Читать книгу Todesgrüße aus der Reha - Hannes Wildecker - Страница 11

Kapitel 3

Оглавление

Dienstag, 08.30 Uhr

Kriminalhauptkommissar Henning Becker vom Saarbrücker Landeskriminalamt, zuständig für die schwere Kriminalität, wie es dort im fachlichen Sprachgebrauch hieß, also unter anderem auch für Tötungsdelikte, stand nachdenklich vor der Leiche im Kraftraum, die er sofort als einen Mann identifiziert hatte. Seine Augen grasten die nähere Umgebung des Tatortes ab, als fehle ihm ein entscheidendes Merkmal in der Auffinde-Situation.

Vor ihm lag ein Toter, dessen Kopf unter eine Hantelscheiben-Masse von rund 140 Kilogramm geraten war. Noch konnte er sich nicht vorstellen, wie diese Masse aus Eisen, die an einem Stahlseil befestigt war, durch Kniebeugen einer Person in sitzender Position angehoben und auf dem Kopf des bisher unbekannten Toten mit vollem Gewicht abgelassen werden konnte. Um die gesamte Masse alleine mit den Beinen zu bewegen, dazu bedurfte es einer Kraft, die hier in dieser Institution wohl niemand würde bewältigen können.

So stand Becker dort, mit der linken Hand sein bartloses Kinn abtastend. Sein dunkler Mantel war vom Regen durchnässt und die schwarze Baskenmütze, die er in seiner rechten Hand hielt, schlug er ab und zu gedankenverloren gegen seinen rechten Oberschenkel, während er mit der anderen Hand durch seine spärlichen, kurzgeschnittenen Haare fuhr.

„Krüger!“ Becker rief den Namen seines jungen Kollegen, ohne seinen Blick von der kriminologisch zu beurteilenden Situation abzuwenden.

„Ja, Chef?“ Kriminalkommissar Michael Krügers kindliches Gesicht tauchte auf der gegenüberliegenden Seite der Kraftmaschine auf und sah seinen Vorgesetzten mit großen Augen erwartungsvoll an. Eine Strähne seines glatten dunklen Haares fiel ihm dabei ins Gesicht und er blies sie mit einem schnellen Atemzug zur Seite.

„Können Sie sich das hier erklären, Krüger? Wie schafft es ein einzelner Mensch -und ich gehe von einem einzelnen Täter aus- ein Gewicht von 140 Kilo anzuheben, einen Mann unter die Gewichtsmasse zu legen und dann das komplette Gewicht nach unten auf den Kopf des … jetzt Toten fallen zu lassen? Haben Sie auch nur die Andeutung einer Erklärung dafür?“

Krüger nickte eifrig und kam hinter der Maschine hervor. Dabei unterließ er es, die erneut in sein Gesicht gefallene Haarsträhne wegzublasen. Er fuhr sich vielmehr mit der Hand durch die Haare und brachte so seine Frisur wieder in Ordnung.

„Ja, Chef, die habe ich. Wenn Sie zu mir hier herüberkommen, dann können Sie genau sehen, wie der Täter vorgegangen ist.“

Becker schluckte seinen aufkommenden Ärger hinunter. Er hatte sich mit seinen Gedanken zu lange auf dieser Seite des Gerätes aufgehalten. Der horizontale Sitz mit der Schiebefunktion war zwar von hier aus einzusehen, aber …

Er verwarf alle ärgerlichen Gedanken und ging um die Maschine herum, bis er vor der großen Blutlache und dem sichtbar zerdrückten Schädel stand. Und vor seinem triumphierenden jungen Kollegen, der stolz zur Wand zeigte, an der auf einem Gestell pyramidenförmig Kurzhanteln angeordnet waren.

„Ja, und …?“, fragte Becker und sah sich suchend um.

„Sehen Sie die Hantelstange, dort, an der Wand, Chef?“ Krüger beeilte sich, seine Theorie zu erklären. „Also, ich glaube, der Täter hat diese Langhantelstange für seine Tat genommen.“

Er machte ein paar Schritte in Richtung der Wand und zeigte auf dort weiter eiserne Stangen, die in Halterungen festgeklemmt waren. „Diese Stange hat er zwischen Rückenlehne und Fußteil des Sportgeräts eingeklemmt. So waren die Gewichte in der oberen Stellung arretiert. Dann hat er das Opfer mit dem Kopf auf die Endstellung der Gewichte gelegt und die Stange mit einem Ruck gelöst.“

Becker nickte „Dann sind die Gewichte nach unten gesaust und haben den Kopf des Mannes zerschmettert. Nicht schlecht, Krüger.“

„Danke, Chef.“ Krüger schien plötzlich um einige Zentimeter größer. Er zeigte auf den Schlitten der Maschine. „Und hier sieht man genau die Spuren, welche die Stange durch das Wegschlagen auf dem Polster hinterlassen hat.“

„Da bedeutet dann aber auch, dass das Opfer zu diesem Zeitpunkt zumindest bewusstlos, wenn nicht sogar schon tot war.“

Becker sah zum Eingang der Kraftsporthalle. „Wo bleibt denn eigentlich die Spusi? Verdammt, wir müssen uns um die Ermittlungen kümmern“, rief Becker in Richtung der Tür und sah gleichzeitig zwei in weiße Overalls gehüllte Gestalten, die dem Tatort zustrebten.

„Na, endlich, Georg“, rief er seinem Kollegen Georg Ochsweiler zu. „Gut, dass Ihr da seid. Wir haben noch anderes zu tun. Ich erwarte Euren Bericht, am besten per Mail.“

Mit „Euch“ meinte er auch gleichzeitig Hermann Kirchen vom Erkennungsdienst, der Ochsweiler in seiner Arbeit unterstützen sollte. Während sich die beiden an ihre Arbeit machten, begab sich Becker nach draußen in den Wartebereich und Krüger folgte ihm.

„Wer hat den Toten gefunden“, fragte er in die Runde der zahlreichen Personen, die sich dort inzwischen eingefunden hatten. Steffi Jacobs hob die Hand und kam auf Becker zu. „Ich bin Sporttherapeutin und wollte meinen Dienst beginnen, da kamen diese beiden Reinemachefrauen grade aufgeregt aus dem Raum. „Milene, Smile, kommt mal her!“ Steffi winkte die beiden Frauen, die sich, offensichtlich von der Situation überfordert, auf einer der Wartebänke niedergelassen hatten, zu sich. „Der Kommissar möchte mit euch reden.“

„Danke, Frau …?“ Becker sah auf das Namensschild an der Brust der Therapeutin, „Frau Jacobs. Aber ich brauch nicht nur die beiden Damen. Ich möchte auch Sie bitten, sich zur Verfügung zu halten. Haben Sie einen Raum, in dem wir reden können?“

„Ja, natürlich. Gleich dort hinten.“

„Die Kollegen der Schutzpolizei, die einen Ihrer Kollegen ins Krankenhaus begleiten, sagten mir, Sie hätten ihn bewusstlos in dem Raum, in der Nähe des Toten, aufgefunden. Darüber müssen wir uns genauer unterhalten.“ Becker schien kurz zu überlegen. „Ist Ihnen sonst etwas Außergewöhnliches aufgefallen, als Sie heute Morgen hier ankamen?“

„Nein, nur die beiden Frauen der Putzkolonne, die auf mich warteten. Sonst war offensichtlich niemand in dem therapeutischen Bereich.“

Becker winkte die beiden Putzfrauen, die während des Gesprächs mit Steffi Jacobs wieder auf der Bank Platz genommen hatten, zu sich und stellte ihnen die gleiche Frage.

„Nein, nichts gesehen“, jammerte Milena mit ausgebreiteten Armen und Smile schüttelte den Kopf. „Nichts, nur Blut da drinnen.“

„Ihr Kollege, dieser Herr …“

„John, Roland John“, half Steffi ihm weiter.

„Okay, dieser Herr Roland …“

Steffi unterbrach ihn. „John ist sein Familienname, sorry.“

„John? Gut. Dieser Herr John, Ihr Kollege, was denken Sie? Hat er irgendwelche Feinde oder Leute, die ihm Böses wollen?“

„Das kann ich mir nicht vorstellen. Er ist ein lieber Kollege, hilfsbereit und ein Mann mit viel Humor. Wer sollte so einen Menschen hassen?“

„Hm. Und der Tote? Kennen Sie ihn? Ist er auch ein Kollege von Ihnen?“

„Ich glaube eher, er ist ein Patient. Das Gesicht ist ja leider nicht mehr zu erkennen und seine Kleidung? Was glauben Sie, wie viele Patienten am Tag durch unsere Hände gehen. Davon abgesehen sind wir, Roland, ich und auch mein Kollege Küsters, nicht nur für diesen Raum hier zuständig. Wir rotieren und nehmen auch andere therapeutische Aufgaben wahr.“

„Zum Beispiel?“

„Sehen Sie, gleich neben diesem Kraftraum gibt es eine Therapie-Halle, eine weitere befindet sich gleich dort hinten um die Ecke. Dann haben wir noch einen Raum mit Fahrrädern, den sogenannten Ergometern …“

„Ah, kenne ich. Das sind die Fahrräder, die nicht ankommen. Entschuldigung, kleiner Scherz.“

Steffi ignorierte die Bemerkung Beckers. „Wir drei sind Sporttherapeuten, andere haben wieder ihre Bereiche, wie zum Beispiel Lymphdrainagen, Krankengymnastik, die Aufsicht im Bewegungsbad und vieles anderes.

„Ja, Sie können den Toten in die Gerichtsmedizin bringen“, rief Becker dem inzwischen eingetroffenen Bestatter-Team zu. „Aber nichts verändern. Nur ins Kühlfach und alles abschließen. Der Gerichtsmediziner ist bereits verständigt. Und noch eins: teilen Sie mir so bald wie möglich die genaue Todeszeit mit.“

Er wandte sich wieder Steffi Jacobs zu und zeigte in Richtung der Menschen, die sich inzwischen im Durchgangsbereich der Etage versammelt hatten und neugierig auf das sahen, was sich hier so tat. „Und das sind alles Patienten?“

„Ja“, nickte Steffi, „alles Patienten, die auf ihre Anwendung hoffen. Ich würde vorschlagen, wenn Sie weitere Fragen an mich haben, wissen Sie ja, wo sich mich finden. Die Leute dort haben ein Recht auf ihre Behandlung.“

„Gut, Sie haben recht. So machen wir es. Wir werden eh hier in der Klinik noch etwas bleiben müssen. Bin auch gespannt, was uns Ihr Kollege Roland zu erzählen hat, wenn er seine Stimme wiedergefunden hat.“

„John. Roland heißt John.“

„Ist ja schon gut. Bitte, tun Sie mir einen Gefallen und lassen Sie den dritten Ihrer Kollegen … Wie hieß er noch?“

„Küsters. Robin Küsters.“

„Lassen Sie Ihrem Mitarbeiter auch die Nachricht zukommen, dass er sich bei uns melden soll. Bei der Rezeption erfährt er, wo er uns finden kann.“

Becker schaute sich um und bemerkte seinen Kollegen, der offensichtlich versuchte, die Menschen, die sich langsam wieder entfernten, zu befragen.

„Krüger!“

Der Angesprochene drehte sich mit fragender Miene zu seinem Chef um.

„Krüger, sie fahren ins Krankenhaus und vernehmen diesen Roland John. Sie wissen schon, der Verletzte, der in der Nähe des Toten gefunden wurde. Quetschen Sie ihn über jede Minute, an die er sich erinnern kann, aus. Und denken Sie daran: er kann als möglicher Täter nicht ausgeschlossen werden.“

Todesgrüße aus der Reha

Подняться наверх