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Als Mine den elterlichen Laden erreicht hatte, zögerte sie. Durch die große gutgeputzte Scheibe erblickte sie den langen Gentleman, der Jonnys Boot entstiegen war. Gemessen trat er heraus. Die graue Melone des Artisten aber war nicht mehr zu entdecken. Der feine Herr sah Mine mit höflichem Erstaunen an und grüßte elegant. Er trug eine goldgeränderte Brille und sein Haar schien an den Schläfen leicht ergraut. Eine nicht unfesselnde Erscheinung, schien es Mine. Seine Hände hatte er halbwegs in die Jackettasche gesteckt. Eine Tüte war nirgends zu erkennen.

Mine schlüpfte hinter die Tonbank, von ihrem Vater grobschlächtig begrüßt. Von der Mutter alsbald leise vermahnt, sich ein ander Mal etwas zu sputen. Es sei schon allerlei vorbei. Auch dieser Herr hätte gegebenenfalls noch mehr gekauft, wenn sie da gewesen wäre. Jawohl, Mutter Thormann wußte genau, welch Juwel sie an ihrer Tochter besaß.

Mine bediente eine Nachbarin mit Türkschen Erbsen, Kochbirnen und Petersilie. Sie scheute keine Arbeit. Aber ihre Mutter sagte streng. »Bleib du beim Obst. Machst dir ja die Finger so grün!«

Als danach der Augenblick günstig war, fragte Mine: »Was hat er denn gekauft, der große Kavalier? Eine Banane? Und sie ins Jackett gesteckt?«

»Er heißt Herr Ploß, mein Kind«, antwortete die Mutter wie eine sanfte Zurechtweisung.

»Herr von Ploß!« hob der Vater den gutmütigen Schnauzbart: »Hier ist seine Karte — Reginald von Ploß, und dabei geschrieben: »z.Zt. Klefots Hotel, und ein Wappen ist auch darauf!«

»Ja, richtig«, meinte Mutter Thormann: »Aber dennoch wird er eine Art Großkaufmann sein, ich hab so eine Ahnung. Er hat drei Pfund Pfirsiche bestellt. Sie sind für Klefots Bar; wenigstens sollen sie dort abgeliefert werden bis zum Abend. Er wird sie zum Sekt gebrauchen, Abschiedsfeier, er sagte so etwas, ein freimütiger Herr. Ottel kann sie heute nachmittag hinbringen!«

Ottel war Mines kleiner Bruder. Er war zehn und jetzt in der Schule.

»Puh, zum Sekt? Schmeckt denn das?« flüsterte Mine, indem sie, dicht neben ihrer Mutter stehend, eine Tüte abriß und mit der kleinen Faust hineinfuhr, um ihr die nötige Höhlung zur Aufnahme für ein halb Pfund Tomaten zu geben.

»Mag sein«, entgegnete Frau Thormann und öffnete ihre Stimme gebührend der Kundschaft zu, wog Stachelbeeren ab und sagte: »Ich habe gehört, man tut die Pfirsiche ins Glas!«

»Djawoll, direkt in den Schumm!« bestätigte Frau Musback, die sehr hellhörig war und einst bessere Tage gesehen hatte. Sie rückte ihren alten Kapotthut zurecht und sah sich in Gedanken jung.

»Aber ein Großkaufmann ist so was nicht, ein Bierverleger höchstens. Oder ein Zirkusdirektor!« knarrte Netzmacher Södel.

Frau Musback rieb ihr ewiges dickes Gerstenkorn und blieb beim Sekt ihrer Jugend: »Djawoll, und vorher pieken sie ihm mit ne Gabel und denn ziehen die Perlen darin, und denn fängte er an, sich zu drehen, ümmer so rum wie ein Karussell!«

»Die verrückte Welt!« fand sich wiederum Vater Thormann gutmütige Stimme dazu: »Aus den Austern holt man die Perlen raus und in die Pfirsiche läßt man sie rein.«

»Ist allens dasselbe!« nickte Frau Musback.

»Aber in diesem Falle nur Kohlensäure!« erklärte, von der Wichtigkeit seiner wissenschaftlichen Bildung überzeugt, der junge Mann von der Drogerie, der sich einen Rettich zum Frühstück zu kaufen gedachte.

»Allens Luxus und Verderb, der Herr wird ihnen strafen bis ins zehnte Glied, die da prassen und vertun, was den Armen aus den Hälsen gemergelt wird, und sie werden glatten Durchfall davon kriegen«, knurrte der alte Netzmacher aus dem Hinterhof von der andern Seite. Er war mürrisch, hatte ein Holzbein, war auf die Abseite der Zeitläufte geraten und suchte sein Geländer an ein bißchen Frömmigkeit, was ihn nicht hinderte, sich den Mittag zu Speck, Kartoffeln und Zippelstibbels ein paar Salzgurken zu leisten.

Mutter Thormann lächelte über die ganze bunte Kundschaft hin und einigen munter gekleideten amerikanischen Jan Maaten zu, die gerade den Eingang enterten, und sagte schlicht, als sage sie etwas: »Ein Kilo Schneidebohnen« — »Auf Mines Hochzeit, da werden wir auch Pfirsiche in Sekt Karussel fahren lassen!«

Erst als sie beim Mittagessen saßen, fiel es Mine ein, sie habe ganz vergessen, Jonny die Einladung ihrer Mutter zu bestellen.

»Das ist ja nun purer Undank, Deern!« meinte die Mutter: »Wo er dir die schönen Pralinees geschenkt hat und auch partout die Ringe selber bezahlen will. Er hat doch nur Dienst bis halb eins heute, und wir hatten doch noch so reichlich Fleisch von gestern, wenngleich, umkommen tut es nu ja auch grade nicht, denn wenn dein Vater darf, lutscht er alles ratzekahl weg vom Tisch und wenn auch für zehn Scheunendrescher gedeckt ist.«

Vater Thormann schmunzelte ungekränkt und hielt ein Ohr nach dem Laden, wo Klein Ottel seinen Mittagsposten bezogen hatte und heimlich von den neuen blauen Weintrauben naschte. Ottel hatte es heute nicht eilig, es schien ihm fraglich, ob es Mittagessen für ihn geben werde. »Ottel«, rief er kauend: »Lauf rasch hin, ist noch fünf vor halb. Onkel Jonny soll hier was essen!«

Aber Mine war schon aufgesprungen. »Das mach’ ich selber«, lächelte sie und war wie der Wind davon. Wie süß der Mosambik-Zeisig bei Denkers schmetterte, wie herrlich sich die Hafentreppe mit einer Stufe überschlagen nehmen ließ; sie schwebte wie auf Flügeln.

Aber Jonny war nicht mehr da. Seine Ablösung schmunzelte mitfühlend. Jonny sei mit dem Boot zum Hafentor Baumwall beordert, da sei einer krank oder Motorschaden. Vor acht gäb es da nicht frei. Essen? Ach, da habe man so Würstchen an der Bude, ganz gut. Das wäre nun mal so der schwere Hafendienst, immer einspringen, aber dafür würde Jonny morgen den ganzen Tag frei haben, wahrscheinlich wenigstens.

»Dieser Beamtendienst!« seufzte Mine, als sei sie schon verheiratet.

»Djä, Mine-Stern«, kaute Vater Thormann unter dem beigußtropfenden Schnurrbart hervor: »Denn mußt du ihn ja rein heut abend ein büschen trösten!«

Theodor, wie meinst du etwa?« warf Frau Thormann ein und legte die Gabel hin, als wolle sie zu schärferen Waffen greifen.

»Natürlich in Ehren — ehren ist menschlich!« lachte Mine, und ihr Vater stimmte mit ein, so gut es sein voller Mund erlaubte.

»Ja, unser Mineküken weiß, was sich gehört, Mammi!« sagte er dann gutmütig.

»Jonny ist auch viel zu holzpantoffelig für jeden Unfug, will ich euch nur flüstern«, sagte Mine, indem sich ihre Stimme verdüsterte.

»Warum bist du denn auf einmal so sonderbar fuchtig?« Ihre Mutter sah sie groß an. Sie war das Ebenbild ihrer Tochter, gesehen in einem Konkavspiegel: »Als Braut darf man nur immer so ebenweg jubilieren, verstanden?«

Mine drehte den Kopf gegen die Schulter, den Löffel weit von sich gestreckt und schwieg in sich hinein. Auf einmal lauschte sie und sagte erstaunt: »Das Radio ist ja an.«

»Das ist immer an«, versetzte Mutter Thormann mißtrauisch. »Oder was wolltst du sagen?«

»Is ja allens bloß Spaß«, kaute Vater Thormann, erhob sich und verschwand schnurrbartwischend in den Laden. »Is gut!« rief er kauend zurück, was bedeutete, daß dort nur ein weiblicher Kunde sei oder ein ältlicher Nachbar, wobei die Anwesenheit Mines zur Vergrößerung des Umsatzes nicht in Betracht kam.

Die Mutter, da sie nun allein waren, lehnte ihre behäbige Fülle über die Tischkante, strich mit den gemüsegrünen Fingern über das helle Haar der Tochter, das ein Erbteil des ihren, nur um weniges nachgedunkelten war, und sagte fast weinerlich vor mütterlicher Liebe: »Du darfst ja alles, mein Döchting, mein Süßling, aber deshalb braucht Papa ja nicht immer gleich zu denken, daß hier im Hause keine gute Erziehung herrscht. Er hat ja ein Herz, mit dem man umspringen kann, wie mit sonst was; den reinen Waschlappen hat er als Herz, wenn man es so nennen will, aber nur, wenn es sich um dich handelt, das braucht man nicht noch zu bestärken! Geh du nur mit Jonny heut abend hin, wo es dir vergnüglich ist, fünf Mark darfst du dir aus der kleinen Kasse nehmen, nicht mehr, und wenn das nicht reichen sollte, etwas wird er ja auch selber haben!«

»Nu halt aber auf!« Mine drehte den Kopf wieder zur Suppe. Sie lächelte nicht mehr: »Erstens wollte ich eigentlich heute abend lieber früh zu Bett oder in den Turnverein und zweitens, wohin soll das führen, wenn du mir so einfach sagst, ich darf alles?«

Die mütterliche Nachgiebigkeit und Liebe bekam einen kleinen Schreck: »Turnverein! Das ist doch nichts mehr für eine Braut! Da hast du Jonny kennen gelernt und damit doch gut. Und wenn ich dir sage: Tu was Du willst, so weiß ich doch genau, daß meine Mine genau weiß, wie weit ein anständiges Mädchen gehn kann. Geht denn Jonny noch immer hin!«

»Ach wo, der spart doch jetzt, wo er kann. Wir wollen Stahlmöbel haben.«

»Stahlmöbel? Wie modern! Aber glaub mir, das Moderne ist nicht immer das Genehme. Die sind doch so kalt allerwegens. Bei Großvaters Grab hatten wir welche aus Gußeisen. Ich empfehle sie nicht.«

»Dann wirst du eben auf der Kautsch sitzen, wenn du uns besuchst, Mutter!«

Frau Thormann spürte, daß die Zeit weitergegangen war, ohne ihren Geschmack mitzunehmen.

»Tut, was ihr mögt!« seufzte sie: »Aber sagt es Papa nicht nach. Er meckert ja zwar leider nicht, aber nachts grämt er sich doch. Nur eins, Kind, mit dem Rumknutschen, da würde ich geizig sein, was man da vorweg nimmt, hat man späterhin Mangel. So, nu iß und nimm dir tüchtig. Brautstand zehrt. Und nachher kannst du ja die Monogramme in deine Geschirrtücher weitersticken!«

Mine lächelte wieder: »Die Manhattan ist doch gekommen«, sagte sie.

»Schön, dann kannst du dich ja damit in den Laden setzen, das macht einen so häuslichen Eindruck, und die Ausländer, die sagen dann: In Deutschland, da gibt es noch weibliche Tugenden, da ist man fleißig. Denn die ihre Damen malen sich ja meistenteils bloß’n büschen an, und das nennen sie dann weibliche Handarbeit!«

In diesem Augenblick fiel ihr ein, daß sie auch noch einen Sohn habe.

»Otto!« rief sie streng und kurz.

Ottel schlich aus dem Laden hervor. Er sah rötlichblond und ungegoren aus, ein wenig zu klein für sein Alter, mit einer Regennase und großen Ohren, sommersprossig, und immer ein wenig schnaufend in Erwartung großer Abenteuer.

»Nanu, Ottel, die Suppe ist schon eiskalt! Was hast du ausgefressen?«

Die Mutter kannte ihren Sohn. Selten kam er nach Hause ohne böses Gewissen.

Ottel schluckte ein paar Mal, dann legte er los wie ein Motor. Nach einigen Fehlzündungen pflegten seine Sätze eilends mit ihm davonzurattern, um plötzlich stehen zu bleiben.

»Onkel — Onkel Jonny — der — der kann — mit dem Fußball kann er glatt übers Dach weg, hat er gesagt, hat er mir gesagt, von der Turnhalle und —«

»Warum sagst du denn das so traurig?« lachte die große Schwester.

»Und ich — das hab’ ich — ich hab’ das auch versucht, und —«

»Na, na«, sagte Mutter Thormann ahnungsbang: »Wohin?«

»Ich konnte — er ging nicht — er ist nicht ganz so hoch gekommen...«

»Ach, mein Gott, da hast du wohl ein Fenster eingeworfen«, schnob die Mama, und ehe Ottel zu Ende genickt hatte, hatte er seinen Flicken weg.

Klein Ottel hatte die gute Eigenschaft, nicht zu plinsen. Er setzte sich hin, die Mutter füllte ihm jammernd auf. Er aß, den Mund fast auf dem Tellerrand, aber mit gesegnetem Appetit.

»Ein öffentliches Gebäude«, jammerte Mutter Thormann. »Und die Fenster da sind so groß wie Spiegelscheiben!«

Ottel hob die blassen Augen vorwurfsvoll: »Ist ja — ist ja bloß — ein — ein ganz kleines ist es ja bloß und kostet genau fünf Mark, hat Herr Lohse gesagt, und —«

»Nu denk mal bloß an, fünf Mark!«

»Ach was!« lachte Mine. »Die schenk ich ihm. Du kannst sie aus der kleinen Kasse nehmen, Ottel. Denn wenn ich schon ausgeh, kann Jonny selber bezahlen, das wäre ja noch schöner!«

Ottel strahlte.

Frau Thormann fühlte sich erschöpft. Sie ordnete an, Otto solle nachher gleich die Pfirsiche zu Klefots bringen. Dann tat sie einige herzhafte Äußerungen über die Anstrengungen des verflossenen Tages, der soviel auf einmal gebracht, gähnte herzhaft und zog sich zurück.

»Warum heulst du eigentlich nie, Ottel?« fragte Mine und schnitt ihm ein gutes Stück Fleisch in kleine Stücke.

Ottel atmete tief und schnaufend. Er sah seine Schwester erstaunt an und fragte: »In — Indi —«

»Vorsicht, Ottel!« unterbrach sie ihn: »Ich glaube, es heißt wieder mal in der.« Denn sie fühlte sich wie alle großen Schwestern zur Miterziehung verpflichtet.

Ottel schüttelte beleidigt den Struppkopf und vollendete mit Grabesernst seinen Satz: »Indianer kennen keine Schmerzen.«

Fähre VII

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