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Kapitel 5 Die Fritzin
ОглавлениеWährend Mel in seinem selbstgemachten Gewitter sitzt, bemerke ich die Katze. Eine grauschwarz Getigerte, im Unterfell weiß, leicht kartonbraun abgemischt. Der Schwanz ist bis zum Ansatz knallschwarz, wie Mel sagen würde. Sie streicht unentschlossen die Dahlien auf und ab, bleibt sitzen … oder ist es ein Kater? Scheint, als hört sie sich um. Wenn Mel sie sieht, wird er verrückt. Seit er hier lebt, hat er in der Nähe des Hauses noch nie eine Katze zu Gesicht bekommen. Sie sitzt mit aufrechten Vorderbeinen, ihre Ohren peilen nach Geräuschen, die Schwanzspitze wippt auf und ab. Sie lauert nicht auf etwas, sie wartet mit ruhigen, großen, fast runden Augen. Sie ist optimal getarnt in dem Lichtgeflecke der Dahlienschatten.
Mel ist inzwischen so weit, sein Gewitter aufzugeben, denn die Sonne ist zurückgekehrt. Nur einige unbedeutende Wölkchen sind geblieben. Keine Idee von Unwetter mehr und außerdem hätte er den stechenden Druck seiner Blase nicht mehr ausgehalten. So erhebt er sich und sieht die Katze durch das Fenster. Sie bewegt sich gerade in diesem Moment in die Sonne. Ein überraschendes beiderseitiges Entdecken. Mel denkt augenblicklich: Katze. Eine Katze! Die Katze!
Die Katze verharrt in der Bewegung, sieht gefasst in Mels Gesicht, der sich vorsichtig an die Fensterbrüstung lehnt und wieder und wieder denkt: Katze. Eine Katze. Die Katze. Automatisch, wie immer, wenn Mel einer Katze ansichtig wird, pfeift er durch die Zähne, und wie immer, reagiert e auch diese Katze. Sie stellt ihren Schwanz in die Höhe, marschiert, ein wenig hopsend, auf das Haus zu, schnellt mit einem Sprung auf das Fensterbrett, wo Mel sie mit einem breiten Lächeln in Empfang nimmt und lockt mit: „Miezi! Miezi!“
Miezi begrüßt Mel mit einem Nasenstüber. Mel streicht ihr von der Stirn über die Ohren, den Rücken entlang, bis zum Schwanz, den sie mit aller Kraft in die Höhe reckt. Sie schnurrt! Mel ist gerührt. Das ganze Gesicht lacht und die Katze drückt sich auf dem Fensterbrett stehend an seine Brust. Er massiert ihr mit den Fingerspitzen die Stirn zwischen den Augen, die sie fest zusammen kneift. Sie schnurrt wie ein kleiner Motor. Mel findet dieses Geschnurre eine wirklich sehr gute Möglichkeit, Sympathie auszudrücken, und er findet es eine ausgezeichnete Idee von der Katze, ihn zu besuchen.
Seine Blase drängt und um die Katze nicht gleich wieder zu verlieren, nimmt er sie behutsam in die Arme, begibt sich mit ihr zu dem Klohäuschen, angebaut an der Schmalseite des Hauses. Es hat einen Zugang vom Haus, einen vom Garten. Die Klotür zum Garten ist zweigeteilt, so dass Mel, wenn er will, nur den unteren Teil schließt. So sitzend, den Blick auf den See hat. Für die Katze hat er die Tür ganz offen gelassen und sie streicht ihm um die nackten Beine. lässt sich als dann im Nest seiner heruntergelassenen Hose nieder. Die Katze schnurrt! Mel schmunzelt! Lacht sich leise in den Hals und denkt, wenn uns jetzt jemand sehen könnte.
Doch gleich darauf verdüstert sich nun seine Miene, als ihm plötzlich diese Unglaublichkeit der gemeinen Anna wieder einfällt.
Als er sich noch im Glück mit ihr befand, brachte er zur Erheiterung, für Freude und Spiel, zwei klitzekleine, der Mutter kaum entwöhnte Kätzchen mit, die ihm ein Kunde als Geschenk darbot. Ein Weißes und ein Schwarzes! Er besorgte ein Körbchen, samt Katzenklo, Fellmäuschen, Babynahrung.
Im ersten Moment war die gemeine Anna entzückt. Sie kreischte, kicherte vor Vergnügen, hatte glänzende, sanfte Augen. Schenkte Mel liebevolle Blicke mit verliebtem Lächeln. Sie ließ die Kätzchen unter ihren Pullover schlüpfen, küsste ihre rosa Schnäuzchen, hielt sie in den Händen hoch über ihr Gesicht und brabbelte in dieser Babysprache mit ihnen. In der Nacht riefen die Kleinen jämmerlich nach ihrer Mutter, beruhigten sich für eine kurze Zeit, als Mel ihnen Milch zu nuckeln gab aus einer winzigen Babyflasche. Doch alsbald begann das hohe, schrille Gemaunze von neuem und die gemeine Anna verzog sich samt Bettdecke ins Wohnzimmer. Mel nahm die verzweifelten Kätzchen zu sich ins Bett, um Ruhe zu haben. Die hatte er bis zum frühen Morgen, dann musste er die Betten abziehen, die Matratze mit Papiertüchern trocken tupfen. Katzenpipi! Als die gemeine Anna die verfleckte Matratze sah, sagte sie zwar nichts, hatte aber Grimm in ihrem Blick.
Vergeblich suchte Mel nach den Tierchen, als er abends aus der Werkstatt heimkehrte. Die Betten waren frisch bezogen. Alles sah so aus, als wäre nichts gewesen. Das Katzenklo stand nicht an seinem Platz und auch an keinem anderen. Keines der putzigen Spielzeuge lag herum. Kein Kätzchen war zu finden. Es roch nicht einmal mehr nach ihnen.
Mel hatte gehacktes Kalbfleisch eingekauft, um die Winzlinge langsam an feste Nahrung zu gewöhnen. Er hatte den ganzen Arbeitstag an die Kätzchen gedacht und daran, wie die gemeine Anna sie an ihre Toilette gewöhnen würde. Er hatte gedacht, dass nun neuer Gesprächsstoff in ihre Beziehung kommen würde und er hatte an weiches Katzenfell, an erstaunte ernste Äuglein, an diese winzigen Tatzen mit den noch weichen Krallen gedacht. „Wo waren die Kätzchen? Ihre Utensilien?“, fragte sich Mel. Und ob die gemeine Anna einfach alles in den Müllcontainer geworfen hat? Das kann sie doch nicht getan haben, grübelte Mel, nahm einen Bambusstab vom Balkon, um damit im Müll suchen zu können. Doch die gemeine Anna hatte sich gar nicht die Mühe gemacht, die Sachen zu überdecken. Sie lagen oben auf, als Mel den Deckel öffnete. Und die Kätzchen? Der Atem stockte ihm. Er spürte, wie ihm die Farbe aus dem Gesicht wich. Sein Herz schlug wie wild und er schlich um den Container, legte da und dort sein Ohr an die Wände, um ein Miau, ein Kratzen zu erlausche. Nein! Das kann sie nicht getan haben, schloss er aus. Hatte er ihr erzählt, woher er die Tierchen hatte? Sollte er dort anrufen? Flau war es ihm im Magen und er beschloss, auf die gemeine Anna zu warten.
Er saß in dem schwarzen Sessel, die Eingangstür im Blick. Nahm alle paar Minuten einen großen Schluck Rotwein, atmete langsam, kräftig. Versuchte seiner Ungeduld Herr zu werden. Er war mehr in Trance, als dass er schlief, als die gemeine Anna zur Tür herein kam, ihn sah, kurz stutze und ihm entgegen fauchte, dass sie die Viecher zurückgebracht habe.
Mel sah furchterregend aus. So hatte ich ihn noch nie gesehen. Er erschnaubte und erröchelte sich Luft. Wut sah aus dem fahlen, verächtlichen Gesicht, während sein in sich zusammengesackter Körper Resignation ausdrückte.
Wortlos, die starren Augen nicht von ihr wendend, nahm er ihren Satz entgegen, fixierte sie weiterhin ohne einen Wimpernschlag. Keinen Millimeter rührte sich die gemeine Anna vom Fleck, trippelte nervös auf der Stelle, musste mehrmals ansetzen, bevor sie nun behauptete, die Katzen ins Tierheim gebracht zu haben. Als Mel sie unverwandt gebannt ansah, log sie diesmal, die Kleinen aufs Land zu Freunden gegeben zu haben. Als auch dies bei Mel nichts bewirkte, stampfte sie mit dem Fuß auf, floh ins Schlafzimmer und Mel donnerte ihr die Weinflasche hinterher, die mit einem dumpfen Knall an der Tür zerbarst. Nach einigen Sekunden absoluter Stille riss die gemeine Anna die Tür auf. Hysterisch keifte sie Mel entgegen: „Wenn du mich schlägst, dann steche ich Dir heute Nacht die Augen aus.“ Sie reckte ihm zwei Finger wie eine Waffe entgegen, fletschte wutentbrannt ihre Zähne und brüllte ihm zu: Ich habe sie das Klo hinunter gespült“, bevor sie mit gewaltigem Getöse die Tür ins Schloss schmiss.
Wie in einem Echo wiederholte sich dieser Satz immer wieder in Mels Kopf. Als er sich in die dritte Flasche Wein vertiefte, gedachte er nicht mehr der Kätzchen. Er dachte im sporadischen Kopfschütteln nur, wie ein Mensch so gemein sein kann. In dieser Nacht gab er der gemeinen Anna ihren Namen.
Mel hatte sich so sehr betrunken, dass er in den Sessel urinierte und so schlafend, fand ihn die gemeine Anna am Morgen. Sie heftete ihm einen Zettel an die Brust - bevor sie das Haus verließ - auf dem stand: Altes Schwein.
Die Katze beginnt sich zu räkeln, zu gähnen, wobei ihr ein schwaches Miau entschlüpft, verlässt das Hosennest, streckt sich mit langem Rücken, setzt sich in den Giebelschatten des Häuschens und sieht Mel zu, wie er sich die Hose anzieht. Die Katze pufft ihn mit der Stirn an sein Bein, als er neben ihr steht, fordert auf, mit ihr zu gehen. Sie bummelt vor Mel her, mit hochgehobenem Fragezeichenschwanz, immer kontrollierend, ob er ihr folgt. Fuß vor Fuß setzt Mel gemächlich. Er hört die Katze schnuppern, so intensiv saugt sie die Luft durch ihr Näschen ein. Mel schmunzelt, sieht er doch so deutlich das rosa Rosettchen des Afters der Katze. Er denkt, es ist eine Kätzin, sind doch keine Hoden sichtbar. Aber egal! Er fühlt sich wohl, ist damit beschäftigt, sich vorzustellen, was die Katze da erriecht. Andere Katzen? Andere Tiere? Er hätte gute Lust, sich auf alle Viere zu begeben, tut es dann auch und sie pirschen die Rückseite des Hauses entlang. Die Katze ist entzückt, durchschleicht mehrmals das große Tor, das Mel bildet, aufgestützt auf Knie und Ellenbogen.
Außer dem Geruch der Erde riecht Mel nichts, so sehr er sich auch bemüht. Dafür sieht er allerlei winziges Getier: Ameisen, Käfer, Würmer, Schabenartiges und so manches, was er nicht zu benennen weiß. Sein Gesicht steckt im Gras. Es fasziniert ihn ein Grüppchen stecknadelkopfkleiner Schnecken, da schießt ein stechender Schmerz in seine Brust. Augenblicklich wird ihm übel, er würgt, stößt ein lautes Stöhnen aus. Mehr aus der Überraschung als aus Angst und Schmerz verharrt er bewegungslos, fällt abrupt in sich zusammen.
Die Katze stürzt davon.
Kalt ist es Mel, am ganzen Körper. Die linke Schulter ist taub, stoßweise geht sein Atem. Mel spürt Tränen in seinen Augen, kalten Schweiß auf seiner Stirn und er ist erstaunt, dass er an die Schnecken denkt, die er wahrscheinlich mit seinem Kopf erdrückt. Schnelles Hecheln tut ihm gut, pumpt seine Brust wieder frei von Angstgefühlen.
Ich bin erstaunt, keine Sekunde hat er an mich gedacht. Aufgesetzt hat er sich, krumm auf eine Seite abgesackt, heftig atmend, seinen Blick ins Gras gesenkt.
Die Schnecken unversehrt, nur die Katze kann er nicht erblicken. Hat sich bestimmt zu Tode erschreckt, denkt er. Ächzt! Die Taubheit in der Schulter zieht hinab bis in die Fingerspitzen. Jetzt muss er sich doch erbrechen. Auf die Schnecken! Bleich ist Mel. Sein Atem keucht. Speichel tropft aus seinem Mund. Er kann sich nicht erheben. Muss nun auf allen Vieren um das Haus, um sich auf das Bett zu legen, wie er es sich wünscht. Mel lächelt leise vor Erleichterung, aber auch, weil er die Schnecken nur zugekotzt.
„War das ein kleiner warnender Herzinfarkt?“ fragt sich Mel. „Wird er einmal so sterben? Ein plötzlicher Schmerz, der noch wahrgenommen wird, danach das Aus?“ Ihm fällt ein, dass er heute schon einmal an das Sterben dachte. Ob man vielleicht eher stirbt, wenn man an das Sterben denkt? Wenn man öfter an das Sterben denkt, will man dann insgeheim sterben? Wenn er sich morgen besser fühlt, will er den Arzt nicht aufsuchen. Aber es könnte sein, dass ihm ein weiterer Infarkt bevor steht, oder war es nur eine Herzattacke, oder hoher Blutdruck? Oder hat er eine Katzenallergie? Mit diesen Gedanken schläft Mel ein.
Seine Gedanken haben sich selbständig gemacht, um träumen zu können. Wie alle erwachsenen Menschen wird Mel im Schlaf zum Kind, kann dem Leben ergeben sein, muss ihm nicht trotzen. Nachdem der Körper entspannt, rollt er sich in die Embryostellung, streckt sich dann und wann, wechselt die Seite, krümmt sich wieder zum Ei. Fehlt nur noch, dass er sich den Daumen in den Mund steckt. Mel träumt, dass er in einem Bett liegt, das aus gekochtem Reis geformt ist. Kleine Menschen auf kleinen Stühlen rund herum sitzend, mit den Fingern beginnend, davon zu essen. Er liegt freundlich wie ein Buddha, nickt den kleinen Leuten zu, die ihn dankbar anlächeln ob seiner Güte.
Derart beschäftigt kann ich ihn verlassen, solange bis er sich wieder seiner Gedanken bemächtigt hat.
Die kurze Zeit, bevor die Sonne auf- und die paar Minuten, bevor sie untergeht, am See, ist für Mel die stimmungsvollste am Tag, wie eben im Augenblick. Eine Handbreit steht sie über dem Horizont in orangefarbener Glut. Die Luft flimmert unter ihr so, dass die Baumreihe verzerrt erscheint. Formt sich leicht oval, färbt Wolkenbänder violett, taucht den See ein in diffuses, durchsichtiges Grau. Die Schwäne schwimmen ihre letzte Runde, verschwinden mit dem Licht ins Schilf.
Mel liebt die Strophe des Gedichts: „Hälfte des Lebens“, von seinem Hölderlin, für seinen See:
Mit gelben Birnen hänget
Und voll mit wilden Rosen.
Das Land in den See,
ihr holden Schwäne
und trunken von Küssen,
tunkt ihr das Haupt
ins heilig nüchterne Wasser.
Es trifft sich gut, dass Hölderlin dies Gedicht geschrieben hat vor zweihundertsieben Jahren an dem Kassler Lac und es auch so passt für Mels See. Hölderlin wäre bestimmt auch eine Begleitung wert gewesen, aber ich begleitete zu der Zeit eine Frau. Sie lebte dreiundzwanzig Jahre, fünf Tage, starb in den Sechsten hinein, vor Sehnsucht nach dem Leben. Was würde sein, wenn ich anstatt nur zu wissen, auch empfinden könnte? Was für eine Frage! Ich könnte die Menschen nicht begleiten, die zu begleiten sind. Fragen habe ich viele: Wie fühlt sich Lachen an und Weinen? Wie würde der Wein, den Mel trinkt, mit mir wirken? Was ist diese Großartigkeit, wenn Mann und Frau sich vereinen? Wie fühlt sich Hunger an, Appetit und satt sein erst? Eine Katze auf dem Schoß? Wasser, in dem man schwimmt und diese unbegreiflichen Küsse? Wie gut es tut, so Mel, wenn man dringend auf die Toilette muss, es dann kann? Und erst der Schlaf! Wer den erfand, ist Gott, denkt auch Mel. Durch Mel erfahre ich mehr von den Menschen, als von den vielen anderen, die ich bisher begleitete. Er macht mich neugierig durch seine Lebensliebe. Er denkt so besonders, wie ich es in der Ewigkeit nicht erfahre. Besonders für mich! Nicht für ihn. Mel weiß nichts von seinen besonderen Gedanken, sonst könnte er Gedichte schreiben wie Hölderlin. Katzengedichte, Weingedichte, gemeine Annagedichte, Schwanengedichte und Gedichte über mich. Unzählige Gedichte sind über mich erdacht worden, doch hätte ich eines gerne von Mel. Nur damit es existiert. Er denkt nicht schlecht über mich – ohne mich zu kennen – aber er macht sich auch nichts aus mir. Alle haben an mich gedacht, wenn sie vom Schlag gerührt. Mel dachte an die Schnecken und träumt von einem Bett aus Reis. Die Katze ist nirgendwo zu entdecken. Wie froh Mel war, mit ihr zu sein. Die Schatten sind mit der Sonne gegangen, Vögel versammeln sich zum Mückenschmaus. Begebe mich zurück zu Mel. Der sitzt auf einem Hügelchen von Reis, der noch verblieben ist. Die Menschlein mit prallen Bäuchen um ihn herum. Er rezitiert selbsterdachte chinesische Weisheiten und die Katze liegt, wie ein Fellschal, über seinem Kopf, Mel stark in das Kissen schwitzt. Sein Gehirn bastelt gerade an einem neuen Traum. Mel allerdings ist schon öfter in die Wachheit überwechselt. Er liegt bleich, erschöpft, unbeweglich schon seit einiger Zeit auf dem Rücken. Der Katzenschwanz wedelt gleichmäßig im Atem des Tieres über Mels Gesicht, was er nicht bemerkt. Genauso wie Mel nicht an mich, gedachte er auch nicht seines Gottes. Bemerkenswerterweise denkt er an seinen Gott, wenn es ihm gut geht, wenn er an seinem See sitzt mit den Schwänen, seinem Spiegelbild zuprostend mit Wein.
Ob das gut ist, wenn die Katze auf seinem Kopf liegt? Als er sich die schweißnasse Stirn wischen will, erspürt er die Katze, wirft den Arm zurück ins Bett, verharrt in einem zufriedenen Lächeln, bevor er beginnt, seinen Körper zu prüfen. Er zuckt das Schulterblatt, kreist den Oberarm bis zum Ellenbogen, verspürt nur in den Fingerspitzen Taubheit. Kein Schmerz in seiner Brust. Er legt die Hand auf sein Herz, es schlägt ruhig. Er will sich aufsetzen, denkt an die Katze, lockt sie mit leichtem Lippengewisper, trommelt mit den Fingern auf seinen Brustkorb und die Katze kommt, legt sich darauf, sieht ihm gerade in die Augen. Mel umschließt sie mit den Armen, erhebt sich, bemerkt, dass er noch in Kleidung ist, sieht, dass es draußen bereits dunkel, sternenklar ist. Kurz vor Mitternacht.
Er ist unschlüssig, wandert mit der Katze, die ihren Kopf gegen seine Brust drückt, auf und ab. Haucht eine Pfeifmelodie vor sich hin. Die Katze sieht auf seinen Mund. Als wenn sie sich jahrelang kennen würden, so benehmen sich die beiden. Die warme, weiche Katze ist angenehm vor der Brust, dennoch ist Mel sehr in sich versunken. Sieht seinen wartenden Schatten vor sich, fühlt sich wie ausgehöhlt, denkt aber nicht an den Vorfall. Denkt an Marian, lächelt wehmütig, muss schlucken, spürt Tränennass unter den Augenlidern und es fällt ihm ein, dass sie bestimmt gesagt hätte: „ … erst mal eine heiße Suppe, Männlein!“. So setzt er denn die Katze auf das Bett und Wasser auf, holt die gekörnte Hühnerbrühe aus dem Regal, häuft einen Esslöffel voll in den Emailletopf, hat schon die Buchstabennudeln in der Hand, entschließt sich sodann für die Sternchennudeln, wegen der Nacht. Er kratzt Suppengemüse aus der Gefrierpackung, sucht im Kühlschrank nach etwas Fressbarem für die Katze. Vergeblich! Vielleicht mag sie auch gerne Hühnersuppe? Stellt einen Unterteller neben den Herd und noch einen dazu für Milch.
Die Katze registriert jede seiner Bewegungen durch einen Augenspalt. Hat die Vorderpfoten lässig übereinander geschlagen und Mel fühlt sich wohltuend beobachtet. Kaum sitzt er am Tisch, bläst in die Suppe, pirscht sie zum Herd. Leckt an der Milch, schnuppert an der Brühe, schlappert die Sternchen. Nun lässt Mel sie nicht aus den Augen! Sieht bedächtig ihrer Katzenwäsche zu und als sie auf den Tisch springt, an seine Suppe geht, denkt er: „Scheiß drauf!“. Also futtern sie beide aus dem gleichen Geschirr, des Öfteren innehaltend, um in die Nacht zu hören. Ein Flugzeug brummt hoch über dem Haus, vergrummelt alsbald in der Ferne. Ein Hund jault in exakten Abständen irgendwo aus dem Dorf. Musikfetzen weht der Wind über den See. „Fischers feiern mal wieder“, denkt Mel, blickt hinaus in das matte Nachtschwarz, kann den rötlichen Feuerschein am gegenüberliegenden Ufer wahrnehmen.
Die Katze hockt auf dem Fensterbrett, von ihrem Schwanz umringelt, dreht der Nacht den Rücken zu. Widmet ihren Blick Mels Gesicht, das milde lächelnd sagt: „Es gefällt mir gut mit Dir, Miezi!“ Miezi stemmt die Schultern hoch, reißt gähnend ihr Mäulchen auf, streckt ihre Zunge weit heraus, die wie ein Köder wirkt in ihrem rosa Mäulchen. Als wenn sie erspürt, dass Mel soweit gediehen, dass er zu verlassen ist, lässt sie sich mehr hinab gleiten in den Garten, als dass sie springt.
„Die kommt schon wieder!“, meint Mel unzweifelhaft. „Hat sie die schweren Stunden mit mir verbracht, so wird sie die unbeschwerten erst recht mit mir verbringen wollen. Auf alle Fälle gilt, Fressen für sie einkaufen.“ Ohne noch einmal in den Garten zu sehen, macht er sich daran, sein Bett zu richten. Nimmt nur die leichte Decke, will er doch in den Kleidern schlafen, weiß er doch nicht, was diese Nacht noch vorhat. Durch das offene Fenster weht eine Prise Seeluft. Mel reibt sich die tauben Finger in den Handflächen, zieht die Decke bis unter das Kinn, überlässt sich dem trägen Gefühl des nahen Schlafes. Eine imposante Spinne krabbelt orientierungslos über die Zimmerdecke, hält in einer Ecke inne, klebt einen Sinkfaden, lässt sich hinunter zwischen den Krimskrams auf dem Vorratsschrank.
Die Sterne blinken so stark in dieser klaren Nacht, stärker als in Van Goghs Bild „Sternennacht über der Rhone“ vom September 1888, als ich in Venedig einen Bäcker begleitete. Einen kleinen, dicken, haarlosen Menschen, der den Teig mit Sägemehl streckte, seine Frau und Kinder als Bedienstete ansah, sich keinen glücklichen Tag im Leben gönnte und am dreiundfünfzigsten Tag seines vierzigjährigen Lebens verstarb.
Mel liegt auch darnieder, wie auf dem Totenbett, gerade langgestreckt auf dem Rücken, Füße überkreuzt, Hände auf der Brust. Seine Miene, ernst angestrengt, ein wie in Traurigkeit zusammengekniffener Mund. Normalerweise könnte er keine fünf Minuten auf dem Rücken liegen, dreht, wendet sich von einer auf die andere Seite. Doch sein Körper braucht Erholung, Ruhe, Aufmerksamkeit. Er ist erschöpft nach der Attacke. Kalter Schweiß steht ihm auf der Stirn, läuft über die Schläfen in das Kissen. Sein Gehirn macht sich Gedanken, bringt Mel aber nicht ins Träumen. Lässt es ihn schlafen ohne Angstkanonaden, dann ist er am Morgen bereit, alles zu vergessen. Erst Recht, wenn die Katze wieder auftaucht. Was so ein Tier in einem Menschen so alles auslöst! Kinderersatz sagen die Leute. Nach einem Kind hatte sich Mel noch nie gesehnt, auch noch nie nach einer Katze – nur gedacht hatte er an beides. Die gemeine Anna bot ihm doch tatsächlich einmal an, ein Kind für ihn zu gebären, wenn er dafür bezahle. „Du kannst eins haben, aber es kostet!“ Zwanzigtausend sollte er dafür geben. Ein Kind von Anna, mit der Aussicht, dass es so wird wie sie – ausgeschlossen für Mel. Einen Bruder hätte er gerne gehabt oder eine Schwester oder beides. Aber eigentlich war er doch am liebsten mit sich, schon allein wegen der Unkompliziertheit. Ob er die Katze vermisst, falls sie nicht erscheint?
Es lässt ihn träumen. Unter den weichen Augenlidern sind die rollenden Bewegungen der Augäpfel zu beobachten. Mel gibt die starre Liegung auf, wälzt sich in die Seitenlage, zieht die Knie vor die Brust, legt die gefalteten Hände neben das Gesicht. Einige Bilder ziehen durch seinen Kopf. Es ist die Katze! Mel schmunzelt und im Nu löst sie sich auf und er sieht sich im See schwimmen. Allerdings nicht im Wasser, sondern gerade so weit darüber, dass ab und zu sein Penis die Wasseroberfläche erspürt. Ob auf dem Rücken, dem Bauch, er flosselt sich mit den Füßen vorwärts. Schwerelos, als wenn der Wind ihn treiben würde. Wie sanft die Luft über dem See liegt, indem er sein Spiegelbild betrachten kann. Eine weiß-grünliche Gestalt, nackt, leicht wellenverzerrt, aber durchaus zu erkennen, dass sie vergnüglich ist. Erst dreht Mel eine Runde in Ufernähe, kreuzt dann mehrmals über den See, testet verschiedene Geschwindigkeiten und die Schwäne bestaunen ihn. Er schwimmfliegt nun dem Fischerufer zu, die ihn beide begeistert beklatschen. Die Hunde begleiten ihn freudig bellend. Mel amüsiert sich. Als er erneut gemächlich an den Fischers vorbeiziehen will, bespringt ihn die Frau mit einem mächtigen Satz, landet auf seinem Schoß, taucht ihn für einen Moment unter Wasser und er spürt, wie dabei sein Glied in sie eindringt. Wild sieht sie ihn an, packt seine Schultern mit festem Händegriff, reitet auf Mel wie ein kleiner Teufel. Die roten Haare umflammen ihr Gesicht. Sie jauchzt, kreischt in Leidenschaft. Ihre kräftigen Beckenstöße treiben sie wieder und wieder in den See, aus dem Mel sie mit großer Anstrengung herausfliegt. Wie eine Furie benimmt sich des Fischers Frau, beißt, kratzt in sexueller Gier. Die Spitzen ihrer kleinen Brüste glühen. Mel schwimmt in grenzenloser Wollust. Der erleichternde, fast schmerzliche Orgasmus lässt beide erschauern, bevor sie sich, in erschöpfter Zufriedenheit, auf ihn fallen lässt. Wie ein Kind liegt sie in seinen Armen, wein, beküsst ihn, rührend in ihrer Kleinheit. Mel ist sehr berührt. Spürt so sehr die samtene Haut. Ihre Tränen rinnen über seine Brust. Weich im Samengel pulsiert sein Glied in ihrer Scheide. Sie beugt sich seufzend zurück in die Lehne seiner Schenkel. Liebreiz im Blick auf Mel – da zerbirst in einer Explosion der Kopf der Fischerin. Sogleich erblickt Mel den Fischer am Ufer, der das Gewehr erneut in Anschlag bringt…. Da reißt Mel sich aus dem Traum.
Schwer atmend, mit erschreckten großen Augen liegt er im nassgeschwitzten Kissen, spürt noch seine Erektion, doch ist ihm nicht danach, sich zu lieben. So sehr nah ist noch der Eindruck des Traumes. Ergriffen schüttelt er ungläubig den Kopf vor Verwunderung und denkt kein Stück an den Infarkt. Langsam, in Andacht noch, erhebt Mel sich. Schwer steigt der Atem aus seiner Brust. Was der Traum wohl zu bedeuten hatte?, versucht er zu ergründen, während er mit tapsigen Schritten das Zimmer durchmisst, die Arme vor die Brust verschränkt.