Читать книгу Godcula - Hans Jürgen Kugler - Страница 5
2 Der Chef hört Stimmen
ОглавлениеFred Schwiemler, stellvertretender leitender Master Art Director (MAD) der Abteilung allgemeine Kreativität im Segment Unterhaltungselektronik der deutschen Zweigstelle von Fun & Son Incorporated war in seinem vollklimatisiertem Büro in der 17. Etage des Pennter-Center mit der in höchstem Maße verantwortungsvollen Aufgabe beschäftigt, die Siebte Variable Ebene des Dunklen Vließes zu erreichen, um dort dem Bösartigen Grinsenden Ghul in seiner Burg des Transuniversalen Schreckens aufzulauern.
Es war ihm gerade geglückt, aus dem Horst des Grausigen Greifen zwei seiner goldener Eier zu entwenden, die seinem Vitalkonto zwei zusätzliche Leben einbringen würden, die er für den bevorstehenden Kampf mit den unbarmherzigen und zudem drogensüchtigen Vasallen des Bösartigen Grinsenden Ghuls auch dringend benötigen würde.
„Hey Fred! Stell dir vor, eine gigantische Ameise …“
„Verdammt noch mal! Wegen dir habe ich jetzt doch glatt die Eier fallen lassen! Kannst du dich nicht anmelden, wie jeder andere auch hier?“
In Kurt Kurtz’ dezent gedunsenem Gesicht erloschen schlagartig die kleinen roten Flecken, die mit ihrem Erscheinen zum Leidwesen ihres Trägers aller Welt auf unübersehbare Weise kundtaten, dass ihr Besitzer sich gerade in einer höchst aufgeregten Stimmung befand, ein Mann voller Tatendrang und Vitalität. Es tat Kurt wirklich leid. Er hatte sich einfach nichts dabei gedacht, als er so ohne alle Voranmeldung in Freds Büro gestürmt war, aber die Idee mit der Ameise war ihm einfach zu großartig erschienen, als dass er sie noch länger als eine Nanosekunde für sich behalten hätte können. Weil er nun mal wirklich selten eine gute Idee hatte, erschien ihm jeder irgendwie sonst noch von ihm bislang ungedachte plötzliche Gedanke als eine so große innovative geistige Errungenschaft, dass ihm selbst der Einfall, die Knopfleiste seines Hemdes statt von oben nach unten, künftig von unten nach oben zu knöpfen als eine epochemachende Eingebung geradezu göttlicher Inspiration erscheinen musste.
„Was für eine Ameise meinst du denn überhaupt? ,Fornicula‘ gibt es doch schon seit über fünfzig Jahren …“
„,Fornicula‘, ach was! Das war doch nur Kinderkram. Ich meine etwas viel, viel Größeres, eine Ameise, so groß wie ein ganzes Hochhaus, mit gewaltigen, rasiermesserscharfen Flügeln, unzähligen Kiefern, feuerspeiendem Atem …“
„Also eine Ameise, so groß wie Godzilla …?“ Das war wieder einer dieser Momente, in denen er es von Herzen bedauerte, dass er diesem halbdebilen Schwachkopf jemals über den Weg gelaufen war, dass er es ihm jemals gestattet hatte, sein Lakai werden zu dürfen. In der Schule schon war ihm Kurt wie ein junger Hund hinterhergelaufen, wollte immer dabei sein, wenn er mit seiner Clique ein kleines Ding zu drehen plante, wie man es als Halbwüchsiger halt so tut. Alle, nur nicht Kurt. Kurt war in allem der Klassendepp, klein, fett und auch nicht gerade der Hellste. Jeder konnte ihn gefahrlos schikanieren, weil er sich einfach nicht zu wehren wusste, und so schikanierte ihn auch jeder. Er hatte keine Freunde, und wenn doch, dann nur so lange, bis er ihnen sein ganzes Taschengeld ausgehändigt hatte.
Eigentlich wäre Kurt für Fred ein viel zu leichtes Opfer gewesen, als dass er ihn überhaupt seiner Aufmerksamkeit für würdig befunden hätte, und darum ignorierte er ihn anfänglich, wie man ein Insekt ignoriert, das auf dem Boden krabbelt.
Gerade das machte ihn für Kurt attraktiv und er wich nicht mehr von seiner Seite. Sogar noch als er ihn verprügelt hatte, kam er gleich darauf wieder angekrochen, um sich bei ihm dafür zu entschuldigen, dass er ihn durch seine Anwesenheit belästigt hatte …
Und im Laufe der Zeit hatte es dieser Schwachkopf mit seiner Anhänglichkeit doch tatsächlich geschafft, dass er ihn als seinen Assistenten eingestellt hatte.
„Ja, genau! So wie Godzilla! Wir könnten es ja ,Fornizilla‘ nennen, das unglaubliche Wesen aus den Tiefen des Alls, oder klingt ,Godcula‘ vielleicht besser …“
„Nun mal langsam.“ Fred überlegte. „Godcula“ klang wirklich nicht schlecht, das musste er zugeben, das hört sich irgendwie nach einer finsteren Gottheit an … Aber erst einmal musste er diesen Schwachkopf in seine Schranken weisen, schließlich ging es nicht an, dass Kurt einfach zu ihm hineinplatzte, wie es ihm gerade passte. Er musste auch an die anderen Kollegen denken, da konnte er keinem Mitarbeiter so mir nichts, dir nichts irgendwelche Privilegien einräumen, sonst hieße es gleich wieder, „Ja, ja, der Kurt, das ist halt der Spezi vom Chef …“ Das konnte er nun wirklich nicht zulassen.
„Hör mal, du hast nicht ,Darf ich‘ gesagt …“
„Darf ich?“ sagte Kurt brav und reichte ihm sein platinveredeltes Feuerzeug wieder, mit dem er sich gerade eine der falschen Havannas aus des Chefs höchstpersönlicher Edelholzschatulle angezündet hatte.
„Was? Natürlich. Ich meine, nein, du sollst … ach verdammt. Du weißt doch genau, dass du nicht so einfach in mein Büro hineinplatzen kannst, Godzilla hin, Ameise her!“
Kurt war zutiefst zerknirscht, seine Stimme sank auf ein kaum wahrnehmbares Flüstern herab. „Soll ich wieder gehen?“
„Immer, wenn ich mit überaus wichtigen, innovativen wirtschaftlichen Problemlösungsstrategien beschäftigt bin, kommt erst irgend so ein Idiot hereingeplatzt, dann klingelt das Telefon …“
Das Telefon klingelte. Fred holte tief Luft, riss den Hörer an sich und bellte in die Sprechmuschel: „Ja, verdammt!“ Er erstarrte mitten in der Bewegung, sein puterrotes Gesicht wurde bleich wie ein Teigklumpen. Fred nahm unwillkürlich eine Habachtstellung am Telefon ein. „Jawohl. – Natürlich. Selbstverständlich. – Natürlich heute noch. – Das kann ich erklären. Jawohl. – Jawohl. – Aber sicher. – Jawohl. – Danke. Ihnen auch. – Jawohl. – Danke. Danke.“
Fred war nun doch leicht verärgert. Sein Chef, Dr. Paul Pandemius, hatte ihm unmissverständlich klargemacht, dass er bis morgen Abend noch ein vollständiges, buntes, tabellenkalkulatorisch taugliches, exzellent ausgearbeitetes, anschauliches und überzeugendes Exposé der kommenden Herbstcréation in Händen zu halten wünsche, mit dem er noch in diesem Jahr den Umsatz des Segmentes Unterhaltungselektronik um mindestens fünfzig Prozent zu steigern imstande sein sollte. Wohlgemerkt, er, Boss Art Director (BAD) Dr. Paul Pandemius, Außerordentlicher Absolvent der Vergleichenden Spekulativen Protognostischen Exilequilibristik an der Königlichen Universität Uganda; nicht er, Fred Schwiemler, würde den Umsatz steigern, er hatte nur das Material dazu zu liefern; die Anerkennung und den Ruhm für die von ihm geleistete Arbeit würde wie immer sein unmittelbarer Vorgesetzter, Dr. Pandemius, einstreichen. Wie er ihn hasste! Er wurde hier unten regelrecht aufgefressen, weil er hier tagtäglich, von morgens bis abends, eine geradezu herkulische Aufgabe, die er unter zahllosen Opfern, unter unglaublichen Bedingungen, umgeben von unfähigen Mitarbeitern und permanent gestört von einer lautstark arbeitenden Klimaanlage jeden Tag aufs neue zu leisten hatte, während er, Dr. Pandemius, ein Stockwerk über ihm gemütlich in seinem kackbraunen Edelledersessel lümmelte, den ganzen Tag über einen Drink nach dem anderen in sich reinschüttete und sich wahrscheinlich in der Mittagspause von dieser alten Schlampe Fräulein Herzig die faulen Eier lecken ließ, und zum Quartalsende fand dieser alte Aktenlecker dann immer noch Zeit, ganz nebenbei vor den Vorstand zu treten und mit vor dümmlicher Selbstzufriedenheit berstender Brust alle Meriten und alle Anerkennung einzustecken, die von Rechts wegen eigentlich ihm zukommen sollten. Wie er ihn hasste!!
„Äh, ist irgendwas, Chef?“ fragte Kurt, dem der schnell changierende Farbwechsel von Leichenblass bis Puterrot im Gesicht von Fred Schwiemler nicht entgangen war. Das Puterrot verblasste allmählich zu einem halbwegs gesunden Schweinchenrosa.
„Du bist ja immer noch hier! Also gut, ich brauche bis heute Mittag, hörst du, bis heute Mittag, nicht erst morgen, ein komplettes, ausführliches, vollständiges, buntes, tabellenkalkulatorisch taugliches, exzellent ausgearbeitetes, anschauliches und überzeugendes Exposé unserer laufenden Herbstcréation! Und zwar pronto und picobello! An die Arbeit!“
„Äh – was genau meinst du damit, mit der Herbstcréation … ich meine, …“
„Ganz egal, was. Alles, was ich sehen will, ist ein exzellent ausgearbeitetes, ausführliches, vollständiges, buntes, tabellenkalkulatorisch taugliches, anschauliches und überzeugendes Exposé, mit dem wir Eindruck schinden können. Also los!“
„Äh, wenn ich noch bemerken dürfte …“
„Was gibt es da noch zu bemerken?“
„… Wirklich ganz egal, was?“
„Ganz egal, was!“
„Also ist es wirklich egal, was es ist?“
„Egal, was es ist, Hauptsache, es ist was.“ Er war ganz stolz auf sein Wortspiel, noch nicht einmal halb zehn Uhr morgens, und schon gebar er solche ausgeklügelte Sottisen – das musste er sich aufschreiben.
„Wie wäre es dann mit einer riesigen Ameise, die …“
„Jetzt fängst du schon wieder mit diesem Blödsinn an! Alles, was ich will, ist ein tragfähiges, außergewöhnliches, vollständiges, buntes, anschauliches, überzeugendes und exzellent ausgearbeitetes Exposé, mit dem ich was anfangen kann!“
„… tabellenkalkulatorisch brauchbares! …“
„Was?“
„,Tabellenkalkulatorisch brauchbar‘. Du hast vergessen zu sagen, dass du ein tabellenkalkulatorisch brauchbares Exposé willst.“
„Es ist ganz egal, was ich will. Hauptsache, ich habe es bis heute Mittag. Aber um Himmelswillen keinen Blödsinn mit riesigen Ameisen oder so etwas. Herrgottnochmal, werd doch endlich mal erwachsen!“
„Aber ich bin doch längst erwachsen.“
„Was hast du gesagt?“ Dieser Schwachkopf wird mit jedem Tag frecher.
„Ich? Ich habe gar nichts gesagt“, sagte Kurt, der diesmal wirklich nichts gesagt hatte.
„Du hast doch eben gesagt: ,Aber ich bin doch schon erwachsen‘ …?“
„Nein, ganz ehrlich, das habe ich nicht gesagt.“
„Aber ich habe es doch laut und deutlich gehört.“
„Ich weiß nicht.“
Kurt machte ein so selten unschuldiges, dümmliches Gesicht, dass er sich wirklich nicht vorstellen konnte, dass er das jemals gesagt haben könnte.
„Verschwinde jetzt! An die Arbeit!“
Er hätte schwören können, dass irgend jemand hier, eben vorhin, in diesem Raum gesagt hatte: „Aber ich bin doch schon erwachsen!“ als er gesagt hatte – na egal. Er hatte jetzt andere Probleme. So wie die Dinge jetzt lagen –
„Ich habe das gesagt.“
Fred fiel der Telefonhörer aus der Hand, den er soeben aufgenommen hatte. Kurt war schon zur Türe heraus und er war jetzt völlig allein in seinem Büro, und dennoch hatte er laut und deutlich eine Stimme gehört, die soeben gesagt hatte: „Ich habe das gesagt.“ Wurde er etwa verrückt, all der Stress die letzten Wochen über …? Oder erlaubte sich da jemand einen besonders schlechten Scherz?
Ein versteckter Lautsprecher?! Er blickte unter den Schreibtisch, suchte mit den Augen die Wände nach verdächtigen Spuren ab. „Sicherlich Müller, Meier und Schmidt aus der Revision. Denen war ich ja schon immer ein Dorn im Auge.“
„Du hast ganz richtig gehört“, vernahm er wieder die Stimme: laut, deutlich, und in einem sauberen, sonoren Baß wie ein Rezitativ aus einer Oper.
„Äh, was?“ piepste er kaum vernehmbar unter seinem Schreibtisch hervor. – „Wer spricht denn da?“ fragte er zögerlich.
„Herr Gott.“
„Wie?“ Seine Stimme war nur noch ein gehauchtes Flüstern.
„Du hast gesagt: ,Herr Gott, noch mal, werd‘ doch endlich erwachsen!‘“
„Das habe ich gesagt?“
„Das hast du gesagt“, insistierte die Stimme sanft. „Und da dachte ich eben, es wäre vielleicht an der Zeit, dich darauf hinzuweisen, dass ich doch längst erwachsen bin, jedenfalls viel erwachsener, als du es jemals sein wirst.“
Er musste verrückt geworden sein. Ganz eindeutig. Das gibt‘s doch gar nicht.
„Muss man denn immer gleich verrückt sein, wenn man etwas erlebt, was man nicht gleich versteht?“
Er verstand es wirklich nicht. Aber das brauchte er ja auch gar nicht. Er setzte sich wieder an seinen Computer und startete erneut das Dark-Fader-Programm und versicherte sich immer wieder, dass er soeben einer Halluzination zum Opfer gefallen sein musste.
„Ich höre das gar nicht. Das ist alles nur Einbildung. Da ist keine Stimme. Hörst du? – Ich höre das gar nicht, du existierst gar nicht! Keine Stimme! Nirgends! Nicht einmal in meiner Phantasie.“
„Wie du meinst.“ Die Stimme verstummte.
Er hatte wohl doch zu viel gearbeitet die letzte Zeit, ganz gewiss. Der Erfolgsdruck, die dringenden Termine, diese ungeheure Verantwortung! Diese Belastung! Wie sehr ihn das alles belastete! Keiner würde das je verstehen. Und jetzt begann er auch noch Stimmen zu hören. Davon durfte er keinem etwas erzählen. Die würden ihn ja für vollkommen verrückt erklären. Stimmen! Einfach so. Stimmen, mitten im Raum. Wie aus einem Radio. Er lauschte angestrengt in den Raum, aber da war nichts mehr. Er hörte nur das vertraute Summen seines Rechners und das Telefonklingeln aus dem Nebenraum, das Müller, Meier und Schmidt bestimmt wieder aus ihrem Büroschlaf geweckt hatte. Die Vorstellung erheiterte ihn so sehr, dass er fast hysterisch aufgelacht hätte. Aber nur fast. Man konnte ja nie sicher sein, ob die das da drüben nicht vielleicht hören würden.
Eine erschreckende Vorstellung ergriff von ihm Besitz. Wie, wenn diese papierdünnen Wände so hellhörig sind, dass die drei schon seit Jahr und Tag jedes einzelne Wort ohne Probleme mitverfolgen konnten, das er in seinem Büro je gesprochen hatte, jedes Telefonat mitbekamen, das er führte, jede – nicht auszudenken!
Ein eigenartiger Gedanke durchfuhr ihn: Wenn dem so wäre, dann hätten sie sicherlich auch diese Stimme hören müssen, wenn es denn eine gegeben hätte. Er horchte wieder angestrengt an die Wand. Nichts.
Genau! Wenn es wirklich eine Stimme gegeben haben sollte, dann hätten Müller, Meier und Schmidt die in ihrem Büro sicherlich auch hören können. Diese drei Schnarchzapfen hatten doch ohnehin nichts Besseres zu tun, als den ganzen Tag über die Ohren zu spitzen und aufzupassen, was in seinem Büro vor sich ging. Aber zugleich wurde ihm auch bewußt, dass er nicht einfach so zu ihnen rübergehen konnte, um sie zu fragen: „Sagt mal, ganz unter uns, habt ihr nicht vielleicht auch eben so eine sonore Baßstimme eben in meinem Büro gehört?“ Ganz ausgeschlossen. Selbst wenn sie diese Stimme wirklich gehört haben sollten, würden sie einen Teufel tun und ihm das auf die Nase binden, denn dann hätten sie sich ja selbst entlarvt und ihre Schnüffelei eingestehen müssen. So ging es also nicht. Und wenn es doch nur eine Halluzination gewesen war, hätten sie ohnehin nichts hören können, ob sie jetzt an seiner Wand lauschten oder nicht.
Genau! Es konnte wirklich nur eine Halluzination gewesen sein, es lohnte sich gar nicht, noch länger darüber nachzudenken.
Der Bildschirm vor ihm erlosch wieder, sein Computer hatte auf den Ruhezustand umgeschaltet, weil er seit zehn Minuten keine Eingaben registriert hatte.
„Herrgottnochmal, da sitze ich hier untätig rum und vergeude kostbare Zeit, wo doch der Chef auf dieses dämliche Exposé wartet“, fiel ihm plötzlich ein und griff wieder zum Telefon. Er hatte den Hörer gerade abgehoben als er einer Eingebung folgend plötzlich innehielt.
„Herrgottnochmal!“ rief er laut. Keine Antwort.
Gott sei Dank. Keine Stimmen. Er war erleichtert.
Aus purem Übermut wiederholte er noch einmal, laut und deutlich, jede Silbe einzeln betonend: „Herr! Gott! Noch! Mal!!“
„Was?“ Kurt.
„Wie?“ unwillkürlich zuckte er zusammen, „Du doch nicht, verdammt noch mal, was machst du überhaupt in meiner Leitung? Ich habe doch noch gar nicht gewählt gehabt.“
„Das weiß ich auch nicht. Wirklich nicht. Ich …“
„Wie lange bist du schon in der Leitung?“
„Ich? Überhaupt nicht lange. Ich habe eben …“
„Ist ja auch egal. Was macht das Exposé? Schon irgendwelche Ideen?“
„Äh, ja, das heißt nein, deshalb rufe ich ja gerade an. Weißt du, es liegt einfach nichts Neues an. Letztes Jahr hatten wir ja noch die Sache mit den interaktiven Robosekten, was ja ganz gut gelaufen war …“
„Hör mir bloß damit auf! Man konnte noch nicht mal über die Straße gehen, ohne von so einem Ding wild flackernd angepiepst zu werden. Und was soll das heißen, keine Ideen? Was machst du denn eigentlich den ganzen Tag hier?“
„Ja, es gibt im Moment eben einfach nichts … außer vielleicht diese Sache mit der Ameise, was ich dir vorhin schon …“
„Ich habe dir doch gesagt … diese Ameisen krabbeln dir ja schon im Hirn rum. – Aber vielleicht besser als gar nichts, also gut, dann versuch‘ es halt mal mit dieser Ameise, in Gottes Namen!“
Er legte auf und lauschte. Nein, keine dröhnende Stimme, die wie aus dem Nichts über ihn hergefallen wäre. War wohl doch alles nur Einbildung.
Eins musste man Kurt lassen, so einfältig wie er ist, so hartnäckig ist er auch. Kommt doch die ganze Zeit mit dieser nun wirklich seit mindestens fünfzig Jahren abgeschmackten Idee von einer Riesenameise. Godzilla und Fornicula in einem. Dass ich nicht lache! Andererseits – gerade die dämlichsten Ideen haben ja später den allergrößten Erfolg. Also warum nicht mal wieder eine riesige Ameise, die Hochhäuser wie Nüsse knackt und am Ende womöglich das Empire State Building hinaufkrabbelt, weil sich dort Claudia Schiffer hingeflüchtet hat. Oder in die U-Bahn-Schächte kriecht, um dort ihre Eier abzulegen.
Halt. Das ist gar nicht mal so schlecht. Ameisen legen doch ihre Eier unterirdisch ab? Das ist genau dieser Funke an Realitätsbezug, der einer wirren Geschichte Glaubwürdigkeit verleiht. Doch, da steckt noch einiges an Potential drin.
Er wählte noch einmal Kurts Apparat: „Und dass du mir ja schnell machst, bis nach dem Mittagessen brauche ich dringend die ersten brauchbaren Entwürfe. Also laß knacken.“
„Ja, Chef, ich bin schon dabei.“
Hatte er soeben „Ja, Chef!“ gesagt? Fred lächelte. Schau mal einer an, hat der alte Knabe also doch noch Respekt vor ihm. Das wollte er ihm aber auch geraten haben, nach allem, was er schon für ihn getan hatte.
Er drückte die Leerzeichentaste, um seinen Bildschirm wieder zum Leben zu erwecken. Mochte Kurt doch dieses dämliche Exposé erstellen, sein Job war es schließlich nur, den Mist zu verkaufen, den andere für ihn machen.
Er aktivierte wieder Dark Fader. „Mist!“ Er hatte ganz vergessen, dass er ja die goldenen Eier des Grausigen Greifen hatte fallen lassen, als Kurt so unvermutet in sein Büro gestürmt war. Jetzt konnte er wieder ganz von vorne anfangen, musste wieder zurück auf Ebene drei und sich erst wieder mühsam den Eingang zur Monsterhöhle freischießen. „So ist das nun mal in meinem Job“, dachte er, „da bemüht man sich in hingebungsvoller Aufopferung den ganzen Tag hindurch, um seinen vielfältigen und unglaublich verantwortungsvollen Aufgaben so gut es geht gerecht zu werden, und dann kommt so ein unfähiger Schwachkopf hereingeplatzt und macht mit einem Schlag die ganze Arbeit eines Tages zunichte.“ Er packte seinen Joystick und feuerte wie der Teufel aus allen Rohren auf die berittenen Schrorks, die seinen Mr. Jonessy in nicht enden wollenden Wellen angriffen.