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1. Kapitel


Es klirrte leise hinter ihrer Limousine, als der Chauffeur die Kette einhängte, die den Privatweg zum Chalet versperrte. Das Geräusch übertönte mit Leichtigkeit den flüsterleisen Motor des Bentleys. Ein großes Schild neben der Kette verkündete in deutscher und englischer Sprache, dass dies ein privater Besitz sei und die Durchfahrt nicht erlaubt wäre.

Als der Chauffeur seinen Platz hinter dem Steuer einnahm, tauchten ihre Blicke kurz ineinander. Anton stammte hier aus der Gegend, sah aber aus wie ein Italiener. Seine schwarze Lockenpracht wurde durch die Mütze nur mühsam gebändigt. Die strahlenden Augen unter den langen Wimpern wirkten verführerisch, und seine muskulöse und schlanke Gestalt machten ihn für viele Frauen zu einem Hingucker. Auch Tanja war davon nicht unberührt geblieben. Sie lächelte und wusste, dass Anton es im Rückspiegel sehen würde.

Nur wenn er den Mund aufmachte, zerstob die Illusion. Hier machte sich die unzureichende Schulbildung bemerkbar. Tanja lächelte stärker. In ihrer Vorstellung brauchte sie ihn nicht als Lehrer, zumindest nicht für irgendwelche theoretischen Wissensvermittlungen. In anderer Hinsicht war er jedoch bestimmt phänomenal. Sie malte sich ein paar Dinge aus, von denen ihr Mann keinesfalls erfahren durfte.

Eigentlich war Anton mehr als ein Chauffeur. Er kümmerte sich das Jahr über um das Grundstück, erledigte Gartenarbeiten und kleine Reparaturen und säuberte regelmäßig den Pool. Rolf betrieb mit seinem Chalet einen ziemlichen Aufwand, wenn man bedachte, dass sie nur wenige Tage des Jahres hier verbrachten. Tanja war heute erst zum dritten Mal hier. Anton hatte sie und ihren Mann früh am Morgen in München abgeholt. Er war ein guter und rücksichtsvoller Fahrer.

Schweigend fuhren sie die lange Gerade empor, die direkt zum Chalet führte. Sein Chalet, wie er immer wieder betonte. Mit dem großartigsten Blick, den Österreich zu bieten hatte. Auch das war eine der Behauptungen, mit denen er vor anderen so gern angab.

Rechts und links des schmalen Weges türmten sich hohe Schneemauern auf. Ein privat gemieteter Schneepflug hatte die Zufahrt freigeräumt, sodass Anton die schwere Limousine problemlos beschleunigen konnte. In der Tat war die Aussicht großartig. Unter ihnen breitete sich das südlich von Innsbruck gelegene Stubaital aus, und am Horizont wuchs die Kette der Stubaier Alpen empor.

Die Straße besaß einen ziemlich hohen Steigungswinkel, und ohne die Arbeit des Räumfahrzeuges hätte der Anstieg nur mit Schneeketten bewältigt werden können.

Tanja Hilbinger warf einen Blick zu dem Mann neben ihr. Sie saßen weit auseinander auf der Rückbank des großen Bentley. Seit Minuten war zwischen ihnen kein Wort gewechselt worden.

Rolf Esser. Ihr Mann. Seit über einem Jahr. Der Mann, den sie geliebt hatte. Eine Zeit lang.

Sie hatten nach der Trauung ihre jeweiligen Namen behalten. Tanja hatte nämlich lange vorher endlos geübt, bis sie statt der Kritzelei aus ihrer Kindheit eine wunderbare Unterschrift ihres Mädchennamens hinbekam. Diese Errungenschaft wollte sie nicht mit einem neuen Namen aufs Spiel setzen. Ihrem Mann war es egal gewesen. Wenn sie es recht bedachte, hatte er überhaupt nicht geplant, dass sie seinen Namen trug. Auf der Heiratsurkunde standen beide Namen, ohne dass irgendjemand sie vorher gefragt hätte.

Eigentlich war Rolf ziemlich viel egal, fand sie. Nach dem ersten stürmischen Rausch, der kaum drei Monate angehalten hatte, war die Beziehung deutlich erkaltet. Gut, sie bekam immer noch alles, was sie wollte, doch ihr fehlten die bewundernden Blicke, die Berührungen, die leidenschaftlichen Spiele im Bett. Manchmal hatte sie den Eindruck, dass er sich kaum noch für sie interessierte. Manchmal beschlich sie sogar der Verdacht, dass er eine Freundin hatte. Ihr kam es vor, als hätte die Zahl der abendlichen und nächtlichen Termine deutlich zugenommen.

Über sein Geschäft sprach er nicht mit ihr. Ganz am Anfang hatte sie mitgekriegt, dass er sein Geld mit Immobilien verdiente, allerdings mit Immobilien der besonderen Art: Flüchtlingsunterkünfte und billige Baracken für Saisonarbeiter. Mittlerweile kaufte er sanierungsbedürftige Altbauten auf und verwandelte sie in teure Eigentumswohnungen. Bei den hohen Mietpreisen und dem knappen Wohnraum in München florierte sein Geschäft bestens. Er besaß gute Beziehungen in der Stadt und war ein gern gesehener Gast auf allen möglichen Veranstaltungen. Früher hatte er sie überallhin mitgenommen, doch das war seit einiger Zeit vorbei. Sie würde sich nur langweilen, war seine Erklärung.

Im Übrigen war er auch fetter geworden, stellte sie fest. Seit ihrer Hochzeit hatte er bestimmt zehn Kilo zugelegt. Seine Augen glichen inzwischen Sehschlitzen, seit die Fettpolster im Gesicht immer stärker geworden waren. Rolf war ein kleiner Mann, umso mehr fiel das Gewicht auf. Vor der Hochzeit war er ihr attraktiver vorgekommen.

Ach, ja, die Hochzeit. Tanja seufzte.

Das war alles sehr schnell gegangen. Sie hatten sich in einem Biergarten kennengelernt, in dem Tanja vorübergehend als Kellnerin gearbeitet hatte. Er war ihr aufgefallen, weil er sie unablässig angestarrt hatte. Als er die hohe Rechnung für die Gäste bezahlte, mit denen er gekommen war, hatte er sie nach ihrer Telefonnummer gefragt – und sie hatte sie ihm gegeben.

Er hatte tatsächlich angerufen. Die Zeit danach war wie im Rausch verflogen.

Einige Wochen später waren sie nach Las Vegas geflogen. Nur sie beide, und sie konnten die Hände nicht voneinander lassen. Sie erinnerte sich noch gut an die kleine weiße Kapelle am Strip, zwischen Casinos und Hotels gelegen, mitten im Zentrum der Vergnügungsindustrie. Es konnte gar nicht schrill und laut genug sein. Sie war wie in einem Glückstaumel gefangen. Irgendein Prediger, der salbungsvoll geredet hatte, und den sie nicht verstand, weil sie kaum englisch sprach. Nur an den Elvis-Imitator konnte sie sich gut erinnern, der am Schluss eine Schnulze zum Besten gab, während sie ihren neuen Ring bewunderte.

Die nächsten Tage waren wie im Flug vergangen. Sie wohnten in luxuriösen Hotels, verspielten einen Haufen Geld und genossen die abendlichen Shows mit berühmten Künstlern.

Das war das Leben, das sie sich gewünscht hatte.

Sie musterte Rolf unauffällig. Attraktiv fand sie ihn heute nicht mehr. Doch auf das Luxusleben wollte sie auch nicht verzichten, und daher war in ihr ein Plan gereift. Ein Plan, für den die Zeit gekommen war. Jetzt, am Heiligen Abend. Sie hatte alles gründlich bedacht und brauchte nur ein bisschen Glück, damit er das tat, was sie erwartete. In Gedanken ging sie alles noch einmal durch. Es musste einfach klappen!

Der Wagen stoppte, und sie kippte leicht nach vorn.

Anton sprang vom Sitz und riss die hintere Tür auf. Rolfs Tür, nicht ihre. Auch der Chauffeur wusste, wem er verpflichtet war.

„Ist alles in Ordnung mit dem Haus?“, fragte Rolf ihn.

„Selbstverständlich, Chef“, antwortete der Chauffeur eilfertig. „Ich soll ausrichten, dass die Angestellten alles vorbereitet haben. Der Baum ist geschmückt wie immer, Essen ist im Kühlschrank, außerdem Kaviar und Austern, wie Sie gewünscht haben, und Champagner ist ebenfalls kalt gestellt.“

Anschließend öffnete Anton den Kofferraum und brachte das Gepäck ins Haus. Als er zurückkam, hob Rolf die Hand. „Den Rest machen wir schon. Parken Sie den Wagen, dann können Sie ins Dorf fahren. Ihre Freundin wartet sicher schon sehnsüchtig auf Sie. Notfalls kann ich ja anrufen.“

Sein Lachen war zu laut und zu falsch, wie Tanja registrierte. Sie stand am Rand des Rondells, das die Zufahrt zum Haus bildete. Der Blick in die verschneite Alpenwelt war tatsächlich atemberaubend. Sie atmete die frische Luft tief ein. Kaum ein Laut war hier oben zu hören. Die Häuser unten im Dorf sahen aus wie Spielzeuge.

Tanja drehte sich um. Das sogenannte Chalet war ein moderner Bungalow mit großen Fensterfronten, mehreren Schlafzimmern und einem Weinkeller, auf den Rolf besonders stolz war, obwohl er selten Wein trank. Wie so vieles bei ihm, diente auch dieser Keller dazu, vor seinen Freunden und Geschäftspartnern anzugeben.

An der Seite befanden sich eine große Terrasse mit einem Außengrill sowie ein jetzt abgedeckter Pool.

„Ich fahre den Wagen in die Garage“, verkündete Anton und setzte sich wieder hinter das Steuer. Die Garage war für drei Autos vorgesehen. Der Ferrari war nur für den Sommer gedacht, der Range Rover für Ausfahrten in unwegsamen Gelände. Außerdem standen dort noch ein Snow-Scooter und Antons Moped, mit dem er vom Chalet wegfahren konnte.

„Gehen wir rein“, sagte Rolf. Das waren die ersten Worte, die er an Tanja richtete.

Sie nickte und ging in der Eingangshalle auf das gestapelte Gepäck zu. Für die drei Weihnachtstage erschien es ihr jetzt doch etwas übertrieben.

„Ich gehe mich frisch machen“, verkündete Tanja.

„Wir nehmen heute gemeinsam das große Zimmer“, erklärte Rolf und holte eine kubanische Zigarre aus seinem Anzug.

Tanja starrte ihn an. Seit einiger Zeit hatten sie getrennte Zimmer, weil er es so wollte. Was war denn plötzlich in ihn gefahren?

„Bist du sicher?“

Er grinste. „Es ist Weihnachten, und ich freue mich auf die Bescherung. Wir werden das Alleinsein genießen, und du wirst mein Geschenk sein. Wir haben die ganze Nacht für uns.“

Tanja überlegte fieberhaft. Würden Rolfs Absichten ihre Pläne stören? Nein, im Gegenteil. Es würde ihr helfen, Rolf dorthin zu bekommen, wo sie ihn haben wollte.

Sie lächelte, und Rolf dachte sicher, dass sie sich auf ihren Ehemann freute. Sie hätte fast gekichert, denn er irrte sich gewaltig!

„Ich habe auch ein Geschenk für dich“, verriet Tanja mit listigem Blick. „Wir treffen uns in einer halben Stunde unter dem Weihnachtsbaum.“

Er nuckelte an seiner Zigarre. „Ist in Ordnung.“

Tanja nahm einen der Rollkoffer sowie die Kosmetiktasche und verschwand in den hinteren Räumen, wo die Schlafzimmer lagen. Sie wusste, was er als Nächstes tun würde. Seine nervösen Bewegungen waren unübersehbar. Er würde sich ein, zwei Linien Kokain reinziehen – eine Angewohnheit, die er auch erst nach ihrer Hochzeit begonnen hatte. Sollte er doch! Es passte in ihre Pläne.

Sie ahnte, dass Rolf ihr nachsah. Dass er in Vorfreude darüber schwelgte, was er alles mit ihr anstellen würde.

Tanja lächelte. Heute würde alles anders laufen.

Der Weihnachtsmann ist tot

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