Читать книгу Todesgrüße aus der Reha - Hannes Wildecker - Страница 13
Kapitel 5
ОглавлениеDienstag, 08.45.Uhr
Die Türen der Speisesäle der Hunsrück-Reha-Kliniken hatten sich zur Frühstückszeit geöffnet. Diejenigen, die sich ohne Gehstützen und Rollatoren frei bewegen konnten, zog es von der Eingangstür zielstrebig zum reichlich angelegten Frühstücksbuffet. Dort füllten sie ihre Teller, als wäre es ihre Henkersmahlzeit, beobachtet von den Hilfsbedürftigen, die an den Tischen auf die Bedienung durch das Küchenpersonal warteten. Am Ende der Mahlzeit hatten alle das konsumieren können, von dem sie unter Umständen geglaubt hatten, es bleibe nicht mehr für sie übrig und verließen zufrieden die Speisesäle. Das alles änderte jedoch nichts an ihrem Verhalten, wenn sie sich Türe der Säle später dann erneut öffneten.
Kriminalhauptkommissar Overbeck war ebenfalls auf dem Weg zu seinem Tisch. Dabei musste er am Frühstücks-Büffet vorbei, gerade, als sich die Welle der hungrigen Patienten links und rechts an ihm vorüber bewegte. Dass es dazu zu keiner Rempelei kam, verdankte er seinen beiden Gehhilfen, denn damit wurde er nicht als potentieller Konkurrent angesehen.
Overbeck humpelte langsam zu seinem Tisch, der mit einer Nummer versehen war, um ihm täglich ein längeres Suchen zu ersparen.
„Herr Overbeck“, sprach ihn die ihm gegenübersitzende ältere Dame, die sich ihm als Katharina von Freimut vorgestellt hatte, an. Die adlige Dame, die offenbar ihre Herkunft zur Schau tragen wollte, war auch heute Morgen wieder in teure Kleidung gehüllt. Blaue Seidenbluse, blauer Rock, die Haar dauergewellt und natürlich hatte sie Makeup aufgelegt und die gepflegten Fingernägel in einem zarten Rosa lackiert.
„Herr Overbeck“, wiederholte sie aufgeregt, nachdem dieser sich auf seinem Platz niedergelassen hatte, „haben Sie schon gehört? Unten im Keller, hier im Haus, da muss etwas Schlimmes passiert sein.“
Overbeck horchte auf. „Etwas Schlimmes? Wie meinen Sie das?“
„Na ja, die Polizei ist im Haus, und es ist die Rede davon, dass die Leichenbestatter jemanden abtransportiert haben.“
Ein Todesfall? Hier in der Klinik? Overbeck verscheuchte seine aufkommenden kriminalistischen Gedanken. Laut sagte er: „Weiß man was Genaues? Ein Unfall?“
„Hm, da habe ich was Anderes gehört“, sagte die Adlige geheimnisvoll. Wenn doch die Kripo im Haus ist.“
„Kripo? Sie sagten eben Polizei.“
„Ist das nicht dasselbe?“ Die Adlige sah Overbeck fragend und triumphierend zugleich an.
„Nein“, konterte Overbeck. „Eher das Gleiche. Aber egal.“ Er blickte auf die anderen Tischgenossen, die sich über ihr Frühstück hermachten und offensichtlich von dem aktuellen Thema nichts mitbekommen hatten. Er beendete sein Frühstück, nahm einen letzten Schluck aus der Kaffeetasse, griff zu seinen Gehhilfen und erhob sich schwerfällig. Sein rechter Fuß schmerzte bei der kleinsten Anstrengung. Den Bruch des Mittelfußknochens hatte er sich im Training zugezogen -“wo sonst“, würde sein Chef, Peter Krauss jetzt sagen.
Overbeck winkte seinen Tischgenossen flüchtig zu, wobei die Adlige ihm ein großzügiges Nicken schenkte. Er verließ den Speisesaal und fuhr mit dem Aufzug hinab in die unterste Etage zum Therapiezentrum. Kurze Zeit darauf stand der vor der verschlossenen Tür zum Kraftraum. Er war nicht der Einzige, denn viele der Patienten, die momentan laut ihrem Behandlungsplan keine Anwendungen hatten, hatten sich ebenfalls vor dem Raum versammelt und betrachteten ihn von außen, als würde er ihnen Einzelheiten über das Geschehen darin erzählen wollen.
„Ist etwas passiert?“, fragte Overbeck scheinheilig und versuchte aus der Situation heraus etwas zu erkennen, das ihm Aufschluss über die von der Adligen beschriebenen schlimmen Sache geben würde.
„Da ist einer umgebracht worden“, antwortete ein älterer Mann mit weißem Schnäuzer, sich auf seinen Rollator stützend, mit dem Kopf in Richtung der Trainingshalle deutend.
„Nein, nein, zwei Tote hat man da rausgeholt“, beeilte sich ein weiterer Mann zu sagen. Overbeck drehte sich zu ihm um. Der Mann hatte eine wuchtige Figur, Brust und Gesäß waren extrem kräftig ausgeprägt. Der Mann stützte sich nach vorne auf seine beiden Gehhilfen und unwillkürlich musste Overbeck daran denken, dass man solche Patienten auch als „Silberrücken“ bezeichnete, eine gängige Betrachtungsweise in der Klinik. In Gedanken teilte Overbeck diese Ansicht, denn der Mann mit den nach vorne gerichteten Gehhilfen kam ihm tatsächlich wie ein riesiger Gorilla vor, der sich mit seinen langen Armen auf dem Boden abstützte.
„Zwei Tote?“ Overbeck machte ein ungläubiges Gesicht und schon kamen die weiteren Erläuterungen des Mannes, den sich keine Polizei zum Zeugen wünschte. „Ja, zwei Tote, und einen haben sie verhaftet.“
„Einen Toten verhaftet?“ Overbeck spielte den Überraschten.
„Nein, nein, Sie verstehen das falsch. Zwei Tote hat es gegeben und einen Verdächtigen haben sie mitgenommen.“
„Hier hat alles von Polizei gewimmelt“, sagte der Mann mit dem Rollator. „Das ist eine große Sache, Ihr werdet sehen.“
Overbeck schaute sich um und sah in die zustimmend nickenden Gesichter der anderen Herumstehenden. Dann hörte er die Stimme eines jungen, hochaufgeschossenen Mannes mit leichtem Bartansatz, der die Treppen zur Halle hinabstieg:
„Wer Anwendungen hat, kann sich jetzt anmelden.“
Der junge Mann, offensichtlich auch ein Sporttherapeut, öffnete die Tür und ging zu dem Anmeldungsbereich, wo er sich hinter der kleinen Theke auf einen Stuhl fallen ließ. „Eure Behandlungskarten, bitte. Einer nach dem anderen. Die Maschine dort vorne darf vorerst nicht benutzt werden.“ Er zeigte zu einer der Kraftmaschinen, die von Polizei gekennzeichnet war.
Während sich der Kraftraum langsam füllte und die Patienten ihren Kraftmaschinen zugeordnet wurden, sah sich Overbeck in der Halle um. Er brauchte nicht lange zu suchen, denn die Spurensicherung hatte ein Gerät aus dem täglichen Betrieb ausgesondert, indem sie ein Flatterband mit der Aufschrift „Polizei des Saarlandes“ dort angebracht hatte. Ihm fiel sofort die leichte Beschädigung an der Rückenlehne auf und als sein Blick nach unten zu den inzwischen gereinigten und heruntergelassenen Gewichten glitt, sah er ein winziges Büschel Haare, das offensichtlich bei der Reinigung übersehen worden war. Unauffällig zog er ein sauberes Papiertaschentuch ums seiner Hosentasche, bückte sich und wickelte das Büschel darin ein. Er hatte es gerade wieder in seine Hosentasche verstaut, als er eine männliche Stimme hinter sich hörte.
„Was machen Sie hier? Ich sagte doch, dass sich jeder von dieser Maschine fernhalten soll. Sie haben sich noch nicht angemeldet? Darf ich Ihre Karte mal sehen?“
Der junge Mann überragte Overbeck um knapp eine halbe Kopflänge, machte auf ihn aber trotz der forschen Vorgehensweise einen eher sympathischen Eindruck auf ihn. Overbecks Blick fiel auf das Namensschild auf seiner Brust: Robin Küsters - Sporttherapeut. Okay, dann war er der Verantwortliche hier, die richtige Adresse, um vielleicht Einzelheiten zu erfahren.
„Ich bin nicht hier zur Therapie“, begann Overbeck vorsichtig. „Besser gesagt, meine Therapiestunde ist erst gegen Mittag. Ich habe gerade von dem Vorfall gehört und … na ja, ich bin Polizeibeamter und da hat mich der Ort des Geschehens irgendwie angezogen.“
„Sie sind aber kein Saarländer, oder?“
„Nein, nein“, wehrte Overbeck ab. „Ich komme aus Trier.“ Er zeigte mit dem Daumen in die Richtung, in der er die Stadt vermutete. „Rheinland-Pfalz.“
„Dann sind Sie ja auch nicht zuständig hier.“ Der Kopf des jungen Mannes bewegte sich leicht nach oben und gab dem Ganzen eine überlegene Note.
„Nein, natürlich nicht. Sie sehen doch, ich bin Patient wie jeder andere hier im Raum. Aber, was ist denn überhaupt passiert?“
„Darüber kann ich Ihnen leider keine Auskunft geben. Sie können aber gerne Ihre Kollegen von der Saarbrücker Kriminalpolizei fragen, die sind noch hier im Haus. Ich bezweifle allerdings, dass Sie dort Erfolg haben werden. Wegen der Zuständigkeit, meine ich.“ Ein süffisantes Lächeln umspielte die Lippen des Therapeuten.
„Natürlich, die Zuständigkeit.“ Overbeck nickte und wedelte vielsagend mit dem erhobenen Zeigefinger herum.
„Na schön, dann wünsche ich Ihnen alles Gute und wir sehen uns dann am späten Vormittag. So sagten Sie doch?“
„Ja, so sagte ich. Bis dann.“ Overbeck verließ den Raum, hinkend, auf seine Gehhilfen gestützt. Sein Weg führte ihn zum Aufzug und in sein Zimmer in der 3. Etage. Dort angekommen verstaute er das gefundene kleine Haarbüschel in einer der Plastiktüten, die ihn auf all seinen Wegen begleiteten. Dann griff er zum Mobiltelefon und wählte Lenis Anschluss.