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Die Insel der Roaring Forties

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„Ahoi!“ rief der Admiral, und so war es auch diesmal. Er griff in seine Bartharfe, daß es tönte wie Sphären- und Äolsgeflüster, und die Brandung verebbte um den Stammtisch zur Duftenden Kompaßrose.

„Roaring Forties“, sprach er schimmernden Auges: „Wer denn kennt sie nicht, meine Herren, die brüllenden Vierziger, die Breiten hinter Tristan da Cunha, die verhangenen Himmel, die launische Witterung, die wilden Ausbrüche unvorhersehbarer Böen und die auf unersättliche Opfer gierige See.

Das Wasser zerfraß die Nähte der Planken und wusch mein bekotztes Logis wieder klar ...

So sang Rimbaud, der Frühvollendetste aller Seefahrer, Waffenhändler und Poeten in seinem Trunkenen Schiff.

Es gibt Familien, die derlei auch zu Hause erleben mögen, geschart hinter eine sozusagen Isolde da Cunha. Wehe dem Verwegenen, der gezwungen ist, die Stürme ihrer Breitengrade zu durchkreuzen. Weihen wir einen Schluck, meine Herren, denen, die in den atmosphärischen Störungen jener Gebiete und Gebieterinnen litt- und leiden. Nie habe ich an die Walpurgisnacht geglaubt und an den Hexentanzplatz des Brockens. Dafür glaube ich an die Insel der Roaring Forties, was einem Seemanne nach- und einzusehen kaum versagt werden dürfte.

Ich war noch Schiffsjunge, als ich zum ersten Male etwas von dem erfuhr, was der Sinnlichkeit durch die Vorschaltung des merkwürdigen Wortes Über verborgen ist. Wir hatten auf dem unermüdlichen Schwell der Westwinddrift via Kapstadt Tasmanien und Neuseeland gestreift und wollten um Kap Horn zurück nach Haus, als uns zwischen den Eilanden Bouvet und Gouph das Frischwasser ausging. Das ist bekanntlich auf See schlimmer, als wenn das Wasser zum Grog fehlt, und nichts beweist die Erbärmlichkeit der menschlichen Kreatur schlagender, als daß sie inmitten Ozeanen von Wasser glattweg zu verdursten vermag, anstatt sich, wie neuerdings die Vegetarier, rechtzeitig an das Trinken von Seesalz zu gewöhnen. Brrrr! meine Herren, ich schüttle mich mit Ihnen, und dennoch, es ist was dran, und wes Los unter uns hätte es nicht sein können, wenn auch endgült- und einmalig:

Da muß ich versinken,

den Meerwein trinken ...?

Nun gut, wir sind noch einmal gelandet. Aber damals waren wir unrettbar so weit, daß wir unseren vom Himmel verliehenen Eigenquell genossen hätten, wäre nicht auch der längst versiegt gewesen. Jedermann wird unsere Freude begreifen, als wir plötzlich auf 25 Grad westlicher Länge und 44 Grad südlicher Breite eine Insel auftauchen sahen. Sie fand sich zwar auf keiner Karte, aber das hinderte uns nicht, alsbald ein Boot auszusetzen, und ich sprang mit hinein in Furcht, die an Bord Bleibenden würden in jener unbeschreiblichen Gier, die der Erfüllung voraufgeht, ihre Drohung wahr machen und mich um meines bißchen Blutes willen, das ihnen wie Rotwein vor den verdorrten Kehlen gaukelte, schlachten.

Die Insel schien gewölbt und saftig, und die Ufer waren wie von feinstem Tüll umbrandet. Wir suchten einen gängigen Landeplatz, jumpten an Land und fanden uns jählings umringt — und das von einer Schar Frauen, die freudig auf jeden der Matrosen, Bootsleute und Leichtmatrosen Beschlag legten. Im Handumdrehen war die gesamte Bootsmannschaft nebst Steuermann zwischen den wilden Gebärden der Damen verteilt, fortgerissen und ins Innere der Insel verschlungen. Der Landeplatz war leer bis auf ein paar von Freudentränen genetzte Spitzentaschentücher. Ich stand verlassen und allein — denn ich war ja noch ein schmächtiges Bürschchen —, was mir später nicht mehr passiert wäre.

Gelangweilt ging ich am Gestade umher, sah seltsame Blumen, darunter einige von Baudelaire, auch unheimliche Tiere, die aus der Anstellung als Wasserspeier vom Ulmer Münster beurlaubt schienen, mich aber hier erquicklichst aus ihren Mäulern tränkten. Schließlich erklomm ich den Hügel, der die Mitte des Eilandes schmückte und dessen pralle Form mich an nichts als einen Pudding gemahnte; denn ich war ja noch klein. Von hier oben sah ich, daß die Insel einem Teller ähnelte, der etwas heftig aufgewaschen und somit am Rande hier und da angestoßen schien.

Von unseren Leuten sah ich vorerst nichts, bis daß sie urplötzlich aus Hütten und Höhlen hervorbrachen und in vollem Galopp mit schlotternden Gliedern zum Strande eilten, verfolgt von den Horden ungezügelter, nach ihnen die Hände ringender Damen. Nun, ich schämte mich meiner Kameraden nicht wenig, waren sie doch sonst stramme Maaten, die weder den Kapitän noch den Koch noch — wie sie behaup- — den Teufel fürchteten.

Indessen sah ich zu meinem Schrecken, daß sie ins Boot entwetzten und, ohne sich nach mir umzusehen, zum Schiffe zurückruderten. Ich rief, ich winkte, ich weinte, vergebens; die Entfernung war zu groß, und Nebel stieg auf, und nur die Damen hört- und sahen mich, und, da niemand sonst mehr vorhanden war, wandten sie alle sich mir zu, nebst ihrer Huld und Liebe.

Meine Herren, Sie werden verstehen, wenn ich einiges übergehe. Sollte einem von Ihnen das Grausen der Seeschlachten nicht aus Erfahrung bekannt sein, so möchte ich die Erinnerung an solche milde als Vorhang für die zunächst fällig gewesenen Bemerkungen benutzen. Der unsterbliche Tibull sang in seinen Elegien.

Blut und Salzschaum, das wars, woraus Venus entstand ...

Damit kam dieser Poet, obwohl mehr fins- und muntere Landratte, der Psyche der Marinen aller Sorten, ziemlich viel nähere als andere, die Mars und Neptun heranziehen. Inzwischen darf ich die Schilderung aufreibender dreier Monde bitten, als genossen zu betrachten, die ich mich auf jener Insel aufhielt. Robinson, als er sich nach einem Besuch Hamburgs mit zweiundsiebzig Jahren zu verehelichen entschloß, bezeichnete ein solches Unterfangen, wenn man Francis Jammes glauben darf, als:

Die Insel der wildesten Schrecken.

Nicht ganz so erging es jemals mir. Dennoch hatte ich für den Anfang mehr als genug gelernt inmitten all der so zooals unlog- wie auch botanischen Seltenheiten des Roaring Forties Eilandes.

Eines Tages nun, eben vor Sonnenuntergang, bemerkte ich, wie sich die Insel langsam aus dem Meer erhob und schwebend Kurs nahm auf die fünfziger Breiten, die Foggy Fifties zu. (Kein Wunder übrigens, daß von hier die Sage der Fliegenden Untertassen ihren Ausgang nahm.)

Aufs höchste entsetzt, wahrscheinlich für immer aus schiff-fahrtsbesuchten Gewässern und der Heimkehr enthoben zu werden, spähte ich, über den Rand hängend, in die wogende Tiefe. Da entdeckte ich einen Walfänger, der just unter der Insel durch die See stampfte und eine Mondfinsternis zu erleben meinte. Ich aber wäre wohl auf ewig dieser illustren Tafelrunde vorenthalten geblieben, hätte ich nicht geistesgegenwärtig mich aus Hunderten von flehenden Armen losgerissen und — hilf Gott — den Sprung gewagt.

Obgleich ich trotz bester Ernährung so fadenscheinig geworden war wie eine Flocke Bierschaum und fast ins Unwiederbringliche davongeweht wäre, hatte ich doch bei schärfster Berech- von Entfernung und Abdrift das Glück (welches ja bekanntlich die Mathematik des Unbewußten ist), mit beiden Händen in der Antenne des Dampfers zu landen, von wo bis zur Brücke zu hanteln dann eine Geringfügigkeit war.

Allerdings glaubte man — anders als hier — meinem stockenden Bericht nicht, sondern sagte mir auf den Kopf zu, ich sei als blinder Passagier meinen Eltern ausgerissen und habe die Reise bis dato im Ausguck verborgen mitgemacht. Schließlich ließ ich alle bei diesem Glauben und erlegte manchen Walfisch.

Denn betreffs Damengeschichten Kavalier zu sein und dem Schweigen obzuliegen mehr als den üblichen Übertreibungen, das zu pflegen ist uns, meine Herren, so klar wie der bedeutende Inhalt dieser unserer Gläser hier, und somit besiegle dieser Zug, bei dem die Rede sowieso im Schlunde verharren muß, dieweil sie hinaus, er aber hinein will, unsere mannhafte Einsicht.

N.d.P., meine Andächtigen — na, denn Prost!“

Die Groggespräche des Admirals von und zu Rabums

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