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Klefots kleines Hotel lag zwischen Hafenstraße und Bernhardstraße. Es hatte zwei Eingänge, was bei nötiger Aufsicht allemal praktisch ist in Flut und Ebbe des internationalen Verkehrs einer Welthafenrampe. Die besten Zimmer gingen nach Süden und hatten eine fabelhafte Aussicht auf den Hafen. Hier wohnten vorübergehend Angehörige von Schiffsoffizieren, auch solche selber, wenn der Wechsel des Dienstes eine kurze Landpause ergab und das Zuhause nicht ohne Umstand erreichbar war. Manchmal, wie jetzt zum Beispiel, auch Auswanderer. Geschäftsreisende, die mit dem Hafenbetrieb zu tun hatten, begnügten sich mit den Nordzimmern, in deren Fenster nichts als die unbesondere Gegenseite der Bernhardstraße blickte.

Der kleine Artist Paduzek wohnte ganz oben unter einen schrägen Dachfenster. Er sah durch dieses in den dunstigen Hamburger Himmel; doch wenn er mittels Klimmzug oder vom Stuhl oder Tisch aus den Kopf über den geöffneten Simsrand erhob, konnte er die Pontons der Fähre VII, den Strom und das ganze Kuhwärder Werft- und Industriegelände übersehen.

Die kleine Kammer war von einem eisernen Bett, einem Waschständer, einem Tisch und Stuhl und einem riesigen Artistenkoffer ausgefüllt, so daß man wie auf dem Seil mit den Füßen hintereinander gehen mußte und zudem sich in acht zu nehmen hatte, nicht auf die beiden gelben Schildkröten zu treten, die Paduzek mit Liebe pflegte.

Eben stand Paduzek vor dem halbblinden Spiegel, den Rasierapparat in der Hand, und betrachtete sein mit Schaumsalbe bestrichenes Gesicht. Die Schwermut der Jahre und das Verächtliche an dem, was sein teilweiser Broterwerb sein mußte, war über ihn gekommen, und seine Neigung richtete sich auf eine angesehenere Lebensstellung.

Bislang war er den Federungen des Schicksals ohne viel Widerstand ausgeliefert gewesen. Er hatte sich angepaßt. Sein Vater hatte eine Steindruckerei besessen, und auch der Sohn hatte zeichnen und drucken gelernt. Der Vater hatte die Sehnsucht nach dem Künstlerischen in sich mit ehrbarer Handwerksarbeit zur Ruhe gebracht. In dem Sohn glaubte er, sie aufleuchten zu sehen, und hatte die Flamme geschürt, das Erbgut überschätzend, hatte sich für seinen Sohn auf Kunstgewerbeschulen und Akademien es reichlich Geld kosten lassen und hatte das Zeitliche verschuldet gesegnet. In seiner Sterbestunde schon war es klar, daß der Name Paduzek nicht geeignet sei, in der hoffnungsfrohen Zusammenstellung mit dem Vornamen Michel, jener klassischen Ergänzung Angelo einen modernen Gegentrumpf zu bieten. Der kleine Michel Paduzek verbummelte.

Sein akademisches Steckenpferd war weniger die Malerei als der Atelierfeez gewesen, wobei er als Jongleur- und Saltoschlager sich mit mehr Erfolg behauptet hatte als in höheren Gefilden. Sowie nun das väterliche Monatsgeld ausblieb, geriet Michel Paduzek mit Mühe an einen Wanderzirkus. Er lernte dort als harte Arbeit erkennen, was bis dahin Ulk gewesen war, gelangte zu gewisser Tüchtigkeit und errang mit einer Sondernummer im Fahrrad-Salto, die er auch auf kleinem Podium auszuführen verstand, beachtliche Anerkennung. Als »the Looper« hatte man seinen Namen manches Jahr hier und da im Programm der mittleren Varietes beider Kontinente gesehen. Auch in Hamburg war er damals mit Erfolg aufgetreten, brach aber bald darauf im Colosseum zu London das linke Ellenbogengelenk.

Später in London-Soho hatte er den Herrn von Ploß kennengelernt. Es war sieben Jahr her.

Und diese sieben gehetzten, geduckten, wechseldurchstürzten Jahre zogen rasch an Paduzeks halbrasiertem Spiegelgesicht vorüber und füllten die schon freie Wange mit noch tieferem Schatten. Der stumpfe Metallglanz seiner runden Augen erlosch gänzlich.

Von unten aus dem Vorraum des Hotels stach eine schrille Lache auf. Paduzeks breite, dünne Ohren bogen sich lauschend zur Tür.

»Die zum Sekt? Meent dein Mudder valleicht, den schnasseln wir hier aus Weißbiermollen?«

Das war Lullas, der Barkellnerin, hohe Stimme, die zumeist zu laut war und erst hinter dem Schenktisch sich aufs Schnurren zu verlegen pflegte. Danach war eine stockende, empörte Knabenstimme vernehmbar:

»Mein — mein Mudder? — Mein Schwester hat mir die eingepackt und —«

Die Außentür schlug zu. Lullas Gelächter gellte hoch hinterher.

Paduzek verzog das Gesicht in ein unbehagliches Grinsen. Er sah aus wie der Teufel, aber sein Herz war vom richtig Teuflischen zeitlebens weit entfernt gewesen. »Satan!« fauchte er und bedauerte, nicht zum ersten Mal, kein Satan zu sein.

Ihm war der Vorgang, der sich da an der Hoteltür außer Sicht abgespielt hatte, vollkommen klar. Ploß wollte den Abend mit zwei eiligen Kunden zusammentreffen, die schon im Hotel wohnten; es handelte sich um ein bedeutendes Geschäft, und er hatte, da eine Dame dabei sein würde, Pfirsiche zum Sekt bestellt, und zwar bei Thormann.

Bei Thormann. Obst, Gemüse und Konserven.

Paduzeks Gebärde erstarrte ins Gewöhnliche zurück. Doch die Augen lebten nun wieder, und ihr trauriger, saugender Ausdruck heftete sich an das leere Dachfenster. Er sah das hübsche frische Mädchen vor sich, das in dieser verwölkten, unruhigen und im Grunde so bürgerlichen Gegend blühte wie eine Rose unter Disteln, Kartoffeln und Orchideen.

Er rasierte sich trübe fertig. Sein steifer Arm, der ihn fast zur Einhändigkeit verurteilte, was durch Gewandtheit sonst längst zum Unbewußten gelegt war, belästigte ihn heute ungemein. Er schonte in jäher Wut auch nicht die Oberlippe, auf der er sonst einen schmalen schwarzen, romanisch anmutenden Streifen gepflegt hatte. Den Morgen hatte er sich Jollenführer Wack genau angesehen, nachdem er erfahren, daß dieser der Bevorzugte der blonden Obsttochter sei. Jonny Wack ging glatt rasiert. Es deuchte Paduzek eine unverständliche Wahl. Ein Paradiesapfel in diesen unbeweglichen Pranken?

Aber immerhin, Wack war kein Wrack wie er, und hatte einen bürgerlich gefestigten Beruf.

»Aussichtsloser Nachschleicher, Augenschmeißer, Jobsucher, Laffe, Krokodil, Krüppel, lahmer Grimassenschneider, Betrugsschmierer, armer Teufel, ruchloser Hund«, beschimpfte der Mann vorm Spiegel sich selber.

Auf einmal, noch bevor er die Klinge gereinigt hatte, warf er sich über sein Gebäude von Koffer, wühlte darin umher, öffnete sonderbare Fächer mit unsichtbaren Mechanismen, Doppelböden, verborgenen Seitenklappen. Er riß ein flaches, verwickeltes Bündel hervor, schnürte es mit Hand und Zähnen auf. Es enthielt Hunderte kleiner Paßfotos, lauter Mädchenköpfe. Er streute sie aufs Bett, stöberte mit bebenden, schnippenden Fingern darin umher, warf sich darüber, lag seufzend zwischen dem schwarzweißen Blätterfall auf der waffelgemusterten, fadenscheinigen Spreitdecke; drei-, viermal hielt er eins der zarten Bilder ans Licht. Er schüttelte knurrend den schwarzhaarigen, glatt ölglänzenden Kopf. Er fand nichts, was einigermaßen auf die süße Pfirsichschnauze paßte. Zögernd blieb er schließlich an einem hängen. Mochte es gehen; er wollte es bei sich tragen.

Er entsann sich der kleinen Person, von der das schmale Abbild stammte. Es war ein Mädchen aus Galway in Irland, das mit Herrn von Ploß — derzeit hatte Ploß sich vorübergehend Caryman genannt — nebst einigen anderen als »Kabarettstar« nach Rio ausgewandert und verschollen war. Er, Paduzek hatte die Pässe gemacht.

Paduzek steckte das bescheidene Lichtbild sorgfältig in seine verwetzte Brieftasche. Schritte tappten treppauf. Hastig raffte er den verstreuten Schwung der Fotos zusammen. Sein Ohr hörte genauer, er kannte diese gemessen steigenden Schuhe, diesen Gentlemansschritt mit dem tastenden Unterton, und öffnete die Hand. Die hundert lächelnden, gleichgültigen und leidvollen Mädchenköpfe purzelten auf das Bett zurück.

Es klopfte. Ein lang, drei kurz.

Herr von Ploß trat ein und klemmte seine Füße zwischen Koffer und Waschtisch.

»Na, Looper?« fragte er.

Paduzek stieg auf den Stuhl, öffnete das Dachfenster, griff über die Pfannen hinunter und zog eine flache Metallschachtel heraus, in der Art der fünfziger Camelpackung, öffnete sie und entnahm ihr zwei norwegische Pässe.

Ploß prüfte die Stempel und Eintragungen. »Gut gearbeitet!« sagte er. Er hatte eine weiche melodische Stimme, die man hinter dem rostigen Bart und den brutalen Lippen nicht vermutet: »Aber ich würde so was hier nicht herumliegen lassen!«

Damit hob er einen beschmutzten Zettel von dem dürftigen Streifen Fußboden, auf dem der Probedruck eines Stockholmer Ausreise-Visums zu erkennen war. Er riß ein Streichholz an und verbrannte das Stück Papier auf der Erde des Waschständers zu Asche, die er alsbald zerrieb, in die hohle Hand fegte und durchs Dachfenster hinausbeförderte. Mit spitzen Fingern, so als wenn er sich leise ekele, säuberte er sich in dem rasurbeschmutzten Waschwasser. Während er sich an Paduzeks Handtuch abtrocknete, legte er den Blick finster auf die übers Bett verstreuten Paßbilder, und er sagte in sanftem Moll: »Leg dir lieber ein lebendiges Mädchen ins Kissen. So viel Abgehalfterte belasten nur. Oder sind sie andersrum?«

»Nein!« entgegnete Paduzek: »Aber ich habs satt.«

»Die Liebe?«

»Die Paßschweinerei.«

»Schade!« lächelte der Gentleman.

Der Artist heftete den Blick auf den haselnußgroßen Opal, den der Besucher in breiter Goldfassung an der Linken trug: »Hoffe, Sie sind im Oktober geboren.«

»Warum das?«

»Allen andern bringt diese Art Edelstein kein Glück.«

Herr von Ploß erwiderte milde:

»Glück ist Mangelware. Am besten spart man es auf, bis man es endgültig braucht.« Er schob mit seinem teuren, von einer weißen Gamasche halb bedeckten Schuh eine der gelben Schildkröten unters Bett: »Well, Looper, hier im Hotel hat sich so etwas wie ein kleines Monte Carlo aufgemacht. Als Sparklub getarnt. — Hab mirs angesehn. Ganz nette Beträge. Da ist eine Tür zum Künstlerzimmer. Besorgen Sie sich doch mal den Schlüssel. Heut abend, nicht wahr?«

Paduzeks Augen glommen auf: »Ich krieg noch Geld«, sagte er leise.

Ploß nickte höflich: »Eben. Wir rechnen später ab. Die nötige Marie verdienen Sie ja bei Klefot. Oder haben Sie Appetit auf den Opal? Sozusagen für letzte Not? Ist es schon soweit?«

Damit warf er das Handtuch über den Bilderschwung aufs Bett und ging, ohne lange zu versuchen, die Füße zu wenden, mit lässiger Geste rückwärts hinaus.

Paduzek sah wortlos hinter ihm her, bis die Tür die unzweifelhaft elegante Erscheinung zugedeckt hatte. Dann schnappte er hilflos, als wolle er eine Fliege verschlingen, zuckte den Kopf seitwärts, spie, sich schüttelnd, ins Waschbecken und murmelte: »Aas, schluck dein Gift allein!«

Dann raffte er die Bilder zusammen, ohne Blick, und packte sie weg. Aus einem andern Fach des Koffers entnahm er einen kleinen Tuschkasten, eine Uhrmacherlupe und ein winzige Lackflasche. Er holte das Bild, dem Mine Thormann entfernt zu gleichen schien, mit gequälter Andacht wieder aus der Brieftasche hervor, klemmte die Lupe ins Auge, neßte den Pinsel in der Wasserflasche und zeichnete einige fast unsichtbare Schattenveränderungen hinein. Sein Gesicht nahm unbewußt den Abglanz sehnsüchtiger Lieblichkeit an, indem er sich mit äußerster Gewalt in den Eindruck versenkte, den er von den paar flüchtigen Straßenbegegnungen mit Fräulein Thormann hatte. Es gelang ihm nicht gleich, er winselte unglücklich, atmete schwer, seine Stirn feuchtete sich. Er keuchte in ungeheurer Anstrengung.

Nun schien es gelungen, er ließ es trocknen, fügte hauchdünn einen wasserhellen Lack darüber, befächelte es behutsam mit der Handkante und prüfte tief von der Seite die Gleichmäßigkeit des Glanzes, überzeugte sich nochmals mit dem freien und mit dem lupenbewaffneten Auge, nahm die Lupe heraus, vertiefte sich innig in die Süße der Ähnlichkeit, die ihm ungemein erreicht schien, faßte die bescheidene Fläche Glück, dieses sonderbare Stück toter Ebene, darin ein atmendes Geschöpf, um das plastische Ausmaß verringert, dennoch atmend zu wirken vermochte, trug es in Zärtlichkeit flaumsacht zwischen zwei Fingerspitzen gespannt und legte es in feierlichem Schwunge, sorgsam ausgerichtet, unter sein dürftiges Kopfkissen.

Fähre VII

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