Читать книгу Todesgrüße aus der Reha - Hannes Wildecker - Страница 10

Kapitel 2

Оглавление

Dienstag, 06.15 Uhr

Das Leben in der Hunsrück-Reha-Klinik erwachte auf einen Schlag. Die hauseigenen Reinigungskräfte schoben ihre vollbeladenen Putzwagen in die einzelnen Etagen und von dort aus in die Flure, für die sie jeweils eingeteilt waren und begannen mit ihren Arbeiten.

Dass auch bereits viele der Patienten, die aufgrund der verschiedensten Ursachen, wie Schmerzen oder Schlaflosigkeit, mit Gehhilfen oder Rollatoren ihre Wege kreuzten, stimmte sie nicht unbedingt freundlich. Ihre größte Sorge bestand nämlich darin, dass einer der Frühaufsteher auf dem gerade gereinigten Fußboden zu Fall käme und die Vorwürfe an ihnen hängenbleiben würden, obwohl sie die Nahenden schon von Weitem lautstark auf die Gefahr hinwiesen.

So waren bereits am frühen Morgen, gegen fünf Uhr, die Flure und die Ruhebereiche mit ihren schweren, nicht unbedingt gemütlichen Sesseln zum Teil besetzt. Hier wartete man auf das Öffnen der Speisesäle, um endlich das ersehnte Frühstück einnehmen zu können.

Auch in der untersten Etage der Einrichtung, des eigentlichen Therapie-Zentrums, hatte die Reinigungskolonne ihre Arbeiten in den langen Gängen begonnen und säuberte, langsam, aber stetig, die Bodenreiniger vor sich herschiebend, Flure und Räume, bevor diese von den Therapeuten wieder in Gebrauch genommen wurden.

Doch die morgendliche Idylle fand ein jähes Ende.

Ein spitzer Schrei durchbrach das doch eher ruhige Arbeitstreiben. Er kam aus Richtung des medizinischen Kraftraumes, dessen Beleuchtung von der dort arbeitenden Reinemachefrau inzwischen eingeschaltet worden war. Im Vordergrund des grellen Lichtes sah man nun auch die weibliche, in einen roten Arbeitskittel gekleidete rundliche Person, die Hände über dem Kopf schwenkend, den Kraftraum in aller Eile verlassend.

„Was ist los, Smile?“, rief ihr eine korpulente Kollegin entgegen, offensichtlicher polnischer Abstammung wie die Angesprochene. „Hast du gesehen Teufel?“ Sie setzte zu einem Lacher an, doch irgendwie blieb ihr der sogleich im Hals stecken, als Smile weiter mit den Armen ruderte und hinter sich in den Raum wies.

„Blut!“, schrie Smile. „Viele Blut, Milena. Ist was passiert!“

„Hast du jemanden gesehen? Toter Mann oder so?“, rief Milena zurück. Es sollte wie ein Scherz klingen. Die Aussage, dass es Blut in dem Raum gebe, brachte sie nicht allzu sehr aus der Fassung. Vielleicht hatte sich jemand am Vorabend verletzt und man hatte es wieder einmal ihnen überlassen, die Sauerei am heutigen Morgen zu beseitigen.

„Nein, nein!“, rief Smile zurück. „Viel Blut! Ich viel Angst!“

„Ach Smile, du Angstkatze. Warte, ich komme. Wir werden zusammen sehen, was ist los.“

Milena schob den Reinigungswagen zur Seite, denn inzwischen kämpften sich die ersten Patienten mit ihren Gehhilfen durch die Gänge, um sich die Zeit bis zum Frühstück oder der ersten Behandlung an diesem Tag zu vertreiben.

Sie stieg die wenigen Stufen bis zur unteren Ebene des Traktes hinunter und betrat den Kraftraum, dicht gefolgt von Smile, die sich dicht in ihrem Windschatten hielt und leise vor sich hin jammerte.

„Lieber Gott, wenn doch Toter? Will nicht sehen.“ Während dieser Bemerkung versuchte sie krampfhaft, an Milenas linkem Arm vorbeizuschauen, um hoffentlich das zu sehen, was sie eigentlich nicht sehen wollte.

„Jeschus!“ Es war das Einzige, was Milena artikulieren konnte, als sie die von Smile beschriebene Blutlache erreichte. Denn was Smile in ihrer Hektik nicht erkannt hatte, sah Milena sofort.

Sie standen vor einer Kraftmaschine, deren Funktion darin bestand, dass der Patient mit der Kraft der gebeugten Beine einen Schlitten waagerecht vor- und zurückbewegte, während er wie auf einem Stuhl auf diesem Schlitten Platz genommen hatte. Neben der Maschine stand, gegen die Wand gelehnt, eine metallene Hantelstange.

Doch diese Dinge nahmen die beiden Frauen nur am Rande wahr. Der Anblick, der sich ihnen hinter der Kraftmaschine bot, entlockte Smile erneut einen spitzen Schrei, in den Milena reflexartig einstimmte.

„Komm, Smile, weg hier, Polizei muss kommen. Schnell, raus hier!“

Die beiden Frauen liefen, ohne sich noch einmal umzudrehen, zur Eingangstür, wo sie schwer atmend und unbeachtet von den vorüberhinkenden Patienten innehielten und, sich gegenseitig an den Händen haltend, auf einer Wartebank niederließen.

„Was ist denn hier los?“

Die Stimme gehörte einer schlanken Mittvierzigerin mit kurzem Haarschnitt und einer überdimensionalen runden Brille in dem schlanken Gesicht. Sie trug eine modische Sportbekleidung, bestehend aus einer grauen Sporthose und einem grauen, pinkfarben abgesetzten Oberteil, das optisch zu den ebenfalls pinkfarbenen Sportschuhen passte.

Die Frau war offensichtlich ein Mitglied der Therapeutencrew, den das Namensschild über ihrer rechten Brust gab Ausschluss darüber. Steffi Jacobs, Sporttherapeutin, war dort zu lesen und so begründete sich auch die Zielstrebigkeit, mit der sie auf die beiden Reinemachen-Frauen und den therapeutischen Trainingsraum zustrebte.

„Frau Jacobs, dem Herrn sei Dank, dass Sie daherkommen. Da drin …“, Milena zeigte in Richtung des Trainingsraume, „da ist was Schreckliches passiert.“ Als sie den ungläubigen Blick von Steffi Jacobs sah, schob sie leise nach: „alles voll Blut.“

Steffi schüttelte den Kopf zur Bestätigung, dass sie überhaupt nichts verstanden hatte und steuerte, ohne weitere Fragen zu stellen, zielstrebig auf die Tür zum Kraftraum zu. Immerhin war sie selbst unter anderem für das, was tagsüber in diesem Raum geschah, zuständig. Gemeinsam mit weiteren Kolleginnen und Kollegen führte sie die Aufsicht während der Therapiestunden, stand Rede und Antwort, wenn Patienten sie ansprachen und erklärte die Mechanismen der zahlreichen Kraftmaschinen.

Als sie sah, dass die beiden Frauen ihr mit gebeugtem Körper folgen wollten, winkte sie energisch ab. „Niemand außer mir betritt diesen Raum, bis feststeht, was es da drinnen so Ungewöhnliches zu sehen gibt.“

Langsam, in alle Richtungen witternd, durchschritt Steffi Jacobs die Halle und stand schließlich vor der von den Frauen beschriebenen Blutlache. Doch sofort bei ihrem ersten Hinsehen erkannte sie das, was die beiden polnischen Reinigungskräfte ihr nicht mitgeteilt hatten.

Es hatte den Anschein, als hätte jemand seine Perücke verloren. Unter der untersten von etwa zehn aufeinandergestapelten Gewichtsplatten des Gerätes, auf welchem im Sitzen horizontal Kniebeugen durchgeführt wurden, lugte ein blutdurchtränkter Haarschopf hervor.

Steffi spürte, wie ihre Knie weich wurden und sie tastete in ihrer Hosentasche nach ihrem Handy. Mit zitternden Händen wählte sie die Nummer des Rettungsdienstes, obwohl der Anblick ihr zuverlässig sagte, dass jede Hilfe zu spät kommen würde. Kurz erklärte sie dem Gegenüber in der Leitung, womit sie soeben konfrontiert worden war und beendete das Gespräch.

Die Polizei! Sie wählte die 110. „Kommen Sie bitte zu den Hunsrück-Reha-Kliniken. Im Kraftraum der Therapie-Abteilung, im Untergeschoss, ist ein Verbrechen geschehen.“ Sie erklärte kurz, was sie vorgefunden hatte und legte auf.

Dann hörte sie ein leises Geräusch.

Der Tote? Nein, so, wie dessen Kopf aussah ...!

Steffi schickte ich an, den Raum zu verlassen, um ihn bis zum Eintreffen der Polizei zu sichern, da hörte sie es erneut. Es klang wie das Stöhnen eines Menschen.

Oh, Gott, jetzt musste sie doch auf die andere Seite der Kraftmaschine. Ihr Herz begann zu rasen. Ihre Hände zitterten. Doch da musste sie jetzt durch. Eigentlich war sie keine ängstliche Frau. Sie arbeitete nun schon über 25 Jahre in dieser Einrichtung und hatte schon manches gesehen. Zwar war nie ein Toter unter ihren Erlebnissen gewesen, aber …

Woher kam das Stöhnen? Steffi ging langsam und bedächtig zur Rückseite der Maschine und hielt jäh inne. Vor ihr lag ein Mann ausgestreckt, den Kopf, oder was davon übriggeblieben war, als breiige Masse unter dem gesamten Stapel der Gewichte der Kniebeugemaschine.

Dann hörte sie das Stöhnen erneut. Sie drehte sich um und sah eine weitere Person im Halbdunkel auf dem Boden liegen, oder besser gesagt, gegen die Wand gelehnt auf dem Boden sitzend. Sie erkannte sofort, wer dort lag. Einer ihrer Kollegen, der, ebenso wie sie verantwortlich für den Ablauf der Trainingseinheiten war, lag vor ihr auf dem Fußboden.

„Roland?“

Mit zwei Schritten war sie bei ihrem Kollegen, Roland John, und kniete sich vor ihm auf den Boden. John war um einige Jahre älter als sie selbst, aber, was die körperliche Konstitution anging, waren sie beide gut durchtrainiert. Schließlich boten sich in ihrem Arbeitsbereich die besten Möglichkeiten dafür.

„Roland, was ist mit dir? War er … hast du …“ Steffi war mit der Situation so überfordert, dass sie erst jetzt merkte, dass ihr Kollege keine äußeren sichtbaren Verletzungen aufwies. Dennoch schien er irgendetwas abbekommen zu haben. Sein Halsbereich war rot-bläulich verfärbt.

„Bleib so liegen, Roland. Es ist gleich Hilfe da.“

Roland öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch dann griff er sich an den Hals und schüttelte den Kopf. Dann sah er an Steffi vorbei und als er den Toten sah, schüttelte er energisch den Kopf und zeigte mit dem Finger auf seine Brust.

„Du warst das nicht?“ Steffi sah ungläubig auf den Toten, dann wieder auf Roland John. „Ich hoffe, dass die Polizei dir das auch glaubt.“

Todesgrüße aus der Reha

Подняться наверх