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Über die Hellhörigkeit alter Bauten

Dieser Text nimmt stellenweise unappetitliche Beispiele auf, die aber notwendig zu schildern sind, weil sie schlicht der Wahrheit entsprechen und eine Vogel-Strauß-Taktik in solchen Fällen auch nicht weiter hilft.

Sie weilte bei unserem Herrn K., wohnhaft in Altonas Altstadt, zu Besuch. Er rechnete sich alle Chancen aus, lange genug hatte die vorhergehende Balzzeit schließlich gedauert. Er wurde allmählich müde davon, immer diese Restaurant-Besuche, diese Blumen-Mitbring-Geschichten, er wollte es jetzt wissen.

Ah, so zart und so schön, dachte er, wie sie sich beim Kaffeetrinken gegenüber saßen. Ja, und solch eine verständige Frau, da geht was!, dachte dieser Mensch mit seinen eingeölten, dunklen Haaren, streng nach hinten gekämmt. Auf der Nase die im dunklen Rahmen gefasste Brille, weil er ja schon längst nichts mehr sieht.

Dieser arme Mensch.

Es „ging“ überhaupt nichts.

Und schuld waren die Nachbarn, das heißt, die Hellhörigkeit dieses scheints aus Pappe zusammen gezimmerten Nachkriegsbaues. Man hört in der Behausung Herrn K.'s alles.

ALLES.

Diese liebreizende Frau fragte: „Ist da jemand bei dir im Bad?“

„Nein, hier ist niemand, wir sind ganz alleine. Seufz, ganz allein wir zwei.“

So so, davon konnte aber schlicht nicht die Rede sein, in einem Mehrfamilienhaus, Baujahr 1948, ist man nie ganz alleine für sich, die Nachbarn sind stets gegenwärtig.

Dann hörte er es auch, wie sich dieser unselige Nachbar von oben drüber Erleichterung in seinem Bad verschaffte. „Er pinkelt im Stehen, diese Unsitte besitzt er leider“, entschied sich Herr K. für brutale Offenheit. „Das hört man hier unten.“

Sie wirkte nachdenklich, ja, das tat sie. „Hört sich ein wenig nach Pissoir an“, stellte sie fest.

Schnell sprang er auf und wollte Musik auflegen, Gegenlärm erzeugen, aber davon wollte sie nun auch wieder nichts wissen. Sein musikalischer Geschmack ist berüchtigt.

Inzwischen hämmerte es von oben, Nägel wurden irgendwo hinein gedroschen. Um ihrer mutmaßlichen Frage zuvor zu kommen, teilte er ihr mit, dass sein Nachbar einer aus der Gilde der Hobbyhandwerker sei. Ja, er besäße diese tragische Veranlagung, tragisch für uns Nachbarn, sagte er. Und versuchte sich an einem Witz: „Dafür spielt er kein Schlagzeug!“

Wenn Herr K. schon mal mit Späßen ankommt, dann ist er der Verzweiflung nahe.

Nach Witzen war ihr aber nicht zumute, denn mittlerweile stellte sein Nachbar neue Geräusche zur Verfügung, die es zu beurteilen galt.

„Das sind doch Fürze!“, sagte sie in aller Deutlichkeit.

„Nun, das stimmt wohl, bedauerlicherweise leidet er unter Blähungen. Flatulenz, nennt sich das in Fachkreisen.“

Oh Mann Herr K., schlechte schlechte Karten.

Nebenan in der Nachbarwohnung, ihm zur Linken, hatte sich das dort lebende Paar entschlossen, heute sei ein guter Tag, um die Sprungfedern ihrer Matratze mal wieder zu testen. Das machen sie nur höchst selten, aber an manchen Tagen kommt eben alles zusammen.

Sein Damenbesuch zuckte zusammen, wo war sie da hinein geraten?

„Wawawas?“, stammelte sie, als diese rothaarige Furie aus der Nachbarwohnung auch noch zu schreien begann, dass seine Wohnzimmerlampe, aufgrund der Schallwellen, hin und her pendelte.

(Das halte ich, der Berichterstatter, wiederum für übertrieben, aber sei es wie es sei.)

Herr K. resignierte, dieser arme Mensch mit seinen eingeölten, dunklen Haaren. Er ruckelte seine Brille zurecht und sagte: „Geh'n wir spazieren?“

Wenn man geschlagen ist, ist man geschlagen, so viel Weisheit muss sein.

Sie nickte und rasch waren sie draußen. Es regnete.

Dies also zur Hellhörigkeit alter Bauten, die, zusammengesetzt aus Trümmersteinen auch unser jetziges Leben mitunter in Trümmer versetzt.

Altona

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