Читать книгу Alwins Suche nach Erfüllung - Hans Joachim Gorny - Страница 6
Der Verfolger
ОглавлениеAlwin war, was er zu Jahresbeginn nicht für möglich gehalten hatte, mit seinem Leben auf einmal zufrieden. Die kreative Arbeit und die Freizeit auf dem Motorrad hatten ihn auf die Sonnenseite des Lebens gerückt. Allerdings musste er dem Opa den Kredit zurück bezahlen und der monatliche Überschuss ging für die Motorradausflüge drauf. Nicht nur für Benzin und Bier, auch für Ersatzteile und Hinterreifen, die leider nach fünftausend Kilometern schon abgefahren waren. Für eine Kanadareise war kein Geld übrig.
Um seine Schuldenlast etwas schneller abzubauen, half er dem Opa in den Reben, was Alwin seit seiner Kindheit jedes Jahr mehr oder weniger oft tat. An den Rebstöcken musste immer etwas geschnitten oder gespritzt werden. Der Alte machte alles von Hand, ohne Traktor. Die Giftspritze, deren Motor hässlich plärrend die ländliche Stille zerriss, musste er auf dem Rücken tragen und pro Grundstück mehrmals auffüllen. Das Gift stammte aus alten Raiffeisen-Beständen. Er mischte es in Regenwasser, das vom Hüttendach in mehrere Fässer floss. Das größte Rebgrundstück lag bei der Hütte, und weil dort der Weg zum Sofa nicht weit war, wurde dieses Stück auch am häufigsten gepflegt.
Um der Mittagshitze auszuweichen, begannen sie samstags frühmorgens. Alwin nahm das Spritzen auf sich, um den drohenden Pilzbefall zu bekämpften. Er setzte sich eine Maske auf und eilte mit dem lärmenden Gerät durch die Reihen. Anschließend gesellte er sich zum Opa. Seite an Seite schnitten sie den Reben ab was zu viel war, damit, laut Opa, der Saft nicht in die Blätter, sondern in die Trauben ging. Sie redeten über Rudolf Heß. Der ehemalige Hitler-Stellvertreter hatte als letzter Kriegsverbrecher in Berlin-Spandau gesessen, und sich am 17. August das Leben genommen.
„Wieso wurde der damals nicht hingerichtet?“ wunderte sich Alwin. „Als Hitler-Stellvertreter muss er doch ein hohes Tier gewesen sein und somit auch ein großer Verbrecher.“
Der Opa musste lachen. „Dieser Heß war, wenn ich mich richtig erinnere, mit geistiger Kraft nicht besonders gesegnet. Der hatte zwar alles gemacht was Hitler wollte, dabei aber keinen Durchblick.“
„Der soll fünf Mal versucht haben sich das Leben zu nehmen, kam im Radio. Weshalb lässt man so einen nicht frei?“
Der alte Soldat bemühte eine Weile sein Gedächtnis. „Die Russen wollten das nicht. Der Heß war schon eine tragische Person. Der ist 1941 mit dem Fallschirm über Schottland abgesprungen, weil er mit Churchill über den Frieden verhandeln wollte. Hitler wusste nichts davon und Churchill nahm Heß nicht für voll, woran er gut tat, und ließ ihn einsperren.“
Alwin unterbrach das Schneiden. „Dann saß der seit 1941 im Knast? Sechsundvierzig Jahre lang? Da würden sich wohl noch ganz andere umbringen.“
„Meiner Meinung nach war der zu seltsam, um ihn auf die Menschheit loszulassen. Es war auch zu befürchten, dass Neo-Nazis ihn benutzen würden.“
„Dann hätten seltsame Typen zusammengefunden.“
Sie arbeiteten weiter. Beim Schneiden der Reben konnte man seinen Gedanken nachhängen, schlafwandlerisch wurden die nötigen Handgriffe ausgeführt, unbemerkt entrückte man der Welt.
Alwin wurde vom Opa aus seinen Überlegungen gerissen. „Was hast du gesagt?“
„Rolf hat immer Miete gezahlt, auch für dich. Das Geld fehlt mir jetzt, ohne Mieteinnahmen kann ich meinen Hobbys nicht nachgehen“, grummelte Opa.
„Ich habe gedacht, die Reben bringen dir Geld.“
„Aber mit jeder Kreuzfahrt ist es wieder weg.“ Opa gönnte sich alle zwei Jahre eine luxuriöse Kreuzfahrt, während der Alwin oder sein Vater die Hühner versorgten. „Ich würde meinen Lebensstandard gerne halten, deshalb darf das Haus nicht zur Hälfte leer stehen. Wir beide werden uns nun im Erdgeschoss konzentrieren.“ Opa wartete, ob sein Enkel schnallte, was Sache war.
Nach nicht mal einer Minute fiel bei Al der Groschen. „Du musst nicht glauben, dass ich bei dir umsonst wohnen will. Wenn wir uns in Zukunft aus dem gleichen Kühlschrank ernähren, zahle ich selbstverständlich auch Essensgeld. Aber wenn du zu viel Miete verlangst, werde ich mich anderweitig umsehen.“
Opa kicherte. „Ich will dich ja nicht verprellen, ich brauche dich noch für die Hühner. Ich habe so an hundert Mark gedacht. Für das Essen wird es aber doppelt so viel.“
Der Enkel überlegte, wie fair das Angebot war. Essen und Trinken musste er auch in einer anderen Wohnung. Dann fielen ihm noch Wasser-, Strom-, Heiz- und Telefonkosten ein und schon kamen ihm hundert Mark wenig vor. Für das Geld würde er nie ein Zimmer bekommen. Und er konnte Opas Küche, Wohnzimmer und die große Dusche mitbenutzen. Außerdem wusste er, was er an Opa hatte, eine neue Wohnung könnte in komplizierter Nachbarschaft liegen.
„Futtere ich tatsächlich so viel?“
„Ja und die Getränke? Toilettenpapier, Shampoo, Seife und anderes Kleinzeug? Hast du überhaupt Handtücher?“ fügte der Vermieter belustigt hinzu.
„Ich werde schauen, was ich oben zusammenkratzen kann, um die Miete zu drücken“, lachte Alwin.
„Machen wir‘s so: Du gibst mir monatlich hundert Mark und kaufst dir dein Essen selber, Eier sind umsonst. Wenn du oben ausräumst, erlasse ich dir die ersten hundert. Danach vermiete ich.“
„Das habe ich befürchtet. Nimm aber keine jungen Mieter, die hören laute Musik und feiern Partys. Und keine Familie mit Kinder, die hopsen nur auf uns herum und streiten miteinander“, empfahl der Enkel.
„Als Mieter hätte ich gerne junge Frauen, schön schlanke, die nett anzuschauen sind. Da würde ich richtig häuslich werden.“
„Opa“, rief Al entrüstet. „Du bist fünfundsechzig. Junge Frauen gehen dich nichts mehr an.“
„Was weißt du schon vom Verlangen alter Männer. Jung und schön, bleibt auch für Alte jung und schön.“
Alwin unterbrach die Arbeit und fasste seinen Opa fest ins Auge. „Das heißt, wenn du eine nette junge Frau als Freundin bekommen könntest, würdest du sie nehmen?“
„Wenn ich eine junge Frau in die Hände bekäme, würde ich sie mir ganz genau von oben bis unten anschauen und betasten, und sie dann wegschicken. So Eine will doch höchstens mein Geld. Außerdem hätte ich keine Lust, nochmals den ganzen Jugendkäse mitzumachen. Welt entdecken und alles Mögliche ausprobieren liegen hinter mir.“
„Du kannst diesmal Haschisch dazu rauchen“, kicherte Alwin, „dann macht es dir bestimmt wieder Spaß.“
Sonntagabend fuhr Alwin mit Schratt und Tiger auf eine Burgruine, um den Sonnenuntergang zu genießen. Al‘s Motorrad war nun mit Packtaschen ausgerüstet, die dringend erforderlich waren, weil er Six-Packs transportieren musste. Die drei suchten nicht nur Romantik. Häufig suchten sie auch Kontakt zu einer Szene, in der es oft rau zuging: die schon erwähnten Motorradtreffen. Das sogenannte Rockermilieu schien ein Schizophrenes zu sein. Einerseits wurde gedealt was das Zeug hielt, mit allerlei versteckten Waffen herumgefahren und in Faustkämpfen die eigene Kutte verteidigt. Wenn ein anderer Club in die Quere kam, wurde dieser überfallen. Manche Clubs versuchten sich sogar in Zuhälterei, Erpressung und Raub.
Andererseits halfen die Kerle alten Leuten über die Straße und ihren Mitmenschen wo es nötig war. In den Clubs waren auffällig viele Taubstumme und Contergan-Opfer. Letztere konnten sich mit ihren verkümmerten Armen nicht mal am Motorrad festhalten. Für Rocker galt, was für alle Menschen galt: wenn sie anständig und sachlich angesprochen wurden, gab es auch keinen Ärger. Solange sie nüchtern waren. Betrunken und unter Drogen fühlten sich viele sofort bedroht, wenn sie etwas nicht verstanden.
Alwin beendete das Wochenende entspannt auf der Ruine, nahm die leeren Flaschen, die Tiger in die Landschaft katapultieren wollte, sogar mit, war zuhause aber zu faul, sein Bike über Nacht in den Schopf zu stellen. Am nächsten Morgen waren beide Reifen platt. Weil in Beiden die Luft fehlte, nahm er an, dass jemand ihm einen Streich gespielt hat. Bei einem Plattfuß hätte er einen Nagel im Profil vermutet. Er suchte Opas Pumpe, fand sie nicht gleich, bekam dann die Reifen nicht voll, musste noch zur Tankstelle und kam zu spät zur Arbeit. Ein richtig doofer Montagmorgen wie man ihn nicht mochte.
Zwei Wochen später, der Vorfall war fast vergessen, kam Alwin aus dem Handelshof, wo er „Kühlschrankfüllmaterial“ gekauft hatte. Seine Maschine wollte und wollte nicht anspringen und gab auch unbekannte, befremdliche Töne von sich. Alwin war nicht gerade der begnadete Zweiradmechaniker. Aber bei der Durchsicht seiner Kawa fielen ihm doch ziemlich bald zwei lose Kabel auf. Schließlich erblickte er seine Zündkerzen und erkannte, dass die Zündkerzenstecker fehlten. Die waren eindeutig geklaut. Er konnte nicht nachhause fahren, das Gefrorene drohte aufzutauen. Zufällig fuhr ein anderer, unbekannter Motorradfahrer auf den Parkplatz. Alwin ging zu ihm und fragte auf gut Glück, ob er zufällig zwei Stecker übrig hätte. Der korpulente Mann fühlte sich veräppelt, besah sich dann aber doch den Schaden.
„Geklaut“, meinte er mit Kennerblick.
„Wo bekomme ich jetzt neue her?“
„Beim Motorradhändler“, grinste der Dicke.
„Und wie komme ich dort hin?“
„Mit dem Motorrad.“ Der Dicke grinste immer breiter.
„Ha, ha.“
Der Dicke bückte sich und steckte die zwei losen Zündkabel auf die Kerzen, die Maschine sprang an. Alwin schämte sich in Grund und Boden.
„Klarer Fall von gewusst wie“, meinte er und bedankte sich. Zuhause packte er die Lebensmittel in den Kühlschrank, fuhr gleich weiter zum Motorradgeschäft und besorgte sich vier Stecker, von denen er zwei unter der Sitzbank beim Werkzeug deponierte.
Opa belagerte den Küchentisch mit Plänen. Während seiner Zeit im Liegenschafts-und Tiefbauamt, hatte er sein Herz für Geschichte entdeckt, speziell für die Geschichte seiner Heimatstadt. Am liebsten spürte er verschollene Gebäude auf. In den Jahren als städtischer Angestellter sicherte er sich den Zugang zu den Archiven. Da Opa das Entziffern alter Schriften nicht gelernt hatte, brauchte er dementsprechend lange. Mit dem Lesen alter Akten und Briefe konnte er ganze Tage verbringen. Deshalb waren ihm Pläne viel lieber. Manchmal fuhr er auch mit dem Bus in die Großstadt, um im Landesarchiv nach fehlenden Puzzleteilen zu suchen. Zu jeder seiner Entdeckungen schrieb er einen Zeitungsbericht, Robert Reuter war in seiner Heimatstadt kein Unbekannter. Bei den Bewohnern der Altstadt war er berüchtigt, weil er in ihren Kellern gerne nach mittelalterlichen Fundamenten suchte.
Für seine Idee, den Verlauf der ehemaligen Stadtmauer zu rekonstruieren, hatte er den Tiefbauingenieur der Stadt gewonnen. Gemeinsam machten sie die alte Stadtmauer ausfindig, die sie in Kellern als Fundament, in Altstadthäusern als extra starke Mauern nachwiesen. Bislang hatten sie auch die Standorte zweier ehemaliger Stadttore, die Anfang des neunzehnten Jahrhunderts abgerissen wurden, gefunden. Aus alten städtischen Rechnungen wusste der Opa aber, dass es ursprünglich drei Stadttore gab, weil sie siebzehnhundertneunzig, während der Französischen Revolution, ausgebessert worden waren. Nun lagen zum wiederholten Male die alten Grundrisspläne auf dem Küchentisch und Opa zerbrach sich den Kopf, wo Platz für ein drittes Tor gewesen sein könnte. Vermutlich musste er wieder einigen Bürgern Zucker in den Hintern blasen, damit er in deren Keller historische Steine begutachten durfte.
Der Opa erklärte Alwin seine neueste Spur, die mit dem Stadttor aber nichts zu tun hatte. Die katholische Kirche der Altstadt wurde 1760 im barocken Stil erbaut. Nun war davon auszugehen, dass es in dieser christlichen Stadt auch schon zuvor eine Kirche gegeben hatte. Nur wusste kein Mensch, kein Plan, kein Archiv und kein Kirchenbuch, von dieser Vorgängerkirche zu berichten. Alle vermuteten die neue barocke auf den Fundamenten einer alten romanischen oder gotischen Kirche. Leider wurden keine Steine gefunden, die darauf hinwiesen. Das dazugehörige Pfarrhaus wurde erst zwei Jahrzehnte später errichtet.
Wenn in der Stadt irgendwo gegraben wurde, war Opa zur Stelle, um nach historischen Steinen und Balken zu spüren. Beim Verlegen neuer Abwasserrohre war er im Dauereinsatz, denn Gräben durch die Altstadt waren wie Wundertüten. So ein Graben wurde vor kurzem am Pfarrhaus entlang ausgehoben. Dabei stießen die Arbeiter auf ein altes Fundament, das vom Pfarrhaus überbaut war. Die alten Steine endeten in Mitte der Fassade und suggerierten eine Gebäudeecke. Wenn die Historiker den Verlauf der Fundamente weiter verfolgen wollten, mussten sie im Keller des Pfarrhauses nachsehen oder dort sogar graben. Es könnte der Standort der früheren Kirche zutage treten oder zumindest ein Hinweis auf diesen, erklärte Opa seinem Enkel. So wie Opa den Pfarrer einschätzte, waren nervige Verhandlungen zu erwarten, die er gerne dem Tiefbauchef überließ.
Nach Feierabend schlenderte Alwin zum Firmenparkplatz. Schon von weitem kam ihm sein Motorrad seltsam vor, irgendetwas war anders. Als er davor stand, durchkribbelte ihn ein unangenehmes Gefühl, beide Rückspiegel waren abgeknickt. Das war nun doch zu viel Zufall, irgendjemand wollte ihm schaden. Er ging zurück und erkundigte sich bei noch anwesenden Kollegen, ob sie etwas gesehen hätten, ob ihnen etwas aufgefallen sei. Die erfolglose Befragung sagte ihm, dass er nicht mehr im Freien parken konnte. Von seinem Chef erhielt er die Erlaubnis, seine Maschine während der Arbeitszeit in einer Halle abzustellen.
Alwin fuhr zum Händler und bestellte zwei neue Rückspiegel. Auf der Heimatfahrt musste er beim Abbiegen immer nach hinten sehen, dabei fiel ihm ein blauer VW Käfer auf, der ihm hartnäckig folgte. Diese blauen Käfer schienen sehr häufig zu sein, ständig sah er einen herumstehen. Wer hinter dem Steuer saß, konnte er nicht erkennen. Er beschleunigte, durchfuhr einige Gassen und der Käfer hielt erwartungsgemäß nicht mit. Vor Opas Haus stieg er ab, um das Tor zum Schopf zu öffnen. Gerade als er den einen Torflügel einhakte, fuhr am Ende der Straße ganz langsam ein blauer Käfer durch. Alwin brauchte zwei Sekunden, dann startete er durch und sprintete dem Käfer entgegen, um Fahrer und Nummernschild zu erkennen. Auch der Käfer startete mit der geballten Kraft seiner vierunddreißig PS durch und verschwand in einer Seitenstraße. Al vermutete richtig, er wurde verfolgt, und der Fahrer des Käfers wusste, wo er wohnte.
Nun begann ein Grübeln und Raten. Feinde hatte er keine, im Prinzip konnte er jeden verdächtigen. Die Einzigen, die böse auf ihn sein konnten, hießen Kalle, Findus und Troll und saßen im Knast. Vielleicht war es ein Freund oder Verwandter der Drei, der sie rächen wollte. Es konnte auch ein gestörter Unbekannter sein, dem Alwins Nase nicht gefiel. Aber in einem blauen Käfer? Er kannte nicht einmal jemand, der die Qual auf sich nahm, einen alten Käfer zu steuern. Al beriet sich mit seinem Opa. Der riet ihm, Beweise zu sammeln und, für seine Kawa müsste es kein Problem sein, den Käfer zu stellen. Das sagte sich Alwin auch. Falls er tatsächlich wieder verfolgt wird, würde er den Spieß umdrehen.
Freitagabend besuchte er mit Schratt und Tiger ein Dorffest, bei dem eine regionale Kultband spielte. Um elf Uhr abends war deren Programm beendet und sie fuhren noch in eine Disco, um die dortige Damenwelt abzuchecken. Außer dekorativem Herumstehen und mal wieder ein, zwei Bier zu viel, brachte das Eintrittsgeld nichts. Um zwei verließen die Drei die Bude, ein jeder für sich strebte den Heimweg an. Alwin wollte sein Bein über die Sitzbank schwingen. Als es sich in der Höhe befand, stieg ihm ein übler Geruch in die Nase. Er stellte das Krad auf den Seitenständer und schnüffelte. Wut stieg in seinen Kopf. Er öffnete eine Satteltasche und sah die Bescherung. Sein unbekannter Widersacher, so vermutete er, hatte darin eine für menschliche Verhältnisse große Portion Exkrement deponiert. Für so einen großen Scheißhaufen hätte er dreimal müssen. Der Geruch und der Anblick machten Alwin nüchtern, er drehte hoch. Doch ärgern half nicht, er musste heim, die Packtasche abhängen, mit Gummihandschuhen auskratzen und auswaschen. Vielleicht waren im Stuhlgang der fremden Person sogar Cholera- oder Typhuserreger, fantasierte er.
Wütend bestieg er seine Maschine und fuhr etwas schneller, als die Polizei erlaubt, damit ihn die Geruchsfahne nicht erreichte, nach Hause. An der Kreuzung vor der Altstadt, die mit Grünflächen aufgelockert war, die Ampeln waren abgestellt und blinkten, brauste plötzlich von links ein Käfer auf ihn zu. Der Schreck fuhr Alwin in alle Glieder. Er riss den Lenker nach rechts, knallte den Randstein hinauf und fuhr in die Grünfläche. Obwohl er dort schnell abbremste, verlor er beim Schlingern das Gleichgewicht und fiel mit der Maschine in die Rabatten. Passiert war ihm nichts, auch die Kawa war heil, nur der neue rechte Spiegel stand schief. Er sah sich sofort nach dem Käfer um, der aber schon in der ihm gegebenen Höchstgeschwindigkeit davonbrauste. Da wurde Alwin auch klar, weshalb er den VW zu spät gesehen hatte: er fuhr ohne Licht. Das könnte man jetzt als Mordanschlag werten, dachte er. Aber zum Verweilen und Nachdenken war das ein ungünstiger Platz. Wenn zufällig eine Streife vorbeikam, der er sein Leid klagen könnte, würde die seine Bierfahne riechen, dann war aus mit Motorrad fahren. Also nichts wie in Opas Schopf und Scheiße auswaschen.
Die verseuchte Packtasche war auch ausgewaschen nicht mehr zu gebrauchen. Er beschloss, sie innen zu lackieren, nachdem sie getrocknet war. In Opas Werkzeugregal stand eine Dose mit schwarzem Nitrolack. Der erschien giftig genug, um Scheiße zu neutralisieren. Mit nur noch einer Satteltasche gondelte Al langsam zu Schratt, schaute ständig nach blauen Käfern, konnte aber keinen entdecken. Er fuhr sogar eine extra Runde über den Supermarktparkplatz, nicht ein einziges dieser buckligen Autos war blau. Sollten die Blauen immer derselbe gewesen sein? Wurde er beschattet? In Schratts bescheidener Einzimmerwohnung erzählte er von der Packtasche mit menschlichem Stuhlgang, den kaputten Spiegeln, den fehlenden Zündkerzensteckern und den Plattfüßen.
„Da hast du echt ein Problem“, meinte Alwins Kumpel. „Der Mordanschlag könnte beim nächsten Mal funktionieren.“
„Was würde es bringen, zur Polizei zu gehen? Für den Rammversuch habe ich keine Zeugen.“
„Wir müssten dieser Person eine Falle stellen“, meinte der langhaarige Schratt. „Du stellst dein Motorrad gut sichtbar in einer belebten Straße ab und wir lauern auf das Auto. Wenn wir die Nummer haben, sind wir ein schönes Stück weiter.“
„Die Nummer ist zu wenig, damit kann ich nichts beweisen. Wenn ich weiß wer drin sitzt, kann ich eventuell eine Verbindung herstellen.“
Der muskelbepackte Tiger kam und wurde eingeweiht. „Waren Waffen im Spiel?“ war seine erste Frage.
„Das wäre natürlich die nächste Steigerung“, hauchte Schratt, Abenteuer witternd.
Alwin sprang aus dem Sessel. „Toll. Ihr meint, dass der Bösewicht sich noch andere Sachen einfallen lässt und mich von der Maschine schießt. Oder mir auflauert und mich erschlägt oder absticht.“
„Und du kennst echt niemanden, der böse auf dich sein könnte?“ fragte Tiger nochmals.
„Vielleicht hast du jemandem den Garten vermurkst“, war so eine Idee von Schratt.
„Ha, ha. Ich habe nur zufriedene Kunden. Alle freuen sich über meine Kreativität.“
Tiger hatte genug gehört. „Da wir eh ein bisschen herumfahren wollten, machen wir das nun im Stadtgebiet, würde ich vorschlagen. Wir lassen dich vorausfahren und beschatten dich aus sicherer Entfernung. Wenn ein blauer Käfer auftaucht nehmen wir ihn in die Zange.“
Keiner wusste etwas Besseres.
Als sie so ziemlich alle Straßen des Stadtgebiets abgefahren und in alle Seitenstraßen hineingeschaut hatten, pausierten sie an einem Straßen-Café. Alwin musste sein Krad in größerer Entfernung als Lockvogel parken, Schratt und Tiger stellten ihre Maschinen dicht an ihren Tisch. Alle drei beobachteten Alwins Kawa. Es war ein heißer Tag und sie saßen in der prallen Sonne. Nach dem Kaffee tranken sie eine Cola, nach der Cola ein Bier. Nach drei Stunden reichte es Tiger. „Wir können nicht ewig hiersitzen und unser Geld versaufen, sonst bin ich blank. Ich will heute Abend noch weg“. Sie bezahlten und verabredeten sich für den Abend. Nachdem sie geduscht und gegessen hatten, trafen sich die Drei in einer Kneipe, in der tolle Frauen verkehren sollten. Leider geizten die tollen Frauen an diesem Abend mit ihrer Anwesenheit, enttäuscht beendeten Alwin, Schratt und Tiger den Samstag.
Am Sonntag war Opa mal wieder zuhause und kochte sogar. Sein Enkel wusste nie, wo er steckte. Er vermutete den Alten entweder in der Hütte oder bei Bekannten, wobei die Bekannten auch weiblich sein konnten. Einmal hatte Alwin Opas Freundin gesehen, zumindest die damalige, und sich gefragt, was Großvater mit der wohl so alles macht. Doch nicht etwa Sex? Es schüttelte ihn bei dem Gedanken. Als junger Mann konnte man sich Sex mit einer Rentnerin nicht vorstellen.
Beim Kochen unterhielten sie sich über die bedrohliche Sache. Während der Mahlzeit, Nudeln mit Bolognese Soße, stellte Opa einige Fragen. Dann meinte er: „Das ist schon übel, das kann sich noch ewig hinziehen. Das musst du irgendwie abstellen, sonst wird irgendwann dein Motorrad zertrümmert oder du wirst tatsächlich von der Straße geschubst. Vielleicht sogar eine Brücke hinunter.“
„Danke Opa für deine Weisheit. Mir ist schon viel wohler.“
„Blauer Käfer sagst du?“ Opa sinnierte. „Von denen kann es nicht viele geben. Wenn ich einen sehe, merke ich mir die Nummer und lass ihm die Luft raus.“
„Du musst die Feindschaft nicht noch auf die Spitze treiben. Ich brauche etwas, womit ich zur Polizei gehen kann.“
„Ist ja gut, ich überlege mir was“, versprach Opa. Dann stellte er den Fernseher an.
Alwin befand sich im Tiefschlaf, als es laut klirrte und knallte. Sofort stand er im Bett. Die Fensterscheibe war eingeworfen, auf dem Fußboden lag ein Stein, der zudem an die Schrankseite gedonnert war. Bis Alwin ans Fenster sprang vergingen einige Sekunden, er hörte jemanden rennen.
Dann stürzte Opa ins Zimmer und besah sich die Bescherung. „Bist du heile?“
„Nur der Schreck. Wenn man Feinde hat, ist ein Zimmer im Erdgeschoss ungünstig“, meinte Alwin, der selbst im tiefsten Schreck immer noch cool herüberkam. „Ich schlafe im Wohnzimmer weiter, ich muss ja früh raus. Würdest du den Glaser bestellen? Ich bezahle die Scheibe auch.“
Kopfschüttelnd ging der Großvater wieder zu Bett, schwer genervt legte sich der Enkel auf die Couch. Plötzlich sah er Licht im Dunkel, sein Feind wusste, in welchem Zimmer er schlief. Da ließe sich eine Spur aufnehmen.
Nach Feierabend packte Alwin seine Reisetasche aus Bundeswehrzeiten, die Scheibe war schon ersetzt, und fuhr mit Opas Einverständnis zur Hütte, in der er den restlichen Sommer verbringen wollte. Von der Hütte wusste keiner seiner Kollegen, Kameraden und sonstigen Bekannten, sie war Opas Rückzugsort. Alwin räumte seine Klamotten in den Schrank und fuhr danach in den Supermarkt einer anderen Stadt, um sich lebenswichtige Naturalien wie Kaffee und Bier zu kaufen.
Die erste Nacht in der Hütte begleiteten unbekannte Geräusche, von denen das Rufen einer Eule noch am eindeutigsten war. Es knabberte und raschelte sehr nahe, die Viecher hätten in der Küche oder im Schrank sein können. Doch das Licht seiner Taschenlampe erfasste nichts. Ein deutliches Fauchen ließ auf größere Tiere schließen. Vielleicht eine Wildkatze oder ein Dachs oder Fuchs. Alwin kannte keine Furcht, er schlief wie ein Murmeltier, welches in den Reben gewiss nicht vertreten war.
Das Leben in der Hütte gefiel ihm. Nach der Arbeit kaufte er ein was fehlte und bereitete sich im Freien, im Schatten der Lorbeerkirsche, ein reichhaltiges Abendessen. Für die Mahlzeiten nahm er sich richtig viel Zeit. Servierte sich zum Beispiel Nudel- oder Kartoffelsalat, schnippelte auf die eine Brotscheibe Käse, auf eine andere Wurst oder kalten Braten, belegte die Brote mit Gurkenstreifen, Tomatenscheiben oder Paprikaschnitzen, aß dazu ein paar Radieschen. Dazu trank er langsam und genießerisch ein Viertele billigen Rotwein. Ein Teurer hätte sich mit den Radieschen nicht vertragen. Und es blieb bei einem Viertele. Nach einigen Tagen liebte er die abendliche Zeremonie, er kam sich richtig kultiviert vor. Nach dem Essen nahm er sich einen Stuhl, ging damit an den Rand der Reben, fläzte sich gemütlich in das Sitzmöbel, schaute über das Tal und beobachtete den Sonnenuntergang. Wenn er ins Karatetraining ging, stellte er die Kawa in Opas Schopf und radelte zum Verein. Hinterher duschte er, aß sich bei Opa satt und fuhr wieder ins Feld.
In der dritten Woche seines Exils begann die Regenzeit, die ihm auch bei der Arbeit zu schaffen machte, die Klamotten wurden schneller dreckig. In der Zeit in der er Opas Waschmaschine nutzte, gönnte sich Al ein heißes Bad, danach suchte er wieder die Hütte auf. Opa war selten zuhause, zu einem Schwatz kaum Gelegenheit. Wenn es in der Hütte zu klamm wurde, heizte er den Ofen an, speiste an dem kleinen Tischchen und hörte dazu Radio. Auch das fand er sehr gemütlich, er lebte in einer eigenen in sich geschlossenen Welt, in der ihn keiner behelligte. Während der Arbeitszeit aß Alwin nur noch wenig, damit er abends, zum Höhepunkt des Tages, umso opulenter auftischen konnte. Danach las er bis zum Einschlafen in einem spannenden Roman. Keiner wusste wo er wohnte, auch Schratt und Tiger nicht und Alwin fand das sehr beruhigend.
Abends ging er kaum noch aus, nur noch ins Training, und dahin auch nicht immer. Zurückgezogen zu leben gefiel ihm ausgesprochen gut. Seine Freizeit verbrachte er nun lieber mit sinnieren, lesen und Radio hören, er begann Gedanken aufzuschreiben und suchte nach dem Sinn des Lebens. Nach wie vor wusste Alwin mit seinem Leben nicht viel anzufangen. Dass er im Beruf Anerkennung erntete, empfand er natürlich als wohltuend. Aber das konnte nicht alles sein. Was hatte Opa einmal erklärt? Jeder Mensch will beachtet werden, will Anerkennung und Zuwendung. Die meisten wollen sich irgendwie hervortun und über andere erheben.
Alwin wurde beachtet, weil er gut aussah, bekam Anerkennung, weil er gute Arbeit lieferte und bekam Zuwendung, wenn er es zuließ. Womit er sich hervortun konnte, wusste er nicht. Auf keinen Fall wollte er sich über andere erheben. Selbst der ungeschickteste Hilfsarbeiter konnte sicher sein, dass er von Alwin nicht zur Schnecke gemacht wurde. Was seinem Dasein fehlte, war eine feste Freundin. Eine zu finden wäre ein Leichtes. Doch traf er nur auf solche die ihm nicht zusagten, weil sie entweder übergewichtig, vulgär, oberflächlich oder ganz einfach zu geschwätzig waren. Die Frauen die ihm gefielen, waren schon in festen Händen, er hätte sie ihren Freunden ausspannen müssen, was er wiederum nicht wollte. Es gab einige Frauen, die er schnell in sein Bett bekommen würde. Doch sie wieder abzuwimmeln wäre ihm unangenehm und täte ihm auch leid. Beispiel Rita. Rita kannte sein Schlafzimmer. War es möglich, dass sie sein Verfolger war? Nach wie vor hielt er sie für harmlos und frei von krimineller Energie.
Für den Samstag war schönes Wetter angesagt und Alwin musste arbeiteten. Zur Belohnung verordnete er sich eine Disconacht. Nach Feierabend wusch er seine Kawa, an der eine schwere Erdkruste klebte, denn die Auffahrt zu Opas Hütte befand sich in einem jämmerlichen Zustand. Um nicht hängen zu bleiben, war er sie mit Anlauf angegangen, dabei spritzten Hinterrad durchdrehend Erde und Grassoden in den Rückraum. Sobald es trockener wird, nahm er sich vor, würde er mit dem Pritschenkombi seiner Gärtnerei eine Ladung Schotter abladen und auf der Auffahrt verteilen. Mit seiner ausnahmsweise blitzenden Maschine steuerte er Opas Haus an, um selber zu duschen. Der Alte war zuhause. Zur Feier von Alwins Anwesenheit kochte Opa Brokkoli mit Kartoffeln und Speck, gemeinsam aßen sie zu Abend. Sie redeten über die Ereignisse der Woche. Um elf ging Robert ins Bett und verließ Alwin das Haus, das Nachtleben wartete.
Er war mit Schratt und Tiger in einer Disco drei Dörfer weiter verabredet. Die Zwei amüsierten sich, weil Al seine Maschine in einer dunklen Gasse versteckte. „Da wird sie bestimmt geklaut“, meinte Tiger. „Die findest du nicht mehr, wenn du einen in der Krone hast“, ergänzte Schratt. Erste Handlung war, noch bevor sie ein Getränk orderten, Mädchen mustern. Die Einzige, die Alwin kannte, war Elli, die wie gewohnt auf der Tanzfläche den Wirbelwind gab. Beide grüßten sich lässig mit Handheben. Da die Kleine anderen Interessen nachging, ließ er sie links liegen und schob sich durchs Gewühl. Freundlich grinste er Mädchen an, die meisten grinsten freundlich zurück. Ihre Freunde grinsten nicht. Nach dem ersten Rundgang besorgte er sich ein Bier, Schratt und Tiger belagerten schon die Theke und schlugen dort Wurzeln. Wer zur Toilette musste, kam an der Theke vorbei und in der Regel mussten Mädchen immer. Alwins Begleiter beschränkten sich auf inaktives Beobachten und hofften, einmal von einer Weiblichkeit angesprochen zu werden. Al selber nahm sein Bier und suchte wieder das Gedränge. Eine Zeitlang lehnte er an einer Wand und wartete auf einen Bekannten, der sich gerade angeregt unterhielt. Durch Zufall sah er einen dunklen Schopf, der sich schnell hinter eine Säule zurückzog. Wollte diese Person von ihm nicht gesehen werden? Er schaute mit halb geschlossenen Augen einige Minuten zur Säule, der Schopf tauchte wieder auf, und verschwand sofort, wenn er seinen Kopf in Richtung Säule drehte. Alwin kam sich beobachtet vor. Wer versteckte sich vor ihm?
Er tat so, als ob er auf die Toilette ginge, schwenkte aber kurz zuvor ab und duckte sich hinter einen langen Kerl. Von diesem verdeckt, schlich er in größerem Abstand um die Säule herum. Ihm wurde ungemütlich, denn da stand Rita und beobachtete die Toiletten. Ihr borstiges Haar, das aus Draht zu bestehen schien, war nun zu einem kurzen Wischmopp geschnitten. Alwin verzog sich zu seinen Kumpels an die Theke, er wollte ungestört überlegen. Plötzlich konnte er sich vorstellen, dabei dachte er auch an die eine oder andere Bemerkung Opas, dass sich Rita, aus Wut über seine Zurückweisung, an ihm rächte. Was wird sie unternehmen? Sollte er sie, wegen der Schäden an seiner Kawa, zur Rede stellen? Sie war nie besonders gesprächig gewesen, außer im Bett. Wenn es ein Problem gab, konnte sie nicht darüber reden und war verstockt.
Vor ihm hopste Elli auf der Tanzfläche herum, er winkte ihr lächelnd zu, sie winkte sogar zurück. Dann hatte er es. Er tat etwas, was er nüchtern noch nie getan hatte, er ging auf den Dancefloor und tanzte. Schratt und Tiger waren irritiert und verloren ihre gelassene coole Haltung. Alwin tanzte sich zu Elli.
„Eh, was ist denn mit dir passiert?“, schrie sie ihm entgegen.
Er zog sie zu sich her und bückte sich zu einem Ohr. „Ich bin in Not, du allein kannst mich retten.“
„Und wie kann ich das machen?“ lachte sie.
„Knutsch mit mir herum, das kannst du doch gut“, lachte er zurück und hätte liebend gern zu Rita hinüber geschaut.
„Für was soll das gut sein?“
„Das hilft, mir eine furchtbare Frau vom Halse zu halten. Die ganze Story erzähle ich dir später, die ist unglaublich.“
Elli wollte zwar mit Alwin nichts anfangen, hatte aber Vertrauen zu ihm. Wie ein geschmeidiges Äffchen hängte sie sich an seinen Hals und fing eine innige Knutscherei an.
„Eigentlich macht es ja Spaß, sollte ich viel öfter machen.“
Er tat verliebt, streichelte ihre blonde Mähne und fuhr dann mit beiden Händen ihren Rücken hinunter. „Hat es mit dem Akademiker noch nicht geklappt?“
„Du glaubst nicht, wie die sich anstellen. Und dann gibt es noch eine Schallgrenze und die heißt vierzig.“
Alwin musste lachen, dachte aber, so ein alter Sack musste sich bei der kleinen Elli wie ein Kinderschänder vorkommen.
„Heute Nacht bedaure ich zum ersten Mal, dass ich in der Schule so faul war und dem Gymi aus dem Weg gegangen bin. Sonst hätte ich bei dir richtige Chancen.“
„Tja, das wäre es. Komm, erzählt mir die Story.“ Sie zog ihn von der Tanzfläche, schob ihn auf einen zufällig freien Sessel und setzte sich auf seinen Schoß. Alwin ließ nichts aus, knutschte aber mit ihr weiter. So erfuhr Elli von Alwin, wie Rita ihn fortwährend schädigte und er versteckt in einer Hütte im Feld lebte. Über Ellis Locken hinweg suchte er nach Rita und konnte zwei, drei Mal ihren Mopp erkennen, der hundert Pro in seine Richtung ausgerichtet war.
Elli schaute ihn mit aufgerissenen Augen an. „Was, echt in einer Hütte?“
„Mit Hühnern und einem Holzofen“, ergänzte er.
„Wie romantisch. Könntest du mir morgen früh Speckeier machen?“
Alwin lachte und freute sich auf den Fortgang der Nacht. „Wenn du die am Sonntagmorgen verträgst, gerne.“
Er entschuldigte sich bei Schratt und Tiger, er müsse das Mädchen heimfahren, er würde sich melden. Sie verließen die Disco in Gemütlichkeit, blieben manchmal stehen und küssten sich, schlenderten langsam zum Motorrad. Alwin war gespannt, ob ihm Rita folgen würde. Und, ob sie einen blauen Käfer fuhr. Elli bekam den Helm. Er sah sich um, kein Käfer weit und breit, er fuhr langsam los. Vielleicht wartete sie schon unterwegs, er rechnete damit, dass sie plötzlich aus einer Seitenstraße herausschoss. Und richtig, als er den Ort verließ und den Sportplatz passierte, löste sich vom Parkplatz ein unbeleuchteter Buckel und folgte in großem Abstand. Es war zwei Uhr vierzig morgens und kein Verkehr.
Alwin bekam eine Superidee. Er vermutete, dass Rita wissen wollte, wo er jetzt wohnte, und dabei konnte er sie gründlich überraschen. Mit siebzig, achtzig, gondelte er auf der Landstraße dahin. Wenn er meinte, dass der Käfer aufholte, gab er Gas. Vor der Stadt bog er rechts in die Hügellandschaft ein, fuhr auf einem asphaltierten Feldweg durch die Reben und achtete darauf, dass der Buckel nicht verloren ging. Er kannte eine Stelle, weit ab der Hütte, wo ein grasiger Feldweg im rechten Winkel rechts um eine hohe Böschung bog. Diese Stelle war sehr schmal, der Weg wurde fast nur von schmalen Winzertraktoren benutzt, auf der linken Seite ging es ungefähr einen Meter hinab. Das war wegen der hohen Vegetation nicht unbedingt zu erkennen. Man musste eng an der Böschung bleiben, sonst saß der Fahrzeugboden auf der Kante auf. Die richtige Falle für einen Ortsunkundigen.
Alwin bog links ab und verließ den Asphaltweg, fuhr sehr langsam auf einem Grasweg weiter. Als sicher war, dass der neugierige Käfer folgte, beschleunigte er etwas und nahm mit Schwung die beschrieben Rechtskurve. Nach fünfzig Metern stoppte er und spähte zurück.
„Was ist, ist die Hütte hier?“
„Ich glaube, ich habe den Käfer abgehängt“, freute sich Alwin, der sicher war, dass Rita festsaß. Elli verstand nur Bahnhof. Er beschleunigte und fuhr weiter vorne wieder auf den Asphalt und ohne Licht schnellstens zur Hütte. Dort erklärte er Elli den Sachverhalt und zeigte ihr das Klappsofa.
Es war Rita gewesen, was Alwin gar nicht sicher wissen konnte. Ihr Fahrzeug setzte aber nicht auf, es erwischte sie weit schlimmer. Weil sie ohne Licht fuhr sah sie die Kurve zu spät. Der Käfer kam über den linken Wegrand hinaus, durch den Schwung kippte er um und rollte die kleine Böschung hinunter, wo er auf dem Dach liegenblieb und ausschaukelte. Rita war nicht angeschnallt, schlug sich übel den Kopf an und holte sich zahlreiche blaue Flecken. Die Bergung des Fahrzeugs war nicht billig.
Elli gefiel es in der Hütte ausgesprochen gut, den ganzen Sonntag machten sie auf dem Ausziehsofa herum. Abends brachte er sie zu ihrem Auto und ihre Wege trennten sich wieder.