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5. Gewagter Übergang

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Speicher auf Mittelalter · Witt ist für Freihandel · Maiglöckchen gefällig · Trimmer Zyrax · Union, kein Unsinn · Ratte eine Falle? · Steinharte Tatsachen · Erster Gast bei Ballins · Warum immer Reitgerte? · Meyer hinreichend gestärkt · Der Agenturlümmel von damals? · Der zweite große Augenblick.

Am Zollkanal türmen sich die Stockwerke. Hamburg baut die Speicherstadt des Freihafens im Stil kräftiger Raubritterburgen. Laeisz meint, das sei ja im Grunde berechtigt, aber es brauche doch nicht jeder gleich zu sehen. Es sieht ja auch niemand. Jedermann freut sich über die gewaltigen Anlagen der zollfreien Lagerung, Verarbeitung und Veredlung, die da entstehen, und betrachtet alles als ein Wunderwerk der Wohlfahrt für Stadt, Reich und Menschheit. Höchstens der Direktor der Hamburger Kunsthalle, Alfred Lichtwark, hat ätzende Beanstandungen. Aber dem gefallen ja nicht einmal die großartigen Laternengalgen auf dem Jungfernstieg, die für seinen anspruchsvollen Blick so katastrophal aussehen wie ein Eisenbahnunglück.

Fritz Höger aber, der eines Tages Bedeutendes darin leisten wird, spielt noch auf einem Bauernhof bei Elmshorn im Sand. Und fast ein Vierteljahrhundert noch soll es dauern, ehe man den genialen Bremer Fritz Schumacher für die Leitung des Hamburger Bauwesens gewinnt.

Was Konsul Witt an der Freihafenpracht zu bemängeln hat, ist die Zollschranke. Er ist für Freihandel in aller Welt schon wegen der blöden Belästigungen durch die Zöllner, die grünen „Grashüpper“, und wegen der Zeit-, Papier-, Tinte- und Geldvergeudung. Aber das Vaterland braucht Mittel fürs Militär. Es hat Angst um seine rasch zusammengekittete Einheit und plötzliche Weltgeltung. Denn nichts ist leichter zu erregen als Neid, zumal zwischen Völkern. Als die Faktoreien zu Kamerun statt der Hamburger Drei-Türme-Flagge plötzlich die schwarzweiß-rote des Deutschen Kaiserreiches hißten, hat grinsend ein englischer Clerk zu ihm, Johann Witt, dem angesehenen Hamburger Plantagenleiter, geäußert: „Neight, nought, blood“ – Nacht, Nichts, Blut. Es konnte als unzweifelhafte Beleidigung des jungen Staates aufgefaßt werden. Aber damals hat Witt nicht mal viel anders gedacht, so sehr ist er Hanseat. Und nun wird das bis dahin recht selbstherrliche Hamburg auch noch völlig in den Zollpanzer des Reiches einbezogen. Ihm ist, als werde man künftig kaum noch Luft kriegen. Er hat sich für seine Firma notgedrungen einiges von dem werdenden Speicherraum vormerken lassen. Nie hätte er geglaubt, daß es so viel Firmen in Hamburg gibt. Die Zukunft deucht ihn nicht rosig. Fast ist er schon zu spät gekommen. Er ist zur Kur gewesen, ganze vierzehn Tage, zum erstenmal in seinem Leben; der Arzt hatte ihm Bad Gastein empfohlen.

„Maiglöckchen gefällig?“

Nun, das allerdings sieht rosig aus, das lächelnde Gesicht der jungen Vierländerin. „Deern!“ sagt er, „das erschreckt mich ja fast, so viel Mai auf einmal!“

In Gastein war noch gar kein Frühling gewesen.

Er salutiert mit dem Elfenbeinknauf, nimmt ein Sträußchen aus dem dargebotenen flachen Henkelkorb und schmunzelt: „So einen großen Strohhut sollte man eigentlich nach Afrika exportieren, aber ohne die steifen Schleifen aus Walfischhaut, die würden die Schwarzen doch nur essen, und dich dazu, min Lütten.“ Seine blaßblauen quellenden Augen scheinen selber einigen Appetit zu haben. Sie streicheln, indes er die Geldbörse sucht, über die blütenweiß gefältete Hemdkrause, über das hübsch vorgewölbte schwarze Sammetmieder, die daran klingelnden Silbermünzen und über die grüne Seidenschürze sachte hinunter, wo der rote Faltenrock, der Mode um fünfzig Jahre voraus, ein paar wohlgeformte Beine frei läßt, und das in einer Epoche, in der die weiblichen Wesen nach der Konfirmation unter bodenberührenden Säumen nur auf Röllchen zu laufen scheinen.

„Twintig Penn!“ lächelt kühl das säuberliche Bauernmädchen. Es stammt wirklich aus den Blumen- und Gemüsefeldern elbauf der Stadt, wo aus reichen Zeiten die Tracht an einer sonderlichen Rokokochinoiserie hängengeblieben ist.

Witt fühlt sich leider plötzlich abgelenkt. Durch Straßen-, Bau- und Hafenlärm schallt Musik vom Strom herein. Der Konsul zieht das kleine Perspektiv, das er stets bei sich trägt. „Was is denn das für einer?“ fragt er erstaunt.

Das Mädchen vom Lande weiß es nicht. Der schmucke Dampfer, der dort unter dem Marsch der „Stars und Stripes“ ausreist, hat über die Toppen geflaggt. Das winkt und wimpelt von Mast zu Mast wie lauter bunte Wäsche. Und auch das Deck ist zwischen gewichtigen Frachtkollis voll winkender Tücher. Dazwischen blitzt das Messing der Bordkapelle.

„Musik an Bord? Und voll is er auch?“ murmelt Witt. Er schüttelt den Kopf. „Die Sorte Kontorflagge hab’ ich nie gesehn. ‚Polynesia?’ das war doch mal eine Schatulle von Carr! Aber das is doch nicht seine Kontorflagge!“ Witt glühte jählings auf. „Potz Pampelmus und Penny! Der Trakehner is pleite!“ ruft er freudig.

„Nö, Herr!“ mischt sich eine knöhlige Stimme ein. Ein junger Trimmer, dessen leichte Schlagseite sich mit merklichem Grogdunst erklärt, greift in die Luft an einen unsichtbaren Hebel, so, als öffne er ein Feuerloch: „Das ist die Union, wenn der Herr es wissen will, das ist Carr und Sloman gekoppelt, und die fährt der Hapag über die Großschnauze wie ein Feudel am Sonnabend. Wenn die Hapag nich besser bezahlt, dann muster ich bei denen an.“

„Sind Sie etwa bei uns angestellt?“ Witt hißt die Brauen.

„Bei der Hapag? Bin ich, Herr. An die Kessel. Tief unten im Sottpüsterbauch, immer rin mit die dreckigen Steinkohlen in das feurige Höllenloch. Das müßten Sie auch mal, Herr, immer vier Stunden, ohne einen Tropfen Schampus und Kaviar, da geht der dicke Belly und Karbonadenfriedhof flöten ...!“

Witt unterbricht barsch: „Wie heißen Sie eigentlich?“

Das ist der Ton des Negeraufsehers von einst und wahrt zugleich die Würde des Firmenchefs und Aufsichtsratsmitgliedes.

„Flöten wie ein Umstand nach neun Monaten“, vollendet unbeirrt der Trimmer seine Metapher und wirft einen unzweideutigen Blick auf das Blumenmädchen. Die Grenze der Unterhaltung ist erreicht. Witt riecht gedankenverhalten an dem Sträußchen und geht. Der Trimmer äußert zutraulich hinterdrein: „Wenn der Herr sich das für die Aufbesserung meiner Heuer merken wollte? Zyrax, Trimmer Friedrich, Komma, August Zyrax ...“ Mit großem Schwung schlägt er die imaginäre Feuertür wieder zu.

Witt tippt mit dem Stockknauf an den Hut und entschwindet im Gewühl der Fuhrwerke.

„He hett gor nich betohlt“, sagt die Vierländerin.

Zyrax sticht einen Finger dem Enteilten nach. „Wein man nich, Lütten“, lallt er, „der entgeht dir nich. Dat is ook so een von de Ballonköpp mit ’n Smoltmors von de Hapagdirektschon. Dat is Hannes Witt. Hummel, Hummel! Un nu laß uns man ers mal einen heben, Deern, und dann kannst mit an Bord, in unser Roof is das bannig moi, und wenn ich denen so zuzwuster: Raus! Dann flutscht alles, und dann sünd wi ganz und gar ungestört, gut Nacht bis morgen früh klock acht ...“ Aber das Blumenmädchen ist inzwischen gleichfalls verschwunden.

Johann Witt denkt, bis zur Börse ist noch eine Stunde Zeit, also Gelegenheit, sich die nötige Frühstücksunterlage für den Wirrwarr der Geschäftsmeinungen zu sichern und sich den neuen Unionsdampfer mit einem guten Schoppen aus dem Gemüt zu spülen. Er peilt Richtung Baumwall auf die Ecke Stubbenhuk zu, wo sich die angestrebte Taverne befindet. In Sicht des Eingangs stößt er auf John Meyer, der, schon mantellos, den gleichen Kurs steuert. „Sehn Sie sich das bloß mal an, Meyer!“ sagt er empört und deutet auf den entschwindenden Dampfer: „Die Union-Linie!“

„Unsinn, Unionsinn!“ scherzt Meyer, das Ion dem Orkus so gnadenlos unterbetont überantwortend wie die Wissenschaft den mythischen Stammvater der Ionier.

„Moigen, moigen!“ grüßt ein vorbeieilender Spediteur: „Die Union hat ihre nächsten drei Wochenendabfahrten schon bis untern Schornstein ausverkauft.“

„Allens Bluff!“ ruft ihm John Meyer nach.

„Nee, Meyer!“ sagt Witt und nimmt eine Beruhigungszigarre. „Die müssen wirklich einen ekelhaft fixen Passageleiter haben. Und wir sind nu schon das zweite Jahr ohne Dividende.“

„Kommt allens wieder, Konsul!“

„Mit Ihrem Herrn Ratte gewiß nicht.“

„Das allerdings ist mehr eine Falle gewesen“, gibt Meyer trübe zu.

„Und der Lloyd blüht ohne ihn desto besser.“

„Ist schon an die Luft gesetzt, Herr Witt.“

„Und was nun?“

„Abwarten und Tee trinken, hat sogar Woermann gesagt.“

„Glaub’ ich gern; der macht nur noch eigene Perzente. Wie ist es mit Carr?“

„Mit Carr sprech’ ich nicht mehr seit der Sitzung im Hamburger Hof, wo er so stur angegeben und sich die zehn Mark billigeren Tickets gesichert hat, bloß weil seine Frachter Frachter sind und langsam wie ’n Droschkengaul in Sirup. Wo aber dennoch seine Zwischendecker das ganze Schiff für ’n Komfort haben. Hat man ja eben gesehn, die dürfen ja wohl überall hin, und stehn wohl noch dem Käptn unterm Allerheiligsten herum.“

„Das is modern, Meyer, das nennt man soziale Betreuung. Nachmachen, Meyer.“

„Ist die Hapag vornehm oder nicht, Herr Witt?“

„Hilft nichts, Meyer, Sie müssen mal hingehn.“

„Zu Carr? Ich? Dem ins Kontor kriechen? Konsul! Eher regnet’s Kabeljau!“

Der Zufall will, daß die beiden in diesem Augenblick an einem haltenden Lastwagen vorbeikommen, auf dem der Kutscher ein Faß grüner Heringe zur Hälfte in einen Korb für das angesteuerte Lokal entleert. Durch die entsetzte Gebärde des ragenden Hapagdirektors abgelenkt, versäumt er, genau zu zielen. Ein Schub Fische ergießt sich über Korb und Wagenrand hinweg, geradewegs mit Kurs auf John Meyers Hut.

„Gottsverdorigen Donnerstag!“ flucht Meyer und zuckt noch eben zur Seite.

„Und wenn’s Matjes sind, das Schicksal ist gegen Sie, Meyer. Hören Sie die Musik, die die an Bord haben? Die hört man noch von Altona her. Der Sternenbannermarsch, indes der Stern der Hapag versinkt.“

Meyer sucht Halt an Witts Schulter. Jetzt merkt man, wie sehr er mit der Reederei verwachsen ist, in die er vor langen Jahren als Lehrling eintrat. Er röchelt geradezu vor Bestürzung. Dann faßt er sich und scherzt: „Wenn Carr uns aufs Trockne schieben will, hilft nur noch, daß wir es gehörig anfeuchten.“ Und er lenkt seinen Mitbetroffenen auf das malerische Fachwerk des „Old Commercial Room“ zu. Gerade vor der Tür erwischt die Vierländerin die beiden. „Herr Witt“, sagt sie mit schönstem Erdbeerlächeln.

Witt entsinnt sich des Sträußchens, es steckt im Ausschnitt seiner seidenen Weste. Und die Börse hat er noch immer in der Hand, so sehr hat ihn das Unionsereignis mit Beschlag belegt. Indes er zahlt, nimmt Meyer eine Duftprise kostenlos aus dem Körbchen, und sein gewürzter Atem streicht genießerisch über den prallen Arm des Bauernmädchens.

„Molliger Käfer!“ säuselt er.

„Hat sich ausgemollit!“ belehrt ihn Witt. „Die Tatsachen sind steinhart.“

Ein zarter Ellbogenruck trifft Meyers Whiskynase, er schnellt ins Senkrechte zurück. „Hapischa!“ sagt er tragisch. „Nur nicht schwach werden, Konsul.“

Kraftvoll stemmt er die Tür des Lokals auf. Warmer Braten- und Grogdunst schwelt ihnen entgegen.

Witt schickt den schwarzbestrumpften Beinen der Vierländerin noch ein Auge nach. Dann folgt er dem Hapagdirektor und meint zwischen Tür und Angel gedämpft: „Wir müssen Carr schwächen!“

„Schicken wir ihm ein Dutzend solche Deerns auf seine Reitbahn!“

„Sie müssen ihm den Passageleiter ausspannen!“

„Ich? Herr Witt, das wird allerhand kosten.“

„Und wenn wir sein Gehalt verdoppeln?“

„Ich meine an Whisky, Konsul, zu meiner Stärkung.“

*

Das kleine Gartenhaus in der Heimhuderstraße ist für große Gesellschaften nicht geeignet. Es sind bisher auch nur die Verwandten zu Besuch dagewesen.

„Nur gut“, sagt Marianne, „noch sind wir am liebsten allein zu zweit.“

Gern hätte sie allerdings ein paar von ihren verheirateten Schulkameradinnen die reizenden Biedermeiermöbel des Wohnzimmers gezeigt, auch das Badezimmer, genau nach englischem Vorbild, Savoy-Hotel, die Badewanne aus nelkengeblümter Majolika mit einem komfortablen, gleichfalls geblümten W.C.

Aber bislang sind die Einladungen immer mit Ausflüchten abgelehnt worden, und Albert sagt: „Mariannchen, das ist wie bei der Fracht: „Einladen nur, wenn Annahme sicher. Solange lassen wir’s lieber!“

Seinerseits lehnt er ab, von ihrem Vater Zuschüsse anzunehmen. Er will alles selber bestreiten, und darum können sie vorerst nicht mehr als ein Dienstmädchen halten. Da es geraten scheint, endlich den Reeder Edward Carr wenigstens der Form nach einmal ins Haus zu bitten, ist es nur zum Tee.

Er sagt zu.

Damit ist er der erste fremde Gast, der zweifelsohne zur Hamburger Gesellschaft gehört. Wenn schon ein Generalkonsul angeheiratet worden ist, geht es denn ja auch, denkt Carr. Er hält es auch für besser, den Teilhaber bei Laune zu halten, solange der Verkauf der Schiffe nicht abgewickelt ist.

Gegebenenfalls kann er der blonden Ehehälfte, die anscheinend wirklich wie Isolde geliebt wird, einen Wink geben, den Eifer ihres Gatten zu zügeln. Zum Beispiel dieses Blasorchester an Bord in die Propaganda zu werfen, das ist doch wohl ein himmelschreiender Luxus.

Marianne bemerkt mit Befremden, daß Carr die unvermeidliche Reitpeitsche, die er wie einen ständigen Ausweis des High Life bei sich führt, keineswegs in der Kleiderablage läßt. Er nimmt sie wie einen Marschallstab mit in die Veranda, wo der Tisch zierlich gedeckt ist. Albert selber hat das Arrangement aus Blumen und Porzellan besorgt. Er hat darin einen natürlichen Geschmack.

Carr legt die Reitpeitsche in Reichweite aufs Kanapee und begegnet dem erstaunten Blick der Hausfrau ungeniert durchs Monokel.

„Talisman, gnädige Frau“, knökelt er durch die Nase, „für jeden Zu- und Überfall. Sie werden lachen. Bin ich letzten Winter irgendwo auf dem Balkan in bestem Hause zu Gast, ganz harmlos beim Tee. Die Hausfrau, liebreizend wie hier, der Hausherr etwas nervös. Ich merke, daß ich my little Switch wie stets unterm Arm habe und daß der Knauf – Sie sehen, es ist ein silberner Totenkopf –, eben unter meiner Achsel hervorlugend, anscheinend Ursache einer leicht geladenen Stimmung ist. Geniert es? frage ich. Oh, nein, lacht die Dame des Hauses, kohlenäugig und perlenzähnig. Nein, Mister Carr, solch Symbol wie Ihr Peitschenknauf erinnert höchst angenehm daran, daß wir noch lebendig sind. Im gleichen Augenblick fallen Schüsse. Ich springe auf und habe gerade noch Gelegenheit, mit wohlgezieltem Hieb der Gerte einen Halunken zu erledigen, der mit gezückter Pistole ins Fenster springt, um dann über die Leichen meiner Gastgeber das Haus zu verlassen.“

Nach dieser anekdotischen Einleitung ist es nicht schwer, sich dem Mokka zu widmen, den Carr statt Tee bevorzugt. Plötzlich aber sagt er aus heiterem Himmel: „Wir reiten ins Unglück, Ballin.“

Marianne pariert geschickt: „Halten Sie sich ein Reitpferd weniger, Herr Carr.“

Albert Ballin merkt, daß hier weitere Ablenkung nicht ratsam ist. Er nickt seiner Frau gelassen zu und sagt dann nüchtern: „Gewiß, Herr Carr, Sie hätten der Hapag voriges Jahr die vier Schiffe für ein Butterbrot in den Rachen werfen sollen!“

„Hätt’ ich nur!“ entgegnet Carr bissig.

„Warten Sie noch zwei Wochen.“

„Sie haben Humor! Ich werde nach England verkaufen.“

„Da hört allerdings der Humor auf. Wissen Sie, daß John Meyer sich bei mir angemeldet hat?“

„Ballin, der hanseatische Dünkel der Hapag, in Meyer verkörpert, ist so groß, daß die sich lieber selber zugrunde richtet, als uns etwas zu gönnen und erst recht einen Schritt in unser Kontor zu tun.“

„Jeder Hanseat und selbst dieser im Grunde nicht dumme Herr Meyer weiß gut, daß navigare necesse est, vivere aber erst recht: denn ohne Leben läßt sich keine Schiffahrt betreiben.“

„Aber es läßt sich ohne Schiffahrt leben, mindestens in Einzelfällen.“ Carrs Hand greift in Richtung der Reitgerte.

Marianne lächelt: „Ohne Schiffahrt? Albert nicht!“

„Dann baden Sie es allein aus, Ballin!“ sagt Carr.

„Gut!“

„Wieso, wollen Sie meine Flotte übernehmen?“

„Nicht mehr als bisher, aber ich hoffe, Ihnen schon heute abend Genaues telefonieren zu können. Jetzt muß ich leider ins Büro. Marianne, ich empfehle meinen Gast deiner Obhut.“

Carr springt auf: „Was denken Sie, Wertester, das ist ja fast wie der Überfall auf dem Balkan. Diesmal würde wahrscheinlich ich auf der Strecke bleiben. Gnädige Frau, darf ich Ihren Herrn Gemahl begleiten?“

Doch schon im Vorgarten entschließt sich Carr, die Auseinandersetzung mit John Meyer seinem Teilhaber allein zu überlassen.

*

Direktor Meyer hat sich hinreichend gestärkt. Er betritt den Raum der Columbia-Agentur, wo er sich notgedrungen angemeldet hat, mit Unbehagen. Nach den mannigfachen Kuriositäten blickt er sich in dem Gefühl um, als werde er von seltsamen Dämonen belauert. Das beeinträchtigt jedoch keineswegs seine herablassende Haltung, die er vordem zu Hause vor dem Spiegel geübt hat, beargwöhnt von seiner quecksilbrigen Frau, die wegen ihrer Chansonettenkarriere nicht ungeeignet ist, schauspielerische Leistungen zu beurteilen. Seit ihr Mann Direktor ist und sein Gehalt sich bescheiden genug erhöht hat, neigt ihr leichtes Temperament zu fürstlicher Verschwendung. Die beiden schulpflichtigen Söhne glauben den Moment gekommen, wo sie allen Lehrern und Peinigern ein Schnippchen schlagen und ihre Vormittage besser am Hafen verbringen können.

Es ist erstaunlich, wie John Meyer die familiäre Belastung abstreift, sobald er die Schwelle seiner Tätigkeit betritt. Es erklärt aber auch seine Neigung zu schottischen Trostgetränken.

Im Vorraum hat er einen Angestellten nach dem Reeder Carr gefragt und seiner Stimme den zutraulichen Ton eines Vollstreckungsbeamten gegeben, obgleich er weiß, er wird dem Reeder Carr hier nicht begegnen. Auf alles gefaßt, sieht er das Bild des kleinen Agenten im Konfirmationsanzug deutlich vor sich. Der Mann jedoch, der ihm entgegentritt, dessen Dienste er vor ein paar Jahren verächtlich abgelehnt, hat sich gewandelt. Meyer steht einem Gentleman gegenüber. „Herr ... Ballin?“ stottert er: „Meyer.“

Gewinnend sagt Ballin: „Nehmen Sie Platz, Herr Meyer.“ Er rückt ihm einen bequemen Stuhl hin.

Meyer verzichtet vorerst. Er will lieber auf Abstand halten bei dieser peinlichen Wiederbegegnung.

„Etwas zu rauchen? Oder einen Hennessy, Herr Meyer?“

Meyer schüttelt würdig das Direktorenhaupt. Er kneift die Lippen wie einer, der nicht voreilig etwas von sich geben will. Schweigend fixiert er das Plakat, das vormals seine Kampfansage frech der Hapag auf die Front geklebt hat und das nun vergilbt, wenngleich es noch immer mit geschwollenem Dampferqualm die Konkurrenz herausfordert. Daneben leuchtet aufreizend das nicht minder laute funkelnagelneue Plakat der Union-Linie.

Ballin wartet geduldig.

„Ich wollte eigentlich mit Herrn Carr sprechen“, beginnt Meyer gedehnt.

„Herr Carr hat mich gebeten, die Verhandlungen zu führen. Ich bin soweit im Bilde, Herr Meyer.“

Meyer holt gemessen Luft und äußert dann jovial: „Na, dann können wir ja noch mal über die angebotenen vier Dampfer sprechen.“

Erst jetzt setzt er sich gemessen auf einen brüchigen Plüschstuhl.

Ballin legt die Fingerspitzen zusammen, die Hand wölbend wie über der Kugel der Welt. Es ist ein großer Augenblick, da er nun freundlich erwidern darf: „Sehr nett, Herr Meyer. Es sind allerdings jetzt zwölf. Und wir haben es nicht mehr so eilig.“

Meyer wäre am liebsten sofort wieder aufgesprungen, aber er ist wie gelähmt vor dieser sanften Stimme. Er nimmt eine Zigarre, er kippt sogar einen Kognak, und dann spricht er über das schöne Wetter. Selbst Ballin findet, daß dieser Mai bislang besonders angenehm verlaufen sei.

Meyer wirft einen Blick zur Seite, von wo der Betrieb der Passage lebhaft hereintönt. „Haben Sie denn kein Privatkontor?“ fragt er und schnuppert nach Oberwasser.

„Warum?“ lächelt Ballin, „wir halten die Unkosten vorläufig klein, und so bin ich immer mitten im Betrieb.“

„Zwölf Dampfer Union-Linie!“ seufzt Meyer, es soll geringschätzig klingen, aber es bricht wie ein Klagelaut aus ihm hervor. Er richtet sich steil auf, er tut einen gedankenvollen Tabakzug. Und danach erst vermag er das Folgende herauszubringen, als handle es sich höchstens um ein Faß grüne Seife. „Sagen Sie mal, Herr Ballin, wollen Sie nicht die Passage der Hamburg-Amerikanischen Packetfahrt-Aktiengesellschaft übernehmen?“

Ballin antwortet nach gebührender Weile: „Sie meinen auch, Herr Meyer?“ Er betont das „auch“ ein wenig.

Es ist der zweite große Augenblick in seinem Leben. Er kommt unvorbereitet, aber findet ihn gelassen.

Meyer fühlt, daß etwaige Zweifel die Dornen des eingeschlagenen Weges nur spitzer machen würden. Er zwingt sich ins Strahlende. Schließlich handelt es sich ja nur um einen Angestellten. Und somit lächelt er wie King Lear bei der Schenkungsurkunde: „Wir würden es mal versuchen, Herr Ballin.“

Ballin mißgönnt ihm den Tonfall nicht. Er entgegnet schlicht: „Ganz meine Ansicht, Herr Meyer. Es müßte sich erst herausstellen, ob wir zueinander passen.“

Oho, klingt das etwa nach Gleichberechtigung? Meyer erhebt sich steif. Er müsse den Vorschlag erst unterbreiten. Oder sei etwa eine Fusion gemeint?

„Vielleicht nur eine beiderseitige Dienlichkeit betreffs Passage und Fracht, Herr Meyer.“

Aha. Meyer spürt, daß hier einzulenken ist. „Unter einheitlicher Leitung etwa?“

„Ja.“

„Ich muß Sie schon bitten, Ihre Bedingungen schriftlich einzureichen, Herr Ballin.“

„Nach Rücksprache mit Herrn Carr, gern.“

Meyer überwindet sich zu einem Ausstrecken der Hand. Ballin ergreift sie ungeziert und herzlich. Mögen die Herren Meyer in aller Welt sein, wie sie wollen, nachtragen ist unklug, selbst wenn man es sich leisten könnte. Er weiß zudem gut: die Union ist allein nicht lebensfähig. Er weiß es noch besser als Carr.

Herr Meyer aber geht, ein hoffnungsbanges Stoßgebet unterm Hut; denn er seinerseits weiß, was selbst der Aufsichtsrat und selbst der gewiegte Konsul Münchmeyer nicht ahnen, daß nämlich die Hapag dicht vorm Konkurs steht.

Des Kaisers Reeder

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