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Notiz zu Uwe Johnson

Um meine erste Begegnung mit Uwe Johnson zu schildern, muss ich mich zurückversetzen in den Spätherbst des Jahres 1963 – vielleicht war es auch Anfang 1964 – als Johnson im Literarischen Colloquium Berlin, damals noch in der Carmerstraße, nicht weit vom Savignyplatz, Prosaschreiben unterrichtete. Walter Höllerer hatte ein Dutzend angehende Autoren nach Westberlin eingeladen, um an einem von der Ford-Stiftung finanzierten Creative-Writing-Seminar teilzunehmen. Johnson gab nur ein kurzes Gastspiel. Der damals knapp dreißigjährige Autor der Mutmaßungen über Jakob und des Dritten Buchs über Achim war, ähnlich wie der scheue und wortkarge Peter Weiss, mit seinem eigenen Werk beschäftigt und litt sichtlich unter der ihm nicht gemäßen Rolle eines Präzeptors oder Vermittlers, die Günter Grass und Peter Rühmkorf mit Lust und Verve spielten. Der blonde Hüne mit der Nappalederjacke, von seinen Leipziger Kommilitonen Ossian genannt, schien sich körperlich unwohl zu fühlen unter den nur wenig jüngeren Autoren, die Ansporn und Ermutigung für ihre eigene Arbeit oder geistreiche Aperçus von ihm erwarteten. Er schwieg hartnäckig und hielt sich an seiner Pfeife fest, die wie die Schreibmaschine zum unverzichtbaren Accessoire eines Literaten gehörte. Meine Frage, ob ein zeitgenössischer Schriftsteller sich unbedingt für die Fahrpläne der Deutschen Reichsbahn, die Gangschaltung eines Rennrads oder das Frühwarnsystem der Nato interessieren müsse, statt sich wie Kafka oder Novalis von der Außenwelt zurückzuziehen in eine traumhafte Innenwelt, beantwortete Johnson kurz und bündig mit NEIN, ohne sein apodiktisches Urteil zu begründen. Dass er mit Einsprüchen gegen den Boykott der Berliner S-Bahn beschäftigt war, wusste ich damals nicht, und es hätte mich, auch wenn ich es gewusst hätte, nicht sonderlich interessiert.

Anfang der siebziger Jahre zog ich von Wilmersdorf nach Berlin-Friedenau, wo ich mit Nicolas Born im selben Haus wohnte, in unmittelbarer Nachbarschaft zu Hans Magnus Enzensberger, Günter Grass, Uwe Johnson und zeitweise auch Max Frisch. Wir trafen Johnson gelegentlich im Bundeseck, einer für ihre Hässlichkeit berühmten Eckkneipe, wo sich nach Lesungen im nahgelegenen Buchhändlerkeller eine Gruppe von Literaten versammelte, zu der neben Grass auch dessen Lektor Klaus Röhler gehörte. Johnson und Röhler soffen sich gegenseitig unter den Tisch und, im Gegensatz zum proletarischen Zeitgeist der siebziger Jahre, siezten sie einander dabei. Mittwochs war Markt in Friedenau, und Uwe Johnson war schon vormittags in einer Spelunke neben dem Rathaus anzutreffen, an deren Theke er den über Nacht abgesunkenen Alkoholpegel auffüllte; abends frequentierte er eine Kneipe in der Rheinstraße, deren Wirt keine Ahnung hatte, dass sein wortkarger Stammgast ein weltberühmter Schriftsteller war. Zusammen mit Nicolas Born besuchte ich Johnson in dessen Wohnung – Atelier ist ein besserer Ausdruck dafür – in der Stierstraße. An der Wand hing ein Stadtplan von Großberlin, und überall waren Messtischblätter ausgebreitet, wie Generalstabskarten mit farbigen Punkten und Strichen markiert. Johnson und Grass hatten sich über irgendetwas zerstritten; jahrelang herrschte Funkstille zwischen beiden, bis Günter Grass den früheren Freund überredete, ihn zu einer privaten Lesung nach Ostberlin zu begleiten. Das konspirative Treffen fand in der Wohnung von Krista und Hans Joachim Schädlich in Köpenick statt; außer Nicolas Born und mir waren Günter Kunert, Rainer und Sarah Kirsch sowie Bernd Jentzsch anwesend.

Uwe Johnson schwieg zumeist, aber er war gefürchtet für ins Schwarze treffende Bemerkungen, mit denen er nicht nur ein literarisches Werk, sondern auch dessen Verfasser demontierte, etwa wenn er einen Text als Nachruf charakterisierte und sich darüber mokierte, dass der Autor noch am Leben sei. Als Sarah Kirsch wissen wollte, warum ihre Anwesenheit beim sogenannten Friedensdialog in der Westberliner Akademie der Künste unerwünscht war, antwortete Johnson sarkastisch, nicht jedermann sei zum Five o’clock tea bei der Königin von England eingeladen. Zum letzten Mal sah ich ihn ein Jahr vor seinem Tod bei dem erwähnten Schriftstellertreffen, wo Johnson souverän, aber mit pedantischer Akribie die Diskussion leitete und das Bekenntnis des DDR-Autors Erik Neutsch, er stimme voll und ganz mit der Politik seiner Partei und Regierung überein, lakonisch kommentierte mit dem Satz: »Das ist bekannt.«

Bei der von Helen Wolff geleiteten Trauerfeier für Uwe Johnson im New Yorker Goethe-Institut saß der Bankier Abs in der ersten Reihe, und erst nachträglich wurde mir klar, dass eine gleichnamige Romanfigur in den Mutmaßungen über Jakob eine zentrale Rolle spielt.

Alles in allem habe ich Uwe Johnson, trotz wiederholter Begegnungen, nur flüchtig gekannt. Seine Person ist mir fremder geblieben als sein Werk, das mit unverstellter Stimme spricht und die Barrieren überwindet, hinter denen dieser spröde und verletzliche Mensch sich zu seinen Lebzeiten verschanzt hat.

Tunnel über der Spree

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