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Wenn man in den Schalterraum der Bank eintrat, lagen rechts die sich weit hinziehenden Einzelschalter, vor denen sich das Publikum aufhielt Es standen da Tische zum Schreiben, Sessel und Stühle und an der linken Wand mehrere große Lederbänke. Links vom Eingang führte eine Holztreppe mit geschnitztem Eichenholzgeländer in den Tresor hinab. Der Treppeneingang war offen. Unten kam man in einen kleinen Vorraum und dann an die Tresortür selbst, die, gleich einer mächtigen Stahlwand, den Zugang zu diesem Mammut-Kassenschrank versperrte. Das Buchstaben-Stellschloß war nach besonderer Konstruktion gearbeitet. Niemand außer dem Konsul Lindström und dem Hauptkassierer Reese kannte die Zahlenfolge des Stellschlosses, die obendrein alle Woche einmal geändert wurde.

„Es ist ganz unmöglich“, meinte Herr Henderson, „in diesen Tresor einzudringen. Denn selbst wenn man die Schlüssel hat, so muß man doch immer noch die Stellziffern wissen.“

Doktor Splittericht nickte, und wieder irrte jenes seltsame Lächeln um seine Lippen.

„Man hätte nur an den Luftschacht denken müssen, der doch eigentlich, wenn man so will, recht überflüssig ist.“

In diesem Augenblick trat der Generaldirektor des Bankhauses Lindström, Konsul Lindström, in den Vorraum des Tresors und begrüßte, mit besorgtem Blick die Tresortür musternd, die Herren von der Behörde. Mit Herrn Henderson war er seit langem befreundet. Er schüttelte den Kopf:

„Ich kann es mir doch gar nicht denken, lieber Herr Oberregierungsrat ... unter der Straße lang und durch die Hausmauer ...? Ist denn so etwas möglich?“

„Ja ...“ Der Oberregierungsrat strich den kurzen grauen Schnurrbart. „Es muß wohl sein, Herr Konsul. Eben sagte Doktor Splittericht noch ... übrigens, darf ich vorstellen: Herr Doktor Splittericht — Herr Konsul Lindström .... ach, die Herren kennen sich?“

Der Bankier reichte dem Detektiv die Hand:

„Ich habe viel von Ihnen gehört, Herr Doktor! Und gerade in diesen Tagen hatte ich vor, Sie in einer Sache um Ihren Rat zu bitten ...“

Der Detektiv verbeugte sich:

„Ich stehe immer zu Diensten, Herr Konsul!“

Der Oberregierungsrat lächelte verbindlich:

„Ja, aber der Doktor hat recht: an den Luftschacht im Tresor hätte man denken sollen ... der ist ja total überflüssig ... Wenn einer, der hier was zu suchen hat, hineingeht, so bleibt die Tresortür offen und er kriegt Luft von außen. Und wenn einer eindringt, der nichts darin zu suchen hat, dann hat man eigentlich nicht notwendig, für Luftzuführung zu sorgen ...“

Konsul Lindström stellte jetzt die Scheiben-Kombination des Stellschlosses an der Tresortür auf die nur ihm und dem Hauptkassierer bekannte Stellziffer ein und drehte das Handrad einmal. Dadurch wurde eine kleine Nische in der Außenpanzerung frei, und der Bankier erklärte dem Leiter der Kriminalpolizei: das sei die sogenannte Lafette. Dahinein täte man diesen Schlüssel, er holte aus einem kleinen Lederetui ein unwahrscheinlich kleines, flach-sichelartiges Instrument hervor, das er nun in die Vertiefung einpaßte.

„Sie sehen, lieber Herr Oberregierungsrat, ein Schloß gibt es hier eigentlich überhaupt nicht, wenigstens nicht an der Oberfläche der Tür. Das Schloß ist eingelagert in die hintere Panzerung. Erst die zweite Umdrehung des Handrades“, er legte seine Hand auf das Rad, „führt den Schlüssel mit der Lafette in das versteckte und so doppelt geschützte Patentschloß ... wenn ich jetzt das Rad noch eine halbe Drehung machen lasse, dann ist das Schloß offen, und gleichzeitig schiebt sich die hundert Zentner schwere Doppeltür selbsttätig auseinander.“

Er ließ seinen Worten die Tat folgen und trat dann mit dem Kassenboten Matschunke, der neben ihm stand, in den Tresor. Aber die beiden Männer prallten zurück, der Kassenbote schrie laut und Konsul Lindström griff nach dem blanken Stahl der Gittertür. Hinter den beiden reckten die Kriminalbeamten voller Neugier die Köpfe.

Was zuerst ins Auge fiel in diesem von automatisch aufflammenden Lampen erhellten Raum, waren nicht die aufgebrochenen Safes, auch nicht der Extraschrank, an den Konsul Lindström besonders gedacht hatte, weil gestern abend noch anderthalb Millionen in barem Gelde darin lagen — was so kraß ins Auge fiel und die Beschauer mit Entsetzen erfüllte, war der Mensch, der mitten im Raum tot auf dem Teppich lag.

Ein junger, großer und schlanker Mann in eleganter Kleidung. Der lag, die Arme verkrümmt und die Hände zu Fäusten gekrampft, lang ausgestreckt, das Gesicht nach unten, auf dem hellen Fußbodenbelag. Neben ihm lag die ausgebrannte Diebslaterne.

Kommissar Starkmann trat heran. Seine beiden Untergebenen folgten ihm.

„Drehen Sie mal den Mann um, Vogel!“

„Jawohl, Herr Kommissar!“ Und der Oberwachtmeister Vogel, ein wahrer Goliath, gegen den sich ein Verhafteter nur selten wehrte, nahm den doch schweren Menschen wie eine Puppe vom Boden auf und legte ihn auf den Rücken:

„Er ist schon ganz steif, Herr Kommissar.“

„Ja“, sagte der und sah bald den Wachtmeister, bald den Verbrecher an, „wie ist mir denn, Vogel? Das ist doch der ehemalige Leutnant, unser alter Freund Zalewski?“

Der Wachtmeister Vogel war im Kriminaldienst ergraut, er kannte die meisten der gewerbsmäßigen Einbrecher. Und nickte einsilbig:

„Ja ... Zalewski.“

„Na, na, reden Sie mal ’n bißchen, lieber Vogel, wenn’s auch schwer fällt! ... Seit wann ist denn der wieder draußen, der Zalewski?“

„Sechs Wochen.“ Und Wachtmeister Vogel schwieg abermals.

Lächelnd sagte der Kommissar, zu dem Generaldirektor und seinem Chef gewendet:

„Der Wachtmeister Vogel weiß mehr als wir alle, aber er sagt es nicht ... ’s muß hart kommen, wenn er mal vier Worte hintereinander sprechen soll. Was, lieber Vogel?“

Aber der Wachtmeister beantwortete auch diese Frage nicht. Er hatte sich niedergebeugt, hatte den toten Einbrecher durchsucht und die Brieftasche aus dem modern geschnittenen dunklen Tuchjackett genommen. Dann zog er aus der hinteren Hosentasche links eine Pistole und aus der rechts eine zweite, beides Brownings, heraus. In den Seitentaschen steckten ein an der Kette hängendes Schlüsselbund, ein Taschentuch und eine Handvoll zerknittertes Papiergeld.

„Das ist alles, was der Tote bei sich hat?“ fragte Starkmann.

Der Wachtmeister bückte sich noch einmal, nahm eine fein ziselierte Uhr aus der Westentasche des Toten, steckte sie ebenfalls zu sich. Dann hob er den Toten wieder hoch, als hätte er gar kein Gewicht, und legte ihn genau so nieder, wie er ihn gefunden hatte.

Inzwischen war der Polizeifotograf gekommen und die übrigen Herren der Mordkommission. Jetzt traten alle zurück, um Platz für den Fotografen zu schaffen. Eine große Lichtlampe wurde angeschlossen. In der weißblendenden Helle sah das Gesicht des toten Einbrechers wie Marmor aus.

Ein Reporter, der erste, der, Gott weiß woher, schon von dem Bankdiebstahl gehört hatte, stellte sich vor und übersah freundlich die kühlen Blicke, die ihn kaum willkommen hießen. Er ließ es sich auch nicht anfechten, als Herr Lindström deutlich sagte:

„Wir sind genug hier unten ... Sagen Sie mir bloß, lieber Oberregierungsrat, was bedeutet das?“

Der hob die Achseln, zeigte mit dem Finger auf den Geldschrank:

„War viel Geld darin?“

„Anderthalb Millionen Mark ... und was da drüben in den Einzelsafes“, er zeigte nach dem Metallschrank, der eine Kombination vieler, jetzt brutal aufgerissener Safefächer war, „was da drin gelegen hat, das wissen nur unsere Tresorkunden ... da kann es noch ganz nette Zivilprozesse geben ...“

Konsul Lindström schwieg. Er ging an den kleinen, aber ganz modernen Kassenschrank, dessen beide Schlösser mit dem Fernholzbrenner wie mit einer Schere aus der Stahlplatte herausgeschnitten waren ... Dicht neben dem Schrank lag die Brennlampe, ein Erzeugnis modernster Konstruktion, und daneben eines jener schweren Lederetuis, in denen die kleinen Staubsauger-modelle transportiert werden. Hier hatte dieser glänzende Beutel zum Transport zweier Eisenflaschen gedient, und Herr Henderson verbreitete sich eben über ihren Zweck: sie seien mit dem modernen Disu-Gas gefüllt gewesen, mit dem der Fernholzbrenner gespeist würde. Eine ganz neue Erfindung, die das Mitschleppen der großen Sauerstoffballons überflüssig mache.

In einer Art Trance sah der Bankier die Menschen und die Gegenstände in dem hell erleuchteten Tresorraum an sich vorüberhuschen. Der Verlust der anderthalb Millionen, die Sonnabend von der Reichsbank hereingeholt waren, um heute, am Letzten des Monats, den Ultimobedarf einer Kleinbahn, der Hauptkundin der Bank, zu decken, war gewiß schmerzlich. Doch die Diebstahlsversicherungen seiner Bank waren so ausreichend, so durchaus unanfechtbar, daß für die Firma auf keinen Fall ein allzu großer Verlust entstehen konnte. Nein, was den Konsul so schwer bedrückte, was in ihm diese widerwärtige Empfindung hervorrief, als schmecke er Blut, das war der tote Mensch dort vor ihm auf der Erde. Und in dieses grausige Bild mischte sich ein anderes. Er hörte die Stimme seiner Tochter, die ihn bat: „Du darfst mich jetzt nicht fragen, Papa, ich kann heute nichts sagen!“ — Was verbarg sich hinter dieser Weigerung ...? Die Furcht vor einem Menschen ...? Aber wer durfte seinem Kinde etwas anhaben ...? Hatte sie selbst etwas Unrechtes begangen? — Nein, er kannte Marions stolze, freie Seele! Hatte sie etwas getan, was unrecht war, so hätte sie auch den Mut gefunden, es einzugestehen.

„Was ist nun eigentlich hier vorgegangen, meine Herren?“ wiederholte der Konsul seine Frage.

In diesem Augenblick kam noch jemand die kurze Treppe herab und drängte sich zwischen den Beamten durch. Herr Henderson ging ihm entgegen und sagte vorstellend:

„Sanitätsrat Rangower, unser Polizeiarzt.“

Ein kleiner, nicht sehr adrett gekleideter Herr von fünfzig Jahren mit buschigem Schnauzbart, der einen schwarzumrandeten Kneifer vor die Augen drückte, sofort die grüne Decke wegzog und, neben dem Toten in die Knie gehend, den Körper und das Gesicht musterte.

Er fühlte flüchtig den Puls, behorchte die Herzgegend und sagte mit heftiger Stimme:

„Herzschlag ... gar kein Zweifel“, er lauschte nochmals an der Brust, „sogenannter Betriebsunfall ...! Is mausetot, der Mann!“

Herr Henderson schüttelte ungläubig den Kopf.

„Aber wieso ...? Wie soll er denn — hier ’n Herzschlag gekriegt haben?!“ Doktor Rangower sprühte ordentlich vor Sarkasmus: „Das is ganz einfach! Arbeiterrisiko bei der Nachtschicht, Herr Oberregierungsrat!“

Henderson schien ärgerlich, aber er überwand seine Verstimmung und meinte nun seinerseits ironisch:

„Natürlich! Wer so befreundet ist mit dem Herrn Tod wie Sie, Doktor, der muß ja alle Scheu vor ihm verlieren!“

Der Sanitätsrat Rangower stand auf und drehte sich um:

„Danke bestens! Übrigens kann ich hier weiter nichts tun ... kommt ja später zur Obduktion, der Knabe, habe heute auch noch zu viel anderes vor!“

Und er ging, ohne sich um irgend jemand zu kümmern, durch den Kreis der Herren und verschwand auf der Tresortreppe.

Der Oberregierungsrat lächelte und wollte den Sanitätsrat, der im übrigen ein ganz vorzüglicher Arzt wäre, entschuldigen. Doch Konsul Lindström sah mit zerstreutem Blick an den Anwesenden vorbei:

„Mich entschuldigen Sie wohl auch für eine Weile, lieber Henderson ... ich muß mich erst wieder ein bißchen zusammenfinden. Außerdem warten meine Herren oben auf mich mit der Post ...“

Und er ging langsam die Treppe hinauf nach den Bankräumen.

Dort stand er noch und sprach ein paar Worte mit dem Vorsteher der Wechselkasse, als die Eingangstür förmlich aufgerissen wurde und ein großer, gebückt gehender Herr unsicheren Schrittes schnell hereinkam. Der Mann war leichenblaß, und als er eben den Hut abnahm, sah man das dichte weiße Haar, das unordentlich um den Kopf hing. Sein Winterpaletot stand offen, in der Eile und Aufregung hatte er sogar vergessen, die Krawatte zu binden, deren beide Enden herabhingen.

Konsul Lindström trat ihm entgegen:

„Aber lieber Herr Reese! Um Gottes willen, was ist denn mit Ihnen?!“

Der Hauptkassierer konnte nicht sprechen. Der Konsul nahm ihn unter den Arm und begleitete ihn die breite Treppe hinauf, die in die obere Etage der Bank führte.

„Ich kann es ja verstehen, lieber Freund, daß Sie sich darüber aufregen, aber schließlich trifft Sie doch keine Schuld. Es ist natürlich ein Unglück für die Bank und für jeden von uns ... das obendrein noch ein Menschenleben gekostet hat ...“

Nichts weiter als ein trockenes Schluchzen kam aus der Kehle des Hauptkassierers.

„So beruhigen Sie sich doch nur ...! Wollen Sie vielleicht wieder nach Hause fahren, lieber Reese? Wir kommen auch so aus ... außerdem habe ich schon an Ostermann telegrafiert, der seinen Urlaub natürlich unterbrechen muß ... Ich erwarte ihn heute noch.“

Der Hauptkassierer sah seinen Chef aus verstörten Augen an:

„Anderthalb Millionen Mark ... anderthalb Millionen ... und die Schlüssel ... die Schlüssel ...“

Er machte sich vom Arm des Generaldirektors los und lief fahrig mit seiner langen mageren Gestalt den Korridor hinab, der nur gedämpftes Licht aus den Deckenlampen erhielt.

Der Konsul war stehen geblieben und wartete auf den Lehrling Winter, der beflissen näher trat:

„Herr Reese hat sich furchtbar aufgeregt, als er es hörte. Ich dachte schon, er würde ohnmächtig werden Fräulein Gertrud kommt auch gleich.“

Der Konsul nickte:

„Es ist gut, Winter, gehen Sie man an Ihre Arbeit.“

Der junge Mensch verneigte sich in dem Gefühl seiner Wichtigkeit. Nachher, während der Frühstückspause, da würde er den Kollegen, die sonst immer auf ihn herabsahen, als wenn er gar nichts wäre, mal was erzählen!

Indem kam Gertrud Reese. Sie war ein Mensch, auf den man sich verlassen konnte. Hermann Reeses Tochter war schon ein paar Jahre in der Bank tätig und jetzt Privatsekretärin des Generaldirektors. Der Konsul kannte sie von Kind auf, er nannte sie heute noch „du“ und „Trudchen“, so daß sie von jedem in der Bank „Fräulein Gertrud“ gerufen wurde.

„Papa ist schon oben?“ fragte sie. „Ach, Herr Konsul, er hat sich entsetzlich aufgeregt, als der Winter kam. Und war schon so fruchtbar niedergedrückt ... Willis wegen ...“

Der Konsul sah sie fragend an, sagte aber nichts. Sie gingen nebeneinander den breiten Korridor hinauf. Der Plüschläufer dämpfte das Geräusch ihrer Schritte, und dem Konsul war, als ob dieser matt erhellte Gang sich in schattenhafte Angst und Unsicherheit verlor.

Rudolf Lindström konnte nicht weitergehen. Ganz unmöglich, daß er jetzt mit diesem zerbrochenen Menschen, dem Reese, über das Verbrechen sprach. In dieser Stunde war er nicht wie sonst imstande, Mitgefühl für andere aufzubringen. Er suchte selbst nach einer Seele, die ihm helfen und ihn stützen konnte. Er sah Gertrud mit einem langen Blick an und wandte sich rückwärts:

„Ich muß noch einmal nach unten ... geh du zu deinem Papa und sieh, daß du ihn ein bißchen beruhigst.“

Das Mädchen bewegte die vollen Lippen, als wollte sie etwas erwidern, aber dann nickte sie nur und ging weiter den Gang entlang.

Mord im Bankhaus Lindström

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