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4 Bandaraneike sucht Erleuchtung

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Religion ist nichts anderes als die individuelle ideelle Rückführung des Einzelnen hin zu einer Zentralen Ordnungsgemäßen Führungs-Figur, dem ZOFF …

(aus: Godcula’s Kleines Brevier der Tiere, a.a.O., Band XV, Kapitel .0.1.0.1.0. Relikt, Religion und Relais – Die alphanumerische Adäquanz Biontischer Systeme (ABS), Seite 1010011.0 ff.)

Bandaraneike Kalinichta Manyate Sakalaani, bürgerlich Walburga-Theresia Jacqueline Müller-Schnute, war gerade drauf und dran, der einzigen, wahren, finalen, endgültigen Erleuchtung teilhaftig zu werden, als sie einen Wadenkrampf bekam. Ärgerlich! Sie konnte ihren Körper vollkommen beherrschen, aber dagegen war sie machtlos. Sie fühlte, wie sich ihre Beinmuskeln schlagartig zu dicken, knotigen Seilen verkrampften und spürte den flammenden Schmerz von ihren Beinen ausgehend sich über ihren ganzen Körper ausbreiten.

Wenn sie doch nur an ihre tachyonisierten Energiesteine herankäme! Sie würde zwei der hochenergetischen roten und je einen der niederfrequenten flachen blauen Steine nehmen, sie in Richtung des intergastrocnemischen Meridians sanft entlanggleiten lassen, um die negativen Energien abzuleiten, und ruckzuck wären die Schmerzen verschwunden.

Unglücklicherweise hielten genau diese Schmerzen in ihren Waden sie davon ab, ihre Beine auch nur einen Millimeter weit auszustrecken und zu belasten. Es war ihr schlicht unmöglich, sich von ihrem Lotussitz zu erheben und zu ihrem heiligen Schrein in der anderen Ecke des Raumes zu gehen, wo sie ihre heilkräftigen Tachyonensteine aufzubewahren pflegte. Aber die ätherischen Lichtgestalten aus den Pleiaden meinten es trotzdem gut mit ihr: Nach ein paar Minuten lösten sich die verknoteten Wadenmuskeln wieder, der Schmerz flutete zurück in den Boden. Sie hatte ja erst vor kurzem ihren Flokati, auf dem sie saß, mit einigen dieser Glaszellen behandelt, das kam ihr jetzt zugute. Der auf diese Weise energetisch hoch aufgeladene Flor hatte dadurch seine paradimensionale Heilkraft wirken lassen können und die negativen Energien des Wadenkrampfes über den Boden abgeleitet.

Sie hatte gerade damit begonnen, nach Art der Yoshimala-Tiefenentspannungsmassage die Energiepunkte an ihren Knöcheln mit ihren Fingerspitzen vorsichtig zu umkreisen, um den astralen Kräftefluss in ihren Waden wieder in geregelte Bahnen zu lenken als unverhofft ihr Telefon läutete. Plötzlich hatte sie es sehr eilig. Das war bestimmt Kayru, Kayru Manwardamahardran, ihr spiritueller, fein- wie grobstofflicher Begleiter und Lehrer, der sie erst vor zwei Wochen verlassen hatte und jetzt bestimmt reumütig wieder um Aufnahme der abgebrochenen Beziehung zu ihr betteln würde. Da hätte er sich aber geschnitten! Er könnte ihr tausendmal erzählen, wie sehr er sich geirrt hätte, wie sehr er sie vermissen würde – Nein! Nein! Nein! Sie würde ihm nicht vergeben. Niemals! Da könnte er mit tausend Engelszungen reden und sich von allen heiligen astralen Geistern sämtlicher spiritueller Ebenen empfehlen lassen – Nein, Nein, Nein!

Sie stürzte so hastig ans Telefon, dass sie noch über eines ihrer kleinen Meditationskissen stolperte und kickte es wütend in die Ecke.

„Ja, hier Bandaraneike“, sagte sie in einem Tonfall, der unwillkürlich an rotes Plüsch und schummrige Kerzenbeleuchtung denken ließ.

„Hallo? Ah ja, hier ist Pandemius, der Klient für heute abend …“

„Mist!“ dachte sie. Gerade eben war sie noch so schön geladen gewesen, hatte sich eben so richtig schön in Rage gedacht, dass sie diesem Scheißkerl endlich einmal alles das an den Kopf hätte werfen können, was sie ihm schon immer hatte sagen wollen; jetzt war sie gerade in der richtigen Stimmung, um all diese miesen Gefühle, all diese in ihr blockierten bad vibrations endlich mal rauslassen zu können – und dann ist da nur dieser dämliche Heini Pandemius am Apparat, der Herr Doktor von irgendso einer obskuren Universität, der sich bei ihr ein paar kostenlose – na ja, fast kostenlose – Streicheleinheiten abholen wollte, weil ihm sein stressiger Job so sehr auf die Nerven geht, dass seine gesamte maskuline Stofflichkeitspräsenz nur aus Verspannungen und Blockaden zu bestehen schien.

„Hallo? Bandaraneike? Sind Sie noch dran? Ich …“

„Ja, natürlich. Entschuldigen Sie bitte, ich hatte hier nur noch gerade eine Kleinigkeit zu erledigen. Aber jetzt bin ich wieder voll und ganz für Sie da.“ Sie bemühte sich, in ihrem Tonfall nichts von der Enttäuschung anmerken zu lassen, die sie durch ihren nun doch wieder heruntergeschluckten kathartischen Ausbruch hatte hinnehmen müssen.

„Es geht um unseren Termin für heute Abend. Ich fürchte, ich werde ihn heute nicht wahrnehmen können. Wir stehen heute vor einem äußerst wichtigen Abschluss und ich habe keine Ahnung, wie lange das heute Abend dauern wird. Wäre es Ihnen vielleicht morgen möglich … so am frühen Abend vielleicht?“

„Mal sehen“, sie tat so, als würde sie in ihrem Terminkalender herumkramen.

„Wäre Ihnen morgen um neunzehn Uhr recht? Oder vielleicht besser noch neunzehn Uhr dreißig?“

Das war ihm sehr recht. Mit diesem späten Termin in der Hinterhand konnte er dem Vorstand immer noch in allerletzter Minute entwischen, wenn die Situation unangenehm werden sollte, weil ihnen vielleicht das neue Exposé nicht zusagen sollte. Er konnte dann immer noch sagen, er hätte bereits etwas völlig Neues und absolut Innovatives an der Hand, er müsste aber eben deshalb auf der Stelle … In der Regel genügte dem Vorstand ein kleiner Hinweis von ihm, dass er noch einen unaufschiebbaren Date habe, um in irgendwelchen obskuren gesellschaftlichen Kreisen, die dem Vorstand sowieso herzlich egal sind, den neuesten Trends nachzuspüren, den Knaller des Jahres, ach was, des Jahrzehnts, vielleicht des Jahrhunderts zu entdecken. Und außerdem wollte er auf keinen Fall auf die wöchentliche Sitzung bei seiner Yoshimala-Meisterin verzichten; wenn er nur an ihre vollen, ja, schon fast übervoll zu nennenden Brüste dachte, an ihre …

„Ja, natürlich, 19 Uhr 30 ist mir sehr recht. Bis dahin werde ich wohl alles erledigt haben. Vielen Dank, bis nachher.“

„Bis nachher.“ Sie seufzte. Dieser Pandemius war zwar nur so ein frustrierter abgeschlaffter Bürohengst, der wahrscheinlich schon lange keinen mehr hochgekriegt hatte, aber er zahlte stets bar und im voraus seine Sessions. So einen musste man sich warmhalten, denn die wenigsten Klienten von ihr besaßen diese Tugenden.

Aber wieso ruft Kayru nicht an? Sofort bereute sie diesen Gedanken wieder. Eigentlich war sie doch ganz froh darüber, dass er sie nicht weiter behelligte, oder? Sollte er doch bleiben, wo der Pfeffer oder sonst was wächst, das war ihr doch egal! Denn eigentlich war sie ja sogar erleichtert, dass er endlich fort war, damit hatten auch endlich die endlosen Diskussionen ein Ende, die sie in letzter Zeit immer verbitterter geführt hatten. Immer musste er recht behalten! Immer! Auch dann, wenn er den größten Blödsinn verzapft hatte.

Wenn sie es recht betrachtete, gründete seine ganze Rechthaberei eigentlich auf purer Dummheit. Jawohl, „dumm“, das war das richtige Wort! Und sie war dumm genug gewesen, auf so einen Schaumschläger hereinzufallen! Was hatte er nicht alles zusammengefaselt, als sie sich kennenlernten! Dass sie gemeinsam ganz leicht eine höhere astrale Ebene erreichen würden, allein durch die wunderbare Kraft des göttlichen Tantra. Wenn sie bloß daran dachte! Sie hatte sich manchmal stundenlang abmühen müssen, hatte ihm unentwegt seine Chakren, besonders das unterste massiert und stimuliert, unermüdlich ihre Hände über seine Energiepunkte kreisen lassen … Und wofür das ganze Theater? Im besten Falle war er unter ihren Bemühungen einfach eingeschlafen, im schlechteren Falle bekam er mit Mühe und Not eine halblebige Erektion zustande, mit der er sie dann doch nicht richtig … Es ekelte sie, wenn sie nur daran dachte.

Fast hätte sie vergessen den Krimi für heute Abend mit Heiner Lauterbach zu programmieren. Der Krimi selbst war ihr eigentlich nicht so wichtig, im Grunde war es ihr herzlich egal, wer da gerade wen warum erschossen hatte. Aber Heiner Lauterbach! Der hat nun einmal so eine gewisse Art an sich! Ihr wurde schon ganz warm, wenn sie nur an ihn dachte.

Sie klebte eine weitere Tachyonzelle an den Videorecorder. Man kann ja nie wissen. In letzter Zeit hat ihr dieses Gerät schon so manches Schnippchen geschlagen. Hatte entweder die programmierte Sendung erst gar nicht aufgenommen oder bereits nach fünf Minuten wieder selbsttätig ausgeschaltet. Sicherlich eine Art von störenden Interferenzen in den Schaltkreisen, das würden die Tachyonenströme schon wieder in Ordnung bringen. Wäre doch zu dumm, wenn sie wegen eines geringfügigen energetischen Ungleichgewichts ihren Heiner Lauterbauch nicht sehen könnte.

Heiner Lauterbach, ja, das war ein Mann! Hart, aber zärtlich. Kräftig, aber nicht bullig. Markante hohe Stirn, und dann der Dreitagebart … Kein Vergleich mit Kayru. Der mit seinen ewig ausgeleierten Leinenhosen, der graue Bart, die Glatze! Und dann, wie er immer so schlaff dahergeschlurft kommt – als ob er sich gleich jeden Moment wieder wie seine äffischen Vorfahren auf alle viere fallen lassen wollte. Nein, das war bestimmt kein Mann für sie. Der nicht! Soll er doch zu seiner Tussi nach München gehen. Der würde sich noch umgucken! Nach zwei, drei Wochen würde die auch genug von ihm haben, und dann …

Sie malte sich aus, wie er wieder winselnd mit hängenden Pfötchen und wedelndem Schwanz an ihre Balkontüre kratzen würde: „Es tut mir ja sooo leid. Ich habe einen Riesenfehler gemacht. Bitte, bitte, lass mich wieder rein. Es soll auch nieee wieder vorkommen!!!“

Sie aber würde mit steinernem Blick zum Balkonfenster gehen und wortlos das Rollo herunterlassen. Dann würde sie die Stereoanlage aufdrehen und mit einer schönen Tasse Matetee in das gegenüberliegende Zimmer gehen, das Telefon ausstöpseln, sich aufseufzend in ihren großen roten Plüschsessel fallen lassen und in alten Büchern kramen. Soll er doch nur kommen, dieser Schlappschwanz und winseln! Soll er doch nur kommen … Ihr war wieder zum Heulen zumute.

Genug jetzt! Sie schleuderte entschlossen ihr Kuschelkissen in die Ecke, das sie sich instinktiv wieder vom Bett gepflückt und an ihre Brust gedrückt hatte. So kann das jetzt heute nicht weitergehen, sie wollte sich schließlich nicht den ganzen Tag lang hier als heulendes Elend in ihrer Wohnung verkriechen.

„Als Erstes werde ich mal ein Bad nehmen“, dachte sie. Das half immer, ein schönes heißes, dampfendes Bad, duftende Kräuter, vielleicht noch ein, zwei Kerzen. Nur ein sehr unzureichender Ersatz für Geborgenheit und Liebe, aber immerhin … Genau! Das war jetzt genau das Richtige für sie. Sie müsste ohnehin mal wieder dringend ihr Blond auffrischen, das war sie ihrer engelhaften Aura schon schuldig. Sie hatte ja schließlich vor, 140 Jahre alt zu werden, ohne von irgendwelchen unliebsamen Alterserscheinungen behelligt zu werden. Da musste man eben schon beizeiten anfangen, gegen diese grauen Strähnchen anzugehen. Sicher, sie würde ihre paar grauen Haare nur farblich übertünchen, aber auf einer höheren existentiellen Ebene bedeutet das Außen ja zugleich auch das Innen, fällt Makro- und Mikrokosmos ohnehin in eins, sodass es also auch seine heilkräftige Wirkung nach innen zeitigen müsste, wenn sie ihren grauen Strähnchen ganz konventionell mit einer handelsüblichen Tönung zuleibe rücken würde. „Ni-yu-tum ku-ru kar-mu twum, kar-mu jya-yo y u-kar-mu-nuh1 …“ murmelte sie vor sich hin, einen Sanskrit-Text, den sie bei unzähligen Seminaren kennengelernt hatte und der, als Mantra gesprochen, den Menschen zu neuer Tätigkeit anspornen sollte, der immer dann skandiert wurde, wenn die von den Illusionen der Welt verunreinigte Seele zur spirituellen Erneuerung aufgerufen werden sollte.

Sie konnte es sich selbst nicht recht erklären, wieso sie ausgerechnet diesen Text in seinem Originalklang so gut behalten hatte, wo sie noch nicht einmal den genauen Wortlaut davon kannte. Aber dieser heilige Text war immerhin göttlichen Ursprungs, also hatte ihn wohl der vielgestaltige Gott der Weisheit (wie hieß er doch gleich wieder?) ihn ihr höchst persönlich eingeprägt, gewissermaßen wie einen göttlichen Samen eingepflanzt, der sie zu ungeahnter spiritueller Höherentwicklung führen sollte.

Ihr schwindelte bei diesem Gedanken. Denn das würde bedeuten, dass sie eine der 365 auserwählten wiedergeborenen Seelen als Hüterin der Reinkarnation in sich tragen würde. Sie – eine Braut des … (wie hieß er doch gleich wieder?) Ein Schauer kroch ihr den Rücken hinab. Sie musste so bald wie möglich mit ihrem geistigen Führer darüber sprechen. „Ni-yu-tum ku-ru kar-mu twum, kar-mu …“ Und da weinte sie noch diesem Kayru nach … Dieser unwürdige, überaus erbärmliche, widerlich wiedergeborene widerwärtige Wicht, dieser klägliche Wurm, dieser Abgrund an Scheußlichkeit, dieser …!

Die Tränen schossen ihr wie das Blut einer aufgerissenen Wunde aus den Augen. Sie eilte ins Bad. Immer noch weinend begann sie damit, ihre Bluse aufzuknöpfen. Als sie sie abgestreift hatte, musste sie erst einmal ihre Tränen am Ärmel abwischen. Ihr Blick fiel auf ihr Gesicht im Badezimmerspiegel. „Bäh! Blöde, verheulte Bandaraneike!“ muffelte sie ihr eigenes Spiegelbild an und legte ihren Armreif, ihre Ringe und ihren Ohrschmuck auf die Ablage. Sie drehte sich um, um das heiße Wasser einlaufen zu lassen.

In diesem Moment stieß sie einen gellenden Schrei aus und sprang wie von der Tarantel gestochen einen Meter zurück und stieß unsanft mit dem Rücken an die Spiegelablage, dass die umgeworfenen Fläschchen und Tiegel nur so schepperten.

Wie ein aufgeblasener Tintenklecks saß dick und fett eine große Spinne genau über dem Abfluss und schien keine Probleme damit zu haben, ganz stoisch das so unerwartete panische Geschrei eines hysterischen Menschenweibchens zu ignorieren, was sich daraus erklären lässt, dass diese Spinne einfach über kein Organ verfügte, um solche akustischen Eruptionen adäquat aufzunehmen. Allerdings konnte sie mit ihren Kiefertastern die eruptiv sich ausbreitenden Luftwirbel erspüren, die als Folge dieses archaischen Urschreis auf sie einwirbelten. Sie taxierte mit ein paar geschickten Vibrationen ihrer Pedipalpen Art, Ausmaß und Stärke des explosionsartig auf sie einstürmenden Luftstroms, erwog kurz, wovon oder von wem ein solch ungewöhnlicher Sturm herrühren möge und zog es dann doch vor, sich unter die silberne Abdeckung des Badewannenüberlaufs zurückzuziehen.

Bandaraneike stand schweratmend an der am weitesten von der Wanne entfernten Wand des Badezimmers und hatte alle Hände damit zu tun, sich wieder zu beruhigen. Sie traute sich kaum, einen Schritt vorwärts zu machen, aber was blieb ihr anderes übrig, sie konnte ja nicht ewig mit dem Rücken zur Wand in ihrem Badezimmer stehenbleiben. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, um von ihrem Standpunkt aus die ganze Wanne einsehen zu können. Die Spinne war nicht mehr zu sehen. Vorsichtig setzte sie einen Schritt nach vorn, ihren Blick immer noch unverwandt auf die Wanne gerichtet. Wenn nur Kayru da wäre! Eins musste man ihm lassen, vor Spinnen hatte er keine Angst. Aber so war das nun einmal mit den Männern. Wenn man nur ein einziges Mal im Leben einen wirklich gebraucht hätte, war natürlich keiner da. Typisch Kayru.

Sie konnte die Spinne nirgends mehr entdecken, und war auch gar nicht neugierig darauf, herauszufinden, wo sie jetzt wohl lauern mochte. Sicherlich ist sie vor ihr genauso erschrocken, wie sie vor ihr und hat sich über das gekippte Badfenster aus dem Staub gemacht. Es schüttelte sie, wenn sie nur daran dachte, wie dieses vielbeinige kleine Ungeheuer die Wand hochgekrabbelt war. Na, wenigstens war es jetzt weg.

Sie konnte Spinnen nun einmal nicht leiden. Zwar sind alle Tiere Kreaturen göttlichen Ursprungs und Träger von womöglich unzähligen Seelen Verstorbener. Aber im Fall einer solchen dicken, fetten, widerlich schwarzen Spinne fiel es ihr doch ausgesprochen schwer, die volle entfaltete Schönheit der prästabilisierten Harmonie in der Schöpfung nachzuempfinden. Wenn Spinnen ebenfalls vergessene Verkörperungen der Götter sein sollten, dann waren sie bestimmt Abkömmlinge der finsteren Kali, des zerstörerischen Aspektes der „Großen Mutter“ Durga, die darin alle dunklen und ekelhaften Leidenschaften inkarniert hatte.

Ja, genau so musste es sein! Hatten Spinnen nicht acht Beine? Und wie viele Gliedmaßen hatte Kali? Sechs Arme und zwei Beine! Also acht! Das konnte kein Zufall sein, und das erklärte auch, warum sie so eine panische Angst vor diesen für den Menschen im Grund ja harmlosen Geschöpfen hatte. In den Spinnen fürchtete sie ganz einfach den furchtbaren Zerstörungswillen Kalis, der so schrecklich und entsetzlich war, dass er die ganze Welt im Bruchteil einer Nanosekunde zurück in das Nichts führen konnte, aus dem sie kam und das sie schließlich war. Sie fürchtete also nicht weniger als die Ver-Nichtung, wenn sie einer Spinne begegnete, das mochte ja wohl hinreichend Grund genug sein für ihre Spinnenphobie.

Diese im doppelten Sinn des Wortes göttliche Einsicht in die geheimsten Zusammenhänge des Universums ließ sie erneut erschauern.

„Ein unglaublicher Tag heute“, dachte sie. Da bedienten sich die Götter ihrer heftigsten, urgründigen Ängste, um sie in Gestalt einer hässlichen kleinen Spinne in eines ihrer tiefsten Mysterien einzuweihen. „Aber es ist ja nur logisch“, dachte sie, „es bedarf eines tief in uns verborgenen Gefühls, um ein solch tiefes Geheimnis zu offenbaren. Ich danke dir, wer immer du auch bist!“

Nichtsdestotrotz war Bandaraneike heilfroh, dass sie nichts mehr von der Spinne zu sehen bekam. Diese hingegen ließ es sich unter der Verkleidung des Wannenabflusses für heute wohl sein. Sie hatte ihren Durst gestillt und brauchte jetzt nur noch darauf zu warten, bis irgendein unvorsichtiges Opfer, vorzugsweise eine schöne fette Assel oder ein Kakerlak, in ihrer Nähe vorbeikam, um ebenfalls an einem Tropfen in der Wanne zu naschen.

Über all die tiefe Einsicht in die kosmischen Zusammenhänge von niedriger Fauna und der göttlichen Sphäre hatte Bandaraneike ganz vergessen, was sie eigentlich im Bad gewollt hatte. Was weiter kein Versäumnis sein sollte, denn ein Blick auf ihre auf dem Bord abgelegten Armbanduhr erinnerte sie in seiner schnöden Diesseitigkeit daran, dass es für sie höchste Zeit war, das Haus zu verlassen und sich auf den Weg zu ihrer Halbtagsstelle in einem Steuerberatungsbüro zu machen. Sie ging dieser Beschäftigung nur widerwillig nach, aber was sollte sie machen, denn allein von dem Verkauf ihrer Tachyonenprodukte konnte sie nun einmal nicht leben. Dabei lief der Verkauf nicht einmal schlecht, sie hatte einen großen Bekanntenkreis, von denen doch schon einige ihr einen Energiestein, einen tachyonisierten Gürtel oder eine mit tachyonisierten Splitterkristallen gefüllte Schlafhaube zur Abwehr von Alpträumen und Schlaflosigkeit abgekauft hatten. Die einfache, mit überlichtschnellen Tachyonen aufgeladene Glaszelle war vielseitig einsetzbar, sie heilte in Rekordzeit alle nur denkbaren Gebrechen, die allesamt ohnehin nur psychosomatischer Ausdruck negativer Energien und Blockaden im Körper waren; so war der Tachyonengürtel bei allen Beschwerden der inneren Organe angezeigt, hatte wohltätigen Einfluss auf Niere, Galle, Magen, Darm, Leber und Rückenmark und hatte zudem noch den unschätzbaren Vorteil, quasi nebenbei den unaufhörlichen Kräftefluss von der Erde zum Gehirn in die richtigen, allharmonischen Bahnen zu lenken. Denn nur ein von göttlicher Energie gespeister Geist vermochte auch schöne und reine Gedanken zu denken und sich in die göttliche Harmonie einzuschwingen.

Eigentlich verkaufte sie ihre Tachyonenprodukte viel zu billig, dachte sie, das Ausmaß der Wohltaten, den eine einzige Glaszelle zu bewirken imstande war, stand doch, recht betrachtet, in keinem Verhältnis zu den läppischen 459,– Euro, die sie kostete. Aber sie konnte den Preis nicht einfach erhöhen, es gab eine gewisse Schmerzgrenze, über die sie nicht gehen konnte, wollte sie nicht zulassen, dass ihre Kunden zur Konkurrenz abwanderten und sich dort mit Glaszellen ungewisser Herkunft eindeckten.

Außerdem, wie sie manchmal selbst in hellsichtigen Momenten erkannte, war sie ja auch selbst schuld, dass sie von dem Verkauf ihrer Glaszellen – noch – nicht leben konnte. Denn jeden Gewinn, den sie durch den Verkauf ihrer Objekte erzielen mochte, investierte sie umgehend in den Erwerb weiterer Tachyonenprodukte. Das hatte natürlich unweigerlich zur Folge, dass sie sich selbst ihr bester Kunde wurde und mit ihren tachyonisierten Glaszellen, Tachyonengürteln, energetischen Schlafhauben, den Fläschchen mit tachyonisiertem sterilisiertem Wasser, all den Tiegeln und Döschen tachyonisierter Kosmetika, Salben und Duftwässern, den mit tachyonisierter chinesischer Seide durchwirkten T-Shirts, Sweatshirts, der tachyonisch aufgeladenen Reizwäsche und den energetischen Stand-up-Boxershorts hatte sie mittlerweile schon weitaus mehr als ein komplettes Sortiment der umfangreichen Tachyonen-Produktpalette in ihrer kleinen Wohnung zusammengestellt. Aber das waren ja schließlich alles nur Investitionen.

Weil sie auf diese Weise aber nur einen unzureichenden Cash-flow zu verzeichnen hatte, sah sie sich gezwungen, den aus ihrem nicht unerheblichen Umsatz nicht ergangenen Gewinn ganz konventionell durch eine äußerst akkurate Buchführung in fremdem Namen einzufahren, um mit ihren Constant costs nicht in Verzug zu geraten.

Sie steckte sich also ihre Haare zurecht, zupfte noch schnell ein paar widerborstige Härchen von ihren Brauen, legte etwas tachyonisiertes Maroussia auf und warf einen letzten prüfenden Blick auf ihr Spiegelbild. Ja, so würde sie gehen können.

Godcula

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