Читать книгу Das unglaublich unglaubwürdige Leben des Hannemann - Hans-Dieter Heun - Страница 6

Der Zauberer sprach von den Anfängen, und Gott war beunruhigt. Sie fühlte neugieriges Brennen, sich steigerndes Kribbeln aus Ihrer Mitte, Schmetterlinge in Ihrem Bauch.

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Können diese Augen lügen? Augen können nicht lügen, vermögen höchstens zu spiegeln. Bilder von jungen rothaarigen Mädchen zum Beispiel und manchmal auch die Gedankenproduktion der breiigen Masse, die oberhalb der Augen sitzt. Münder können lügen. Der Mund kann sprechen, folglich die Gedanken für die unbedingt notwendige Kommunikation mittels der Sprache ausdrücken. Der Mund kann verkünden: Geschichten, Lügen, kann Märchen erzählen.

Der Mund vermag solches selbstverständlich nicht allein, benötigt dazu die Hilfe von Lippen, Zunge, Zähnen, Gaumenplatte, Kieferknochen, Rachenraum, Stimmbändern und Speichel. Ob auch die Münder der zwei Personen – so sie denn welche sind – zu lügen vermögen, wird oft und mit heiligem Ernst bestritten. Logisch wäre es aber, dass die zwei Personen, denen vieles, wenn nicht sogar alles möglich ist, gleichfalls das Lügen beherrschen. Doch diese begründete, aber nicht geglaubte Annahme würde das Bild von den zwei Personen empfindlich stören. Und Bilder existieren tatsächlich. Glauben ist jedoch eine wichtige Daseinsgrundlage der zwei Personen, und glaubhaft ist, dass sie zumindest reden. Sogar miteinander.

Eine Person ist der Zauberer. „Hannemann ist also wieder auf der Reise?“

Die andere Person ist Gott. Naturgemäß thront Sie hoch über dem Zauberer. „Hannemann ist immer auf der Reise.“

Der Zauberer ist der Fragende. „So gesehen schon. Und, was macht er?"

Gott weiß die Antwort, Sie kennt jede Antwort. „Er macht sich."

Der Zauberer ist neugierig. „Und die Andere?"

Gott, die jede Antwort kennt, kann Sie ebenfalls neugierig sein? „Die macht sich erst später."

Der Zauberer bleibt stets am Ball. „Kennt er bereits seine Macht?"

Gott spielt nicht. Ein Ballspiel schließt den Zufall ein, bei Ihr hat ein Zufall nichts zu sagen. „Nein, aber er beginnt zu träumen!"

Der Zauberer hingegen versucht, Zufälle zu lenken. „Das macht doch nichts, oder?"

Ach ja, fast vergessen: Das Wichtigste! Das Wichtigste für diese Geschichte: Der Mund kann schmecken.


Ohne sonderliche Belästigung durch seine Eltern war Hannemann zu einem mageren Durchschnittsknaben von zehn Jahren herangewachsen. Im Gegensatz zu vielen schlimmen Erfahrungen aus vergangenen Leben zog er diesmal mit seinen Ernährern ein mittleres Glückslos, besonders mit Mutter. Sie besaß Eleganz, gepaart mit einem starken Willen, sie führte, schien sogar zu ahnen, was an und für sich unmöglich sein sollte.

Vater hingegen wahrte sein ganzes Leben eine eigenartig unaufmerksame Distanz zu ihm. Er half zwar Muttern nach Ende des Krieges mit dem ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten – nicht viele –, den Sohn werden zu lassen, störte ihn auch nicht mit sonderlich großen Erziehungsversuchen, aber er dachte nicht im Traum daran, Hannemann wenigstens einmal liebevoll in seine Arme zu nehmen. Es sah so aus, als ob er sein eigenes Sperma nicht erkannte. Erst als sein krebsverseuchtes Ende nahte, und er nach Hilfe für den Sprung in die jenseitige Welt suchte, öffnete der Vater dem Erben seine Seele. Zu spät.

Der Sohn hatte erst zehn junge Jahre durchlebt, und dennoch war es nicht zu früh, bereits schwach zu ahnen: Etwas war anders. Mit ihm. Er hatte Macht über Andere. Macht etwa über Angehörige, die mit ausgestreckten Tentakeln versuchten, ihn weiß der Teufel wohin zu drücken, um einen Teil von ihm zu nehmen. Es war eigenartig, trotz manchmal vorhandener Zuneigung mochte Hannemann diese selbstverständlichen Zärtlichkeiten nicht. Er blockte ab, er versteifte sich. Wenn er in späteren Jahren selbst jemand umarmte, meistens Frauen, dann schenkte er, schützte er, heilte er, befriedigte er, genoss er. Vor allem sich selbst.

Diese Mutter besaß ebenfalls Macht, sie war stark. Mutter war eigensinnig, störrisch, sie war im Übermaß egozentrisch. Genug, um sich vor ihm zu schützen. Sie war im Hass zerstörerisch, doch in ihrer Sorge maßlos, kaufte sich zeitlebens ihre Anbeter und hielt deren Heuchelwunderung für wahr und echt. Mutter kannte es nicht anders. Aber sie unternahm auch, verlangte Wunder und führte zu Wundern. Sie trat auf als Dame, stets elegant, selbst in Notzeiten aus einfachsten Mitteln. Sie gab sich als die Besondere und bestärkte das Gefühl in ihm, selbst ein Besonderer zu sein.

Diese Mutter würde länger leben als er, und sie war eine der wenigen Personen, die ihn verblüffen konnte. Sie war wichtig für ihn. Nur konnte Hannemann damals noch nicht wissen, was ihr fehlte und worunter sie litt. Viele Jahre später sollte er erkennen, diese Mutter war nicht fähig, sich hinzugeben, errang ebenso nie das Wissen oder die Menschen, welche ihr jenes Gefühl vermittelt hätten. Sehr schade, und er hatte wegen seiner wichtigen Aufgabe nicht mehr die Zeit und die Lust dazu, ihr das lösende Empfinden zu schenken.

Es war die Zeit der ersten großen Fußballweltmeisterschaft nach dem verlorenen Krieg. Männer und Jungen tobten vor Freude, endlich wieder dabei zu sein, auf triumphale Siege hoffen zu dürfen. Für den fußballbegeisterten Vater war der Zehnjährige keine große Zukunftshoffnung, an dem er eigene Enttäuschungen ausphantasieren konnte. Hannemann versteckte sich zu sehr, täuschte bereits. Und für die spielenden Mitschüler bedeutete er höchstens einigermaßen brauchbares Füllmaterial für eine Mannschaft rund um die schreienden Führer.

Nein, bloß nicht Fußball, er fuhr lieber Rad und verehrte Ingrid. Wenn er heute unter Schmerzen an Ingrid dachte, erschien sie ihm in seinen schwärmerischen Erinnerungen als ein Mädchen ohne Unterleib. Wenige glückliche Bilder von ihr schimmerten durch die Wolken anderer, aber williger Weiber. Bilder wie die verletzbar fragenden, seelenreinen Augen unter dunkelroter Haarseide, die zerbrechlichen Schultern von Audrey Hepburn oder der Schmaltiergang, bei dem sich ihre himmellangen Beine stolz gegen fesselnde Kleidung drängten. Nackte Schultergrübchen blitzten auf, obwohl Hannemann keineswegs mehr wusste, ob er die Angehimmelte je so gesehen, noch mit zitternden Fingern berührt hatte.

In seinen Gedächtnisbildern war Ingrid stets süße siebzehn, obwohl zur Zeit des Fußballwunders wohl eher pfiffige acht. Er wusste noch, sie waren damals unzertrennlich, und wenigstens für ihn sollte das auch ewig so bleiben. Er sehnte sich immer nach ihr, selbst als er in den ehelichen Armen der Blonden gelegen hatte. Ja sogar noch – wenn er ehrlich zu sich war – während der Liebkosungen mit seiner Rechtsschläferin.

Sehnsucht, die mit Sehnen sucht. Wohin ihn sein Schicksal auch getrieben, verstoßen hatte, zu verschwitzten Umarmungen als häusliche grässliche Pflichten, in die Ferne oder zurück ins Bayernland, Ingrid war und blieb die große unschuldige Liebe seines bewegten Lebens. Wenn er sich allein ihr siebzehnjähriges Antlitz ins Gedächtnis rief, wurde ihm ganz schmalzig heiß ums Herz. Und aufgefallen war er ihr durch eine Kunst, die er beherrschte wie kein zweiter: die ungeheuer faszinierende Kunst des freihändigen Mülltonnenreitens.

Eine Mülltonne war in der Nachkriegszeit im Gegensatz zu dem heutigen Plastikmist noch etwas eisern Bodenständiges. Eine runde Walze aus solidem Stahlblech schloss ein Deckel mit Griffholm ab, der sich in der Phantasie des Knaben zum Sattel eines Grauschimmels wandelte. Zumal die Haltegriffe beiderseits der Tonne den nackten Füßen wunderbar als Steigeisen zu dienen vermochten. Wichtig war ebenso der eiserne Ring, welcher zum Schutz und zur Verstärkung um den Rand des Tonnenbodens angeschraubt war, aber ebenso willig das wilde Wippen eines zehnjährigen Cowboys aus München ertrug.

Ja, München. Das Wirtschaftswunder erblühte, der Familie ging es vermeintlich gut. Sie bewohnte eine große Wohnung in einem mächtig prächtigen Block, der – massiv in der Vorkriegszeit erbaut – allen Zerstörungsversuchen durch Bomben und Granaten der Befreier widerstanden hatte, weil eben diese Bomben und Granaten andere Anwesen in dem Stadtteil weggeputzt hatten. Äußerst rührige Trümmerfrauen hatten jedoch aufgeräumt, und damals noch fleißige Maurer längst wieder hässliche Neubauten geschaffen. Sein Wohnblock jedoch blieb ein fast barocker Altbau und war den Bewohnern freundlich gesinnt. Er besaß einen großen Innenhof mit Wäscheständer, Teppichklopfstangen und Kinderspielplatz auf grüner Wiese, umgeben von einem Rundweg, auf dem sich stundenlang ungefährdet radeln ließ. Im Uhrzeigersinn, wenn Hannemann nicht gerade lieber bei den Mülltonnen zugange war.

Am Anfang seiner Reitübungen schaukelte Hannemann die Eisentonne vor und zurück, hin und her, gewann jedoch kaum ein paar Zentimeter Raum. Übung machte aber den Reiter, sehr bald brachte er es durch starkes Anpressen seiner Oberschenkel und rechtskreisende Bewegungen seines Unterleibes zu einer derart meisterlichen Beherrschung der Fliehkräfte, dass er seinen Lieblingsschimmel in wilden Kreisen um die übrigen Tonnen wirbeln lassen konnte. Erst beidhändig, dann einhändig und schließlich sogar freihändig. Ideale Voraussetzung für die besten Ausritte war, wenn die Füllmenge des Unrats etwa ein Drittel des Tonnenbauchs betrug, wovon sich der Knabe stets durch einen raschen Blick unter den Deckel überzeugte.

Bei einem dieser herrlichen, Freiheit versprechenden Tonnenritte verfolgten ihn aus dem Fenster ihres Kinderzimmers die spöttisch neugierigen, aber auch verlangenden Augen von Ingrid. Sie entdeckte in ihm den Mann, wollte, dass er sie dieses Reiten lehrte. Und Hannemann war nur zu willig, sie in seine Welt einzulassen. Doch obwohl er ihr seine beste Tonne – kenntlich an dem durch seine Lederhose dunkel polierten Satteldeckel – großzügig überließ, war sie zu ungeduldig, setzte ihre Hüften nicht in den richtigen Schwung.

Ingrid verstand, typisch Weiber, nicht mal ein Stückchen der notwendigen Drehtechnik. „Ich schaffe das nicht. Wie machst du das bloß?“

„Es ist ganz einfach, du brauchst nur den Holm fest zu halten, mit deinen Beinen die Tonne zu umklammern, dann erst schaukeln und danach die Hüften drehen.“ Ingrid schaffte es wieder nicht, ihre Tonne stand wie festgenagelt. Da fragte er, um sie ja an seiner Seite zu halten: „Soll ich dir vielleicht lieber ein Märchen erzählen?“

Sie machte große neugierige Augen: „Kannst du das?“

Hannemann nickte: „Ganz bestimmt, denn wenn ich einmal groß bin, möchte ich ein berühmter Märchenerzähler werden.“ Damals konnte er nicht wissen, noch nicht, dass sein Schicksal diesem Wunsch folgen würde und ihn Koch werden ließ.

Ingrid und Hannemann – wie schön das klang – saßen still auf ihren Grauschimmeln. Er begann: „Du musst wissen, kleine Ingrid“, er kam sich bereits groß vor, fühlte sich voller Macht, „ich bin nicht nur ein Junge. Ich habe und hatte viele Gestalten, einmal war ich sogar ein Schmetterling. Ich lebte mit vielen Geschwisterchen fröhlich und ausgelassen bei einer mächtigen Trauerweide an einem kleinen Bach, und wir faulenzten alle Tage. Da erschien aus dunklem Nichts der schwarze Zauberer, der über die Nacht, den Donner und den Sturm gebietet. Der Schwarze aber fing uns in seinem klebrigen Zaubernetz, fesselte uns mit Seidenbändern, sodass wir uns nicht mehr rühren konnten. Wir waren zu Raupen geworden. Da hängte der Zauberer uns zwischen die Zweige der riesigen Weide.

Der böse Magier sammelte uns, um seine Amseln zu füttern. Die wollte er nämlich selber fressen, wenn sie genügend fett geworden wären und, knusprig gebraten, richtig lecker nach jungen Schmetterlingen schmecken würden. Jedenfalls konnte ich nichts sehen in meinem seidenen Mantel, aber ich hörte die Amseln herbeifliegen und meine Geschwister verschlingen. Du kannst dir vorstellen, meine Angst wurde übergroß.

Doch ich war stark, wollte länger leben und so kam ich auf eine kluge List. Ich lernte die Sprachen der anderen Tiere, welche aus diesen oder jenen geschäftigen Gründen meine Weide besuchten. Ich lernte das Krähen des stolzen Hahns, das Bellen des Hofhundes und das Grunzen und Quieken von Mutter Schwein, wenn sie ihre lehmigen Borsten an der rauen Rinde des Baumes rieb. Und als ich wieder die hungrigen Amseln heranfliegen hörte, schrie ich in höchster Not auf perfektem Schweinisch: „Oink, oink, wo sind nur die Amseleier, wo sind nur die Amseleier?“

Die dummen Vögel flogen sogleich voller Angst zu ihren Nestern, hoch in den Ästen der Bäume gebaut, und sorgten für ihre Brut. Doch sehr bald erkannten sie, dass Schweine gar nicht fliegen können, also keine Gefahr für Amseleier sind, und sie bekamen rasch wieder großen Appetit auf junge gewickelte Schmetterlinge. Mittlerweile sprach ich jedoch ebenfalls gut Katzisch, von der dicken Hauskatze aufgeschnappt, die so gerne nahe der Wurzeln der Weide schnurrte und nachts nach dem schwarzen Kater maunzte. Also schrie ich erneut die gefräßigen Flieger an: „Miauu, miauu, miooh, ich habe schrecklichen Hunger auf Amseln! Ich will auf der Stelle frische Amseln fressen, schöne fette Amseln!“

Erneut bekamen die Vögel fürchterliche Angst und flogen in Scharen davon. Durch mein lautes Katzengeschrei hatte ich aber die silberne Weidenelfe aus ihrem Sonnenschlaf geweckt, und sie lachte laut über mein erbärmliches Katzisch: „Ja, welcher Wicht plärrt denn da so in der ruhigen Mittagsstunde?“

Voller Ehrfurcht antwortete ich zitternd: „Ich bin es, ein kleiner Schmetterlingspupperich, der nicht von den Amseln gefressen werden will.“

Die Elfe hatte Mitleid mit mir und hüllte mich in feinen grünen Wutstaub. Die grüne Wut ließ mich sogleich wachsen, der Staub gab mir zornige Kraft, und ich rüttelte, schüttelte an meinen seidenen Schnüren. Ich riss mit meinen Zähnen an den Fesseln, endlich zerbiss ich die Stränge, fraß mir ein Lebensloch, quetschte mich durch und flog in das Licht.

Ich war der schönste Schmetterling auf der ganzen weiten Wiese geworden, besaß rote Fühler und prächtig gelbe Flügel, bunt getupft mit leuchtenden Kreisen. Und ich genoss die warmen Stunden unter der ewigen Sonne mit hier einem Schlückchen Rosenwasser und dort einem Häppchen Blütenpollen. Dann wiederum schwebte ich mit dem Sommerwind zwischen Gräsern und Blumen am Plätscherbach. Alle anderen Lebewesen, die Libellen, die Ameisen, die Mücken und selbst die Hummeln beneideten mich wegen meiner Schönheit. Da war ich mir ganz sicher. Ich spielte weiter in der lauen Luft, als ich plötzlich ein Leuchten zwischen den Grashalmen sah. Ich flatterte näher und hielt mich vor Überraschung an einem Kleeblatt fest, denn ich hatte wie durch ein Wunder einen großen funkelnden Diamanten entdeckt. Ein Edelstein für mich allein.

Der Edelstein hatte einer alten Bettlerin gehört und diese wiederum hatte ihn für einen Teller billiger Graupensuppe von einem verwunschenen Prinzen erhalten, als der nach drei Tagen – völlig verwirrt und ausgehungert – aus einem unwegsamen dunklen Urwald getaumelt kam und dankbar für die gute Mahlzeit die Alte reichlich belohnte. Doch die Bettlerin steckte den Stein in ihren zahnlosen Mund, um ihn sogleich, als er weder salzig noch süß schmeckte, noch sonst zu irgendetwas taugte, in das Gras meiner Wiese zu spucken. Da aber war der verwunschene Prinz, gestärkt von der billigen Graupensuppe, bereits wieder auf seinem schnaubenden Rappen unterwegs zu den sieben Bergen, wo das Schneewittchen und die sieben Zwerge längst auf ihn warteten. Der Stein war daher mein.

„Du bist das Allerschönste auf der grünen Erde, und ich werde dich hüten und bewahren wie mein eigenes flattriges Leben.“ Das schwor ich dem glitzernden Stein, doch er gab keine Antwort. Obwohl er sich sicherlich wunderte, warum er sich auf einer feuchten Wiese befand und was er da anstellen sollte. Ich jedoch hielt meinen Schwur, ließ mich auf ihm nieder, breitete meine gelben Flügel über ihn und versteckte unter ihrem Schatten seine strahlende Schönheit. Es war mein Stein, ich wollte auf ewig für ihn sorgen. Diese Aufgabe überstieg allerdings bald meine Kräfte, meine Flügel wurden zittrig lahm. Erneut half der grüne Wutstaub, und ich rief mit letzter Kraft die Weidenelfe zu Hilfe.

„Möchtest du denn ewig mit der kalten, unnützen Pracht eines Steines leben?“, fragte mich die kluge Elfe. „Schau, du hast die Sonne und den warmen Sommerregen, dir gehören die reifen Früchte und deren Nektar, und du darfst mit dem Wind und den Blumen spielen. Willst du das wirklich alles für einen derart eisigen Gesellen aufgeben?“

„Aber ich bin jetzt reich, unermesslich reich! Ja, ich will auf ewig mit meinem Reichtum leben“, trotzte ich der Elfe. Da schüttelte sie traurig ihre Silberlocken, folgte jedoch meinem Wunsch. Sie fuhr mit ihrem Zauberstab durch die Sommerluft, der Himmel verdunkelte sich, und es regnete viele durchsichtige Kristalle. Diese Kristalle umschlossen den stummen Stein und mich für immer in einer gläsernen Kugel.“

Hannemann hatte geendet, saß stumm auf seiner Tonne und wartete auf Ingrids Lob. Der Tonnendeckel drückte seinen Po, er spürte den Schweiß der Aufregung unter seinen Achseln, doch die junge Wilde rührte sich nicht. Sie schwieg, hatte wohl den Sinn seines Märchens nicht verstanden.

Ingrid war enttäuscht und übertünchte ihre Enttäuschung mit gespielter Langeweile, drohte sogar damit, ihn nach wenigen anregenden, jedoch keineswegs befriedigenden Nachmittagen zu verlassen. Das durfte schlichtweg nicht sein, und in seiner Not, die Geliebte für immer zu verlieren, schlug er ihr vor, mit ihm Rad zu fahren. Im Hof. Nebeneinander im Uhrzeigersinn. Ingrid willigte ein. Sie fuhren viele Jahre im Uhrzeigersinn nebeneinander.

Später, wann immer ihn die Fügung nach München trieb, nahm sich Hannemann die Zeit, das prächtige Haus zu besuchen, welches Ingrids Heranwachsen beschützt hatte. Hannemann studierte dann das Klingelschild, als ob es noch ihren geliebten Namen trüge. Doch sie war gegangen, unverzeihbar, mit einem pickeligen Brillenpimpf und hatte sein eigenes, ehrlich gemeintes Heiratsversprechen schnöde dem Wind geschenkt.

Noch viele, teils hässliche Geschichten später, als er sich endlich von der Blonden getrennt hatte, war er doch tatsächlich versucht gewesen, eine Detektei zu beauftragen, um Ingrids momentanen Lebensumstände auszuforschen. Und wenn sie in der Gosse lag, bitter enttäuscht von diesem Aknenichts – da war er sich sicher –, wollte er sie an sein gütig verzeihendes Herz nehmen. Allein der Gedanke, etwas, das sich möglicherweise doch bewährt hatte, mit seinem omnipotenten Auftreten zu zerstören, hatte ihn letztendlich davon abgehalten. Aber Hannemann wusste auch, dass ein ewig ausgleichendes Schicksal zusammenfügen würde, was zusammenfinden sollte.






















Das unglaublich unglaubwürdige Leben des Hannemann

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