Читать книгу Sucht Ho Ki Su - Hans Gerd Scholz - Страница 9

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„Sie haften mir mit ihrem Kopf dafür, dass der Kerl wieder eingefangen wird“, donnerte der Chef der Geheimpolizei, General Lee Son Ok wütend. Han Sorya nickte ergeben.

Seit 15 Jahren war er Chef des Spezialkommandos zur Sicherung der Einsatzbereitschaft des Militärs. Er hatte über die Disziplin der Soldaten, vor allem aber über die politische Zuverlässigkeit der Männer zu wachen. Jeder Defätismus war auf der Stelle mit Haut und Haar zu eliminieren. Wurde ihm von abweichenden Meinungen, abweichendem Verhalten einzelner in der Truppe berichtet, schritt er ein. Mit der ganzen Härte, die ihm zur Verfügung stand, erpresste er Geständnisse, ermittelte er Gleichgesinnte und zog sie in den Folterkellern zur Rechenschaft.

Natürlich hatte er dafür seine Leute und brauchte sich nicht selbst die Finger schmutzig zu machen. Aber bei besonders dreisten Vergehen wie Beleidigungen des Staatsführers, selbst wenn diese nur sehr leise und im Verborgenen geäußert wurden, war er höchstpersönlich bei den Befragungen zugegen. Und sorgte allein schon durch seine Anwesenheit dafür, dass sie gründlich und mit allen zu Gebote stehenden Mitteln durchgeführt wurden.

Wäre dies anders, wäre er erfolglos oder stünde sogar im Verdacht, zu gnädig mit den Verdächtigen umzugehen, würde ein anderer bei der nächsten Säuberung seine Stelle einnehmen. Das wusste er. Und daran musste er denken, als er den Auftrag bekam. Ho Ki Su zu suchen.

Ruhelos schritt er in seinem Büro auf und ab. Auf dem mächtigen Schreibtisch aus Eichenholz stapelten sich die Unterlagen des Strafgefangenen. Immer wieder hatte er sie eingehend studiert und hatte so fast alle Details über die Person des Flüchtenden im Kopf.

Er betrachtete das Fahndungsfoto. Ein großgewachsener Mann in Uniform. Pisspottfrisur unter der Schirmmütze. Wie sie bei allen Soldaten üblich war. Genau die Frisur, die auch der Große Staatsführer trug. Und natürlich Han Sorya selbst.

Ein Mann von 35 Jahren. Sicher noch in guter körperlicher Verfassung nach der relativ kurzen Lagerhaft. Bewaffnet. Und gefährlich, weil er verstand, mit Waffen aller Art umzugehen, sollten sie in seine Hände gelangen.

Doch das war das Problem seiner Häscher, seiner Agenten. Die mussten dafür sorgen, dass der kerl schnellstmöglich eingefangen wurde. Tor oder lebendig. War egal. Nur unschädlich musste er gemacht werden.

Er würde alles tun, um der gestellten Aufgabe gerecht zu werden. Ihm unterstand ein Team von Fahndungsspezialisten. Das sie jederzeit vergrößern konnten. Auf Abteilungen der Koreanischen-Volks-Armee hatte er ebenfalls Zugriff, sofern er weitere Unterstützung benötigte. Und die KVA bestand aus mehr als einer Million Soldaten, nach der chinesischen die größte in Asien. Dies allein schon dadurch, dass der Dienst je nach Waffengattung drei bis sieben Jahre dauerte. Jeder Soldat wurde während seiner Ausbildungszeit so indoktriniert, dass er es als seine heilige Pflicht ansah, für die Verteidigung des Landes und die Wiedervereinigung Koreas bis zum letzten Blutstropfen zu kämpfen. Wiedervereinigung natürlich unter der Vorherrschaft des Nordens. Auf die Soldaten war Verlass. Auf die meisten jedenfalls.

Hinzu kam die modernste technische Ausrüstung, über die man zur Zeit verfügte. Darunter gab es neben den Kampfhubschraubern und Düsenjägern vom Typ MIG 29 aus russischer Produktion auch hochmoderne Kommunikationstechnik. Damit musste es doch möglich sein, einen isolierten, hilflosen, umherirrenden Strafgefangenen zu erwischen.

Um sicherzugehen, dass alle von der Bedeutung dieser Aufgabe überzeugt waren und daher alles in ihrer Macht stehende tun würde, ließ er die Chefs der einzelnen Abteilungen zu einem Treffen laden.

Im Konferenzraum vor dem Ölgemälde des Kim Sung Il hatte er den Tisch an der Frontseite der Konferenzrunde inne. Wie immer bei solchen Anlässen trug er die makellos gebügelte olivgrüne Uniform seines Ranges mit all den Orden und Abzeichen, die ihm bislang verliehen worden waren. Auf dem Kopf trug er die große Schirmmütze in den rot-schwarzen Farben der übrigen Uniformteile. Zahlreiche Teilnehmer waren in Zivil erschienen. Nur in Ausnahmefällen trugen sie Uniform. Fast alle Angehörigen der Geheimdienste, sowohl der Polizei, des Militärischen Abschirmdienstes und der Auslandsaufklärung waren normalerweise in graue Dienstanzüge gekleidet, die sie nicht auf den ersten Blick als Angehörige des Polizeiapparats erscheinen ließen.

Er führte ihnen vor Augen, welche Gefahr der Entflohene für die Sicherheit des Landes, Ihres Landes, darstellte. Dass alle Errungenschaften gefährdet wären, dass der Feind ungestraft seine Hand nach ihnen ausstrecken konnte, dass sie wehr- und hilflos alle, ausgeliefert wären, was dann auf sie zukommen würde. Und dass jeder einzelne damit rechnen müsse, vor ein Gericht dieser ausländischen Hunde gezerrt zu werden, wo mit Sicherheit der Kopf rollen würde.

Deshalb sei alles, wirklich alles daran zu setzen, um diesen Burschen wieder einzufangen. Niemand musste geschont werden. Übergriffe gegen jedermann waren erlaubt, wenn sie im weitesten Sinn der Sache dienten. Kollateralschäden in der Bevölkerung, auch bei Frauen und Kindern, stellten kein Hindernis dar. Niemand würde zur Rechenschaft gezogen werden für das, was bei dieser Jagd nach dem Flüchtling auch immer passieren würde.

Er redete nicht nur so daher, das spürten alle. Ihr Chef stand hinter dem was er sagte. Hinter jedem einzelnen Wort. Weil es seiner tiefsten Überzeugung entsprach, dass er das richtige tat. Dass er das richtige wollte. Dass alles dem Ziel, der Ergreifung des Verräters unterzuordnen war.

Eigentlich war Han Sorya kein schlechter Mensch. Das glaubte er nicht von sich. Er hatte eine Aufgabe, bei der jede menschliche Regung wie Mitleid oder Emphatie nichts verloren hatte. Grausamkeit, Härte, Brutalität waren, richtig eingesetzt, ein wichtiges Mittel, um zu guten Resultaten zu kommen. Privat war er anders. Seine Frau liebte seine sanften Augen, die Art, wie er mit den beiden Kindern spielte oder die Liebe, die er selbst dem grauen Mischlingshund entgegenbrachte, der ihnen vor drei Jahren zugelaufen war. Manchmal wünschte er sich einen anderen Beruf. Indem er so sein konnte, wie er eigentlich war, wie es seinem Leben entsprach. Vielleicht wäre er besser auf den ärmlichen Feldern ihres Dorfes, auf dem heimatlichen Hof geblieben. Aber das war vorbei. Er hatte Pflicht zu erfüllen.- Mittlerweile war er 54 Jahre alt und keinerlei berufliche Alternativen. Schnell wischte er die Gedanken beiseite und konzentrierte sich auf das, was er zu tun hatte.

Er informierte die Teilnehmer über die Person des Gesuchten, ohne einen Blick in die Unterlagen werfen zu müssen. Geboren 1982, also im besten Mannesalter. Nach der obligatorischen siebenjährigen Schulzeit Besuch der Universität für Wissenschaft und Technik in Pjöngjang. Dies war möglich, weil er einer linientreuen Familie entsprang. Der Vater war Dezernent im Landwirtschaftsministerium, mittlerweile aber verstorben. Seine Mutter lebte seither in der Familie ihrer Schwester. Geschwister hatte er keine.

Nach Abschluss des Studiums als Waffentechniker Wechsel in den Militärdienst mit Grundausbildung, und Spezialtraining als Einzelkämpfer. Diese beinhaltete neben Überlebenstechniken auch eine spezielle Ausbildung in den Nahkampftechniken.

Han Sorya fluchte. Dies war genau das, was er nicht lesen wollte. Männer mit diesem Hintergrund konnten einem schon das Leben schwer machen. Schwerer jedenfalls als es notwendig wäre.

Außerdem beherrschte dieser Ho Ki Su sehr gut die chinesische Sprache. Daneben verstand er

Einigermaßen Englisch und rudimentäres Russisch.

Han Sorya verstand, dass er diesen Mann nicht unterschätzen durfte. Der Kerl war zur Härte erzogen, würde mit widrigen Verhältnissen fertig werden und verstand zu kämpfen. Außerdem hatte er auch etwas im Kopf. Schlimmer hätte es nicht kommen können. Dennoch: Was war dies alles gegen die gesamte Staatsmacht, gegen deren Technik, gegen Männer wie ihn, die sie einzusetzen wussten. Und dieser Ho Ki Su war beileibe nicht der erste, den sie sehr schnell wieder eingefangen hatten.

Längst war die Fahndung heraus. Längst wusste jeder Spitzel von dem Gesuchten. Längst war jede Polizei, Zoll, und sonstige Dienstelle entlang der gesamten Grenz- und Küstenlinie informiert. Eine Flucht über den internationalen Flughafen in Pjöngjang war sowieso völlig ausgeschlossen. Bald würde er entdeckt werden. Dafür sorgten schon die ständig im Fernsehen ausgestrahlten Fahndungsaufrufe. Irgendjemand würde ihn entdecken, erkennen oder einen Hinweis liefern. Der Flüchtling hatte keine Chance.

Soeben wurde gemeldet, dass man den Lagerkommandanten gefunden habe. Han Sorya ließ den Mann vorführen.

„Was haben sie sich eigentlich dabei gedacht, bei ihrem bodenlosen Leichtsinn? Wie konnten Sie ohne gründlich Kontrolle das Lagertor passieren? Was hatten Sie außerdem noch nachts auf den Straßen zu suchen?“

Die Fragen prasselten wie Machinengewehrsalven auf den schockierten Kommandanten. Ehemaligen Kommandanten, soviel war längst klar. Dem nichts von seiner Selbstsicherheit, seinem großspurigen Benehmen von einst geblieben war. Sollte er je wieder dieses Vernehmungsgebäude verlassen, dann wohl nur, um direkt in eines jener Straflager zu wandern, die er zuvor kommandiert hatte. Wenn er seine Lungenentzündung, die er sich beim Warten auf Hilfe auf dem nackten, kalten Boden zugezogen hatte, überleben würde. Dafür interessierte sich aber niemand. Wenn dieser Kerl daran verreckte, dann war das eben so.

Schicksalsergeben und kleinlaut beantwortete der ehemalige Kommandant so gut er konnte die gestellten Fragen. Im Grunde interessierten seine Antworten nicht wirklich. Aus ihnen würde sich kaum auf die Pläne und den jetzigen Aufenthaltsort von Ho Ki Su schließen lassen. Das wusste auch Han Sorya und ließ den Festgenommenen abführen.

Kurze Zeit später wurde er informiert, dass das Fluchtfahrzeug gefunden war. Nachdem man sämtliche Feld- und Waldwege erfolglos durchkämmt hatte, begannen Taucher im Fluss zu suchen und waren fündig geworden. Man konnte noch ein paar Fingerabdrücke von dem Gesuchten sicherstellen und sie mit den gespeicherten aus der Personalakte abgleichen. Dann stand fest, dass Ho Ki Su in dem Russenjeep geflohen war.

Doch schließlich verlor sich seine Spur in Kanji Dong, der Stadt mit dem Eisenbahnknotenpunkt. Bis dort hin war er aller Wahrscheinlichkeit nach gelangt. Han Sorya stellte sich vor die große Karte, die die hintere Wand seines Büros verhüllte. Versonnen starrte er darauf.

„Was würdest du an seiner Stelle jetzt tun?“ fragte er sich.

Der einzig logische Weg führte nach Norden. Der größte Teil des Landesinnern war mit Längstälern in Nord-Süd-Richtung durchzogen. Um möglichst schnell voranzukommen, würde er ihnen folgen müssen. Das ständige Überschreiten der Gebirgskämme würde nicht nur sehr viel Mühe erfordern, sondern auch die Zeit vervielfachen. Er musste diese Bach- und Flusstäler also mit Wachtposten sichern.

Über See zu entwischen war völlig unmöglich, nachdem die Küstenwache mit modernen Patroullienbooten und Ortungssystemen jede Schiffsbewegung im Blick hatte. Kein noch so kleines Boot würde unentdeckt bleiben. Das wusste auch sein Gegner.

Würde er es wagen, den Tumen zu überschreiten? Dieser besonders gut gesicherte Grenzabschnitt nach Russland war ebenfalls kaum zu überwinden. Er konnte sich nicht vorstellen, dass Ho Ki Su es riskierte. Oder vielleicht gerade deshalb? Weil niemand damit rechnen würde? Er beschloss, noch einmal mit dem Befehlshaber dieses Bereichs zu sprechen.

Sehr viel wahrscheinlicher war ein Versuch, über die relativ schwach gesicherte Seegrenze im

Westen nach China zu gelangen. Hier wurde an Mitteln gespart, da der mächtige Nachbar schon dafür sorgen würde, dass kein feindlich gesinntes Schiff Zugang in den Meeresarm von Bo Hai erlangen würde. Die Meerenge zwischen den Miaodao-Inseln und der äußersten Südwestecke Nordkoreas, der Hafenstadt Lushun in der Nähe der Großstadt Dalian war hermetisch abgeriegelt.

Deshalb musste man es mit der Überwachung dieser Region auch nicht übertreiben.

Was blieb, war die nördliche Landesgrenze nach China. Hier würde es Han Sorya wohl versuchen, wenn er in der Lage des Flüchtlings wäre. Sie war ebenfalls nur schwach gesichert.

Aber warum war er dann in Richtung Osten geflüchtet? Das machte irgendwie keinen Sinn. Wollte er nur eine falsche Spur legen? War das nicht zu viel der Mühe? Warum verschwand er nicht so schnell wie möglich ins innere Hochland, in die extrem dünn besiedelten Region des Rangnim-Gebirges, wo ihn auch eine Armee Soldaten so schnell nicht aufstöbern konnte.

Sucht Ho Ki Su

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