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Als ich mich bücken wollte, um mich von meiner Beobachtung zu überzeugen, hörte ich hinter mir ein Geräusch. Ich drehte mich um.

Der Mann, den ich sah, war wie aus dem Nichts aufgetaucht. Jedenfalls hatte ich sein Kommen überhört. Ein Blick auf seine Schuhe zeigte mir, warum. Sie waren mit weichen Kreppsohlen belegt.

„Was tun Sie hier?“, fragte er. Er war groß und breitschultrig. Seine Haltung war drohend, die Stimme unwirsch.

Ich lächelte. „Sind Sie so eine Art Parkhauswächter?“, erkundigte ich mich.

Seine kleinen, weit auseinander stehenden Augen funkelten bösartig. Er trug eine zerknitterte braune Jacke und eine verbeulte Hose. Sein Hemdkragen stand offen, der gelockerte Schlipsknoten hing gut zehn Zentimeter darunter. Das komplette Outfit machte einen billigen Eindruck, aber Billigkeit war nicht der Haupteindruck, den der Fremde vermittelte – er wirkte eher bösartig und gefährlich.

„Na?“, fragte ich, da er sich nicht entschließen konnte, eine Antwort zu geben.

„Ich habe zuerst gefragt!“, schnauzte er. „Was tun Sie hier?“

„Ich sehe mich ein bisschen um.“ Ich wies mit der Hand auf die Blutstropfen.

„Haben Sie das schon bemerkt...?“

Ich wandte mich dabei halb zur Seite.

Das war ein Fehler. Der Bursche riss einen Schlagring aus der Tasche und schlug zu. Aus den Augenwinkeln hatte ich zwar die jähe Bewegung gesehen, aber noch ehe ich mich darauf einzustellen vermochte, landeten die hässlichen Stahlkanten schon auf meiner Schläfe.

Ich ging in die Knie und merkte, wie die Konturen meiner Umgebung in graue Nebelschwaden eintauchten, die immer dichter wurden. Ich stemmte mich gegen die aufkommende Ohnmacht, aber ein zweiter Schlag gab mir den Rest.

Ich fiel um und vergaß, wer und wo ich war. Die Bewusstlosigkeit währte nur wenige Sekunden. Ich war noch nicht wieder voll da, aber ich nahm Geräusche und Ereignisse auf und brachte sie, wenngleich ziemlich mühevoll, in den richtigen Zusammenhang.

Ich hörte das Schlagen einer Wagentür, das hysterische Heulen eines Anlassers und schließlich das satte Geräusch eines großen, schweren Motors. Irgendetwas blies mir warm ins Gesicht.

Dann folgte ein metallisches Knirschen. Der Fremde hatte den Rückwärtsgang eingelegt. Das Geräusch wurde lauter, und der Auspuff blies jetzt scharf, mit spürbarem Druck. Mir wurde schlagartig klar, was der Mann wollte. Ich nahm meine ganze Kraft zusammen und rollte mich zur Seite.

Die Reifen kreischten grell und gierig. Sie rollten so dicht an meinem Kopf vorüber, dass ich für den Bruchteil einer Sekunde glaubte, ich hätte zu spät reagiert und alles sei zu Ende.

Der Wagen setzte bis an die gegenüberliegende Wand zurück. Natürlich hatte der Fahrer längst bemerkt, dass es ihm nicht gelungen war, mich zu überfahren. Krachend legte er den Vorwärtsgang ein.

Ich kam auf die Beine. Wo, zum Teufel, war nur mein Reaktionsvermögen geblieben? Ich sah noch immer alles wie durch eine ölverschmierte Scheibe. Ich wartete, bis er Gas gab, dann sprang ich zur Seite. Diesmal kam er so dicht an mich heran, dass er mit dem Seitenspiegel meine Jackentasche abriss.

Das scharfe Geräusch wurde im nächsten Moment übertönt von dem grellen Bremston, den der Wagen verursachte. Die Reifen radierten hart auf dem grobkörnigen Betonboden. Der Kühler kam nur wenige Millimeter vor der Wand zum Stehen.

Der Fahrer setzte sofort zurück.

Ich erwartete den nächsten Angriff, aber dem Fremden schien klargeworden zu sein, dass er mit dieser Methode nur seine Zeit verplemperte.

Er drehte eine Kurve und raste auf die steile Ausfahrt zu, als hielt er sie für eine Raketenrampe. Dann blieb er einen Moment oben stehen. Kurz darauf sah ich das Wagenheck verschwinden. Der Mercedes hatte sich in den Verkehrsstrom eingeordnet.

Ich betastete vorsichtig meinen Kopf und versuchte mir vorzustellen, welche Ausmaße die zu erwartende Beule wohl haben würde. Dann fuhr ich mit dem Lift nach oben, ins Erdgeschoss.

Das vornehme Haus besaß sogar einen Portier. E saß in seiner Glasbox an einem Schreibtisch, der jedem Generaldirektor Ehre gemacht hätte. Ich trat ein und murmelte einen Gruß. Er blickte mich an, als hätte ich mir eine farbige Wäscheklammer auf der Nase befestigt.

Mir wurde klar, dass ich ziemlich mitgenommen aussehen musste. Ich zeigte ihm meinen Dienstausweis. Er warf nur einen flüchtigen Blick darauf. „Was kann ich für Sie tun?“

Ich beschrieb ihm den Mann, der mich niedergeschlagen und anschließend versucht hatte, mich unter die Pneus des Mercedes zu bringen.

„Kenn’ ich nicht“, sagte der Portier. Er war ein kräftiger, nicht mehr ganz junger Mann mit tiefliegenden Augen und einer hohen, schrillen Stimme.

„Sind Sie sicher?“

„Ganz sicher!“

„Die Garage ist nicht gesichert?“

„Nein“, sagte er. „Die Hausbewohner wissen das und sind laut Mietvertrag verpflichtet, ihre Wagen stets abzuschließen.“

„Seit wann wohnen die Grunerts bei Ihnen?“

„Herr Grunert ist einer der ersten Mieter. Er hat die Wohnung gleich nach Errichtung des Hauses angemietet. Die junge Frau ist nach der Heirat zugezogen – ungefähr vor sieben oder acht Monaten, genau kann ich’s nicht sagen.“

„Was wissen Sie von den Grunerts?“

„Sehr ordentliche Leute, pünktliche Mietzahler“, versicherte er. Ich hatte das Gefühl, als spräche er etwas zögernd und vorsichtig, als überlege er, ob sich noch weitere, weniger positive Angaben verantworten ließen. Er schwieg. Vielleicht sah er keinen vernünftigen Grund, mich eingehender zu informieren. Gewiss gab es im Haus diesen oder jenen Klatsch, von dem er Kenntnis hatte, aber da ich vom LKA kam und mich für die Grunerts interessierte, schien er zu befürchten, dass ihn jede detaillierte Mitteilung in Schwierigkeiten bringen könnte.

„Es ist im Moment niemand zu Hause“, sagte ich. „Wann sind die Grunerts mit Sicherheit anzutreffen?“

„Mit Sicherheit lässt sich das nicht bestimmen. Warum melden Sie sich nicht telefonisch an? Es sind junge Leute, und da ist man oft unterwegs ...“

„Gehen sie stets gemeinsam weg?“

„Das gerade nicht ...“

„Sie sind also oft getrennt unterwegs?“, bohrte ich weiter.

„Ja, das passiert schon mal.“

„Auch abends?“

„Ich verlasse die Box pünktlich um zwanzig Uhr abends“, sagte er. „Danach bin ich nur noch in meiner Wohnung zu erreichen. Sie werden verstehen, dass ich mich dann nicht mehr um das Kommen und Gehen im Haus kümmere.“

„Kommen die Eltern von Frau Grunert oft her?“

„Die kenne ich nicht.“

Ich zeigte ihm Rodings Foto. „Das ist Frau Grunerts Vater“, sagte ich.

„Das Gesicht kommt mir bekannt vor.“

„Wann haben Sie ihn zuletzt gesehen?“

„Diese Frage kann ich unmöglich beantworten. Bestimmt war es nicht in den letzten Tagen.“

Ich zog mein Handy aus der Jackentasche, rief Malte an und informierte ihn über das, was geschehen war. „Schick ein paar Leute her, die das Blut schnellstens ins Labor zur Untersuchung bringen!“, sagte ich, „und alarmiere alle Streifenwagen! Vielleicht gelingt es, den Fahrer des Mercedes zu schnappen.“

„Okay, mach ich“, sagte Malte. „Sag mal Janik, wie lange ist Pascal noch im Urlaub? Der Chef hatte mich gefragt..., Montag ist er doch wieder da, oder?“

„Ja, Montag kommt er wieder ins Büro. Wollte der Chef was Besonderes von ihm?“

„Nein, nein, alles gut, nichts Besonderes. Ich schick dir jetzt die Streifenwagen“, sagte Malte und beendete das Gespräch.

„Blut?“, fragte der Portier stammelnd, dessen Blick während des Telefonats wie gebannt an meinen Lippen geklebt hatte.

Ich nickte. „Haben Sie eine Erklärung dafür?“

„N–nein, aber einen Grund könnte ich mir schon denken ...“

„Nämlich?“

„Herr Grunert ist passionierter Jäger. Manchmal bringt er die Jagdbeute im Kofferraum des Wagens nach Hause.“

„Okay. Aber wie erklären Sie sich die Tatsache, dass der Mann, den ich Ihnen beschrieben habe, mich niederschlug und dann zu überfahren versuchte?“

„Keine Ahnung, vielleicht ein Autodieb“, murmelte er. „Wir hatten schon wiederholt Scherereien mit diesen Burschen. Sie nutzen den Umstand aus, dass die Garage nicht bewacht wird.“

„Autodiebe vermeiden jedes Aufsehen. Weshalb hätte er den Überfall provozieren sollen?“

„Da haben Sie wohl recht“, meinte er lahm.

„Besitzen die Grunerts nur einen Wagen?“

„Zwei“, sagte er. „Die junge Frau fährt den Mercedes, und Herr Grunert benutzt einen SUV.“

Ich bedankte mich, verließ die Box und ging zurück zu meinem Wagen.

Eine halbe Stunde später hatte ich das Haus der Maklerfirma Erikson & Erikson erreicht. Es befand sich in Hamburg-Mitte. Ich musste zweimal um den Block fahren, ehe ich einen Parkplatz erwischte.

„Das Büro ist bereits geschlossen“, informierte mich ein distinguiert aussehender Herr in der Halle.

„Ich möchte Herr Breisinger sprechen.“

„Oh, der ist gerade an Ihnen vorbeigegangen – dort sehen Sie ihn noch! Es ist der Herr mit dem hellgrauen Mantel und dem Stockschirm.“

„Danke“, sagte ich und eilte hinter Herr Breisinger her. Ich ging schnellen Schrittes durch die Menschenmenge, die sich auf der Straße befanden und erwischte ihn an der nächsten Ampelanlage.

„Herr Breisinger?“, fragte ich. „Hätten Sie wohl ein paar Minuten Zeit für mich?“

Er blieb vor der Ampel stehen und starrte mich verblüfft an. Dann musterte er mich missbilligend von oben bis unten. Offenbar hielt er nichts davon, von Fremden auf der Straße angesprochen zu werden. Als er die abgerissene Jackentasche an mir bemerkte, wurde er noch um einige Grade kühler und distanzierter.

„Woher kennen Sie mich?“, wollte er wissen.

„Der Herr in der Rezeption von Erikson & Erikson sagte mir, dass ...“

„Ich verstehe“, unterbrach er mich ungeduldig. „Und was wollen Sie von mir?“

Ich zeigte ihm meinen Dienstausweis. Die Fußgängerampel schaltete auf grün und eine Traube von Menschen setzte sich in Bewegung um die Straße zu überqueren.

„Sorry“, sagte er schnell. „Das ist natürlich etwas anderes. Worum geht es?“

„Das ist nicht der rechte Platz, sich darüber zu unterhalten“, meinte ich. „Wie wäre es, wenn wir uns in meinen Wagen setzten? Er steht nur hundert Meter von hier entfernt ...“

Breisinger zog eine bedenkliche Miene. „Ich werde den Zug verpassen“, befürchtete er. „Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich meine Frau anrufe? Sie macht sich sonst Sorgen ...“

„Ich bringe Sie mit dem Wagen nach Hause“, versicherte ich. „Auf diese Weise holen Sie die verlorene Zeit wieder ein.“

„Sehr freundlich“, meinte er, „aber ich möchte Ihre kostbare Zeit nicht stehlen.“

Er zierte sich noch ein wenig, doch endlich hatte ich ihn im Wagen. Ich sagte ihm, dass es sich bei meinen Ermittlungen um das Verschwinden von Herr Roding handle.

„Sie wissen natürlich, welche Stellung er bekleidete und welche Arbeit er leistete?“

„Er hat es hin und wieder durchblicken lassen“, erwiderte Herr Breisinger. Er hatte den Stockschirm zwischen die Beine gestellt und die Hände auf den Griff gelegt. „Es muss sich um eine hochinteressante und sehr verantwortungsbewusste Tätigkeit handeln.“

„Das trifft ohne Zweifel zu. Hat er Ihnen keine Einzelheiten seiner Arbeit genannt?“

„Nein. Ich hatte das Gefühl, dass er nicht darüber sprechen wollte oder durfte, und deshalb war es für mich ganz selbstverständlich, ihn nicht weiter mit Fragen zu bedrängen.“

„Würden Sie sagen, dass Sie in Herr Roding einen Freund sehen?“, fragte ich.

„Nein. Als Freund würde ich mich nicht bezeichnen, eher einen sehr guten Bekannten“, meinte er vorsichtig. „Zu einer Freundschaft gehört mehr als eine tägliche Zehn-Minuten-Unterhaltung in der U-Bahn. Ich muss allerdings sagen, dass wir uns gut verstehen. Er ist ein ausgeglichener, ruhiger Mann – besonnen und zuverlässig. Man merkt, dass er glücklich ist.“

Ich war ein wenig verblüfft. Das Bild, das Breisinger von Herr Roding entwarf, passte nicht zu den Vorstellungen, die ich mir von dem Vermissten gemacht hatte.

„Ja, er ist glücklich – glücklich in seinem Beruf und in seiner Ehe“, fügte Herr Breisinger wie zur Bestätigung hinzu.

„Hat er das ausdrücklich gesagt?“

„Ich bitte Sie! Das fühlt man doch.“

„Auf Gefühle ist nicht immer Verlass.“

„Eindrücke dieser Art setzen sich wie ein Mosaik aus vielen bunten Steinchen zusammen“, sagte Herr Breisinger. „Aus einer scheinbar nebensächlichen Bemerkung, die sich auf seine Frau bezog, oder auf die stille Freude, die er an jedem Morgen auf dem Weg zur Arbeit zeigte ...“

„Hm“, machte ich, „und wie erklären Sie sich Herr Rodings Verschwinden?“

Er schaute mich kurz und prüfend an. „Ich glaube an ein Verbrechen“, sagte er, fast Verschwörerisch.

„Wie kommen Sie darauf?“

„Erstens bekleidete Herr Roding einen ungemein wichtigen Posten, und zweitens lässt die Tatsache, dass Sie sich des Falles angenommen haben, gar keine anderen Schlüsse zu ...“

„Für uns ist das eine Routineangelegenheit“, beruhigte ich ihn. „Im Moment gibt es für Ihre Theorie keinerlei Anhaltspunkte.“

„Oh, wirklich? Das freut mich ungemein! Ich schätze Herr Roding, und der Gedanke, dass ihm etwas zugestoßen sein könnte, quälte mich schon seit Tagen ...“

„Glauben Sie, dass er ein Mann war, der Geheimnisse hatte?“

„Herr Roding? Nein! Er war nicht sehr gesprächig, und wenn er redete, tat er das in einer ruhigen, überlegten, fast bedächtigen Art – aber Geheimnisse? Nein, die trug er wohl kaum mit sich herum! Wie kommen Sie darauf?“

„Es gibt einen Mann, der behauptet, ihn zum Uetersen-Flugplatz gebracht zu haben“, sagte ich, fügte jedoch sofort einschränkend hinzu: „Es ist natürlich denkbar, dass es sich dabei um eine Verwechslung handelt und dass der Taxifahrer einen Mann befördert hat, der Herr Roding zufällig sehr ähnlichsah.“

„Sie meinen, Herr Roding sei weggeflogen – ohne Abschied, ohne ein Wort der Erklärung?“, fragte Herr Breisinger verblüfft.

„So sieht es aus.“

„Das halte ich für ausgeschlossen.“

„Warum?“

„Es – es passt nicht zu ihm!“

„Äußerte er manchmal Reisepläne? Reisewünsche? Träumte er von fremden Ländern und Städten?“

„Niemals – und er hatte einen ausgeprägten Horror vor dem Fliegen!“, versicherte Herr Breisinger.

„Ihn würden keine zehn Pferde in so einen Blechvogel bringen, pflegte er zu sagen, er habe nämlich vor, in seinem Bett zu sterben. Das waren seine Worte!“

„Sprach er manchmal von seiner Tochter?“, erkundigte ich mich.

Herr Breisinger starrte mich an.

„Von seiner Tochter?“, fragte er. „Aber Herr Roding hat gar keine Tochter!“

Alstermorde: 9 Hamburg Krimis

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