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Einführung:

Aufmerksamkeit haben wir nicht, aufmerksam sind wir. Aufmerksamkeit ist keine Eigenschaft, die wir besitzen oder die uns fehlt, sondern ein Bewusstseinszustand, der ergriffen oder gelassen werden kann. Sie wird in jedem Augenblick neu geschaffen.

Die Entwicklung der Aufmerksamkeit geschieht auf drei Ebenen.

Auf der leiblichen Ebene erwacht das Bewusstsein, indem der Mensch seinen Körper ergreift, sich bewegt und tätig wird. Das lässt sich am Beginn des Lebens gut beobachten, wenn das kleine Kind im Greifen, Kriechen Krabbeln seinen Körper und die Dinge der Welt ergreift. Das Gleiche geschieht auch später im Leben jeden Morgen beim Erwachen aus dem Schlaf, wenn wir uns recken, aufstehen und tätig werden.

Auf der seelischen Ebene entwickelt sich Aufmerksamkeit über Sprache und Kommunikation. Mit jedem Wort und Satz, den das Kind sprechen lernt, erwacht sein Bewusstsein für die Dinge, die es benennt.

Auf der geistigen Ebene entwickelt sich Aufmerksamkeit über Ideen und Vorstellungen. Mit jedem Gedanken, den wir bilden, mit jeder Erkenntnis, die wir haben, mit jeder Gesetzmäßigkeiten, die wir kennen lernen, wird das Bewusstsein für einen bestimmten Bereich der Welt geöffnet.

Niemand kann immer aufmerksam sein. Wir brauchen auch Zeiten, in denen die Aufmerksamkeit losgelassen wird. Der Wechsel von Bewusstsein und Unbewusstsein, von Wachheit und Schlaf, gehört zur Bewusstseinsentwicklung dazu.

Dabei gibt es gewisse Extreme: Entweder ist der Mensch zu wenig bewusst; dann ist er träge und verschläft die wesentlichen Dinge, denen er sich zuwenden sollte oder er ist überwach und nervös, und kann sich nicht auf eine Sache konzentrieren. Solche Störungen werden heute meist mit psychoaktiven Substanzen behandelt. Wer zu schläfrig ist, erhält anregende Mittel (Aufputschmittel), wer zu nervös und ablenkbar ist, Beruhigungsmittel (sedierende Medikamente).

Aufmerksamkeit ist aber primär ein geistigseelischer Bewusstseinsakt, der von jedem Menschen selbst innerlich geschaffen werden muss. Die physiologisch stoffliche „Behandlung“ von Aufmerksamkeitsstörungen über Medikamente mag manchmal nötig sein, ist aber nicht der originäre Ausgangspunkt der Aufmerksamkeitsschulung. Die physiologischen Rahmenbedingungen sind für einen gesunden Aufmerksamkeitsprozess nötig, aber sie stehen nicht im Vordergrund der Aufmerksamkeitsentwicklung.

Neugier, Interesse und Liebe sind die geistigseelischen Grundlagen der Aufmerksamkeit. Wir können unser Aufmerksamkeit verschiedenen Themen zuwenden. In den modernen Gesellschaften wird das Bewusstsein hauptsächlich auf die materielle Welt gerichtet. In den alten religiös-spirituell orientierten Kulturen richtete sich die Aufmerksamkeit in erster Linie auf die geistig-seelische Welt.

Erst in jüngerer Zeit wurde die „Aufmerksamkeit auf die Aufmerksamkeit“ selbst gerichtet. Im neunzehnten Jahrhundert hat der Arzt H. Hoffmann Aufmerksamkeitsprobleme thematisiert. Er schrieb in dem Kinderbuch der „Struwwelpeter“ Geschichten von allen möglichen Kindern, die heute als aufmerksamkeitsgestört bezeichnet würden. Da gibt es den „Hans Guck in die Luft“, der nicht aufpasst, über einen Hund fällt und ins Wasser platscht oder den „Zappelphilipp“, der nie ruhig sitzen kann und die ganze Familie durcheinander bringt.


Seit Mitte der 90 –er Jahre werden Aufmerksamkeitsstörungen unter dem Stichwort AD(H)S zu einem zentralen Thema. Sie werden als Krankheit betrachtet und vorwiegend mit Medikamenten behandelt. Manche Autoren halten diese „Pathologisierung“ für falsch und sehen die Aufmerksamkeitsprobleme eher als eine pädagogische Herausforderung als eine physiologische Krankheit an.2

Krankheitsdiagnosen wirken tendenziell im Sinn einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung („selffullfilling prophecy). Das betroffene Kind empfindet sich als „krank“ und muss sich sagen: „Ich habe eine Krankheit, die heißt AD(H)S. Scheinbar funktioniert irgendetwas in meinem Gehirn nicht richtig. Das ist der Grund, dass ich nicht aufpassen kann. Ich selbst kann da nichts machen. Wenn ich Glück habe, wirkt vielleicht ein Medikament, welches mir der Arzt verordnet.“

Eltern und Lehrer von „AD(H)S – Kindern“ sind ebenso von dieser Dynamik betroffen. Auch sie sind durch die Krankheitsdiagnose überzeugt, durch Schulung und Erziehung wenig erreichen zu können und hoffen auf äußere Hilfe in Form eines Medikamentes. Die übliche Pathologisierung wirkt tendenziell schwächend auf die Eigeninitiative der Beteiligten.

Ich halte es für fruchtbarer, das Bewusstsein darauf zu richten, wie Aufmerksamkeit verbessert werden kann als darauf zu schauen, wie Aufmerksamkeitsstörungen beseitigt werden können. In über 200 Übungen werden in diesem Buch Möglichkeiten aufgezeigt, wie Aufmerksamkeit entwickelt werden kann.

Dieses Buch gibt Orientierung für diejenigen, die sich für Aufmerksamkeit und Bewusstseinsentwicklung interessieren. Es werden Zusammenhänge aufgezeigt, die für die psychologische und spirituelle Entwicklung von grundlegender Bedeutung sind. Übungsformen werden beschrieben, die üblicherweise nicht im Zusammenhang mit einem besonderen Aufmerksamkeitstraining gesehen werden. Dazu gehören Geschicklichkeitsübungen, Sprachübungen, Wahrnehmungs- und Mediationsaufgaben usw.

Erzieher, insbesondere Lehrer und Eltern können sich ein Bild verschaffen über die wesentlichen Gründe und Behandlungsmöglichkeiten von Aufmerksamkeitsproblemen. Der Lehrer wird Anregungen für seinen Unterricht gewinnen, die Eltern finden Aufgaben für den Erziehungsalltag und der Lerntherapeut kann sich ein Schulungsprogramm für seine Therapiestunde zusammenstellen.

1 Hoffman Dr. Heinrich: Der Struwwelpeter Orginalausgabe Morgarten, Rütten§Lennig Verlag Frankfurt, 1845

2 Henning Köhler: War Michel aus Lönnaberga aufmerksamkeitsgestört? Verlag Freies Geistesleben, 2002

Pass doch endlich auf!!!

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