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Kapitel 1
ОглавлениеDrei Tage zuvor, Freitag
Die Stimmung in der dritten Etage des Trierer Polizeipräsidiums war irgendwie deprimierend. Das Büro 324, in welchem Oberkommissarin Leni Schiffmann und ihr Kollege, Hauptkommissar Overbeck üblicherweise gemeinsam den Tageablauf und die damit verbundenen Ermittlungen bestritten, hatte, auch, wenn es sich nur um ein dienstliches Domizil handelte, irgendwie an Energie verloren.
Der Platz gegenüber von Leni, den Overbeck mit all seinem überschwänglichen Wesen mehr als nur besetzt hatte, war leer. Die lederne, mannshohe Trainingspuppe in der Büroecke, auf die Overbeck täglich eindrosch, hing in ihrem Halteseil, als warte sie darauf, dass ihr Besitzer wieder seine Hände und Beine gegen sie schwingen und den Raum mit klatschenden Geräuschen füllen würde.
Kriminal-Oberrat Peter Krauss durchpflügte mit bekümmerten Blick und großen Schritten das Büro von Hauptkommissar Overbeck und dessen Kollegin, Leni Schiffmann. Die Personalsituation im Kommissariat des Trierer Polizeipräsidiums für Mord und andere Kapitalverbrechen war verheerend und nun auch noch das: Overbeck, seinen Vorzeige-Ermittler, hatte es nun auch erwischt. Keine Grippe, damit hätte man für kurze Zeit auskommen können. Nein, der Herr Sportler hatte sich bei einem seiner Trainings-Einheiten das Sprunggelenk so sehr verletzt, dass er sich einer Operation unterziehen musste. Und nicht genug damit. Wie er, Krauss, soeben erfahren hatte, war für Overbeck eine Rehabilitations-Maßnahme angeordnet worden, die nun mindestens wiederum drei Wochen seine Abwesenheit von der Dienststelle begründen würde.
Krauss wusste um die Tatsache, dass asiatische Kampfsportarten zum Leben Overbecks dazugehörten. Aber nicht genug damit, dass er mehrmals in der Woche seiner Leidenschaft in so genannten Dojos als Sensei, also Meister und Trainer dieser Sportarten, nachging. Auch die Dienststelle missbrauchte er, so sah es Krauss nun mal, als eine Trainingsstätte, denn sein Büro zierte eine lebensgroße Trainingspuppe aus Leder, auf die er in jeder freien Minute losdrosch.
Viele interne Diskussionen hatte er diesbezüglich mit Overbeck geführt und, da er ihm sein Handeln dienstlicherseits nicht verbieten konnte, ihn angefleht, seinem Training ausschließlich in der Freizeit nachzugehen. Doch er war hierbei immer wieder auf Granit gestoßen.
Ich halte mich fit für den Dienst, war Overbecks wiederkehrende Begründung und Krauss blieb dann nur noch ein krampfhaftes Zähneknirschen.
Doch nun sollte er auf Overbeck weitere drei Wochen verzichten. Drei lange Wochen! Overbecks Team-Kollegin, Leni Schiffmann, konnte er nicht alleine zu irgendwelchen Ermittlungen oder Tatortaufnahmen entsenden. Er musste rasch nach einer Lösung suchen.
Leni hatte Kraus, während dieser unruhig im Büro umhergegangen war, wortlos beobachtet. Elegant ist er ja, sagte Leni zu sich selbst, als sie ihn in seiner Unrast beobachtete. Krauss hatte wieder einmal seinen mittelbaren Anzug bevorzugt, darunter ein weißes Hemd und eine dunkelblaue Krawatte. Blau schien seine Lieblingsfarbe zu sein, denn alle seine Kleidungskombinationen unter der Woche hatten immer einen blauen Einschlag.
Auch, als er plötzlich abrupt vor Leni stehenblieb und sie nachdenklich ansah, unterdrückte sie einen Kommentar. Sie wusste genau, was im Kopf von Krauss ablief. Er würde gleich mit der Sprache rausrücken. Sie musste nur warten.
„Wir beide werden zusammenarbeiten. Ja, so werden wir es machen, Frau Schiffmann.“
Die Äußerung ihres Vorgesetzten verschlug Leni kurz den Atem. „Wie meinen Sie das, Chef? Wir beide können doch nicht gemeinsam …“
„Doch, Frau Schiffmann, wir beide werden es tun. Wir werden gemeinsam ermitteln, solange Ihr Kollege außer Gefecht ist. Sagen Sie nicht, das sei Ihnen unangenehm.“
„Aber, Chef, Sie müssen doch hier … das Ganze …“
„Jaja, ich und das Ganze. Frau Schiffmann, dieses besagte Ganze habe ich auch im Griff, wenn ich mit Ihnen unterwegs bin. Wir sind doch nicht aus der Welt. Tut mir übrigens auch mal gut, wieder unter die Leute zu kommen.“ Und mit einem Lächeln fügte er hinzu: „Praxis und Entscheidungen unmittelbar am Tatort, das wird mir auch nach dieser langen Arbeit am Schreibtisch guttun.“
„Aber …“, versuchte Leni einen letzten Versuch, den Krauss sofort abwürgte.
„Kein Aber, Frau Schiffmann. Sie werden sehen, wir beide werden ein gutes Team bilden. Ich erinnere Sie nur an die Angelegenheit Lessing, in der Sie sich nachweislich in Lebensgefahr befunden hatten. Immerhin war ich ein Teil der Truppe, die Sie aus diesem Dilemma befreit hatte. Und …“, fügte er schnell spitzbübisch hinzu, „Sie haben sich dafür bei mir überschwänglich bedankt.“
„Ja, das stimmt, Chef. Ich wollte nicht ungerecht sein. Also packen wir es an. Doch im Moment haben wir ja keinen akuten Fall.“
Leni grinste in sich hinein und, als ob Krauss es mitbekommen hätte, legte er den Kopf schief und sah Leni kurz schweigend an.
„Der kommt noch, Frau Schiffmann, der kommt noch.“ Krauss drehte sich um, um das Büro zu verlassen, blieb dann aber kurz stehen und blickte zu Leni zurück. „Die Reha-Maßnahme Overbecks … wissen Sie, wo die stattfindet.“
„Ja, weiß ich. Hier.“ Leni kramte in ihrer Schreibtischschublade und brachte ein farbiges Prospekt zum Vorschein. „Ein Flyer der Einrichtung. Nicht weit von hier. Hat Overbeck zurückgelassen. Die Hunsrück-Reha-Klinik, direkt hinter der Landesgrenze im benachbarten Saarland. Wenn Sie Overbeck besuchen wollen … es sind nur wenige Kilometer“, grinste Leni ihren Chef frech an.
„Das fehlte noch.“ Krauss verließ unter Lenis Grinsen das Büro und zog die Tür hinter sich zu.
Leni atmete hörbar aus und erhob sich aus ihrem Bürostuhl. Ihre dunkelblaue Jeans lag wie immer eng an ihrem Körper an und der flauschige Mohair-Pullover, ebenfalls in einem dunklen Blau, passte hervorragend dazu.
Leni sah an sich herunter und dann in Richtung der Tür.
„Wir geben ja ein hübsches Pärchen ab“, dachte sie kopfschüttelnd. Das blaue Team, wie schnell hatte man unter Kollegen einen Spitznamen weg. Und das auch noch gemeinsam mit Krauss. Das musste sie verhindern. Morgen würde an ihrem Körper die Farbe Blau komplett fehlen.
Leni überlegte kurz, ob sie Overbeck anrufen sollte, entschied ich aber dagegen. Das erste, was ihr Overbeck mitgeteilt hatte, war die äußerst schlechte Mobil-Verbindung in die Klinik. Offensichtlich ein Problem, das genau in dieser Region auftrat und ganz einfach einem Funkloch zu verdanken war.
Ich müsste das Anwesen verlassen und mich auf eine Anhöhe nach draußen begeben, hatte Overbeck ihr per Mail mitgeteilt. Du kannst mich über WhatsApp erreichen, hatte er geschrieben. Aber verrate es bitte nicht weiter.
„Gott sei Dank fehlten Krauss diese Online-Kenntnisse “, sagte sich Leni und, obwohl Kraus die Mobil-Nummer von Overbeck hatte, konnte er in dieser Richtung, was die Social Medien anging, nichts ausrichten.
Leni sah auf ihre kleine goldene Armbanduhr und entschied sich gegen einen Anruf. Es war gerade mal 11.30 Uhr. Dass er sich in einer Anwendung befand, war sehr wahrscheinlich. Sie verschob ihr Ansinnen auf den Nachmittag.
Dass auf Overbeck turbulente Tage in der Reha warteten, das konnte Leni zu diesem Zeitpunkt nichts ahnen.