breitete die Arme aus wie ein Schauspieler in Erwartung seines verdienten Beifalls. Elliott rang nach Atem. In diesem Moment verstummten jäh die Trommeln, die Bruderschaft hatte ihre Versammlung beendet. Die Mambo löschte das Feuer. Lautlos wie der Schlag eines Mottenflügels verschwanden die Diener Ingmales im Dschungel.

Fedon war nicht mehr als ein undeutlicher Schatten inmitten der sie umgebenden Finsternis. Phileas schien mit den anderen verschwunden zu sein. Der Major und der Rebell waren allein.

»Fedon, was hat das zu bedeuten. Es ist unmöglich, ich kenne keine Vivian.«

»Müßten Sie das?«

Elliott fuhr sich ungeduldig über die Stirn, Schweißperlen sammelten sich an seinem Haaransatz. »Wer auch immer sie ist, mein Vater neigt nicht zur Philanthropie. Er ist kalt und hart wie ein Feuerstein, er gibt seinen eigenen Kindern kein Geld und würde nie einen Penny für eine unbekannte Waise ausgeben.«

»Sie ist ihm nicht unbekannt. Sie ist das Kind seines besten Freundes.«

»Mein Vater hat längst keine Freunde mehr«, erwiderte der Sohn kalt, »und selbst wenn er Broderick Kellynch kannte und schätzte, warum hat er dessen Tochter dann verborgen gehalten?«

»Je ne sais pas. Interessanter finde ich, daß die junge Dame plötzlich unter Berufung auf seinen Namen inseriert. Mir scheint, ihr Gönner weiß nichts davon. Sie scheint ein neugieriges, kleines Frauenzimmer zu sein. Très curieux und mutig. Liegt in der Familie. Aber Neugier kann gefährlich sein. Lebensgefährlich.«

»Verflucht, Fedon«, unterbrach ihn der am Rande seiner Beherrschung angelangte junge Lord Elliott »Erzählen Sie mir endlich die ganze Wahrheit. Was steckt dahinter?« Die Stimme des jungen Mannes zerschnitt schrill die weiche Melodie des Dschungels.

»Un grand mystère, mon ami.# Ich selbst verstehe es nur zum Teil. Sie sollen mir helfen, das Geheimnis aufzuklären, das mit einer amour dangereuse begann. Einer Liebe zwischen Weiß und Schwarz. Einer Liebe, die schon in ihrer ersten Blüte den Geruch des Todes in sich trug, die den Zorn der Weißen erregte und über der der Fluch der Bruderschaft Ingmales lag.«

»Was für ein Poet Sie sind, Fedon«, entgegnete der Major ungehalten, »ich hätte nicht gedacht, daß Sie zu so einer Liebe fähig wären.«

»Nicht ich«, sagte Fedon kopfschüttelnd und mit angewiderter Miene, »meine Schwester Victoire, diese verdammte Närrin. Sie hat uns alle ins Unglück gestürzt. Sie hat den schwarzen Saphir und die Bruderschaft verraten, als sie den weißen Broderick heiratete. Aber ich, Fedon, werde den Stein wiederfinden und Macandals Kampf zu Ende führen.« Alter Zorn schwang in seiner Stimme mit, er erhob sich und verschwand wortlos in der Dunkelheit.

Der Sklavenkönig

Подняться наверх