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Kapitel 1

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Kathrin stieg aus dem Postauto. Der Fahrer hob zum Abschied die Hand, sie winkte zurück. Dann schulterte sie ihre grosse Tasche und marschierte los.

Es war ein sonniger Tag im späten Februar. Der schmelzende Schnee tropfte von den Dächern und rann in kleinen Bächen über die Strasse. Über den dunklen Tannenwäldern, die die sanften, ausladenden Hügel des Emmentals krönten, spannte sich ein tiefblauer Himmel. Von ferne grüssten die Gipfel der Berner Alpen. In der Luft lag ein verheissungsvolles Wehen. Der Frühling kündigte sich an.

Kathrin atmete die frische Landluft in vollen Zügen ein und lenkte ihre Schritte auf das kleine Bauerndorf zu, an dessen Rand das Postauto angehalten hatte. Die kleine Kirche mit dem grossen, fast schlossähnlichen Pfarrhaus, der Dorfladen, die mechanische Werkstätte, die Poststelle und das gute Dutzend darum herum gruppierter Bauernhäuser waren ihr ein vertrauter Anblick: Es war das Dorf, in dem sie aufgewachsen war.

Vor vier Jahren hatte sie das Elternhaus verlassen und war nach Bern gezogen, um sich an der Pädagogischen Hochschule – von Insidern nur PH genannt – zur Lehrerin ausbilden zu lassen. In dieser Zeit lebte sie zusammen mit einer Mitstudentin in einer billigen Studiowohnung. Die Eltern besuchte sie nur zu Weihnachten und Ostern. Sie genoss das Wegsein von zu Hause und die belebende Wirkung, die das pulsierende Leben in der Stadt auf sie ausübte. Als sie dann aber das Lehrerpatent in der Tasche hatte, kam sie plötzlich ein heftiges Heimweh an; sie konnte sich nicht mehr vorstellen, jemals in einer Stadt zu unterrichten. Sie bewarb sich um die ausgeschriebene Lehrerinnenstelle in ihrem Heimatdorf – und bekam sie.

Nun befand sich die 24-Jährige auf dem Weg ins elterliche Heim, wo sie, zumindest vorläufig, wieder wohnen würde. Sie freute sich unbändig darauf, in den Schoss ihrer Familie zurückzukehren.

Die Leute auf der Strasse schauten ihr neugierig nach. Sie kannte sie alle, aber kaum einer erkannte sie wieder. Kein Wunder: Sie hatte sich in den vier Jahren ihrer Abwesenheit stark verändert. Aus dem unscheinbaren, ein wenig pummeligen Mädchen war eine elegant gebaute, auffallend hübsche junge Frau geworden. Ihr dunkelblondes, schulterlang geschnittenes Haar umspielte seidig ein edles Gesicht, dem leicht schräg stehende, nussbraue Augen und starke Wangenknochen ein exotisches Gepräge verliehen. Sie trug modische, aber nicht aufdringliche Kleidung und bewegte sich mit der sicheren Anmut einer Tänzerin.

Das Haus, in dem sie zur Welt gekommen und aufgewachsen war, lag etwas abseits des Dorfes am Waldrand. Es war ein typisches Emmentaler Bauernhaus, stattlich, ganz aus Holz gebaut, alt und ehrwürdig, mit breitem, schindelgedecktem Walmdach und einer Ründe an der westlichen Schmalseite. In der gegen den Sonnenaufgang gelegenen Hälfte des Hauses war der Stall, in der anderen die Bauernwohnung untergebracht. Im Sommer würden Geranien die Fenstersimse des Wohntraktes schmücken; jetzt, im Februar, konnte davon natürlich noch keine Rede sein. Stattdessen spiegelte sich in den Fenstern anheimelnd die Vorfrühlingssonne.

Langsam – denn sie wollte die Vorfreude auf das Wiedersehen mit den Eltern noch etwas auskosten – näherte sich Kathrin dem Haus. Bäri, der stolze und kräftige Berner Sennenhund, trabte ihr entgegen. Im Gegensatz zu den Leuten im Dorf erkannte er sie, seine Nase liess sich nicht täuschen. Er stiess begeisterte Japslaute aus, stieg an Kathrin hoch und versuchte, ihr das Gesicht abzulecken.

Sie wehrte ihn spielerisch ab. „Bäri, mein Guter, jetzt hab ich dich wieder“, sagte sie und kraulte ihn am Hals.

Vom Hund begleitet, der immer wieder an ihr hochsprang, legte sie die restliche Strecke zum Haus zurück. Sie trat ein, schaute in die Küche, dann ins Wohnzimmer. Da war niemand.

„Hallo, ihr lieben Leute“, rief sie laut.

Keine Antwort.

„Bäri, sag, wo sind sie denn alle?“, fragte sie, trat wieder nach draussen und ging hinter das Haus, um nachzusehen, ob hier vielleicht jemand anzutreffen sei.

Tatsächlich: Hinter dem Haus war ein alter Mann damit beschäftigt, Holzbündel zum Heizen, sogenannte Wedelen, zu binden. Er war eher klein, aber kräftig gebaut und für sein Alter erstaunlich rüstig, hatte kurzes, weisses Haar und einen rauschenden Älplerbart. Er trug einen alten Armeemantel, und aus seinem Mund hing eine gebogene Tabakspfeife, aus der würzige Rauchwölkchen kringelten.

„Grossvater!“, rief Kathrin und lief auf den alten Mann zu. Dieser nahm die Pfeife aus dem Mund, legte sie bedächtig auf den Hackklotz, lächelte und öffnete die Arme, in die sich Kathrin aufjauchzend warf.

„Grossvater, grüss dich wohl“, jubelte sie und umarmte ihn ihrerseits.

Nach einer Weile löste der Grossvater die Umarmung, hielt Kathrin um Armeslänge vor sich hin und unterzog sie einer eingehenden Musterung.

„Gut siehst du aus, Frau Lehrerin“, sagte er schliesslich. „Ein bisschen blass vielleicht, das kommt von der ungesunden Luft in der Stadt. Aber das renkt sich wieder ein. Und sonst gibt es an dir wirklich nichts auszusetzen, Donnerwetterchen nochmal. Ich bin stolz auf dich. Wir alle sind stolz auf dich.“

Er griff wieder nach der Pfeife, zündete sie an, paffte, schwieg und lächelte zufrieden. Wie die meisten Menschen hier im Emmental war er kein Mann der grossen Worte.

Sie winkte bescheiden ab. „Nun übertreib’s mal nicht mit deinem Lob“, sagte sie. „Und wie geht’s denn dir? Besucht dich in der Nacht noch immer das Toggeli?“

Das Toggeli war jenes unheimliche Wesen, von dem sich die älteren Leute an langen Winterabenden erzählten und von dem es hiess, es setze sich nachts den Schläfern auf die Brust und raube ihnen den Atem. Manche Leute würden dabei laut schreiend erwachen.

„In letzter Zeit nicht mehr so oft“, antwortete der Grossvater. „Und jetzt, wo du wieder da bist, verschwindet es vielleicht ganz, wer weiss. Es könnte ja sein, dass es sich vor Leuten aus der Stadt fürchtet.“ Der Grossvater zwinkerte vergnügt.

Kathrin zwinkerte zurück. „Ja, das ist durchaus denkbar – vor allem, wenn es sich bei den Leuten aus der Stadt um junge Lehrerinnen handelt. Das Toggeli hält solche Personen für zauberkundige Hexen und fürchtet sie entsprechend. – Sag, Grossvater, wo sind eigentlich die anderen?“

„Dein Vater und dein Bruder sind im Wald beim Holzen, und die Mutter bringt ihnen gerade das Zvieribrot. Sie wird wohl bald wieder zurück sein.“

„Ach, ich freue mich ja so. Du, ich gehe jetzt zurück ins Haus, ich muss doch mein Zimmer möglichst schnell wieder in Besitz nehmen.“

„Ja, tu das. Deine Mutter hat gestern alles vorbereitet.“

„Wie lieb von ihr. Bis später dann.“

Kathrin begab sich ins Obergeschoss und öffnete die Tür zu ihrem Zimmer, das eigentlich mehr ein Kämmerchen denn ein ausgewachsenes Zimmer war. Aber hier hatte sie schon immer gehaust, es war ihr privates Reich, ein Refugium, in dem sie ihre Kinderspiele gespielt, ihre Mädchenträume geträumt, ihre Trauer ausgeweint und ihre Freude ausgelebt hatte.

Ein vertrauter Geruch schlug ihr entgegen, eine Mischung aus jahrhundertealtem Holz, Stroh, Rauch, Leder, Erde und den betörenden Aromen der Jahreszeiten, die sich in den schweren Tragbalken der Decke verfangen und unauslöschlich eingeprägt hatten.

Kathrin stellte ihre Tasche auf dem dicken Teppich ab und warf sich, ohne die Winterjacke auszuziehen, aufs Bett.

Die Mutter war tätig gewesen, hatte das Bett frisch angezogen, die drei Fensterchen, die vom herabhängenden Krüppelwalm teilweise beschattet wurden, blitzblank geputzt, den Boden gebohnert und den massiven Holztisch mit einem Blumenstrauss geschmückt. Sie hatte wirklich an alles gedacht, sogar den gläsernen Schirm der Nachttischlampe, dem ein Stück fehlte, seit Kathrin fünfzehn war, ersetzen lassen.

Kathrin schloss die Augen und atmete tief ein. Ein seliges Lächeln umspielte ihr Gesicht. Sie war wieder zu Hause.

Teufelskraut

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