Читать книгу Ewig Lust auf Mädchen, ewig Lust auf Krieg - Hans Joachim Gorny - Страница 5
Die Traumfrau
ОглавлениеWeil er fest entschlossen war, nun auch die Malerwerkstatt auszuräumen und zu renovieren, informierte sich Vinn in einem Baumarkt über Holzböden. Zuvor hatte er eine Pritsche voll Papiermüll entsorgt. Das Werkstattgebäude stand parallel zum Wohnhaus, war aber länger. Dazwischen befand sich der Hof, auf dem der Kleinlaster parkte, am hinteren Ende des Hofes, der bemalten Fabrikwand entgegen, stand ein Carport, in dem früher Gerüstteile und Dielen lagerten. Das Gerüst hatte Amon vor langer Zeit verkauft.
Die Werkstatt zu renovieren bedeutete vor allem, Müll zu trennen und zu entsorgen. Mit leeren Kartons und alten Tapetenrollen hatte er den Anfang gemacht. Danach waren unzählige Lackreste zusammen zu putzen, die leeren Lackdosen und Eimer mussten austrocknen und mit anderem Metallzeug, wie alten Terpentinfässern, Trichtern und kaputten Geräten, zum Schrottplatz gebracht werden. Nicht verwendbare und eingetrocknete Farben kamen zur Schadstoffsammelstelle, leere Plastikeimer zu einer anderen, die Holzabfälle wieder an einen anderen Ort. Einige Abfälle zu entsorgen, kostete richtig Geld, belastetes Holz zum Beispiel. Wie es mit der Renovierung der Werkstatt weitergehen sollte, aus der er ein Partyraum mit einem tanzbaren Holzboden zaubern wollte, interessierte ihn, als er im Baumarkt stand, auf einmal nicht mehr. Auf dem dortigen Bildschirm verfolgte er beunruhigende Nachrichten. Die Lage in Georgien hatte sich dramatisch zugespitzt, die Auseinandersetzungen potenzierten sich, Krieg lag in der Luft.
Das Hickhack um das kleine Land auf der Südseite des Kaukasus ging nun fast schon ein Jahr. Begonnen hatte es, nachdem die prorussische Partei nach gewonnener Wahl an die Regierung gekommen war. Die Wahl wurde von der Opposition aber nicht anerkannt. Das führte im Parlament zu Streitereien, in Tiflis zu Demonstrationen und zu Brandanschlägen auf die Büros der Wahlsieger. Die Russlandsympathisanten benötigten eine Woche, um Gegendemonstrationen zu organisieren, Gegner und Befürworter der neuen Regierung legten durch ihre Proteste die Wirtschaft lahm, Georgien versank im Chaos. Um die Ordnung wieder herzustellen, wurde nach der Armee gerufen, doch die Militärführung war gespalten und hielt sich heraus, viele Soldaten begingen Fahnenflucht, um in ihrer Heimat Hof und Gut zu schützen.
In dieser verworrenen Situation und um noch mehr Schaden zu verhindern, bat die demokratisch gewählte Regierung Georgiens, die russische Regierung um Hilfe. Schon am nächsten Tag wurden einige hundert russische Fallschirmjäger über den Kaukasus geflogen und in Georgien abgesetzt, denn sie sollten die Straßen sichern. Transporthubschrauber versorgten diese mit Kleinfahrzeugen, Nahrung und Munition. Zeitgleich setzte sich eine LKW- und Panzerkolonne in Richtung Süden in Bewegung. Unaufhaltsam drangen von Norden russische Hubschrauber und Panzer herab, um die Ruhe wieder herzustellen. Ohne nennenswerten Wiederstand, bis auf wenige Antipathie-Bekundungen, gelangte die russische Armee bis nach Tiflis. Dort allerdings wurde sie mit der Wut der Hauptstädter konfrontiert, die sich sofort den Panzern und Lastwagen entgegenstellten und mit dem Gebrauch von Molotowcocktails nicht sparsam umgingen. Die angegriffenen russischen Soldaten, denen es an Gummiknüppeln, Tränengas und Wasserwerfern mangelte, konnten sich nur mit Schüssen wehren, Munition hatten sie reichlich.
Am lautesten empörte sich die türkische Regierung, die nicht Müde wurde zu betonen, dass Russen auf die Nordseite des Kaukasus gehören. Die Türken hegten zudem den Verdacht, dass Russlands Präsident Dimitrie Russov dort weiter machen wollte, wo Wladimir Putin aufgehört hatte. Kaum dass diese Anschuldigung veröffentlicht war, wurde sie auch schon bestätigt. Die Opposition war eines Ministers habhaft geworden und befragte ihn einige Tage lang zu gewissen Ungereimtheiten. Der Politiker hielt dem vielfältigen Druck der Befragung nicht stand und erklärte vor laufender Kamera reumütig, dass die neu gewählte Georgische Regierung in russischen Diensten stand. Russland hätte einen fantastisch hohen Betrag gezahlt, den kein vernünftiger Mensch ausgeschlagen hätte. Ziel der Bestechung sei gewesen, die Russen ins Land zu bitten, einen Grund würde sich finden. Der Minister meinte noch: Die höchsten Schmiergelder sind immer noch billiger, als eine kriegerische Auseinandersetzungen. Die Opposition und auch die türkische Regierung spannten den Faden aber noch weiter, sie vermuteten nämlich noch ein Endziel. Das Endziel sei, Aserbeidschan zu besetzten, um mit der ehemaligen sowjetischen Teilrepublik auch deren Ölquellen und Gasfelder zu gewinnen. Von Baku in Aserbeidschan, verlief eine Pipeline durch Georgien an das Schwarze Meer. Diese galt es nun zu sichern.
Seit dem Ende des Kalten Krieges war Georgien mit der NATO freundschaftlich verbunden, was besonders das NATO-Mitglied Türkei bislang sehr beruhigt hatte. Durch die Anwesenheit russischer Truppen in Georgien, fühlten sich die Türken jetzt akut bedroht und hetzten gegen Russland. Man könne unmöglich dulden, so die Türken, dass Russland sich kleine Länder einverleibe und der Bodenschätze beraube. Die Türkei wurde aktiv, schickte Soldaten um die Pipeline zu sichern und die Hauptstadt zu befreien. Dabei setzte sie auf den Umstand, dass es für die russische Armee mangels Passstraßen äußerst schwierig, umständlich und aufwändig war, genug Truppen über den Kaukasus zu bringen, während die türkische Armee mehrere gut befahrbare Straßen vor sich hatte. In Kürze war Tiflis befreit, die Russen zogen sich vorläufig in die Kaukasustäler zurück und warteten auf Entsatz und Nachschub. Der kam sehr plötzlich auf Truppentransportern über das Schwarze Meer. In Windeseile errichteten die russischen Truppen einen Brückenkopf, landeten Tag und Nacht neue Truppen und neues Material an und drängten die Türken zurück. Bei diesen Scharmützeln übertraten die russischen Soldaten einige Male die türkische Grenze.
Jetzt entstand die äußerst prekäre Situation, dass ein Nato-Land direkt angegriffen wurde, wobei ihm die anderen Nato-Partner beizustehen hatten. Die Vereinigten Staaten von Amerika schickten einen Flottenverband ins Schwarze Meer, der den russischen Nachschub unterbinden sollte. Keiner wollte Krieg, aber es wollte auch keiner nachgeben. Einem russischen Warnschuss folgte ein amerikanischer, einem versehentlichen Treffer ein Beabsichtigter. Bevor die Marineeinheiten wussten wie ihnen geschah, befanden sie sich in der ersten Seeschlacht seit dem zweiten Weltkrieg. Am Abend nach der Seeschlacht behaupteten die Amerikaner, die Nato sei angegriffen worden und befände sich mit Russland im Krieg. Jedes Natomitglied, also auch Deutschland, müsse sich nun mit Menschen und Material einbringen. Sämtliche Nato-Staaten versetzten ihre Streitkräfte in Alarmbereitschaft, Deutschland stand unter Strom, das friedliche Leben schien nun ein Bedrohtes.
Als Vinn im Baumarkt mit den neuesten Nachrichten konfrontiert wurde, stand die Bundesrepublik Kopf. Politiker überboten sich mit guten Ratschlägen und Warnungen. Natürlich wurden gleich die Überwachungsflugzeuge startklar gemacht, damit sie in die Türkei fliegen konnten. Zuhause saß Vinn vor dem Fernseher, schaute die Sondersendungen und litt unter einem bedrückenden Gefühl.
Irgendwann wurde es ihm dann doch zu viel und er schlüpft in seine Arbeitsklamotten, um in der Werkstatt weiter zu machen. Beim Entladen seines Lasters drang Musik an sein Ohr. Er lauschte nach allen Richtungen und stellte schließlich fest, dass sie aus der Pharmafabrik kommen musste. „Na, wenn die da drinnen so laute Musik machen, werden sie schon kein Cannabis oder Rauschgift produzieren“, dachte er sich. Er begann die Fliesen der Werkstatttoilette und das Malerwaschbecken zu schrubben, in dem er weiß Gott wie oft die Farbrollen ausgewaschen hatte. Auf einmal hörte er lautes Hämmern, das auch aus der Pharmafabrik kam. „Oh man, was für ein scheiß Tag“, schimpfte er laut, „Krieg und laute Nachbarn“. Der Gedanke, dass die Fabrik den Betrieb wieder aufnehmen würde, war niederschmetternd. Um sich abzureagieren schrubbt er weiter, strich noch bis zur Dunkelheit die Toilettenwände, die Wasserrohre und das Fenster in himmelblau und wartete auf das Ende der Lärmbelästigung. Um neun Uhr abends war endlich Ruhe und er strebte dem wohlverdienten Abendessen entgegen, das er vor dem Fernseher einnahm.
Am nächsten Morgen fuhr Vinn zur Kartonagenfabrik, stürmte dort die Treppe hinauf und rief „Guten Morgen“. Niemand antwortete. Es waren erst wenige Aktive anwesend, neun Uhr schien nicht ihre Zeit zu sein, und nur wenige Mädchen. Laura fehlte, Svenja war da. Sie saß vor einem Bildschirm und schoss emsig Ufos ab, beachtete ihn aber nicht. Vielleicht war ihr peinlich, dass sie besoffen auf einen alten Mann gestiegen war. Erstaunlicherweise arbeitete jetzt der wuscheldicke Ingo bei Snowy. Beide stierten konzentriert auf eine Art Statistik.
„Guten Morgen, kann ich kurz stören?“ fragte Vinn. Beide drehten sich herum ohne was zu sagen.
„In der Pharmafabrik hinter meinem Haus, wird umgebaut. Wisst ihr zufällig wer dort einzieht?“ Erwartungsvoll schaute Vinn den mageren Snowy und den dicken Ingo an. Beide sahen sich an.
Missmutig sagte der Magere: „Das interessiert uns nicht.“
„Ich wollte nur, dass ihr es wisst. Könnte ja sein, dass sich dort Konkurrenz breit macht. Eure Konkurrenz.“ Während Vinn auf Antwort wartete, stolperte die tätowierte und metallbehangene Bonny, mit einem verschlafenen Spax im Arm, die Treppe hoch.
Ohne seine geweiteten Augen, die von seiner Brille noch vergrößerte wurden, von Vinn abzuwenden, fragte Snowy in Richtung Treppe: „Könnt ihr zwei mit Vinn gehen, der will euch was zeigen.“ Bonny zuckte mit den Schultern, Spax wirkte teilnahmslos. Der Schriftsteller erhob sich und bat die zwei die Treppe hinab.
„Was gibt’s den so Dringendes?“ wollte Bonny wissen.
„In meiner Nachbarschaft wird wieder eine Firma aktiv, vielleicht eine Computerfirma. Wir schauen mal nach, was die so machen.“
Zu dritt quetschten sie sich auf die Sitzbank des Kleinlasters und fuhren zur Pharmafabrik. Direkt vor dem Eingang standen ein VW-Bus und ein verbeulter Ford K auf dem Parkplatz. Die drei stiegen aus und lauschten. Eine Kreissäge und eine Bohrmaschine waren zu hören. In die Halle gingen sie dem Lärm entgegen und standen nach ein paar Metern vor neuen Trennwänden. Es waren Wände, die aus einem modernen Material bestanden, das sehr solide war und sich weltweit ausbreitete. Es war eine Mischung aus starken Pflanzen-und Kunststofffasern. Vinn sah um die Wände herum und erblickte zwei Pärchen in T-Shirts, kurzen Hosen und Sandalen. Sofort, nachdem die Besucher bemerkt wurden, standen die Maschinen still.
Vinn hob eine Hand und grinste. „Hallo, ich bin der Nachbar. Wollte nur schauen wer hier so einzieht.“
„Hallo, ungebetener Gast“, sagte ein langer Kerl misstrauisch. „Welcher Nachbar meint hier rein zu dürfen?“
„Der von der Südseite.“ Vinn blieb freundlich.
„Sind sie Radagar?“ fragte eine Frau. Vinn hob den Daumen. „Sind sie krank oder so etwas? Sie sehen so mager aus.“
Marathonläufer, Magersüchtige und Krebskranke sehen im Gesicht ähnlich aus, fand Vinn. „Ich kann sie beruhigen, ich mache momentan nur viel Sport. Was machen sie hier eigentlich, wenn man fragen darf?“
Der Lange betrachtete ausgiebig den Hallenboden bevor er antwortete. „Das ist die Fabrik meines Vaters, wir richten hier nun ein Architekturbüro ein. Wäre doch schade, wenn der Platz nicht genutzt würde.“
Vinn sah sich um, der Strom für die Maschinen kam irgendwo her, nur nicht aus der nächsten Steckdose. „Und wie macht ihr es mit dem Strom?“
„Wir stellen ein paar Solarplatten auf das Dach. Dann haben wir Energie für die Geräte, zum Heizen, Kochen und für warmes Wasser.“ Der Lange bekam einen leicht grantigen Unterton, und begann mit einem Fuß zu scharren.
„Braucht ihr dazu nicht eine Baugenehmigung?“ wunderte sich Bonny.
„Nein“, kam es laut und gedehnt vom anderen Ende des scharrenden Schuhs. „Nicht für den Innenausbau. In seinem Haus kann man machen was man will.“
Bevor der Typ noch stinkig wurde, blies Vinn zum Rückzug. „Dann schafft noch schön, aber nicht so lange, damit ich nachts schlafen kann.“
„Nein, nein, keine Angst, wir machen es gnädig.“
„Wir werden doch einen berühmten Schriftsteller nicht bei seiner Arbeit stören“, schob die Frau noch hinterher.
Im Laster meinte Vinn zu Bonny und Spax: „Die müsst ihr im Auge behalten, denn das Gebäude gehört der Stadt. Der ist damals die Konkursmasse zugefallen.“
Es war Sommer, es war Wochenende und es war sogar schönes Wetter. Der berühmte Schriftsteller lehnte am Stehpult, das vor dem Fenster seines Büros stand, und beobachtete die Gegend. Sein Laptop lag im Büro seines Vaters, immer öfter zog es ihn, wenn er etwas aufzuschreiben hatte, dort hinein. Sämtliche Geschäftsordner standen noch in den Regeln, aber er hatte alle Staubfänger wie alte Kalender, Pokale und Bilder entsorgt und ein wenig die Decke und Wände um die Regale herum gestrichen. Unerklärlicher Weise empfand er diesen kleinen Raum angenehmer zum Schreiben, als sein Zimmer mit Aussicht unter dem Dach. Dort hinauf begab er sich nur noch, wenn er Vögel beobachten wollte. Seit einiger Zeit besaß er ein Fernglas und den Kosmos Vogelführer, der vor ihm auf dem Stehpult lag. Vögel zu beobachten war seine neue Leidenschaft geworden, der er manchmal einen halben Tag am Stück opferte.
Angefangen hatte es mit einem schwarz-gelben Vogel, den er ursprünglich für einen entflogenen, exotischen Käfigvogel hielt. Dieser auffällige Ausländer bediente sich ganz ungeniert an den Früchten der Schrebergärten, wobei er den Menschen wenig wegnahm, da die meisten Früchte wild durch die Landschaft wucherten. Die Neugier war erwacht, es musste ein Fernglas und ein Vogelbuch her. Exotisch war der Vogel wohl, aber er kam jedes Jahr im Mai von Afrika nach Deutschland. Inzwischen wusste Vinn, dass diese Vögel Pirole hießen und in den Pappeln hinter dem Fluss ihre Nester hatten. Manchmal flogen sogar irre bunte Bienenfresser über den Gärten herum. Im Buch stand, sie bräuchten Steilwände, in die sie ihre Brutröhren gruben. Vinn war es ein Rätsel, wo die ständig zwitschernden Vögel, die sich anscheinend immer unterhalten mussten, in dieser Gegend eine Steilwand gefunden hatten. Als ein weiteres Highlight entdeckte er an einem alten Obstbaum einen Vogel mit Tarnkleid, den er erst nach längerer Beobachtung als Wendehals bestimmen konnte.
Er stand also mit dem Fernglas am Fenster seines Büros und suchte Vögel, sah kurz einen Zilpzalp, einen Buntspecht und eine Heckenbraunelle und wurde dann bei Almas Hexenhütte einiger Personen gewahr. Lauter Frauen. Und die Frauen waren gut gebaut, irgendwie gut trainiert. Nach einer Weile konnte er fünf erkennen, drei von ihnen hatte er aber schon einmal vor der Linse gehabt. In den Gärten wurde es, seit er wieder hier wohnte, von Monat zu Monat lebendiger. Mehrere fleißige Handpaare hatten den Weg in die Gärten gefunden, um Beete umzustechen und zu bepflanzen und um Hütten herzurichten. Fast alles nur Frauen, nur selten war eine kräftige Männerhand auszumachen.
Ausgerechnet bei Almas Hütte saß manchmal ein junger Kerl, ein richtiger Schönling. Arbeiten taten aber nur die Frauen, immer zwei oder drei, während der Schnösel abwesend auf seinen Laptop starrte und die emsigen Damen ignorierte. Ein richtiger Träumer. Die bunte Hütte war nun deutlich zu erkennen, denn es waren einige Büsche zurückgeschnitten, wenn nicht sogar entfernt worden. Wann immer Vinn diese Hütte zu Gesicht bekam, stieg Ärger in ihm auf, und das lag an dieser unseligen Hexe und an seiner Mutter.
Seine Mutter Ulrike hatte Vinns Vater sozusagen als Beute von einem Afrikaurlaub mit nachhause gebracht. Im Alter von vierundvierzig Jahren erfüllte sich Amon einen großen Traum und buchte eine Tansania-Safari. Gleichzeitig war er beruflich am Scheideweg gestanden, denn sein Arbeitgeber wollte das Geschäft aufgeben, weil seine Frau, die auch als Bürokraft fungiert hatte, gestorben war. Wegen des abgelegenen Standorts in der Südstraße aber, fand er keinen Käufer.
Auf der Safari bekam es Amon mit einigen wohlhabenden und abgehobenen Mitreisenden zutun, die in den Weiten Afrikas fehl am Platze wirkten. Der gut gebaute und fast ein Meter neunzig große Amon, schien aber wie geschaffen für ein Leben in der Wildnis. Die Männer, die zuhause wichtige Personen waren und das bestimmt auch heraushängen ließen, zollten dem Malermeister Respekt, deren Frauen fraßen ihn mehr oder weniger mit ihren Augen. Eine sehr unglückliche Mitreisende war die Frau eines Arztes, die von ihrem Mann sehr herablassend behandelt wurde. Er hatte sie wegen ihres Aussehens und weil sie das Kaufmännische beherrschte, geheiratet, denn er hatte nicht nur eine schöne Frau, sondern auch eine Verwaltungsangestellte für seine Praxis gesucht. Nur hatte er nicht damit gerechnet, dass eine Arztfrau die nur schön war, aber kein Abitur und kein Studium vorweisen konnte, in der medizinischen Gesellschaft keine Anerkennung fand. So hatte der Arzt seine Frau, vermutlich sogar unbewusst, zur Angestellten herabgestuft. Ihr Zusammenleben war bestenfalls noch eine lieblose Zweckehe.
Die Frau machte während der Safari einen so unglücklichen Eindruck, dass Amon sich genötigt sah sie aufzuheitern. Mit ihr hatte er, wie immer charmant, höflich und gut aufgeräumt, leichtes Spiel gehabt. Es folgten heimliche Zusammenkünfte nach dem Abendessen, während die anderen der Gruppe angeberisch an der Bar einer Lodge oder am Lagerfeuer saßen. Die Frau taute auf, Amon gab ihr gute Laune, am vierten Abend auch seinen Samen, was sich dann fast täglich, bzw. nächtlich wiederholte. Bei jeder Gelegenheit verschwanden sie in einem Zimmer, in einer Toilette, hinter Büschen oder im hohen Gras. In der Serengeti, im Ngorongoro-Krater, im Selous-Nationalpark. Ulrike lernte kennen, was landläufig als heiße Liebe bezeichnet wird. Ihren Mann ließ sie links liegen und der Gehörnte durschaute nicht einmal an was es lag.
Als Amon Ulrikes Beruf erfuhr, kam ihm eine zukunftsfähige Idee, die er ihr mitteilte und in die sie nach kurzer Bedenkzeit einwilligte. Bei der Ankunft auf dem Frankfurter Airport folgte sie Amon, nicht ihrem Mann. Zum Abschied wünschte sie ihrem Mann nicht alles Gute, sondern sagte: „Ich kündige.“ Zuhause stellte Amon Ulrike seinem Chef vor, erklärte, dass sie Kauffrau sei und er sie heiraten wolle. Dann machte er dem Alten das Angebot, den Laden solange weiterzuführen, bis er einen Käufer gefunden hat. Der Alte ging ins Altersheim, der Käufer wurde nie gefunden, Amon und Ulrike erbten den Betrieb vom kinderlosen Vorgänger. Billiger ging es echt nicht. Mit fünfundvierzig wurde Amon nicht nur Chef, er wurde auch erstmals Vater. Zwei Jahre später kam Villmut hinzu. Er gab das Reisen auf, nicht den Sport, kümmerte sich nur noch um Geschäft, Kinder und Frau, nur selten auch um anderes.
Ulrike war eine kleine, brave, anständige, wenig temperamentvolle, gute Mutter und Ehefrau gewesen. Was sie machte, machte sie gut, war aber immer etwas blutleer. Deshalb fiel niemandem auf, dass sie nach und nach schlapper wurde. Die Kinder studierten, Amon war mit seinem Betrieb und seinen Vereinen beschäftigt. Ulrike ließ sich untersuchen, und die erschütternde Wahrheit hieß Leukämie, was sie aber für sich behielt. Anstatt zu einem anderen Arzt zu gehen, um sich eine zweite Diagnose zu holen, wie sie es ihrem Hausarzt versprochen hatte, war sie zu Alma gegangen. Ulrike hatte vor der Krebsbehandlung Angst gehabt und sich lieber in die Hände der Hexe begeben. Die Hexe wusste Rat, gab ihr blutbildenden Tee und Vitamin C-reiches Obst. Ulrike ließ sich von Alma mit den bedenklichsten Mitteln und Kräutern behandeln. Alma redete ihr Mut zu, las ihr immer wieder neue Erkenntnisse der Naturmedizin vor, die sie noch ausprobieren sollten, was aber alles nichts nutzte und den Verfall nicht aufhalten konnte. Almas Behandlungen gingen so lange, bis Ulrike zuhause zusammenbrach und vom Notarzt geholt wurde. Erst da beichtete sie ihrem Mann, dass sie an Leukämie erkrankt sei. Vinns Mutter hatte das Krankenhaus erst wieder als Tote verlassen, durch Almas langwierige Behandlung war jede Chance auf Heilung vertan worden. Deshalb die Abneigung gegen Almas Hüte, die Vinn damals am liebsten angezündet hätte. Der siebenundsechzigjährige Amon wollte ohne seine Frau den Malerbetrieb nicht weiterführen, was er auch nicht konnte, weil ihm eine kundige Bürokraft fehlte. Danach verlegte er sich auf Schwarzarbeit, was er Sonderaufträge nannte, begann wieder zu reisen und Frauen zu erobern. Monate nach Ulrikes Tod wurde Alma von unbekannter Hand ermordet.
Vinn beobachtete nun weniger die Vögel, als die gut gebauten Frauen. Völlig aus der Luft gelöst, schwebte auf einmal eine langhaarige, blonde Schönheit in den Garten, anmutig, gertenschlank, wie ein Wesen aus einer anderen Welt, das dort nicht hingehört. Er war elektrisiert. Die junge Frau, Vinn schätzte sie auf Mitte Zwanzig, hatte eine lässige Art sich zu bewegen. So bewegen sich nur Leute die über den Dingen stehen, oder denen alles egal war. Sie unterhielt sich kurz mit den Frauen und schwebte gemessenen Schrittes wieder davon. Nur selten, ach was, überhaupt noch nie, hatte ihn jemals eine Frau so stark beeindruckt. Er war völlig gefangen von dieser unglaublichen Erscheinung, stierte ins Leere und fragte sich, ob er diese Scene soeben geträumt hatte. Ob ihm sein Unterbewusstsein einen Streich spielt und vorgaukelt, was er am meisten begehrt? Aber nicht einmal im größten Suff hatte er jemals Gespenster gesehen, er war stocknüchtern, also musste die Blondine der Realität entsprechen. Das Einzige was Vinn noch denken konnte war: Ich muss den Engel unbedingt aus der Nähe sehen. Er beschloss, die Badehose anzuziehen und im Fluss baden zu gehen, was er seit seiner Kindheit nicht mehr getan hatte. Der kürzeste Weg führte an Almas Hütte vorbei. Mit einer zusammengerollten Decke unter dem Arm, schlenderte er durch die halb zugewachsenen Wege der Schrebergartenanlage, blickte neugierig in die einzelnen Gärten und pirschte sich an sein Ziel heran.
Drei Frauen waren noch da, aber von der Begehrten keine Spur. Am Gartentürchen zur Hexenhütte blieb er stehen und warf ein fröhliches „Hallo, hier wird ja gearbeitet“, hinein. Die jungen Frauen sahen auf. Eine große Muskulöse, zwischen deren Schenkeln er keine Chance hätte, warf ihre langen schwarzen Haare zurück und fragte. „Sind sie einer unserer Nachbarn?“
„Nein, ich habe hier keinen Garten. Ich wohne in der Südstraße und gehe gerade zum Fluss. Warum?“
Aus dem Hintergrund schimpfte eine verschwitzte Blondine: „Uns wächst das Zeug der Nachbarn in den Garten. Wir wollen nun mal keine Brombeeren, Essigbäume und Efeu auf unserem Grundstück.“
Vinn war seine Neugier nun egal. „Wie kommt ihr ausgerechnet zu diesem Garten? Habt ihr ihn gekauft?“
„Unser Freund Jockel, der hier manchmal übernachtet, hat ihn von einer Tante geerbt“, erklärte die Schwarzhaarige. Die Dritte der fleißigen Damen, die Schweigsame, zierte eine blaue Bubi Frisur.
Vinn legte seine Decke auf der frisch gestutzten Ligusterhecke ab. „Ich bin hier in der Gegend aufgewachsen, deshalb weiß ich von einer Frau, die in dieser Hütte gewohnt hat.“
Da sah der Schönling, vermutlich dieser Jockel, was für ein beknackter Name, aus dem rückwärtigen Fenster heraus. „Sie haben Alma gekannt?“ fragte er. „Sie war meine Großtante.“
„Natürlich habe ich sie gekannt. Sie war die interessanteste Frau in der Gegend. Leider hatte sie ein tragisches Ende.“
„Man hat sie als Hexe bezeichnet“, sprach Jockel mit angenehmer Stimme. „Und ihr Mörder wurde nie gefunden. Ich habe mich immer gefragt, ob sie deshalb erschlagen wurde, weil sie einem ihrer Kunden eine falsche Zukunft prophezeit hat oder so ähnlich.“
„Und sie schlafen jetzt in ihrer Hütte und in ihrem Bett“, tat Vinn erstaunt. „Haben sie keine Angst vor Geistern? Vielleicht kommt sie nachts und sucht ihren Mörder.“
Der Verwandte von Alma sagte mit der größten Selbstverständlichkeit: „Oh, es spuckt nachts schon, das spüre ich deutlich. Aber es scheint keine böse Absichten zu geben.“
Vinn fühlte sich veräppelt. Er studierte noch kurz Jockels ernstes Gesicht und wandte sich den Frauen zu. „Wohnen sie hier in der Gegend, dass sie ausgerechnet in dieser Einsamkeit einen Garten anlegen?“
„Wir machen das für Jockel und sogar beruflich. Wir drei arbeiten mit noch ein paar anderen Frauen in der Gärtnerei da vorne“, sagte die Schwarze.
„Und wohnen tun wir zurzeit nebenan im ehemaligen Fuhrunternehmen“, ergänzte die Blonde.
„Ach wie praktisch“, fand Vinn, „und wie erfreulich für diese trostlosen Gemäuer. Da findet das alte Haus einen richtig schönen Verwendungszweck“, grinste er. „Ich gehe mal weiter, mich abkühlen, macht’s gut.“ Hob die Hand zum Gruß, was von den Gärtnerinnen erwidert wurde, Jockel war schon wieder weg, und wanderte zum Fluss. Dort drückte er sich bald zwei Stunden auf seiner Decke herum, setzte sich manchmal ins Wasser, zum Schwimmen war es zu flach, suchte Vögel und hoffte auf Damenbesuch. Die Gärtnerinnen schienen aber nicht auf eine Abkühlung erpicht. In der Dämmerung wanderte er, von Hunger und Durst getrieben, zurück. Da gab es nur eins. Um seine Traumfrau ausfindig zu machen, musste er am nächsten Tag der Gärtnerei, in der er in seinem ganzen Leben noch nie gewesen war, einen Besuch abstatten. Wollte er nicht einen Rosenstock vor sein Haus setzen?
„Die langhaarige Schönheit muss ein Fotomodell sein“, war Vinn überzeugt, als er am nächsten Morgen erwachte. Er hatte wild von nackten Frauen geträumt, leider nur von Unbekannten, denen er nachjagte und die ihm alle entwischten. Von Woche zu Woche reifte in ihm der Wille, das weitere Leben mit einer Frau zu verbringen. Er gierte nach einer Lebensgefährtin, aber weil er so ungeschickt in der Eroberung war, spielte er mit dem Gedanken, sich an käufliche Damen zu halten.
Die Gärtnerei am Anfang der Süd-Straße war, ohne dass er es bemerkt hatte, aus ihrem Dornröschenschlaf erwacht. So oft er an ihr vorbeifuhr, war ihm nie aufgefallen, dass die zerstörten Scheiben einiger Gewächshäuser ersetzt waren. Auch das Sortiment vor dem Laden erschien Vinn umfangreicher als bisher. Das Gärtnereigelände folgte der Biegung des Flusses, ein Fahrweg markierte die Mitte. Links des Weges standen sieben Gewächshäuser, wobei sich im ersten der Laden befand, die anderen in einer gebogenen Reihe dahinter. Rechts des Weges lagen bis zum Flussufer mehr oder weniger bepflanzte Beete. Die Gärtnerei und das ehemalige Fuhrunternehmen lagen als einzige südlich der Südstraße.
Vinn stellte sein Rad vor dem Laden ab, warf einen Blick hinein, der ihm aber keine schlanke Frau mit langen blonden Haaren offenbarte. Er spazierte den Weg entlang und inspizierte jedes Gewächshaus nach Frauen, überflog die Beete rechts des Weges, sah aber nur den blauen Bubikopf, der von ihm keine Notiz nahm und zwei Unbekannte. Gärtnerinnen waren einfach kernige Frauen, stellte er fest. Muskulös und zupackend. Ihnen fehlte das Gezierte und Puppenhafte seiner Frau.
Der Fahrweg endete am Flussufer an einer Sandbank. „Sie mal einer an“, dachte Vinn, „diese kernigen Damen haben ihren eigenen Badestrand.“ Er ging hinter den Gewächshäusern am Zaun entlang zurück. Zuerst befanden sich überwucherte Schrebergärten hinter dem Zaun, danach das benachbarte Fuhrunternehmen. Im Bereich des Ladens im vordersten Glashaus, war eine breite Schneise in den Zaun geschnitten worden. Zwei Gärtnereifahrzeuge parkten vor dem Büro des Fuhrunternehmens und die Haustür stand offen. „Das ist jetzt wohl zu frech, wenn ich noch ins Haus schaue“, bremste er sich. „Also auf zum Rosenkauf.“
Im Laden hinter einer Theke, stand nun die Blonde vom Vortag. Sie erkannten und grüßten sich und Vinn erklärte sein Begehr.
„Ich glaube, da haben wir genau den richtigen Rosenstock für sie. Er hat zwar keine großen Blüten, dafür blüht er aber den ganzen Sommer hindurch. Ständig wachsen kleine, rote Blüten nach, die sie nach dem Verwelken abschneiden müssen. Der Rosenstock ist auch hitzeverträglich, er muss nur die ersten zwei Wochen gegossen werden, absolut blühfreudig und pflegeleicht.“
„Ok, einpacken, ich nimm einen mit“, sagte er zufrieden.
„Sonst noch was?“ erkundigte sich die Verkäuferin.
„Ich habe gar keine Männer gesehen. Wer ist denn der Chef?“.
„Unser Chef heißt Gesine und ist die Schwarzhaarige von gestern Nachmittag“, wurde Vinn aufgeklärt. „Männer gibt es hier bis jetzt noch keine“, fügte sie mit einem schelmischen Lächeln hinzu.
Vinn. „Wieviel Frauen arbeiten denn hier?“
Verkäuferin: „Momentan acht.“
Vinn: „Und wo sind die alle?“
Verkäuferin: „Sind sie alleinlebend?“
„Zahlen“, sagte er, aber er grinste dazu.
Jedes Mal wenn er an der Gärtnerei vorbei fuhr, suchte er angestrengt nach der Silhouette einer gertenschlanken, langhaarigen Frau. „Du Blödmann“, schimpfte er sich, „du brauchst doch nur nach ihr zu fragen.“ Aber er traute sich nicht.