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Herr Pambel

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Das Schicksal des Herrn Pambel in jener Zeit der Welterschütterung ist nicht gerade ungewöhnlich zu nennen, genausowenig wie seine Person geeignet sein mag, besondere Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Aber damit ist er den meisten von uns ähnlich. Das großartig Hervorragende, oft beschrieben, besticht, erhebt und bedrückt durch Unerreichbarkeit. Herr Pambel hat nichts Unerreichbares, und man sollte meinen, dadurch vielleicht könne er einen gelinden Trost bedeuten für diesen und jenen, der sich gleich ihm durch die Tage der Heimsuchung hindurchgefunden.

Und dabei gelernt hat, sich zu bescheiden.

Wer je zuvor diesen Herrn Pambel kennengelernt, mußte ihn für einen eingefleischten Junggesellen halten, für einen bequemen und betulichen Lebemann, der, von mehreren Freundinnen verwöhnt, den Annehmlichkeiten der Großstadt in jeder Weise verfallen war. Und in der Tat, so war es mit ihm gewesen; abgeneigt gegen jede gröbere Arbeit, immer tadellos angezogen, empfindlich im Geschmack, blendend eingerichtet, obschon nur in einer ausgebauten Dachwohnung, Inhaber einer vormals angesehenen Teefirma, die sich mit Erfolg auf Balkanware umgestellt, hatte dieser Herr Pambel es verstanden, trotz aller widrigen Zeitläufte während des Völkermordens noch immer so zu leben – bis auf den stillgelegten Wagen –, wie er es seit jeher als ersprießlich gefunden.

Für den Wehrdienst war er schon etwas zu alt, war auch im vorletzten Kriege aus irgendeinem Grunde nicht Offizier geworden, welcher Grund, gewissen Behörden unverborgen, auch hinderlich gewesen sein mochte, ihn mit öffentlichen Ämtern und Ehrenposten zu betrauen, ja, es hatte sogar seiner Aufnahme in die Partei, mit der er geschäftlicher Vorteile wegen geliebäugelt, im Wege gestanden. Ich pfeife darauf! pflegte er hier und da in vertrautem Zirkel zu äußern, seiner Ungebundenheit sichtlich froh. Aber zutiefst wurmte es ihn doch.

Wie nur war es gekommen, daß er nun, in erdbeschmutztem, grobem Aufzuge in ländlicher Umgebung, allen gewohnten Bequemlichkeiten fern, gesunder und zufriedener aussah denn je, mit lärmend kindlichem Gefolge einer Behausung und einer Mahlzeit zuschreitend, die mit den früher von ihm bevorzugten Räumen und Speisekarten bestimmt nicht viel gemein hatte?

Es ist eine einfache Geschichte, und doch, wenn man will, nicht ganz ohne Wunder.

Gut, daß Bili nicht dageblieben ist! sagte sich Herr Pambel in jener Nacht der Wandlung, als die Alarmsirene heulte. Die Sirene hatte oft geheult, was sollte es groß sein. Aber Bili war leicht erregbar. In den Keller, Pambs, rasch, rasch in den Keller! So hätte sie geschrien. Er hatte mit Bili eine gute Flasche auf den Frieden getrunken, auf den beiderseitigen wie auf den allgemeinen; denn ihm war klar, genau wie ihr, die als Oberstenwitwe ansonst auskömmlich dastand, daß nun das gute Leben mitsamt den guten Flaschen haltlos davonschwimme. Und danach hatten sie eine zweite Flasche getrunken, weil Bili es so gewünscht, auf, ja, auf was? Sie hatte es ihn erraten lassen wollen, er aber hatte einen aufkeimenden Verdacht gefühlt, daß sie ihn festzulegen gedenke, und war etwas kühler geworden und hatte ihr über den Rand des Glases hin zugeblinzelt: Auf gute Kameradschaft!

Und dann hatte sie spöttisch erwidert, derlei habe ihr ein anderer auch schon angeboten, und ob das in dem Hause so üblich sei. Eine Bemerkung, die nicht dazu angetan war, die Zärtlichkeit, die Herr Pambel für diesen Abend erhofft, zu fördern. Und es war dann schließlich von Herrn Blomengart die Rede gewesen, der zwei Stock tiefer wohnte und dessen Frau sie kannte und, wie sich längst herausgestellt, ihn selber auch. Herrn Pambel war es nicht alltäglich, die Namen anderer Herren in seiner Gegenwart mit wehmütiger Stimme genannt zu hören und schon gar nicht mit Tränen in den Augen, und schließlich hatte Bili sogar herzbrechend geweint, nachdem sie ihm, Herrn Pambel, vorgeworfen, er sei gräßlich alt geworden, und er ironisch erwidert hatte, sie hingegen scheine ewig jung zu bleiben, so jung wie die reizende Porzellanfigur, die ein dänischer Bildhauer einst nach ihrer jungen Schönheit geschaffen und die sie als Abendgeschenk mitgebracht hatte.

Aber sie waren beide zu erfahren, um sich nicht alsbald wieder zu vertragen, und es war dann wie ein Abschied gewesen von ihrer beider ach schon so fernen Jugend und von allem, was schön gewesen war. Es war nämlich derzeit noch nicht lange her, daß Bili und er sich neu befreundet hatten. Selbst nach dem Tode ihres Mannes hatte die Scheu vor dem Vergangenen und mehr noch die ausgedehnte Schar der Verehrerinnen Herrn Pambels dazwischengelegen, und erst, nachdem auch Bilis beide jungen Söhne vorm Feinde geblieben, hatte sie auf Pambels herzlichen Beileidsbrief hin, und da sie einander sowieso ein paarmal im Treppenhaus begegnet waren, wieder ein wenig zu ihm gefunden, ohne daß an eine nähere Verbindung, wenigstens von seiner Seite, gedacht worden wäre. Und somit war es auch zu diesem Abend und ihren Tränen gekommen, und daß sie schließlich, schon in der Wohnungstür, leise sagte: Leb wohl, Pambs, wir wollen uns nicht mehr wiedersehen. Es wäre kein Leben für uns beide.

Nun heulte draußen die Sirene, ein Weinen wie durch Lautverstärker widerlich verzerrt. Nein! knurrte Herr Pambel ins Kissen: Mich rührt derlei die Katz, ob leise, ob laut. Die Bedrohung seiner junggesellischen Freiheit deuchte ihm der behördlichen Zumutung gleich, die von ihm erwartete, sich stracks in den muffigen Keller hinunterzubegeben, dem sogenannten Luftschutz zuliebe. Er lächelte und vernahm trotz des Lärms das Schaben seiner Wange am Bettlinnen; selbst die sorgfältigste Rasur hielt nie bis Mitternacht. Liebste, allerbeste Bili! seufzte er dann, das Rauhe bedenkend, das Rauhe des Daseins, das sich so mannigfalt zu äußern vermochte. Die Bewunderung seiner Unerschütterlichkeit, darin er sich gefiel, versuchte sich stirnrunzelnd zu halten.

Indes gedachte er, wieder einzuschlafen.

Das Haus lag, fünfstöckig, in stiller, wenn auch eng bebauter Wohngegend; keine wesentliche Industrie war in der Nähe, kaum eine Flakstellung; nur Zufallstreffer konnten sich hierher verirren, und gegen Zufälle ist auch im tiefsten Keller niemand sicher. Die Bomber würden sich hüten, ihre teure Last unnütz wegzuplempern. Immer war es hier bislang gutgegangen, kaum eine Scheibe entzwei. Und im Keller waren anderswo schon Leute erstickt oder ertrunken, während die, die auf der Etage geblieben, heil davongekommen waren. Das bißchen letzte Freiheit auch darin, so sagte sich Herr Pambel weiter, sollte ihm keiner rauben. Mochte es draußen noch so impertinent nun brummen und röhren und knallen und jaulen, mochten die Wände beben und die Fenster klirren, hier war ein wackeres Herz, das einem anständigen Schicksal vertraute. Und eigentlich war es nun doch bedauerlich, daß Bili gegangen war, jetzt, wo Gelegenheit gewesen wäre, zu erkennen, daß er so alt denn doch noch nicht sei, um etwa zu zittern, und auch, wie wenig stichhaltig ein Urteil sein kann, das von einem verzwickten Einzelfalle her vorschnell den Stab über einen ganzen Charakter zu brechen sich unterfangen hatte. Ich bin nicht feige, Bili, sieh es selbst! Und selbst damals war ich es im Grunde nicht.

Und damit gedachte er des grausamen Tages vor Verdun, und es war über ein Vierteljahrhundert her, wo er, schon Feldwebel, seinen Zug an ein — wie er durchschaut zu haben gemeint — sinnloses Unternehmen hatte setzen sollen. Selbst damals, Bili, war es mehr Liebe und Eifersucht, und wenn der andere denn schon Leutnant war, gut, sollte er den Vortritt haben, und wenn er dich so liebte wie ich, Bili, so sollte er wissen, daß ich mich nicht vor die Hunde schicken ließe, damit er deshalb triumphiere, weil er vielleicht übriggeblieben wäre. Was also blieb dem Ehrgeizling zu tun, als selber zu gehen, nachdem allerdings das üble Wort aus seinem Munde gezischt war, das alberne Wort: Feigling. Mir hing es seitdem an, ich weiß, aber übler war doch noch, daß er mit einem Heimatschuß davonkam und nach Haus und es ausnutzte und du sein Opfer wurdest, Bili, indes ich mich weiter schinden mußte. Laß nur, ich habe späterhin mein Teil Vergnügen anderweitig gefunden, zupackend immer, nie feige, nur gewitzt, wie auch jetzt. Er aber ist dahin.

Nun begann Herr Pambel sich doch zu ärgern; nie hatte die alte Wunde der Ehre so geschmerzt wie jetzt in dem Radau, der allzu deutlich an den damaligen Tag der Bitterkeit erinnerte. War nicht sein ganzes Leben nachmals eine einzige Verschanzung dagegen gewesen? Was hatte es genützt? Der eigentliche Anlaß, das schnippische Mädchen Bili, war übriggeblieben und war wieder aufgetaucht, ihn aufzuscheuchen aus seiner mühsam gewonnenen Mauer und Selbstherrlichkeit, aus seinem Versteck unter den anderthalb Millionen Kreaturen, die als zusammengepferchtes Gebilde der Weltstadt nun zu nichts gut waren, als eine perfide Verlockung abzugeben für die teuflische Erfindung der Bomberheuschrecken und ihm eine persönliche unliebsame Felderinnerung heraufzubeschwören. Würde nur noch gefehlt haben, daß Bili ihm hingeschluchzt hätte, nicht alt sei er, sondern tatsächlich zu feige, sein Herz aus der verspakten Kapsel zu reißen, sein altes, einstmals so glühendes Herz. Das war es, und das mußte sie gemeint haben, und nun, gewiß, nun hatte er endgültig versagt.

Mochte es ihn denn treffen in seine letzte unbehagliche Erniedrigung und Verlassenheit, mochte es doch jählings durchs Dach auf ihn niederfahren, das Auslöschende, vor dem er sich damals gedrückt. Er wollte nicht mit der Wimper zucken.

Und siehe da, in diesem Augenblick warf ihn ein jäher, furchtbarer Luftdruck wirklich fast aus dem Bette. Das Haus schien sich zu heben im Krachen eines nahen Einschlags. Halb betäubt sammelte sich Herr Pambel: Ruhe! Ruhe! murmelte er: Hier war es nicht ... Er horchte angestrengt.

Das Gebelfer und Geballer verzog sich ferner und ferner, Geschrei kam von der Straße auf und verging wieder. Herr Pambel, benommen von seiner lange nicht mehr geübten Selbstzerfaserung mehr als von dem Schreck, redete sich gut zu, die fruchtlosen innerlichen Seziermesser sinken zu lassen. Soll ich nun aufstehen? fragte er sich. Aber da es ruhig blieb und er allen unliebsamen Anblicken so lange wie möglich aus dem Wege zu gehen pflegte, er auch des Hauswarts schrille Stimme aus der Tiefe des Treppenhauses schallen hörte: Immer sachte, Herrschaften, sachte, sachte, hier ist nichts passiert!, hielt er es denn für tapferer, liegenzubleiben, und schlief darob unversehens wieder ein.

Das Fenster seines Schlafzimmers ging auf magere Hintergärten und stand bei geschlossenen Vorhängen weit offen in der warmen Sommernacht. Der wieder anschwellende Lärm der Straße drang nur gedämpft herein, eben genügend, um die Schauer der Schlacht von einst in Herrn Pambels Traum nicht verebben zu lassen. Schon auch flackerte Abschein von den brennenden Häuserblocks jenseits der Bäume über sein Bett, denn Wind kam auf und blähte und lüpfte den Vorhang, Wind, von den Flammen gezeugt, von den gewaltigen Bränden in benachbarten Stadtvierteln, wo das Feuer in allerlei geheimen Fabrikbeständen reiche Nahrung fand. Von dem Wind aber wuchsen die Flammen um so mehr, selbst hier, wo nur wenige Bomben gefallen waren, und der Wind war es, der Herrn Pambel aufs neue weckte, war er doch zu Zeiten ein flotter Sportsegler gewesen und hatte ein Ohr dafür behalten.

Es weht! sagte er erstaunt: Und wie! Da wird es den Sonntag regnen, und ich wollte Bili anrufen, ob man vielleicht nicht im Grünen etwas gelüfteter und vernünftiger sich werde aussprechen mögen. Denn gerade hatte ihm geträumt, daß Herr Blomengart, ausgerechnet dieser Herr aus dem dritten Stock des Hauses, gegen den als Kaufmann und Hanseat kaum etwas zu beanstanden sein durfte, daß also Herr Blomengart mit dem – wie man sagte – sonderbaren Familienleben und dazu in einer phantastischen fasanenhaften Bonzenuniform mitten im Verduner Schlachtenzauber eine Einladung zum Segeln habe an Bili ergehen lassen.

Und indes Herr Pambel, noch mit geschlossenen Augen und zur Wand gedreht, darüber zu lächeln versuchte und auch den langgezogenen Jammerton der Luftentwarnung zu hören meinte, vom Winseln des Windes kaum unterscheidbar, und er aufatmete, spürte er das Zucken des Feuerscheins auf den Lidern, und zugleich griff ein stickiger Brandgeruch ihm bis in die Lungen. Im Nu war er auf, fuhr in die Hausschuhe, in den Hausmantel, versuchte vergebens, Licht anzuknipsen, sank wieder aufs Bett, vom Weine ein wenig schwindlig. Es sind die Häuser drüben! sagte er sich, aber ein verdächtiges Knacken und Zischen wurde jetzt stärker und war nahebei, und drei Sekunden später wußte er, daß es auch bei ihm, und zwar in seiner Küche, brenne.

Aha! sagte er laut: Wäre ich jetzt im Keller, ginge hier alles zum Teufel. Und er stürzte sich auf die vorschriftsmäßig bereitstehenden Löschgeräte, legte sogar eine Gasmaske an, riß sie aber bald wieder herunter, da er zu ersticken glaubte, schleuderte Tüten mit Sand, zertrümmerte das Fenster, damit der fürchterliche Rauch abziehe, und wollte den Schlauch in Betrieb setzen, der Jahr und Tag seit Kriegsbeginn, an den Wasserhahn im Flur geschroben, gewartet hatte und nun, wo es soweit war, versagte, das heißt, die Zufuhr blieb aus. Jedoch auch dafür war vorgesorgt, die Badewanne stand gefüllt und ein Eimer bereit. Es handelte sich, wie bald zu erkennen war, nur um eine der kleineren Stabbrandbomben, die durch Dach und Decke in den Küchenschrank gefahren war, wo sie an aufgestapelten Vorräten, an Butter, Nudeln, Zündhölzern und was dort alles junggesellig beieinander lagerte, zumindest eine Menge Stoff zur Qualmentwicklung gefunden hatte.

Bili wäre nun wirklich nur im Wege gewesen, sagte er sich, den Eimer schwingend: Es ist keine Zeit, die Vernichtung der guten Sachen zu bejammern, aber eigentlich hätte sie erleben müssen, wie ich der prekären Sachlage Herr geworden bin.

Mit der nassen Feuerpatsche schlug er die letzten Glimmstellen und Funken aus, erfischte dann mit der Schaufel den Rest der Bombenhülse, die zu fauchen aufgehört hatte, und warf ihn in den Wassereimer, alles so, wie es der gelegentliche Kursus einem ganzen Volke beigebracht hatte. Von draußen flackerte eine Ahnung durch den dicken, im Winde quirlend abziehenden Schwalch von dem Unglück, das die Nachbarhäuser getroffen.

Gerettet! lobte Herr Pambel sich, schnüffelte aber zur Sicherheit auf dem unausgebauten Teil des Dachbodens umher. Unterdessen kam Frau Möff herauf, die Frau des Hauswarts, die seine Wohnung in Ordnung zu halten pflegte, seit es keine Tagmädchen mehr gab. Sie schien mächtig aufgeregt, ihre Taschenlampe zitterte, aber Herr Pambel rief ihr beschwichtigend zu: Alles schon gelöscht, ohne fremde Hilfe, sehen Sie, wie gut, daß ich immer oben bleibe. Und nun alle Mann aufs Dach, um uns vor dem Funkenflug zu schützen. Die andern haben weniger Glück gehabt.

Frau Möff, endlich zu Atem gekommen, stammelte: Phosphor, Herr Direktor, Phosphor! Und sie war schon wieder auf den Stufen nach unten.

Wieso denn? knurrte er ärgerlich. Das Treppenhaus war voller Stimmen der Mitbewohner.

Im Keller, Herr Direktor! stotterte sie zurück, und im Fahrstuhl, Herr Direktor.

Das werden wir auch noch kriegen! schrie er erbost, riß einen Stahlhelm, einen der schwarzlackierten, leichten, vom Luftschutz empfohlenen, den er ganz vergessen hatte, von der Wand, stülpte ihn auf und stürzte mit geschwungener Feuerpatsche siegestrunken der dicken Pförtnerin nach und an ihr vorbei. Das Treppenhaus begann sich von einem vagen zuckenden Schein von unten her zu erleuchten. Aus den Türritzen des Fahrstuhlschachtes zwängten sich grünlich giftig dunstende Schwaden. Herr Pambel stoppte. Gebieterisch rief er zurück: Frau Möff, bringen Sie doch lieber den bewußten Koffer mit herunter!

Im gleichen Augenblick packte ihn eine lähmende Furcht, und nur die Vorstellung, daß man vielleicht geratener sich und den Koffer über das unversehrte Dach, das zudem ein Flachdach war, ins Nebenhaus rette, in irgendein unbeschädigtes Nebenhaus, wo die Treppe noch nicht brannte, brachte ihn wieder in Bewegung. Er stürmte ein paar Stufen zurück, hinauf, widerrief, schreiend im Lärm, der überall aus den Wohnungstüren drang, seinen Auftrag, und da Frau Möff sichtlich nicht verstanden hatte, wiederholte er ihn, plötzlich seine Feigheit erkennend und sich schämend, und da die Pförtnerin sich schon nach oben wandte, drängte es ihn, sich ganz besonders gelassen zu zeigen, und er ging noch einen Schritt mit und wollte etwas ausnehmend Belangloses fragen, seine Haltung ins rechte Licht zu rücken – indem später diese geschwätzige Frau Möff es herumerzählen würde, und das etwa so: Oh, Frau Puvogel, dieser Herr Direktor Pambel, das ist ein Mann, mitten im brennenden Treppenhaus steht er da und fragt mich ganz ruhig, ob die Preise für Weißkohl immer noch die gleichen seien und ob – ja, da fragte er tatsächlich schon, hastig und mit der Zunge anstoßend, und es fiel ihm wahrhaft nichts Besseres ein, ob nämlich der Herr Blomengart den Abend noch Damenbesuch gehabt habe.

Jawohl, doch, Herr Direktor, antwortete Frau Möff eilig, und die eine, die bei Ihnen war, ist mit der, die bei Herrn Konsul Blomengart war, zusammen weggegangen; haben sich zufällig auf der Treppe getroffen. Und wenn das Haus in diesem Wimperschlag zusammengekracht wäre, Frau Möff hätte, um Auskunft betreffs der Bewohner befragt, noch im letzten Notschrei eine rückhaltlose Antwort hervorgebracht.

Die Welt drehte sich laut und seltsam um Herrn Pambel, ein Knabe war er, stand auf einem brausenden, von Lichteffekten zuckenden Jahrmarktskarussell, hielt ein sich bäumendes wildäugiges rotes Holzpferd am Zügel, darauf saß ein hübsches Mädchen, das hieß Bili.

Beeilen, die Herrschaften! drang die keifende Stimme des Hauswarts Möff durch den Dunst und Lärm. Und Herr Pambel, ein Danke hervorstoßend – und sich sozusagen damit in die schreckliche Wirklichkeit zurück abstoßend –, stürmte nun, sich heroisch zusammenreißend, endgültig hinunter.

Das Nachbarhaus war durch eine Sprengbombe bis in den Keller aufgerissen worden, es hatte dort Tote und Verletzte gegeben, und dann war von der Straße flüssiger Brandsatz hereingelaufen. Die Überlebenden hatten die Wand zum Möffschen Keller, die dazu baupolizeilich vorbereitet war, durchschlagen, aber das Feuer war ihnen gefolgt, und nun brannte die ganze, auf gemeinsame Kosten angeschaffte Einrichtung, die Liegestühle, die Couch, der Skattisch, die Luftschutzbetten, und auch der Fahrstuhlschacht brannte schon, und bald darauf im Erdgeschoß auch die Möffsche Wohnung.

Wasser her! schrie Herr Pambel. Wo bleibt die Feuerwehr? Hat denn keiner die Polizei angerufen?

Es ist alles kaputt! gellte Herr Möff und warf Bettzeug durchs Fenster auf die Straße.

Die Hausbewohner schleppten Koffer und Kleidungsstücke herunter. Herr Pambel vertrat ihnen den Weg, anzusehen in seinem schwarz und roten Hausmantel wie ein verräucherter, wunderlicher Kriegsgott. Hiergeblieben! donnerte er. Erst löschen, dann bergen!

Herr Blomengart, vollständig und proper angekleidet und in der Hand nichts als ein kleines und wahrscheinlich kostbares Ölgemälde, erwiderte ganz ruhig: Jawohl, Herr Feldwebel, ohne Wasser? ... Und ein anderer setzte hinzu: Die Hauptleitung ist getroffen ... Und der Hauswart, hinkend, mit verbranntem Bart, kreischte: Und das Gas auch, und das Elektrisch auch! Und alle drängten an Herrn Pambel vorbei, auch Frau Möff mit seinem Koffer. Nur die ältliche Dame von der Oper, die aus dem vierten Stock, der Herr Pambel durch die Dielen hindurch manchmal gern gelauscht, blieb stehen und wimmerte: Retten Sie doch mein Klavier, bitte, bitte!

Herr Blomengart hatte inzwischen die schwere Reisetasche der Sängerin auf die Straße getragen, kam zurück, sagte besorgt: Mein Diener hat heute Ausgang ..., reichte der Klagenden den Arm und zog sie an Herrn Pambel vorbei, höflich bemerkend: Retten Sie Ihr uns allen wertes Leben, verehrte Meisterin, alles andere läßt sich ersetzen!

Nein, nein! wimmerte sie. Es ist ein Erbstück aus Wien, Brahms selber hat noch darauf gespielt.

Natürlich retten wir das Klavier! Ich verstehe Sie nicht, Herr Blomengart, kneifen Sie bitte nicht, was Sie auch sein mögen, rief Herr Pambel, tief getroffen von der Betitelung, die sich jener ihm gegenüber erlaubt. Aber der Rauch erstickte seine Stimme und nahm ihm die Sicht. Der Hauswart riß ihm die Feuerpatsche aus der Hand, forderte gellend seine Hilfe. Und Herr Pambel half, so gut es ging. Aber als das Büfett hinausgetragen werden sollte, wurde ihm schwindlig, und auf einmal fand er sich allein, und er sah nicht mehr viel, fühlte nur die Hitze, hörte das knatternde Sausen und da hinein das schrille Piepsen des vergessenen Kanarienvogels. Da nahm er tastend den Käfig von der Wand und erreichte eben noch das Freie.

Dort orgelte der Sturm, und die Straße war überhell erleuchtet von den brennenden Häusern. Welch Schauspiel! Im Grunde grandios! dachte Herr Pambel. Ein Rest Nachbarn war beschäftigt, das Möffsche Hab und Gut und was sie selber hatten bergen können, in die Mitte des Fahrdamms zu schaffen, dorthin, wo keine der Brandkanister gefallen waren, die hier und da, auseinandergespritzt, wie die weggeworfenen Fackeln eines Festzuges sprühten. Mein Koffer ist auch da, beruhigte sich Herr Pambel und zog ein Stück Mantel vor das Kanarienbauer, um den Vogel vor dem scharfen Zug zu schützen. Und eben wieder bei Atem, fragte er streng nach Herrn Blomengart. Wenn denn schon Feldwebel, dann auch ordentlich, und der Verdacht brannte sengender in ihm als alle Feuer Himmels und der Erden, daß Bili seine Schmach verraten habe. Ins Kontor ist der Herr Konsul, Herr Direktor, stotterte beflissen Frau Möff. Da haben vier Sekretärinnen Nachtwache und ein Buchhalter, ist ja ein großes Kontor. Und daß Sie unsern Hansipiep gerettet haben, Herr Direktor ...

Er sollte sich lieber um seine Frau kümmern, der Drückeberger, und wir werden das Klavier jetzt noch retten, los! wollte Herr Pambel versetzen, aber der Sturm schlug ihm das Wort in den Mund zurück. Die Straßenbäume, teils schon brennend, bogen sich jäh wie schwache Wiesenkräuter, schreiende Menschen wurden fortgewirbelt mitsamt dem Möffschen Bettzeug. Ein Sanitätswagen rutschte quer über das Pflaster, haltlos, mit brennenden Reifen und verschwand im feurigen Gewölk. Flammende Balken schossen kometenhaft durch die Luft.

Sie müssen gegen den Wind! schrie Herr Pambel dem vondannen gepeitschten Hauswartehepaar nach, aber seine Stimme blieb unhörbar. Er wurde gegen eine Hauswand geschleudert, hielt sich mit der freien Hand am Gesims, krampfhaft den Vogelkäfig an sich pressend. Wie Hauch aus Ofentüren fuhr es in seine Lunge, und eine Stichflamme aus zerborstenem Fenster leckte nach seinen Fingern. Er mußte loslassen, schreiend vor Schmerz, und wurde weggewirbelt über Möbel und Trümmer und menschliche Körper bis über die Straßenkreuzung hin, wo er, eben vor dem riesigen Krater, der das Hauptwasserrohr entblößt hatte, auf dem Schuttwall landete und wieder Fuß faßte.

So geht es nicht! sagte er sich. Ich muß meinen Koffer haben! Er hatte ihn seit Monaten vorausschauend bereitgestellt, und es war alles darin enthalten, was ein Mensch im Notfall braucht: Geld, Papiere, Uhr, Anzug, Wäsche, Schuhe, Rasierzeug, ein Stück noch guter Seife, ein silbernes Tafelbesteck, ein Paket Zwieback, eine Flasche Dreistern, eine Kerze, Zigarren, Zündhölzer, Vitamintabletten, ein kleines einbändiges Lexikon und ein Bändchen moderner Lyrik. Es waren Gedichte, die er zu verstehen strebte; denn Bili hatte gesagt, daß man die innere Struktur einer Zeit am deutlichsten aus deren Lyrik erkenne und auch, wenn nötig, Trost daraus zu ziehen vermöge.

Er wandte sich beherzt zurück. Kaum war in dem lodernd hinfetzenden Qualm die Richtung zu erkennen. Er gedachte nunmehr der kleinen Figur aus Kopenhagener Porzellan, die Bili ihm den Abend mitgebracht! Vielleicht könnte man auch einen richtigen Mantel, einen Hut und was nicht alles noch aus dem alten, treuherzigen Eulennest herausvoltigieren, wo er doch so lange friedlich und nett gelebt.

Da sah er plötzlich und ehe er die Kreuzung bewältigt hatte, eine ungeheure brodelnd tobende Feuermauer durch den Dunst auf sich zukommen; Gestalten hetzten davor her, Männer, Frauen, Kinder brachen zusammen, wurden überrannt. Er sah, wie jemand aus dem Knäuel der Stürzenden wieder aufsprang und rückwendend beschwörend die Arme gegen die heranrasende feurige Brandung reckte, sah, wie Kleidung und Fleisch von diesen Armen schulterzu aufrollten und das bloße Skelett gegen die Lohe ragte, ehe der Mensch dort zu Boden schlug und verschlungen ward. Herr Pambel starrte verzerrt. Abschwenken! Ausweichen! Links ab in die Querstraße! dachte er instinktiv, aber seine Schuhe klebten am Boden und die Knie versagten ihm.

Der Asphalt brennt! gurgelte es überschlagend vielstimmig durch den Orkan. Und da sah er sich selber die Arme abwehrend aufrecken wie der Unglückliche eben dort hinten. In der Rechten hielt er, weiß der Himmel, immer noch den Kanarienkäfig, die Finger in das dünne Gestänge verkrallt, und der Vogel lebte noch und, o schaurige Süße, sang, sang betrunken von der heranfegenden Helle und Glut, als sei die Sonne der Tropen, unvergessen trotz hundertjähriger Verzüchtung, eben strahlend aufgegangen.

Herr Pambel sah es, sah die kleine geblähte schluchzende Kehle wie an einem lebendigen Scherenschnitt, schwarz vor dem Gleißenden, und die tausendfachen qualvollen: Hätte ich doch ... und: Jetzt müßte man dies ..., die sein Hirn durchsausten, wurden still in der einen unsagbaren Anstrengung des Lauschens, ob nicht ein wenig doch des Getrillers zu vernehmen wäre, wie ein silbern schaukelnder Lamettafaden etwa, dünn und lieblich wie die Linie Licht, die von der Kerze über die porzellanene Hüfte der kleinen Tänzelfigur gehuscht war den Abend und in den blanken Fingernägeln Bilis sich wiedergefunden hatte und in ihren noch immer schönen und sehnsüchtigen Augen. Nichts, nichts war zu hören als das Brüllen der Feuerlawine und das berstend wiehernde Gelächter des Unterganges, und schon wurde Herr Pambel gepackt von der Gewalt des Luftwirbels, wurde emporgerissen und wieder zusammengestaucht und lag betäubt hingeschmettert, indes die Flammenwalze, von dem Sog der Seitenstraße erfaßt, heulend die Richtung wechselte dahin, wo Herr Pambel soeben noch hatte flüchten wollen; und es war, als habe eine übermächtige Weisung Notiz genommen von seiner dürftigen Person oder von dem kleinen betörten gefangenen Sänger in seiner Hand.

Als Herr Pambel wieder zu Bewußtsein kam, brannten die Häuser noch immer, aber die Flammen hatten nun überall Raum im Geborstenen und Eingestürzten und rasten nicht mehr wie in einem Kesselschachte durch die Schlüfte der Straßen. Dachstühle brachen zusammen und Fußböden, das Glück der Wohnungen begrabend; die Funkengarben schossen himmelhoch, höhnische Ehrensalven der siegreichen Elemente, und vergingen in der kilometerhohen Dunstkappe, die sich über die gepeinigte Stadt zog. Kaum drang noch der Schein der Flammen hindurch, kaum die Sonne. Es war finster in den mürben Schluchten, die von Menschen gebaut und von Menschen zerstört worden. Herr Pambel mußte annehmen, er habe nicht lange gebraucht, um nach dem harten Aufschlag, der ihm den Helm geraubt, wieder zu sich zu kommen. Er tastete an sich herum, ob er noch heil sei, und glaubte schon, in seinem Blute zu schwimmen. Es war aber die Nässe der gebrochenen Wasserleitung, die sich über den Kraterrand ausgebreitet und zur Erhaltung derer beigetragen hatte, die hier niedergesunken waren.

Ich lebe noch! sagte sich Herr Pambel, versuchte auch gleich, das Kanarienhähnchen zu erkennen, dessen Bauer er nicht aus den Fingern gelassen. Aber die Tür des Käfigs war dem Prall nicht gewachsen gewesen und stand offen; der Zwitscherling war nicht mehr da; war entflohen oder auch davongeblasen, die leichte sonnengelbe Flocke, vielleicht noch immer voll seligen Irrtums jubilierend oder auch erstickt und verbrannt.

Herr Pambel weinte darüber eine Zeitlang vor sich hin, fast so wie Bili den Abend geweint. Er flüsterte ihren Namen, als sei sie der entwetzte oder umgekommene kleine Vogel oder auch die Tänzerin aus Porzellan, die er nicht mitgenommen hatte. Schließlich ermannte er sich, vermochte sich sogar zu erheben, ächzend von mancherlei Ungemach. Sie lebt! murmelte er angestrengt: Sie lebt, und ich werde zu ihr gehen und ihr einiges zu sagen haben.

Und auch die Vorstellung eines guten Morgenkaffees in ihrer freundlichen Wohnung spornte seine schmerzenden Schritte an.

Aber die Straße, wo Bili gewohnt, war nicht mehr zu finden, nur weglose Schutthalden überall, aus denen einzelne Gemäuer wie gigantische Grabsteine aufstachen, einzelne so schmal und schwebend wie windzerfranste Pappeln. Der Tag schien hier, neblig von Kalkstaub, etwas heller; denn der Qualm war geringer, hier hatten vor allem Luftminen gewütet. Und dort, wo an dem aufgesprengten Innern einer fünfstöckigen Rückwand der Rest der Treppen sich wie ein riesiger Lindwurm schlängelte, mußte im dritten Stock Bilis Wohnung gewesen sein und daneben die Frau Blomengarts, die seit etwa einem Jahr von ihrem Manne getrennt lebte.

Herr Pambel kletterte in dem Sturzacker des Verderbens umher. Bili! Bili! keuchte er, und die Verzweiflung ließ ihn eine Weile seine Schmerzen vergessen. Zwischen den herausgefetzten zerknüllten Adern und Nerven des Hauses, den Wasser- und Stromleitungen fand er den Brocken eines Balkons und daneben, fast ganz erhalten, nur des Topfes beraubt, eine blühende Geranie, wie Bili sie so treulich gepflegt. Er brach einen der prallen, glühend roten Blütenbälle ab und trug ihn, den langen Stengel mühsam mit den verbrannten Fingern haltend, taumelnd davon.

Bei einem Trupp Soldaten, die eine Ecke weiter ein Loch in den Schutt gewühlt und die dort Verschütteten herausholten, blieb er stehen und stierte offenen Mundes auf das jämmerliche blutige Gerümpel, das einmal Mensch gewesen sein sollte. Heiser schrie er auf, ohne Ahnung, daß er selber nicht viel besser aussehe, deutete flackernd auf die Stätte, unter der, wie er zu fühlen meinte, sein Herz und Dasein begraben lag.

Die Soldaten winkten hartgesotten ab, dort sei schon alles heraus, das meiste sogar lebendig.

Bili lebt! lachte Pambel, und es fiel ihm selber auf und war ihm peinlich, wie merkwürdig sein Lachen klang.

Er torkelte weiter, die Geranienblüte schwingend. Jetzt klar denken, Pambs, klar denken, nur das vermag zu lenken! redete er sich gut zu und strengte sein Gedächtnis an, Verwandte und Bekannte Bilis aufzuzählen, aber es fiel ihm nichts ein außer Herrn Blomengart und schließlich einer Schwägerin. Aber da er Herrn Blomengart den Gefallen nicht tun wollte, ausgerechnet bei ihm nach der Freundin seiner Frau zu fragen, die allem Anschein nach versucht hatte, eine aus wer weiß was für nichtigen Gründen zerplatzte Ehe wieder zurechtzuflicken, und dabei selber womöglich diesem so kühl, so betont überseeisch geschnittenen, mit einem Diener und dem Konsultitel behafteten Herrn ein wenig ins Garn zu geraten, in Gefahr gewesen sein mochte, blieb nur übrig, den weiten Weg in den Vorort zu der Schwägerin Bilis anzutreten, und Herr Pambel ließ sich kaum Zeit, nachdem ihn eine Sicherheitsstreife gegen seinen Widerspruch zur Hilfestelle geschleppt hatte, bepflastert und verbunden zu werden und den entzündeten Augen etwas gegönnt zu sehen und einen Schlag Suppe aus der Feldküche zu schlürfen.

Mit einem der Militärlastwagen, die für den Verkehr überall eingesetzt waren, gelangte er hinaus und erfuhr, immer noch in Schlafanzug und Hausmantel und den Ruinen der Hausschuhe, Bili habe dort angerufen. Ja, dort im Unberührten, zwischen heilen Dächern, sonnigen Straßen, blanken Fenstern und sauberen Gärten ging sogar noch das Telefon. Sie habe alles verloren und müsse also ein neues Leben anfangen, und es sei ihr gerade recht.

Und nach mir ist nicht gefragt worden? sagte Herr Pambel leise.

Die Dame musterte die zerschundene Gestalt, die vorgab, ein guter Freund Bilis zu sein, und in der dick umwickelten Linken, in den Verband hineingesteckt, den welkenden Blütenball einer feuerroten Geranie trug.

Bili war immer etwas phantastisch, versetzte die Dame und schüttelte den Kopf, gepflegt, gewaschen, trefflich gekleidet und genährt, in unverletzter, vielfältiger, heiterer Umgebung Sinnbild einer anderen, einer unwirklichen Welt dem, der aus der Hölle kam.

Ich hätte Bili einiges zu erzählen, nickte Herr Pambel, und Bilis Schwägerin bemühte sich, das Bedauern zu dämpfen, daß sich der verdreckte Besucher auf einem der guten Sessel niedergelassen habe. O nein, fuhr sie mit mitleidender Stimme fort: Bili hat genug mit sich selber zu tun; sie wollte schon immer aufs Land, um ihren eigenen Kohl zu bauen, wie sie sich’s so vorstellt. Und nun, wo sie in ihrem achtbaren Eifer oder in der Verwirrung sich bereit erklärt hat, sich mit einigen armen Würmern, unmündigen Nachbarskindern, Vollwaisen oder so zu belasten, wird es auch wohl das Beste sein, und was wir dabei helfen können, soll geschehen, obwohl wir nur einen Ziergarten haben und selbst sehr beschränkt sind ...

Das sehe ich, sagte Herr Pambel höflich und starrte eine Weile benommen vor sich hin. Er überhörte die zögernde Frage, ob ihm mit etwas gedient werden könne, das Bad sei allerdings im Augenblick ... auch werde Egon, Bilis Bruder, der Hausherr, auf Urlaub erwartet, und die Betten wären schon durch andere Ausgebombte ...

Herr Pambel empfahl sich plötzlich, und die Dame öffnete alle Fenster, um den schaurigen Brandgeruch und den Dunst sanitärer Maßnahmen, den er hinterlassen, aus den Zimmern loszuwerden.

Es war später Nachmittag, als er an den Stadtkern zurückgelangte, um nach seinem Kontor zu sehen, vage hoffend, dort eine Nachricht von Bili vorzufinden. Er kam nicht weit, die absperrenden Posten verlangten seinen Ausweis.

Der ist im Koffer, erwiderte er, und auf einmal begann er zu toben, er, der bis dahin stets einsichtig friedsame Bürger und ehrbare Kaufmann, und bezichtigte Gott und die Welt, Europa, Amerika und den weißen Mann im allgemeinen und im besonderen als wahnsinnig und hirnverbrannt, sich das bißchen gegenseitige Dasein so widerlich zu versauen; und sie blickten ihn verkniffen lauernd an, ob er nicht noch persönlicher werde, zuckten die Achsel, grinsten: Armer Teufel! und von dieser Sorte haben wir mehr ... und ließen ihn laufen.

Da gelangte er denn mit fliegendem Atem hin an den Ort, wo er die langen Jahre umsichtig ud geschickt gewirkt. Nun war da nichts als eine schaurige traurige Lücke, zackig umrahmt von ausgebrannten Kulissen, und er fand seinen Prokuristen am Werk, mitten in den noch schwelenden, stinkenden Trümmern und unter Aufsicht eines Stahlbehelmten den Geldschrank herauszugraben.

Warum noch? äußerte Herr Pambel da, und sein Herz hatte sich gefaßt, und er vermochte sogar zu lächeln: Die wichtigen Dokumente sind alle in meinem Koffer.

Und er ging davon, und es war ihm sonderbar leicht zumute in der Gewißheit, von Eigentum und Geschäftssorgen nun unbeschwert zu sein. Die jüngeren Angestellten würden schon irgendwo unterkriechen, es war überall Mangel an Arbeitskräften; für den grauhaarigen Prokuristen aber würde er loyal über die Bank das Nötige hergeben. Und nun auch fand er die Kraft, Herrn Blomengart aufsuchen zu wollen, um ganz nachbarlich mit ihm zu reden, von Mensch zu Mensch, und ihm den heftigen Ton abzubitten und auch den Verdacht, den er wegen Bilis, wenn auch nur gleichsam im Traum, gegen ihn gehegt. Vielleicht auch – und dieser Gedanke zeugte noch von der alten Betriebsamkeit – würde Herr Blomengart sogar, um die Betretenheit nach solcher Erörterung zu überbrücken, von seinen ausgedehnten Räumen einen Winkel abzweigen für Herrn Pambels bescheidenere Firma und so die echte Volksgemeinschaft beweisen können, von der er hin und wieder groß geredet haben sollte.

Entschlossen betrat Herr Pambel den fast unversehrten Eingang der mächtigen Kontorfassade, trat in das von Marmor strotzende Vestibül und – blickte ins Freie, blickte über unabsehbare Schutthügel hin in eine Landschaft einsamer, zerspellter, hohlfenstriger Mauern und nackter, ausgeglühter, verbogener Eisengerüste, darüber in den qualmigen heißen Glast der Stumpf des Turmes einer alten Kirche ragte, der vormals schönsten der Stadt.

Also auch hier! murmelte Herr Pambel erschüttert, und er drosselte die aufschießende Genugtuung über die gleichmachende Gerechtigkeit des Unheils mit der Vermutung, Herr Blomengart habe nicht nur das kostbare Gemälde gerettet, sondern wohl auch wesentliche Teile des Betriebes rechtzeitig verlagert. Und das Unglück werde ihn wohl reif gemacht haben, nunmehr der Familie der verständnisvolle Gatte und Vater zu sein. Andere haben mehr verloren. Bili zum Beispiel, und ich Bili. Aber Bili hat ja schon Ersatz. Welche Verzweiflungstat: drei unmündige Waisen! Sie wird womöglich Herrn Blomengart als Vormund einsetzen, dachte er gepeinigt.

Da, mit einem elend hilflosen Seitenblick, merkte er, daß einige Leute an der üppigen Flurtäfelung lehnten. Er kniff die entzündeten Augen, murmelte: Guten Tag! und Wie furchtbar ist doch alles!, sah näher hin und fuhr zusammen. Es waren Leichname, ein halbes Dutzend, brettersteif gegen die Wand gestellt, wohl um sie so am besten aus dem Wege zu haben und für die, welche danach suchten, rasch erkennbar zu halten. Herr Pambel stand eine Weile nicht weniger gelähmt als in der Nacht vor der heranrasenden Feuersbrunst, und hier nun sang kein Vogel ablenkend und betört, nur die welke Geranie war da als Trost und fiel lautlos auf die Fliesen vor die verkohlten Füße der Armen, von denen vier nackt waren wie auf den Kirchenbildern der Auferstehung, und mochten wohl keine vierundzwanzig Stunden vordem noch junge lebendige Mädchen gewesen sein, zu vielerlei Wirken, Lust und Süße geschaffen, und es waren ihnen die kunstseidenen Sommerfahnen abgesengt und die lustigen Haare, darin an den Abenden und Sonntagen der Wind gespielt und die Hand vielleicht eines Liebsten oder gar des Chefs. Und Herr Pambel erkannte, daß einer der beiden anderen Toten, deren Anzugstoffe der fressenden Glut ein wenig besser getrotzt, Herr Konsul Blomengart sei.

Männer in grau gestreiften Jacken polterten herein, luden sich die Entseelten auf und schleppten sie auf einen Lastwagen, wo mehr davon lag. Der Geruch des verbrannten Fleisches und Zeugs mischte sich mit dem von Zuchthaus, Kresol und Schnaps. Der begleitende Polizist musterte Herrn Pambel scharf: Wollten Sie hier plündern? Herr Pambel wies, der Sprache nicht mächtig, hinter Herrn Blomengart her. Der Beamte meinte zu erraten: Nee, nee, Privatbestattungen gibt’s nicht mehr. Der Tote hat die Nummer – er blätterte in dem Pack Zettel, den er mit dem Handschuh hielt – Nummer 13 559. Etwaige Meldungen bei der Sofortstelle.

Bald danach kam Herr Pambel an dem Schaufenster einer Buchhandlung vorbei, die erhalten geblieben schien. Dort hingen Bilder von der Stadt, wie sie vormals gewesen. Ach, sagte er laut gegen das halb erblindete Glas, das ihn undeutlich als ein fremdes gebücktes Ungeheuer widerspiegelte: Ich möchte etwas über Landwirtschaft! ... Sein Blick fiel auf einen Titel, der hieß: Einsamkeit. Er nickte betroffen: Ist es das? Ja, das ist es, was für mich übrigbleibt. Und ihm fielen Bruchstücke der Verse ein, die Bili ihm empfohlen hatte, und er meinte, sie besser zu verstehen als zuvor, und er begann, indes er sich entfernte, darüber vor sich hin zu reden, als spreche er mit Bili.

Du siehst mich weich, Bili, sagte er über seine verbundene Hand hin und stolperte über einen Feuerschlauch, sprach aber weiter: Und das hat mit Feigheit nichts zu tun, im Gegenteil. Auch bedarf ich keines Trostes, sondern ich will klar sehen, und das kann man nicht aus Zeitungsartikeln oder Börsennachrichten; das hab ich vorher geahnt, aber es war mir bequemer, es bei der Ahnung bewenden zu lassen. Was läutet mir nun von dem, was du Klarheit und Trost genannt, ich aber verkappte Pastorei, was glitzert, nein, was dämmert mir da entgegen von Menschlichkeit, Güte und Milde? Nicht, daß ich eine Nutzanwendung auf meine Person erwarten möchte. Ich brauche nichts, es ist alles von mir abgefallen, was ich vormals als unumgänglich angesehen, und ich fühle mich entsprechend leichter. Das mag eine vorübergehende Täuschung sein. Vielleicht werde ich auch noch ans Heulen und Zähneklappern geraten wegen meines armseligen Bißchens, aber die Dämmerung bleibt, und selbst wenn ich mit Anklagen und Flüchen sie verscheuchen wollte. Und daß dergleichen hat geschrieben werden dürfen, Bili, uns zum Trost oder zum Hinweis in einer Form, die das, was man als Kind aus der Bibel erfuhr, auf eine Weise ergänzt, die uns das andere wieder nahezubringen vermöchte, daß also derlei nicht verboten wird in einer Ära, wo das Hurra jede Friedlichkeit zu übertrumpfen hatte, woran mag das liegen, Bili? Du hast es erwähnt, es liegt daran, daß man von einem Gestapobeamten nicht verlangen darf, gute Lyrik zu beurteilen. Daß aber an gewissen Behördenstellen, die Zensur zu üben hätten, hier und da edlere Geister sich hielten, die wußten, wie die Waffen der Wehrmacht und die Waffen der Wehrmächte der ganzen Welt auf die Dauer, verglichen mit allem Zarten und Innigen, einzuschätzen seien. Hab Dank, Bili! Und leb wohl! ...

Es dunkelte früh. Streiftrupps zogen durch die qualmigen zerstörten Straßen, das Gewehr bereit, wiesen ihn an, sich auf die Sammelplätze oder in einen Bunker zu verziehen. Einen Block weiter hallte ein Schuß. Meine Herren! Pambel hob die heisere Stimme: Menschlichkeit ist unser Ziel, auch das Ihre.

Wer plündert, wird erschossen! antwortete man ihm barsch, und ein Flintenkolben mahnte ihn zur Eile, seines Elends ungeachtet. Er bedachte, daß die Art des Zwischenhandels, wie er sie in blühenden Zeiten und wie alle Welt sie geübt, einem kaum getarnten Plündern nicht unähnlich gewesen sei.

Dennoch lebe ich noch! ermunterte er sich und gelangte auf die breiten Wiesenflächen, die der Menge sonst als festlicher Aufmarschplatz gedient; jetzt aber warteten dort Zehntausende Obdachloser auf den Abtransport ins ungefährdetere Landgebiet. Herr Pambel ließ sich in eine Lücke auf das zerdrückte Gras nieder. Seine Brandwunden und Prellungen quälten ihn heftig, aber er suchte es gelassen zu ertragen und sich das neue Leben vorzustellen, das Bili wohl zu führen sich anschickte. Würde er Teil daran haben dürfen? War er nicht all sein Leben lang einsam gewesen trotz allen Betriebes der Geschäfte, der Unterhaltungen und der Freundinnen? Ein neues Leben ... wie wollte Bili es nur anfangen? Bili, die er verscherzt hatte in seiner Abwehr gegen jede Veränderung des bequemen Daseins, das er geliebt. Nun hatte sie, ihrer Verlassenheit müde, sich eine Aufgabe zugelegt, eine andere als ihn, der es wohl hätte haben können, ihren Tränen nach, ihre eigentliche Aufgabe zu sein. Hatte er sich nicht tapfer gehalten, gegen das Feuer so gut wie gegen sie? Lösch das Dach, im Keller brennt’s!

Es fröstelte ihn trotz der Schwüle, die aus den glühenden Straßen quoll. Er hatte noch nie so viel nachgedacht, und es wurde ihm so gerührt als unbehaglich in seiner Grenzenlosigkeit. Freunde? dachte er: Freundinnen? Was hält mich noch? Wer weiß, wo sie geblieben sind, sie sind tot mit allem, was ich besessen habe, so oder anders. Und nun galt es, eine Auferstehung zu bedenken. Aber wo war es, das neue Leben, aufrichtiger, wesentlicher, inniger als bisher, weniger gierig, abgebrüht, neidisch und gedankenlos, als es dem Jahrhundert zum Verderben gereicht war rund um den mißbrauchten Erdball? Wo sollte er beginnen? So allein?

Aber unversehens, glühender als die feurige Sturmlawine schoß die Süße des Lebendigseins durch sein Gemüt, ohne viel Anlaß mitten im Anblick des Grauens. Er staunte die verbrannten Baumkronen an, die den Wiesenplan säumten, sah dahinter das Bild der zerschlagenen Stadt, sah die Scharen der um Hab und Gut Betrogenen, sah die rollende Kette der Fahrzeuge, die sich unaufhörlich mit der Fracht des Elends füllten, bestrahlt von der in rotem Dunste ungerührt sinkenden Sonne, und sah Bäume und Städte frisch ergrünen, sah Kinder springen und lachen, unvergänglich und immerdar.

Nur ich bin alt, sagte er sich, aber es war ohne Bitterkeit. Ihm war, als könne erst nun das rechte Genießen einsetzen der unendlichen Geschenke des Daseins, von denen er bislang nur die äußerlichsten bevorzugt hatte. Ihm wollte scheinen, daß er mit seiner neuen Ahnung von unerhörten, stillen, innigsten Lieblichkeiten selbst Armut und Hunger und Krankheit würde ertragen können, und selbst Spott und Verachtung, und er sehnte sich geradezu danach, von Herrn Blomengart noch einmal so verletzend abgefertigt zu werden, nur um zu beweisen, wie lächelnd und demütig gelassen er es nun hätte hinzunehmen vermocht.

Und daß er nun jemandem nachzutrauern habe, er, der noch niemandem nachgetrauert hatte, selbst seinen Eltern kaum, das erfüllte ihn mit seltsamer Begierde, so als lohne es sich schon dieser stillen zehrenden Trauer um Bili, das Leben liebzubehalten. Und der alte forsche Kavalier meldete sich noch einmal zu Wort in ihm, daß es doch schade sei, sie so entgangen zu sehen, jetzt, wo sozusagen er mit einem Heimatschuß davongekommen war und der andere und jeder andere tot. Er erhob sich fiebernd.

Aus einer Gruppe von Sanitätern, die betreuend umhergingen, sonderte sich einer und kam auf ihn zu: Mensch, Pambel, auch du? Es war einer seiner Bekannten von der Handelskammer, der freiwillig Dienst tat. Komm mit, sagte er herzlich, die Villa ist groß, kannst zwo Zimmer haben, besser du als irgendwer Wildfremdes, zusammenrücken müssen wir alle, und auch mein Kontor steht dir zur Verfügung, wir beackern den Balkan gemeinsam. Ich habe auch noch einen alten Anzug ...

Herr Pambel umarmte den Wackeren, so gut es ging. Ja, schluckte er, das ist echte Kameradschaft! Und er blickte über die Schulter des Freundes hin auf die Heimatlosen, die sich, von der Furcht der kommenden Nacht beschlichen, zu den Lastwagen drängten.

Ach, die Armen, dachte er, und auf einmal war es ihm, als gehöre er zu ihnen und dürfe sich nicht entziehen, da es nun von dannen ging in das Unbekannte, dürfe nicht leichtfertig sich zurückbegeben in ein bequemes Bett und die alten Gewohnheiten, in das alte Leben, in die alte Betriebsamkeit, als sei nichts vorgefallen als ein bißchen Verlust und Verdruß.

Wortlos löste er sich von dem Halt, den er eben gefunden, und er ging davon, schweigend in den breiten trüben Strom der Entwurzelten, und der Handelsfreund sah ihm kopfschüttelnd nach, wie er mühselig dahinhumpelte, wie er einem alten Manne sogar noch das Bündel tragen half trotz der behinderten Hände und in immer größerem Gedränge den Lastwagen zu entschwand.

Ein sonderbares, nie geahntes Glücksgefühl kam nun über Herrn Pambel, vergleichbar höchstens dem, das er empfunden, als er zum ersten Male die Weite des Meeres vom Segelboot aus vor sich gesehen; nun aber war es unendlicher, unsagbarer, unbegrenzter. Ihr, meine Brüder alle, hätte er sagen mögen, in Not und Elend und in der Heimatlosigkeit, meine Brüder und Schwestern alle! Ich will wie ihr dorthin und dorthin verschlagen sein und nicht klagen und will fröhlich sein, daß ich lebe wie ihr.

Als sei er der betört singende Vogel, der dem Käfig entflohen war, so war ihm zumute. Und er half bei den Lastwagen denen, die schwächer waren als er und es eiliger hatten und – er sagte es sich voll Mitleid – ängstlicher waren. Ihm war, als könne nie wieder je eine Furcht ihn befallen, und er überlegte, es wäre geratener, in der Stadt zu bleiben, wo zu erwartende neue Angriffe Mut und Hilfe erfordern würden.

Mitten im Gewühle aber, hin- und hergestoßen, begann er wieder nachzudenken, und er kam zu sich selbst zurück und setzte die Unterhaltung mit Bili fort, zweifelnd nun und begierig, ob er sie wohl recht begriffen habe. Wie denn verträgt sich dein Erlauschen der Geschichte aus der innersten Stille, wie du es genannt hast und wie es ähnlich in den Versen heißt, Bili, wie verträgt es sich mit deinem gefallenen Mann und deinen gefallenen Söhnen oder vielmehr – verzeih, wenn ich tollpatschig rede, es sind neue Bezirke für mich – wie vertrug es sich vorher?

Er blickte sich um, als habe ihn jemand gehört und wolle ihn verhaften. Schon wieder feige? lächelte er, und er reckte sich und sagte laut: Friede mit Euch! Aber niemand achtete darauf.

Und als er nun die Kette der Lastwagen, die als letzte die Stadt verlassen sollten, hinunterspähte, ob nicht irgendwo bei dem armen Gepäck mit anzufassen sei, seinen Kräften gemäß, da sah er über den lärmend sich hoch stauenden Ansturm, fern von sich, doch überdeutlich, am Ende der Wiese – und das Herz stockte ihm – jemanden im Strudel der anderen über das Gitter des letzten Wagens klimmen und, von hilfreichen Händen unterstützt, ein Kind hinterherziehen und noch eins und noch eins. Er stolperte darauf zu, hinkte, rannte über die zertretene Wiese, drängte, wühlte, stieß sich durch die quirlende Menge, erreichte den Wagen, eben, eben noch, krallte sich an, wie in das Gitter des Kanarienkäfigs, schrie auf vor Schmerzen und entschuldigte sich, wurde mitgeschleift, wurde von mitleidigen Fäusten ins Überfüllte hinaufgezogen.

Es wurde gänzlich Nacht, bis sie miteinander sprechen konnten, als nämlich einige fremdländische Arbeiter, die in einem Wäldchen nahe der Stadt dem nächsten Nachtangriff zu entgehen gedachten, ausgestiegen waren. Bili saß in einer Ecke, noch in ihrem Abendkleid und dem leichten Mantel, und die Kleinen schliefen, eng an sie gepreßt. Herr Pambel wußte gleich, was sie meinte, als sie sagte: Die beiden hatten sich den Abend versöhnt, aber eine Unruhe trieb sie zu den Kindern, und als dann der Alarm kam und sie die Kleinen im Keller gut behütet fand, hielt es sie nicht, sie mußte zu ihm zurück und ist direkt in die Mine hineingelaufen, die unser Haus auseinanderriß ...

Und er ... wollte Herr Pambel sagen, aber da sagte sie es schon, und sie drückte den Kopf krampfhaft gegen die Wagenwand. Der Wagen schütterte gleichmäßig dahin und übertönte gnädig, wie sehr das Schluchzen sie schüttelte. Es war, als weine sie das zu Ende, was sie den Abend vorher begonnen.

Und dies sind seine Kinder, sagte Herr Pambel, so zart er vermochte, ahnend, daß nunmehr eine andere Tapferkeit ihm leuchte als die, welche in Berichten rühmend erwähnt wird, oder gar die, allein zu sein oder still in der Allgemeinheit zu verschwinden, und er neigte die zersprungenen Lippen beschämt vor Glück, daß ihm eine solche Ehre zugebilligt sei.

Duft von reifenden Saaten wehte aus dem Dunkel. Hier war des Mordens kein Raum, und droben am unzerstörbaren Himmel, einbezogen in die Angst und Freude der Geschöpfe, pulsten die Sterne.

Hol über, Cherub

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